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@@ -59,3 +59,6 @@ Laurentreihen
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Laurentreihenentwicklung
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Alphonse
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funktionentheoretischen
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Summendarstellung
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Mittag-Leffler
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Djursholm
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@@ -31,3 +31,7 @@
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{"rule":"DE_CASE","sentence":"^\\QWege im Kreisring \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q Als erstes werde ich kann den Funktionswert \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q als Integral über den Weg \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q ausdrücken.\\E$"}
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{"rule":"DE_CASE","sentence":"^\\QWege im Kreisring \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q Als Erstes werde ich kann den Funktionswert \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q als Integral über den Weg \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q ausdrücken.\\E$"}
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{"rule":"GERMAN_WORD_REPEAT_BEGINNING_RULE","sentence":"^\\QDer Punkt \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q ist genau dann eine wesentliche Singularität von \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q, wenn der Hauptteil unendlich viele Summanden hat.\\E$"}
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{"rule":"DE_CASE","sentence":"^\\QAnwendung der Goldenen Regeln\\E$"}
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{"rule":"UNPAIRED_BRACKETS","sentence":"^\\QDie Aussage folgt dann aus Korollar \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q (“Integralsatz von Cauchy”), \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q.\\E$"}
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{"rule":"DE_CASE","sentence":"^\\QDie zweite Gleichheit gilt nach der Goldenen Regel 1, weil \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q und \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q in derselben Zusammenhangskomponente von \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q ist.\\E$"}
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{"rule":"DE_CASE","sentence":"^\\QDamit ist die Goldene Regel 3 zumindest halbwegs gerechtfertigt.\\E$"}
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@@ -171,7 +171,8 @@ diese Begriffe nicht verwechseln!
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\end{bemerkung}
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\begin{bsp}[Integration von $z^n$ über den Rand des Einheitskreises]\label{bsp:3-2-2}%
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Es sei $U = ℂ^*$ und es sei $f(z) = z^n$. Weiter betrachten wir den Weg
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Es sei $U = ℂ^*$, es sei $n ∈ ℤ$ und es sei $f(z) = z^n$. Weiter
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betrachten wir den Weg
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\[
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γ: [0,2π] → ℂ^*, \quad t ↦ r\exp(it),
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\]
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@@ -82,7 +82,7 @@ B_r(ρ)$ der Kreisscheibe liegen.
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\section{Potenzreihen liefern holomorphe Funktionen}
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\begin{proposition}[Kompakt konvergierende Folgen holomorpher Funktionen]\label{prop:potenzreihe-holomorph}%
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\begin{proposition}[Lokal gleichmäßig konvergierende Folgen holomorpher Funktionen]\label{prop:potenzreihe-holomorph}%
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Es sei $U ⊂ ℂ$ offen und es sei $(f_i)_{i ∈ ℕ}$ eine Folge von holomorphen
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Funktionen, $f_i ∈ 𝒪(U)$, die auf $U$ kompakt gegen Grenzfunktion $f$
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konvergiert. Dann gilt:
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@@ -2,9 +2,9 @@
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\selectlanguage{german}
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\chapter{Singuläre Stellen holomorpher Funktionen}
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\label{sec:9}%
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\section{Isolierte Singularitäten}
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\label{sec:9-1}%
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Wir interessieren uns für die folgende Situation: Sei $U ⊂ ℂ$ ein Gebiet, sei $ρ
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∈ U$ ein Punkt. Gegeben eine holomorphe Funktion $f ∈ 𝒪(U ∖ ρ)$. Was kann ich
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@@ -57,6 +57,9 @@ Wir interessieren uns für die folgende Situation: Sei $U ⊂ ℂ$ ein Gebiet, s
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\end{enumerate}
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\end{definition}
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\section{Hebbare Singularitäten}
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\begin{satz}[Hebbarkeitsatz von Riemann]\label{satz:9-1-hebbarkeit}%
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\index{Hebbarkeitsatz von Riemann}In der Situation von
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Definition~\ref{def:9-1-1} sei $ρ ∈ T$. Falls die Funktion $|f|$ in der Nähe
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@@ -91,13 +94,13 @@ Wir interessieren uns für die folgende Situation: Sei $U ⊂ ℂ$ ein Gebiet, s
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||||
$ℝ²$ überhaupt nicht differenzierbar.
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\end{bemerkung}
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\begin{frage}
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||||
Was kann ich über Beiträge von Funktionen mit Polstelle sagen?
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\end{frage}
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Als Antwort eine Beispielrechnung.
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\section{Polstellen}
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\begin{rem}[Beispielrechnung zu Funktionen mit Polstellen]
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||||
Was kann ich über Beiträge von Funktionen mit Polstelle sagen? Als Antwort eine
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||||
Beispielrechnung.
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\begin{rem}[Beispielrechnung zu Funktionen mit Polstellen]\label{bsp:9-3-1}%
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In der Situation von Definition~\ref{def:9-1-1} sei $ρ ∈ T$ eine Polstelle der
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Ordnung $n > 0$ hat. Also gibt es eine Zahl $ε > 0$ und eine holomorphe
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Funktion $g ∈ 𝒪(B_ε(ρ))$, sodass folgendes gilt.
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@@ -128,9 +131,14 @@ Pol, dann gilt für jedes $M ∈ ℝ⁺$ und alle ausreichend kleinen $ε > 0$.
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\item Für jedes $z ∈ B_ε(ρ) ∖ \{ρ\}$ ist $|f(z)| > M$.
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\end{enumerate}
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Die Funktionswerte von $f$ explodieren also betragsmäßig, wenn ich mich dem
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Punkt $ρ$ annähere. Auf jeden Fall sind die Funktionswerte von $0$ weg
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beschränkt. \textbf{Das ist bei wesentlichen Singularitäten ganz anders!}
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\section{Wesentliche Singularitäten}
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Beispielrechnung~\ref{bsp:9-3-1} zeigt, dass die Funktionswerte von $f$
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betragsmäßig explodieren, wenn ich mich einer Polstelle annähere. Auf jeden
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Fall sind die Funktionswerte in der Nähe der Polstelle von $0$ weg beschränkt.
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\textbf{Das ist bei wesentlichen Singularitäten ganz anders!}
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\begin{satz}[Satz von Casorati\footnote{Felice Casorati (* 17.~Dezember 1835 in
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Pavia; † 11.~September 1890 in Casteggio) war ein italienischer
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||||
@@ -174,327 +182,4 @@ beschränkt. \textbf{Das ist bei wesentlichen Singularitäten ganz anders!}
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||||
deshalb keine wesentlichen Singularitäten hat.
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\end{proof}
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\section{Entwicklung in Laurentreihen}
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\sideremark{Vorlesung 13}
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In Kapitel~\ref{chap:6} haben wir gesehen, dass holomorphe Funktionen auf
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Kreisscheiben Potenzreihenentwicklungen besitzen. Wir wollen jetzt einen
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ähnlichen Satz für holomorphe Funktionen auf Kreisringen beweisen. Dazu
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verwenden wir denselben Trick wie bei der Potenzreihenentwicklung.
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\begin{bemerkung}[Erinnerung]
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||||
Gegeben Kreisscheibe $B_r(0)$ und $f ∈ 𝒪(B_r(0))$, dann wähle $0 < ρ < r$.
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||||
Nach Satz~\vref{satz:4-4-1} („Integralformel von Cauchy“) gilt für alle $w ∈
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B_{ρ}(0)$
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\[
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||||
f(w) = \frac{1}{2π i} \int_{∂ B_{ρ}(0)} \frac{f(z)}{z - w} \, dz.
|
||||
\]
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||||
Schreibe
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||||
\[
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||||
\frac{1}{z - w} = \frac{1}{z} · \frac{1}{1 - w/z} = \frac{1}{z} · \sum_{i=0}^∞ \left(\frac{w}{z}\right)ⁱ,
|
||||
\]
|
||||
und setze dies in das Integral ein. Vertausche Integral und Summe und erhalte
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||||
eine Potenzreihendarstellung von $f$.
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||||
\end{bemerkung}
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||||
So etwas wollen wir jetzt auch für holomorphe Funktionen auf $B_r(0)$ machen,
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die bei $0$ eine Singularität haben. Sogar noch allgemeiner: für Funktionen auf
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Kreisringen.
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\begin{notation}[Kreisring]
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Seien reelle Zahlen $0 < r < R$ gegeben und sei $ρ ∈ ℂ$. Dann sei
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\[
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||||
K_{r,R}(ρ) = \{ z ∈ ℂ \::\: r < |z - ρ| < R \}
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||||
\]
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||||
der offene \emph{Kreisring}\index{Kreisring} um $p$ mit Radien $r$ und $R$.
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||||
\end{notation}
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||||
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\begin{situation}[Holomorphe Funktion auf Kreisring]\label{situation:9-2-2}%
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||||
Es seien reelle Zahlen $0 < r < R$ und es sei eine holomorphe Funktion auf dem
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Kreisring $K_{r,R}(0)$ gegeben, $f ∈ 𝒪(K_{r,R}(0))$.
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||||
\end{situation}
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||||
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||||
\begin{konstruktion}[Potenzreihenentwicklung auf Kreisring]\label{kons:9-2-4}%
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In Situation~\ref{situation:9-2-2} sei ein Punkt $w ∈ K_{r,R}(0)$ gegeben.
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||||
Dann wähle reelle Zahlen $a$ und $A$ mit
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||||
\[
|
||||
r < a < |w| < A < R.
|
||||
\]
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||||
und betrachte den in Abbildung~\ref{fig:9-2-1} gezeigten Weg $γ$ in $K_{r,R}(0)$.
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\begin{figure}
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\begin{center}
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||||
\includegraphics[width=10cm]{09-annulus.png}
|
||||
\end{center}
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||||
\caption{Wege im Kreisring $K_{r,R}(0)$}
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||||
\label{fig:9-2-1}
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||||
\end{figure}
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Als Erstes werde ich kann den Funktionswert $f(w)$ als Integral über den Weg
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$γ$ ausdrücken. Dazu wähle eine Zahl $ε > 0$, sodass die abgeschlossene
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Kreisscheibe $\overline{B_ε(w)}$ ganz in $K_{a,A}(0)$ liegt. Dann gilt nach
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||||
der Cauchy Integralformel die Gleichung
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\[
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||||
f(w) = \frac{1}{2π i} \int_{∂ B_ε(w)} \frac{f(z)}{z - w} dz.
|
||||
\]
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||||
Jetzt beobachte, dass der Weg $γ$ frei homotop zum Weg rund um $∂ B_ε(w)$ ist.
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||||
Also sind nach Satz~\ref{satz:4-3-6} („Invarianz von Wegintegralen unter
|
||||
freier Homotopie“) die Integrale über diese Wege gleich,
|
||||
\begin{align*}
|
||||
f(w) & = \frac{1}{2π i} \int_{∂ B_ε(w)} \frac{f(z)}{z - w} \, dz \\
|
||||
& = \frac{1}{2π i} \int_{γ} \frac{f(z)}{z - w} \, dz \\
|
||||
& = \frac{1}{2π i} \left[ \int_{∂ B_A(0)} \frac{f(z)}{z - w} \, dz - \int_{∂ B_a(0)} \frac{f(z)}{z - w} \, dz \right].
|
||||
\end{align*}
|
||||
Jetzt wenden wir den Trick mit der geometrischen Reihe zweimal an.
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||||
\begin{itemize}
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||||
\item Für alle $z ∈ ∂ B_A(0)$ und alle $w ∈ K_{r,A}(0)$ ist
|
||||
\[
|
||||
\frac{f(z)}{z - w} = \frac{f(z)}{z} · \sum \left(\frac{w}{z}\right)ⁱ
|
||||
\]
|
||||
und deshalb
|
||||
\[
|
||||
\int_{∂ B_A(0)} \frac{f(z)}{z - w} \, dz
|
||||
= \sum_{i=0}^∞ \left( \int_{∂ B_A(0)} \frac{f(z)}{z^{i+1}} \, dz \right) · wⁱ.
|
||||
\]
|
||||
|
||||
\item Für alle $z ∈ ∂ B_a(0)$ und alle $w ∈ K_{a,R}(0)$ ist
|
||||
\[
|
||||
\frac{f(z)}{z - w} = \frac{-f(z)}{w - z} = \frac{-f(z)}{w} · \frac{1}{1 - z/w} = \frac{-f(z)}{w} \sum \left(\frac{z}{w}\right)ⁱ
|
||||
\]
|
||||
und deshalb
|
||||
\[
|
||||
\int_{∂ B_a(0)} \frac{f(z)}{z - w} \, dz = \sum_{i=0}^∞ \left( \int_{∂ B_a} (-f(z) \, zⁱ) \, dz \right) · w^{-(i+1)}.
|
||||
\]
|
||||
\end{itemize}
|
||||
Wie zuvor gilt: Der Wert der Integrale hängen nicht von der Wahl von $a$ und
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||||
$A$ ab und die Reihen konvergieren auf $K_{r,R}(0)$ lokal gleichmäßig.
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||||
Zusammenfassend können wir sagen: Es gibt Familien von komplexen Zahlen
|
||||
$(α_i)_{i ∈ ℤ}$, sodass für jedes $w ∈ K_{r,R}(0)$ die folgende Gleichung
|
||||
gilt,
|
||||
\[
|
||||
f(w) = \sum_{i=0}^∞ α_i \, wⁱ + \sum_{i=0}^∞ α_{-(i+1)} \, w^{-(i+1)}.
|
||||
\]
|
||||
Beide Reihen konvergieren auf $K_{r,R}(0)$ lokal gleichmäßig, und es gilt
|
||||
\[
|
||||
f(w) = \lim_{n → ∞} \sum_{i=-n}^n α_i \, wⁱ.
|
||||
\]
|
||||
Die Konstruktion endet hier.
|
||||
\end{konstruktion}
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||||
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||||
Die Darstellung von $f$ als „Potenzreihe mit negativen Exponenten“ ist natürlich
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||||
schrecklich wichtig. Sie wird als
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||||
\emph{Laurentreihenentwicklung}\footnote{Pierre Alphonse Laurent (* 18.~Juli
|
||||
1813 in Paris; † 2.~September 1854 ebenda) war ein französischer Mathematiker.}
|
||||
bezeichnet.
|
||||
|
||||
\begin{definition}[Laurentreihen]\label{def:9-2-5}%
|
||||
Eine \emph{Laurentreihe}\index{Laurentreihe} mit Entwicklungspunkt $ρ$ ist ein
|
||||
Ausdruck der Form
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||||
\[
|
||||
\sum_{i ∈ ℤ} c_i \, (z - ρ)ⁱ.
|
||||
\]
|
||||
Dabei sind die $c_i$ und $ρ$ komplexe Zahlen.
|
||||
\end{definition}
|
||||
|
||||
\begin{definition}[Konvergenz von Laurentreihen]
|
||||
Gegeben eine Laurentreihe wie in Definition~\ref{def:9-2-5} und eine
|
||||
natürliche Zahl $n$, so bezeichnet man den Ausdruck
|
||||
\[
|
||||
\sum_{i=-n}^n c_i \, (z - ρ)ⁱ
|
||||
\]
|
||||
als die \emph{$n$.te Partialsumme}\index{Partialsumme!einer Laurentreihe} der
|
||||
Laurentreihe. Man sagt, die Laurentreihe konvergiert für ein $z_0 ∈ ℂ$ gegen
|
||||
$g ∈ ℂ$, wenn die Folge $\sum_{i=-n}^n c_i \, (z_0 - p)ⁱ$ gegen $g$
|
||||
konvergiert. Man sagt, die Laurentreihe konvergiert auf einer Menge $M ⊆ ℂ$
|
||||
lokal gleichmäßig, wenn die Folge der Partialsummen auf $M$ lokal gleichmäßig
|
||||
konvergiert.
|
||||
\end{definition}
|
||||
|
||||
\begin{definition}[Haupt- und Nebenteil von Laurentreihen]
|
||||
Gegeben eine Laurentreihe wie in Definition~\ref{def:9-2-5}, so nennt man die
|
||||
Teilreihen
|
||||
\[
|
||||
\sum_{i=1}^{∞} c_i (z - p)^{-i}
|
||||
\quad\text{und}\quad
|
||||
\sum_{i=0}^{∞} c_i (z - p)ⁱ
|
||||
\]
|
||||
den \emph{Hauptteil}\index{Hauptteil einer Laurentreihe} und den
|
||||
\emph{Nebenteil}\index{Nebenteil einer Laurentreihe} der Laurentreihe.
|
||||
\end{definition}
|
||||
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||||
Konstruktion~\ref{kons:9-2-4} arbeitet mit Kreisringen um den Nullpunkt. Wie
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||||
immer gelten dieselben Aussagen für Kreisringe mit beliebigem Mittelpunkt. Am
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||||
Ende des Tages haben wir Folgendes bewiesen.
|
||||
|
||||
\begin{satz}[Laurentreihenentwicklung]\label{satz:9-2-8}%
|
||||
Es sei $ρ ∈ ℂ$ ein Punkt und es seien reelle Zahlen $0 < r < R$
|
||||
gegeben. Weiter sei $f ∈ 𝒪(K_{r,R}(p))$ eine auf dem Kreisring
|
||||
$K_{r,R}(p)$ holomorphe Funktion. Dann existiert eine auf ganz $K_{r,R}(p)$
|
||||
lokal gleichmäßig konvergierende Laurentreihe deren Grenzfunktion mit $f$
|
||||
übereinstimmt. Zusätzlich gilt: Haupt- und Nebenteil Laurentreihe konvergieren
|
||||
auf $K_{r,R}(p)$ ebenfalls jeweils lokal gleichmäßig. \qed
|
||||
\end{satz}
|
||||
|
||||
\begin{kor}[Eindeutigkeit der Laurentreihenentwicklung]
|
||||
In der Situation von Satz~\ref{satz:9-2-8} ist die Darstellung von $f$ als
|
||||
Laurentreihe eindeutig.
|
||||
\end{kor}
|
||||
\begin{proof}
|
||||
Nach Satz~\ref{satz:9-2-8} gibt es eine Laurentreihe
|
||||
\[
|
||||
f(z) = \sum_{i ∈ ℤ} c_i (z - ρ)ⁱ
|
||||
\]
|
||||
die auf $K_{r,R}(ρ)$ lokal gleichmäßig gegen $f$ konvergiert. Wir wollen
|
||||
zeigen, dass die Koeffizienten $c_i$ eindeutig bestimmt sind. Sei dazu eine
|
||||
Zahl $n ∈ ℤ$ gegeben. Wir wollen $c_n$ bestimmen. Dazu wähle eine Zahl $r <
|
||||
a < R$ und betrachte die folgenden Integrale,
|
||||
\begin{multline*}
|
||||
\int_{∂ B_a(ρ)} f(z) · (z - ρ)^n \, dz \\
|
||||
\begin{aligned}
|
||||
& = \int_{∂ B_a(ρ)} \left(\lim_{k → ∞} \sum_{i=-k}^k c_i (z - ρ)ⁱ \right) (z - ρ)^n \, dz && \text{Laurentreihe von } f \\
|
||||
& = \lim_{k → ∞} \sum_{i=-k}^k \int_{∂ B_a(ρ)} c_i (z - ρ)^{i+n} \, dz && \text{lokal gleichmäßige Konvergenz} \\
|
||||
& = 2π i · c_{-1-n} && \text{Beispiel~\vref{bsp:3-2-2}.}
|
||||
\end{aligned}
|
||||
\end{multline*}
|
||||
Also sind die Koeffizienten der Laurentreihe durch eine Formel gegeben, in der
|
||||
nur die Funktion $f$ vorkommt. Also sind die Koeffizienten der Laurentreihe
|
||||
eindeutig bestimmt.
|
||||
\end{proof}
|
||||
|
||||
Wir haben im Abschnitt~\ref{sec:9-1} drei Typen von isolierten Singularitäten
|
||||
definiert. Mithilfe der Laurentreihenentwicklung können wir diese Typen jetzt
|
||||
charakterisieren.
|
||||
|
||||
\begin{beobachtung}[Holomorphe Funktionen mit Singularitäten]\label{beo:9-2-10}%
|
||||
Es sei $U ⊆ ℂ$ offen und es sei $f$ eine holomorphe Funktion mit isolierten
|
||||
Singularitäten auf $U$. Es sei $T ⊂ U$ die Menge der Singularitäten und sei
|
||||
$ρ ∈ T$ sei eine der isolierte Singularitäten. Um das Verhalten von $f$ bei
|
||||
$ρ$ zu verstehen, entwickle $f$ bei $ρ$ in eine Laurentreihe. Genauer: wähle
|
||||
eine Zahl $ε > 0$, sodass $ρ$ die einzige Singularität von $f$ in der
|
||||
Kreisscheibe $B_{ε}(ρ)$ ist, also
|
||||
\[
|
||||
B_{ε}(p) ∩ T = \{ρ\}.
|
||||
\]
|
||||
Betrachte dann den Kreisring
|
||||
\[
|
||||
K_{\frac{ε}{2},ε}(ρ) = \{ z ∈ ℂ \::\: \frac{ε}{2} < |z - ρ| < ε \}.
|
||||
\]
|
||||
Nach Satz~\ref{satz:9-2-8} („Laurentreihenentwicklung“) gibt es eine auf
|
||||
$K_{\frac{ε}{2},ε}(ρ)$ lokal gleichmäßig konvergierende Laurentreihe $\sum c_i
|
||||
(z - p)ⁱ$, deren Grenzfunktion auf $K_{\frac{ε}{2},ε}(ρ)$ mit $f$
|
||||
übereinstimmt. Dann gilt Folgendes.
|
||||
\begin{enumerate}
|
||||
\item Der Punkt $ρ$ ist genau dann eine hebbare Singularität von $f$, wenn
|
||||
der Hauptteil gleich null ist.
|
||||
\item Der Punkt $ρ$ ist genau dann eine Polstelle von $f$, wenn der
|
||||
Hauptteil nur endlich viele Summanden hat.
|
||||
\item Der Punkt $ρ$ ist genau dann eine wesentliche Singularität von $f$,
|
||||
wenn der Hauptteil unendlich viele Summanden hat.
|
||||
\end{enumerate}
|
||||
\end{beobachtung}
|
||||
|
||||
|
||||
\section{Automorphismen der komplexen Ebene}
|
||||
|
||||
Ähnlich wie im Abschnitt~\ref{sec:7-3} möchte ich die Stärke der
|
||||
funktionentheoretischen Methoden demonstrieren, indem ich die Automorphismen der
|
||||
komplexen Ebene bestimme.
|
||||
|
||||
\begin{frage}
|
||||
Was sind die biholomorphen Selbstabbildungen $ℂ → ℂ$?
|
||||
\end{frage}
|
||||
|
||||
Einige Beispiele und Nicht-Beispiele sind und bereits bekannt.
|
||||
|
||||
\begin{bsp}[Affin-lineare Abbildungen]
|
||||
Für alle $a,b ∈ ℂ$ mit $a ≠ 0$ ist die Abbildung
|
||||
\[
|
||||
f : ℂ → ℂ, \quad z ↦ az + b
|
||||
\]
|
||||
biholomorph.
|
||||
\end{bsp}
|
||||
|
||||
\begin{beobachtung}[Komposition mit Translationen]\label{beob:9-3-3}%
|
||||
Gegeben irgendeine biholomorphe Abbildung $f : ℂ → ℂ$, so ist die Abbildung
|
||||
\[
|
||||
f - f(0) : ℂ → ℂ
|
||||
\]
|
||||
ebenfalls biholomorph und bildet die Null auf null ab.
|
||||
\end{beobachtung}
|
||||
|
||||
\begin{bsp}[Polynome höheren Grades]
|
||||
Polynome vom Grad $≥ 2$ sind ganz bestimmt keine Automorphismen, denn jedes
|
||||
Polynom $f ∈ ℂ[z]$ zerfällt in Linearfaktoren
|
||||
\[
|
||||
f(z) = λ (z - a_1)(z - a_2) ⋯ (z - a_n).
|
||||
\]
|
||||
\begin{itemize}
|
||||
\item Wenn zwei der $a_•$ gleich sind, dann hat $f$ eine mehrfache
|
||||
Nullstelle. Die Ableitung $f'$ verschwindet dort. Aber biholomorphe
|
||||
Abbildungen haben nach dem Satz über die lokale Umkehrbarkeit nirgends
|
||||
eine verschwindende Ableitung.
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||||
|
||||
\item Wenn alle $a_•$ verschieden sind, dann hat $f$ mindestens zwei
|
||||
verschiedene Nullstellen. Also ist $f$ nicht injektiv.
|
||||
\end{itemize}
|
||||
\end{bsp}
|
||||
|
||||
\begin{bsp}[Potenzreihen mit unendlich vielen Summanden]\label{bsp:9-3-5}%
|
||||
Ich behaupte, dass Potenzreihen mit unendlich vielen Summanden ebenfalls
|
||||
\emph{keine} Automorphismen der komplexen Ebene sind. Dazu führe ich einen
|
||||
Widerspruchsbeweis. Angenommen, es gäbe einen Automorphismus $f : ℂ → ℂ$ der
|
||||
durch eine Potenzreihe
|
||||
\[
|
||||
f(z) = \sum a_i zⁱ
|
||||
\]
|
||||
mit unendlich vielen Summanden gegeben ist. Nach Beobachtung~\ref{beob:9-3-3}
|
||||
können wir ohne Einschränkung annehmen, dass $a_0 = 0$ ist, also $f(0) = 0$.
|
||||
Insbesondere bildet $f$ die Menge $ℂ^*$ biholomorph auf sich selbst ab.
|
||||
|
||||
Aber: die Menge $ℂ^*$ hat einen interessanten Automorphismus, nämlich
|
||||
\[
|
||||
j : ℂ^* → ℂ^*, \quad z ↦ z^{-1}.
|
||||
\]
|
||||
Die Abbildung $f ◦ j : ℂ^* → ℂ^*$ ist dann auch holomorph und bijektiv, und
|
||||
kann als holomorphe Funktion mit Pol bei $0$ aufgefasst werden. Die
|
||||
Laurentreihe von $f ◦ j$ ergibt sich sehr einfach aus der Laurentreihe von
|
||||
$f$,
|
||||
\[
|
||||
f ◦ j = \sum a_i z^{-i}.
|
||||
\]
|
||||
Ich stelle fest: Der Hauptteil dieser Laurentreihe hat unendlich viele
|
||||
Summanden. Wie ist in Beobachtung~\ref{beo:9-2-10} gesehen haben, bedeutet
|
||||
das Folgendes: wenn ich $f ◦ j$ als Funktion mit isolierter Singularität
|
||||
auffasse, dann hat $f ◦ j$ hat bei $0$ eine wesentliche Singularität.
|
||||
|
||||
Ich behaupte, dass $f ◦ j$ dann aber nicht bijektiv sein kann. Betrachte dazu
|
||||
die Kreisscheibe $B_{1/2}(1) ⊂ ℂ^*$. Wir wissen, dass die Bildmenge $(f ◦ j)
|
||||
\left(B_{1/2}(0)\right)$ eine offene Teilmenge von $ℂ^*$ ist.
|
||||
|
||||
Es gilt aber auch noch Satz~\ref{satz:9-1-casorati-weierstrass}
|
||||
(„Casorati-Weierstraß“). Demnach ist die Bildmenge
|
||||
\[
|
||||
(f ◦ j) \left(B_{1/2}(0) ∖ \{0\}\right) ⊆ ℂ
|
||||
\]
|
||||
dicht, schneidet also $(f ◦ j) \left(B_{1/2}(0)\right)$ in mindestens einem
|
||||
Punkt. Dieser Punkt hat demnach zwei Urbilder, nämlich eines in $B_{1/2}(1)$
|
||||
und eines $B_{1/2}(0) ∖ \{0\}$. Also ist $f ◦ j$ tatsächlich nicht injektiv!
|
||||
\end{bsp}
|
||||
|
||||
\begin{bemerkung}
|
||||
Die Argumentation aus Beispiel~\ref{bsp:9-3-5} zeigt in Wirklichkeit, dass
|
||||
holomorphe Funktionen mit essenziellen Singularitäten niemals injektiv sind.
|
||||
\end{bemerkung}
|
||||
|
||||
In der Summe haben wir folgenden Satz bewiesen.
|
||||
|
||||
\begin{satz}[Automorphismen der komplexen Ebene]\label{satz:9-3-6}%
|
||||
Jede biholomorphe Abbildung $f : ℂ → ℂ$ ist von der Form
|
||||
\[
|
||||
f(z) = az + b
|
||||
\]
|
||||
für gewisse $a,b ∈ ℂ$ mit $a ≠ 0$. \qed
|
||||
\end{satz}
|
||||
|
||||
|
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% !TEX root = Funktionentheorie
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% spell checker language
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\selectlanguage{german}
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||||
\chapter{Entwicklung in Laurentreihen}
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\sideremark{Vorlesung 13}
|
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|
||||
\section{Holomorphe Funktionen auf Kreisringen}
|
||||
|
||||
In Kapitel~\ref{chap:6} haben wir gesehen, dass holomorphe Funktionen auf
|
||||
Kreisscheiben Potenzreihenentwicklungen besitzen. Wir wollen jetzt einen
|
||||
ähnlichen Satz für holomorphe Funktionen auf Kreisringen beweisen. Dazu
|
||||
verwenden wir denselben Trick wie bei der Potenzreihenentwicklung.
|
||||
|
||||
\begin{bemerkung}[Erinnerung]
|
||||
Gegeben Kreisscheibe $B_r(0)$ und $f ∈ 𝒪(B_r(0))$, dann wähle $0 < ρ < r$.
|
||||
Nach Satz~\vref{satz:4-4-1} („Integralformel von Cauchy“) gilt für alle $w ∈
|
||||
B_{ρ}(0)$
|
||||
\[
|
||||
f(w) = \frac{1}{2π i} \int_{∂ B_{ρ}(0)} \frac{f(z)}{z - w} \, dz.
|
||||
\]
|
||||
Schreibe
|
||||
\[
|
||||
\frac{1}{z - w} = \frac{1}{z} · \frac{1}{1 - w/z} = \frac{1}{z} · \sum_{i=0}^∞ \left(\frac{w}{z}\right)ⁱ,
|
||||
\]
|
||||
und setze dies in das Integral ein. Vertausche Integral und Summe und erhalte
|
||||
eine Potenzreihendarstellung von $f$.
|
||||
\end{bemerkung}
|
||||
|
||||
So etwas wollen wir jetzt auch für holomorphe Funktionen auf $B_r(0)$ machen,
|
||||
die bei $0$ eine Singularität haben. Sogar noch allgemeiner: für Funktionen auf
|
||||
Kreisringen.
|
||||
|
||||
\begin{notation}[Kreisring]
|
||||
Seien reelle Zahlen $0 < r < R$ gegeben und sei $ρ ∈ ℂ$. Dann sei
|
||||
\[
|
||||
K_{r,R}(ρ) = \{ z ∈ ℂ \::\: r < |z - ρ| < R \}
|
||||
\]
|
||||
der offene \emph{Kreisring}\index{Kreisring} um $p$ mit Radien $r$ und $R$.
|
||||
\end{notation}
|
||||
|
||||
\begin{situation}[Holomorphe Funktion auf Kreisring]\label{situation:9-2-2}%
|
||||
Es seien reelle Zahlen $0 < r < R$ und es sei eine holomorphe Funktion auf dem
|
||||
Kreisring $K_{r,R}(0)$ gegeben, $f ∈ 𝒪(K_{r,R}(0))$.
|
||||
\end{situation}
|
||||
|
||||
\begin{konstruktion}[Potenzreihenentwicklung auf Kreisring]\label{kons:9-2-4}%
|
||||
In Situation~\ref{situation:9-2-2} sei ein Punkt $w ∈ K_{r,R}(0)$ gegeben.
|
||||
Dann wähle reelle Zahlen $a$ und $A$ mit
|
||||
\[
|
||||
r < a < |w| < A < R.
|
||||
\]
|
||||
und betrachte den in Abbildung~\ref{fig:9-2-1} gezeigten Weg $γ$ in $K_{r,R}(0)$.
|
||||
\begin{figure}
|
||||
\begin{center}
|
||||
\includegraphics[width=10cm]{10-annulus.png}
|
||||
\end{center}
|
||||
|
||||
\caption{Wege im Kreisring $K_{r,R}(0)$}
|
||||
\label{fig:9-2-1}
|
||||
\end{figure}
|
||||
Als Erstes werde ich kann den Funktionswert $f(w)$ als Integral über den Weg
|
||||
$γ$ ausdrücken. Dazu wähle eine Zahl $ε > 0$, sodass die abgeschlossene
|
||||
Kreisscheibe $\overline{B_ε(w)}$ ganz in $K_{a,A}(0)$ liegt. Dann gilt nach
|
||||
der Cauchy Integralformel die Gleichung
|
||||
\[
|
||||
f(w) = \frac{1}{2π i} \int_{∂ B_ε(w)} \frac{f(z)}{z - w} dz.
|
||||
\]
|
||||
Jetzt beobachte, dass der Weg $γ$ frei homotop zum Weg rund um $∂ B_ε(w)$ ist.
|
||||
Also sind nach Satz~\ref{satz:4-3-6} („Invarianz von Wegintegralen unter
|
||||
freier Homotopie“) die Integrale über diese Wege gleich,
|
||||
\begin{align*}
|
||||
f(w) & = \frac{1}{2π i} \int_{∂ B_ε(w)} \frac{f(z)}{z - w} \, dz \\
|
||||
& = \frac{1}{2π i} \int_{γ} \frac{f(z)}{z - w} \, dz \\
|
||||
& = \frac{1}{2π i} \left[ \int_{∂ B_A(0)} \frac{f(z)}{z - w} \, dz - \int_{∂ B_a(0)} \frac{f(z)}{z - w} \, dz \right].
|
||||
\end{align*}
|
||||
Jetzt wenden wir den Trick mit der geometrischen Reihe zweimal an.
|
||||
\begin{itemize}
|
||||
\item Für alle $z ∈ ∂ B_A(0)$ und alle $w ∈ K_{r,A}(0)$ ist
|
||||
\[
|
||||
\frac{f(z)}{z - w} = \frac{f(z)}{z} · \sum \left(\frac{w}{z}\right)ⁱ
|
||||
\]
|
||||
und deshalb
|
||||
\[
|
||||
\int_{∂ B_A(0)} \frac{f(z)}{z - w} \, dz
|
||||
= \sum_{i=0}^∞ \left( \int_{∂ B_A(0)} \frac{f(z)}{z^{i+1}} \, dz \right) · wⁱ.
|
||||
\]
|
||||
|
||||
\item Für alle $z ∈ ∂ B_a(0)$ und alle $w ∈ K_{a,R}(0)$ ist
|
||||
\[
|
||||
\frac{f(z)}{z - w} = \frac{-f(z)}{w - z} = \frac{-f(z)}{w} · \frac{1}{1 - z/w} = \frac{-f(z)}{w} \sum \left(\frac{z}{w}\right)ⁱ
|
||||
\]
|
||||
und deshalb
|
||||
\[
|
||||
\int_{∂ B_a(0)} \frac{f(z)}{z - w} \, dz = \sum_{i=0}^∞ \left( \int_{∂ B_a} (-f(z) \, zⁱ) \, dz \right) · w^{-(i+1)}.
|
||||
\]
|
||||
\end{itemize}
|
||||
Wie zuvor gilt: Der Wert der Integrale hängen nicht von der Wahl von $a$ und
|
||||
$A$ ab und die Reihen konvergieren auf $K_{r,R}(0)$ lokal gleichmäßig.
|
||||
Zusammenfassend können wir sagen: Es gibt Familien von komplexen Zahlen
|
||||
$(α_i)_{i ∈ ℤ}$, sodass für jedes $w ∈ K_{r,R}(0)$ die folgende Gleichung
|
||||
gilt,
|
||||
\[
|
||||
f(w) = \sum_{i=0}^∞ α_i \, wⁱ + \sum_{i=0}^∞ α_{-(i+1)} \, w^{-(i+1)}.
|
||||
\]
|
||||
Beide Reihen konvergieren auf $K_{r,R}(0)$ lokal gleichmäßig, und es gilt
|
||||
\[
|
||||
f(w) = \lim_{n → ∞} \sum_{i=-n}^n α_i \, wⁱ.
|
||||
\]
|
||||
Die Konstruktion endet hier.
|
||||
\end{konstruktion}
|
||||
|
||||
|
||||
\section{Laurentreihen}
|
||||
|
||||
Die Darstellung von $f$ als „Potenzreihe mit negativen Exponenten“ ist natürlich
|
||||
schrecklich wichtig. Sie wird als
|
||||
\emph{Laurentreihenentwicklung}\footnote{Pierre Alphonse Laurent (* 18.~Juli
|
||||
1813 in Paris; † 2.~September 1854 ebenda) war ein französischer Mathematiker.}
|
||||
bezeichnet.
|
||||
|
||||
\begin{definition}[Laurentreihen]\label{def:9-2-5}%
|
||||
Eine \emph{Laurentreihe}\index{Laurentreihe} mit Entwicklungspunkt $ρ$ ist ein
|
||||
Ausdruck der Form
|
||||
\[
|
||||
\sum_{i ∈ ℤ} c_i \, (z - ρ)ⁱ.
|
||||
\]
|
||||
Dabei sind die $c_i$ und $ρ$ komplexe Zahlen.
|
||||
\end{definition}
|
||||
|
||||
\begin{definition}[Konvergenz von Laurentreihen]
|
||||
Gegeben eine Laurentreihe wie in Definition~\ref{def:9-2-5} und eine
|
||||
natürliche Zahl $n$, so bezeichnet man den Ausdruck
|
||||
\[
|
||||
\sum_{i=-n}^n c_i \, (z - ρ)ⁱ
|
||||
\]
|
||||
als die \emph{$n$.te Partialsumme}\index{Partialsumme!einer Laurentreihe} der
|
||||
Laurentreihe. Man sagt, die Laurentreihe konvergiert für ein $z_0 ∈ ℂ$ gegen
|
||||
$g ∈ ℂ$, wenn die Folge $\sum_{i=-n}^n c_i \, (z_0 - p)ⁱ$ gegen $g$
|
||||
konvergiert. Man sagt, die Laurentreihe konvergiert auf einer Menge $M ⊆ ℂ$
|
||||
lokal gleichmäßig, wenn die Folge der Partialsummen auf $M$ lokal gleichmäßig
|
||||
konvergiert.
|
||||
\end{definition}
|
||||
|
||||
\begin{definition}[Haupt- und Nebenteil von Laurentreihen]
|
||||
Gegeben eine Laurentreihe wie in Definition~\ref{def:9-2-5}, so nennt man die
|
||||
Teilreihen
|
||||
\[
|
||||
\sum_{i=1}^{∞} c_i (z - p)^{-i}
|
||||
\quad\text{und}\quad
|
||||
\sum_{i=0}^{∞} c_i (z - p)ⁱ
|
||||
\]
|
||||
den \emph{Hauptteil}\index{Hauptteil einer Laurentreihe} und den
|
||||
\emph{Nebenteil}\index{Nebenteil einer Laurentreihe} der Laurentreihe.
|
||||
\end{definition}
|
||||
|
||||
Konstruktion~\ref{kons:9-2-4} arbeitet mit Kreisringen um den Nullpunkt. Wie
|
||||
immer gelten dieselben Aussagen für Kreisringe mit beliebigem Mittelpunkt. Am
|
||||
Ende des Tages haben wir Folgendes bewiesen.
|
||||
|
||||
\begin{satz}[Laurentreihenentwicklung]\label{satz:9-2-8}%
|
||||
Es sei $ρ ∈ ℂ$ ein Punkt und es seien reelle Zahlen $0 < r < R$ gegeben.
|
||||
Weiter sei $f ∈ 𝒪(K_{r,R}(p))$ eine auf dem Kreisring $K_{r,R}(p)$ holomorphe
|
||||
Funktion. Dann existiert eine auf ganz $K_{r,R}(p)$ lokal gleichmäßig
|
||||
konvergierende Laurentreihe, deren Grenzfunktion mit $f$ übereinstimmt.
|
||||
Zusätzlich gilt: Haupt- und Nebenteil der Laurentreihe konvergieren auf
|
||||
$K_{r,R}(p)$ ebenfalls jeweils lokal gleichmäßig. \qed
|
||||
\end{satz}
|
||||
|
||||
\begin{bsp}[Laurentreihenentwicklung]\label{bsp:9-2-10}%
|
||||
Betrachte die Funktion
|
||||
\[
|
||||
f : ℂ ∖ \{2\} → ℂ, \quad z ↦ \frac{1}{z - 2}.
|
||||
\]
|
||||
Das Ziel ist, die Laurentreihenentwicklung von $f$ auf verschiedenen
|
||||
Kreisringen zu bestimmen.
|
||||
\begin{enumerate}
|
||||
\item\label{il:10-2-6-1} Auf dem Kreisring $K_{0,1}(0)$ gilt für jedes $z$ die
|
||||
Gleichung
|
||||
\[
|
||||
f(z) = -\frac{1}{2} · \frac{1}{1-\frac{z}{2}}
|
||||
= \sum_{k=0}^∞ -\frac{1}{2} \left(\frac{z}{2}\right)^k = \sum_{k=0}^∞ -\frac{1}{2^{k+1}} z^k.
|
||||
\]
|
||||
Die Summendarstellung $\frac{1}{1-\frac{z}{2}}$ gilt wie angegeben, weil
|
||||
$|z|<2$, also $|\frac{z}{2}|<1$ ist.
|
||||
|
||||
\item Auf dem Kreisring $K_{1, 2}(0)$ gilt für jedes $z$ dieselbe Darstellung
|
||||
wie in \ref{il:10-2-6-1}, weil immer noch $|z|<2$ ist.
|
||||
|
||||
\item Auf dem Kreisring $K_{2,∞}(0)$ können wir die Reihe aus
|
||||
\ref{il:10-2-6-1} definitiv \emph{nicht} nehmen. Es gilt aber für jedes $z$
|
||||
die Gleichung $|z|>2$ und deshalb $|\frac{2}{z}|<1$.
|
||||
Also ist
|
||||
\[
|
||||
f(z) = \frac{1}{z-2} = \frac{1}{z} · \frac{1}{1-\frac{2}{z}} = \frac{1}{z} · \sum_{k=0}^∞ \left(\frac{2}{z}\right)^k = \sum_{k=-∞}⁰ \frac{1}{2^k} z^{k-1}.
|
||||
\]
|
||||
\end{enumerate}
|
||||
\end{bsp}
|
||||
|
||||
\begin{kor}[Eindeutigkeit der Laurentreihenentwicklung]\label{kor:10-2-5}%
|
||||
In der Situation von Satz~\ref{satz:9-2-8} ist die Darstellung von $f$ als
|
||||
Laurentreihe eindeutig. Genauer: wenn
|
||||
\[
|
||||
\sum_{i ∈ ℤ} c_i (z - ρ)ⁱ
|
||||
\]
|
||||
eine auf ganz $K_{r,R}(p)$ lokal gleichmäßig konvergierende Laurentreihe ist,
|
||||
deren Grenzfunktion mit $f$ übereinstimmt, dann für jede reelle Zahl $a$ mit
|
||||
$r < a < R$ und jede ganze Zahl $n ∈ ℤ$ die Formel
|
||||
\[
|
||||
c_n = \frac{1}{2π i} \int_{∂ B_a(ρ)} f(z) · (z - ρ)^{-(n+1)} \, dz.
|
||||
\]
|
||||
\end{kor}
|
||||
\begin{proof}
|
||||
Seien Zahlen $a$ und $m$ gegeben. Betrachte die folgenden Integrale,
|
||||
\begin{multline*}
|
||||
\int_{∂ B_a(ρ)} f(z) · (z - ρ)^{-(n+1)} \, dz \\
|
||||
\begin{aligned}
|
||||
& = \int_{∂ B_a(ρ)} \left(\lim_{k → ∞} \sum_{i=-k}^k c_i (z - ρ)ⁱ \right) (z - ρ)^{-(n+1)} \, dz && \text{Laurentreihe von } f \\
|
||||
& = \lim_{k → ∞} \sum_{i=-k}^k \int_{∂ B_a(ρ)} c_i (z - ρ)^{i-(n+1)} \, dz && \text{lokal gleichmäßige Konvergenz} \\
|
||||
& = \lim_{k → ∞} \sum_{i=-k}^k c_i·\int_{∂ B_a(ρ)} (z - ρ)^{i-(n+1)} \, dz \\
|
||||
& = 2π i · c_n && \text{Beispiel~\vref{bsp:3-2-2}.}
|
||||
\end{aligned}
|
||||
\end{multline*}
|
||||
Also sind die Koeffizienten der Laurentreihe durch eine Formel gegeben, in der
|
||||
nur die Funktion $f$ vorkommt. Also sind die Koeffizienten der Laurentreihe
|
||||
eindeutig bestimmt.
|
||||
\end{proof}
|
||||
|
||||
\begin{kor}[Laurentreihenentwicklung und lokal gleichmäßige Konvergenz]\label{kor:10-2-7}%
|
||||
Es sei $ρ ∈ ℂ$ ein Punkt und es seien reelle Zahlen $0 < r < R$ gegeben.
|
||||
Weiter seien $f$ und $(f_n)_{n ∈ ℕ} ∈ 𝒪(K_{r,R}(p))$ auf dem Kreisring $K_{r,R}(p)$ holomorphe
|
||||
Funktionen, gegeben durch auf ganz $K_{r,R}(p)$ lokal gleichmäßig
|
||||
konvergierende Laurentreihen
|
||||
\[
|
||||
f(x) = \sum_{i ∈ ℤ} c_i (z - ρ)ⁱ
|
||||
\quad\text{und}\quad
|
||||
f_n(x) = \sum_{i ∈ ℤ} c_{n,i} (z - ρ)ⁱ.
|
||||
\]
|
||||
Falls die $f_n$ auf $K_{r,R}(p)$ lokal gleichmäßig gegen $f$ konvergieren,
|
||||
dann ist für jeden Index $i$
|
||||
\[
|
||||
c_i = \lim_{n → ∞} c_{n,i}.
|
||||
\]
|
||||
\end{kor}
|
||||
\begin{proof}
|
||||
Seien ein Index $i$. Wähle eine reelle Zahlen $r < a < R$ und schreibe
|
||||
\begin{align*}
|
||||
c_i & = \frac{1}{2π i} \int_{∂ B_a(ρ)} f(z) · (z - ρ)^{-(i+1)} \, dz && \text{Korollar~\ref{kor:10-2-5}} \\
|
||||
& = \frac{1}{2π i} \int_{∂ B_a(ρ)} \lim_{n → ∞} f_n(z) · (z - ρ)^{-(i+1)} \, dz && \text{Annahme} \\
|
||||
& = \lim_{n → ∞} \frac{1}{2π i} \int_{∂ B_a(ρ)} f_n(z) · (z - ρ)^{-(i+1)} \, dz && \text{lokal glm.~Konvergenz} \\
|
||||
& = \lim_{n → ∞} c_{n,i}. && \text{Korollar~\ref{kor:10-2-5}}
|
||||
\end{align*}
|
||||
Damit folgt die Behauptung.
|
||||
\end{proof}
|
||||
|
||||
% !TEX root = Funktionentheorie
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||||
% spell checker language
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\selectlanguage{german}
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||||
\chapter{Anwendungen der Laurentreihenentwicklung}
|
||||
|
||||
\section{Charakterisierung von Singularitäten}
|
||||
|
||||
Wir haben im Abschnitt~\ref{sec:9} drei Typen von isolierten Singularitäten
|
||||
definiert. Mithilfe der Laurentreihenentwicklung können wir diese Typen jetzt
|
||||
charakterisieren.
|
||||
|
||||
\begin{beobachtung}[Holomorphe Funktionen mit Singularitäten]\label{beo:9-2-10}%
|
||||
Es sei $U ⊆ ℂ$ offen und es sei $f$ eine holomorphe Funktion mit isolierten
|
||||
Singularitäten auf $U$. Es sei $T ⊂ U$ die Menge der Singularitäten und sei
|
||||
$ρ ∈ T$ sei eine der isolierte Singularitäten. Um das Verhalten von $f$ bei
|
||||
$ρ$ zu verstehen, entwickle $f$ bei $ρ$ in eine Laurentreihe. Genauer: wähle
|
||||
eine Zahl $ε > 0$, sodass $ρ$ die einzige Singularität von $f$ in der
|
||||
Kreisscheibe $B_{ε}(ρ)$ ist, also
|
||||
\[
|
||||
B_{ε}(p) ∩ T = \{ρ\}.
|
||||
\]
|
||||
Betrachte dann den Kreisring
|
||||
\[
|
||||
K_{\frac{ε}{2},ε}(ρ) = \{ z ∈ ℂ \::\: \frac{ε}{2} < |z - ρ| < ε \}.
|
||||
\]
|
||||
Nach Satz~\ref{satz:9-2-8} („Laurentreihenentwicklung“) gibt es eine auf
|
||||
$K_{\frac{ε}{2},ε}(ρ)$ lokal gleichmäßig konvergierende Laurentreihe $\sum c_i
|
||||
(z - p)ⁱ$, deren Grenzfunktion auf $K_{\frac{ε}{2},ε}(ρ)$ mit $f$
|
||||
übereinstimmt. Dann gilt Folgendes.
|
||||
\begin{enumerate}
|
||||
\item Der Punkt $ρ$ ist genau dann eine hebbare Singularität von $f$, wenn
|
||||
der Hauptteil gleich null ist.
|
||||
\item Der Punkt $ρ$ ist genau dann eine Polstelle von $f$, wenn der
|
||||
Hauptteil nur endlich viele Summanden hat.
|
||||
\item Der Punkt $ρ$ ist genau dann eine wesentliche Singularität von $f$,
|
||||
wenn der Hauptteil unendlich viele Summanden hat.
|
||||
\end{enumerate}
|
||||
\end{beobachtung}
|
||||
|
||||
\begin{bsp}[Funktion mit wesentlicher Singularität]\label{bsp:9-2-11}%
|
||||
Die Funktion
|
||||
\[
|
||||
f : ℂ ∖ \{0\} → ℂ, \quad z ↦ \exp\left(\frac{1}{z}\right)
|
||||
\]
|
||||
ist durch die Laurentreihe
|
||||
\[
|
||||
f(z) = \sum_{k=-∞}⁰ \frac{1}{|k|!} z^k
|
||||
\]
|
||||
gegeben und hat deshalb in $0$ eine wesentliche Singularität.
|
||||
\end{bsp}
|
||||
|
||||
|
||||
\section{Automorphismen der komplexen Ebene}
|
||||
|
||||
Ähnlich wie im Abschnitt~\ref{sec:7-3} möchte ich die Stärke der
|
||||
funktionentheoretischen Methoden demonstrieren, indem ich die Automorphismen der
|
||||
komplexen Ebene bestimme.
|
||||
|
||||
\begin{frage}
|
||||
Was sind die biholomorphen Selbstabbildungen $ℂ → ℂ$?
|
||||
\end{frage}
|
||||
|
||||
Einige Beispiele und Nicht-Beispiele sind und bereits bekannt.
|
||||
|
||||
\begin{bsp}[Affin-lineare Abbildungen]
|
||||
Für alle $a,b ∈ ℂ$ mit $a ≠ 0$ ist die Abbildung
|
||||
\[
|
||||
f : ℂ → ℂ, \quad z ↦ az + b
|
||||
\]
|
||||
biholomorph.
|
||||
\end{bsp}
|
||||
|
||||
\begin{beobachtung}[Komposition mit Translationen]\label{beob:9-3-3}%
|
||||
Gegeben irgendeine biholomorphe Abbildung $f : ℂ → ℂ$, so ist die Abbildung
|
||||
\[
|
||||
f - f(0) : ℂ → ℂ
|
||||
\]
|
||||
ebenfalls biholomorph und bildet die Null auf null ab.
|
||||
\end{beobachtung}
|
||||
|
||||
\begin{bsp}[Polynome höheren Grades]
|
||||
Polynome vom Grad $≥ 2$ sind ganz bestimmt keine Automorphismen, denn jedes
|
||||
Polynom $f ∈ ℂ[z]$ zerfällt in Linearfaktoren
|
||||
\[
|
||||
f(z) = λ (z - a_1)(z - a_2) ⋯ (z - a_n).
|
||||
\]
|
||||
\begin{itemize}
|
||||
\item Wenn zwei der $a_•$ gleich sind, dann hat $f$ eine mehrfache
|
||||
Nullstelle. Die Ableitung $f'$ verschwindet dort. Aber biholomorphe
|
||||
Abbildungen haben nach dem Satz über die lokale Umkehrbarkeit nirgends
|
||||
eine verschwindende Ableitung.
|
||||
|
||||
\item Wenn alle $a_•$ verschieden sind, dann hat $f$ mindestens zwei
|
||||
verschiedene Nullstellen. Also ist $f$ nicht injektiv.
|
||||
\end{itemize}
|
||||
\end{bsp}
|
||||
|
||||
\begin{bsp}[Potenzreihen mit unendlich vielen Summanden]\label{bsp:9-3-5}%
|
||||
Ich behaupte, dass Potenzreihen mit unendlich vielen Summanden ebenfalls
|
||||
\emph{keine} Automorphismen der komplexen Ebene sind. Dazu führe ich einen
|
||||
Widerspruchsbeweis. Angenommen, es gäbe einen Automorphismus $f : ℂ → ℂ$ der
|
||||
durch eine Potenzreihe
|
||||
\[
|
||||
f(z) = \sum a_i zⁱ
|
||||
\]
|
||||
mit unendlich vielen Summanden gegeben ist. Nach Beobachtung~\ref{beob:9-3-3}
|
||||
können wir ohne Einschränkung annehmen, dass $a_0 = 0$ ist, also $f(0) = 0$.
|
||||
Insbesondere bildet $f$ die Menge $ℂ^*$ biholomorph auf sich selbst ab.
|
||||
|
||||
Aber: die Menge $ℂ^*$ hat einen interessanten Automorphismus, nämlich
|
||||
\[
|
||||
j : ℂ^* → ℂ^*, \quad z ↦ z^{-1}.
|
||||
\]
|
||||
Die Abbildung $f ◦ j : ℂ^* → ℂ^*$ ist dann auch holomorph und bijektiv, und
|
||||
kann als holomorphe Funktion mit Pol bei $0$ aufgefasst werden. Die
|
||||
Laurentreihe von $f ◦ j$ ergibt sich sehr einfach aus der Laurentreihe von
|
||||
$f$,
|
||||
\[
|
||||
f ◦ j = \sum a_i z^{-i}.
|
||||
\]
|
||||
Ich stelle fest: Der Hauptteil dieser Laurentreihe hat unendlich viele
|
||||
Summanden. Wie ist in Beobachtung~\ref{beo:9-2-10} gesehen haben, bedeutet
|
||||
das Folgendes: wenn ich $f ◦ j$ als Funktion mit isolierter Singularität
|
||||
auffasse, dann hat $f ◦ j$ hat bei $0$ eine wesentliche Singularität.
|
||||
|
||||
Ich behaupte, dass $f ◦ j$ dann aber nicht bijektiv sein kann. Betrachte dazu
|
||||
die Kreisscheibe $B_{1/2}(1) ⊂ ℂ^*$. Wir wissen, dass die Bildmenge $(f ◦ j)
|
||||
\left(B_{1/2}(0)\right)$ eine offene Teilmenge von $ℂ^*$ ist.
|
||||
|
||||
Es gilt aber auch noch Satz~\ref{satz:9-1-casorati-weierstrass}
|
||||
(„Casorati-Weierstraß“). Demnach ist die Bildmenge
|
||||
\[
|
||||
(f ◦ j) \left(B_{1/2}(0) ∖ \{0\}\right) ⊆ ℂ
|
||||
\]
|
||||
dicht, schneidet also $(f ◦ j) \left(B_{1/2}(0)\right)$ in mindestens einem
|
||||
Punkt. Dieser Punkt hat demnach zwei Urbilder, nämlich eines in $B_{1/2}(1)$
|
||||
und eines $B_{1/2}(0) ∖ \{0\}$. Also ist $f ◦ j$ tatsächlich nicht injektiv!
|
||||
\end{bsp}
|
||||
|
||||
\begin{bemerkung}
|
||||
Die Argumentation aus Beispiel~\ref{bsp:9-3-5} zeigt in Wirklichkeit, dass
|
||||
holomorphe Funktionen mit essenziellen Singularitäten niemals injektiv sind.
|
||||
\end{bemerkung}
|
||||
|
||||
In der Summe haben wir folgenden Satz bewiesen.
|
||||
|
||||
\begin{satz}[Automorphismen der komplexen Ebene]\label{satz:9-3-6}%
|
||||
Jede biholomorphe Abbildung $f : ℂ → ℂ$ ist von der Form
|
||||
\[
|
||||
f(z) = az + b
|
||||
\]
|
||||
für gewisse $a,b ∈ ℂ$ mit $a ≠ 0$. \qed
|
||||
\end{satz}
|
||||
|
||||
|
||||
\section{Funktionen mit vorgeschriebenen Singularitäten}
|
||||
\sideremark{Vorlesung 14}
|
||||
|
||||
\begin{frage}[Funktionen mit vorgeschriebenen Singularitäten, vereinfachte Fragestellung]\label{fr:11-3-1}%
|
||||
Sei $P ⊂ ℂ$ eine abgeschlossene und diskrete Teilmenge. Gibt es eine Funktion
|
||||
$f ∈ 𝒪(ℂ ∖ P)$, sodass $f$ in jedem Punkt von $P$ einen Pol oder eine
|
||||
wesentliche Singularität hat?
|
||||
\end{frage}
|
||||
|
||||
\begin{bemerkung}[Naiver Ansatz]
|
||||
Wenn die Menge $P$ aus Frage~\ref{fr:11-3-1} endlich ist, ist das alles kein
|
||||
Hexenwerk. Wir können zum Beispiel die Funktion
|
||||
\[
|
||||
f(z) = \sum_{p ∈ P} \frac{1}{z-p} \quad \text{oder} \quad f(z) = \sum_{p ∈ P} \exp\left(\frac{1}{z-p}\right) \quad \text{oder} \quad \dots
|
||||
\]
|
||||
nehmen. Aber was, wenn die Menge $P$ unendlich ist? Kann man dann unendliche
|
||||
Summen nehmen? Wie garantieren wir deren Konvergenz?
|
||||
\end{bemerkung}
|
||||
|
||||
Der folgende Satz beantwortet Frage~\ref{fr:11-3-1} vollständig. Der Satz
|
||||
erlaubt sogar, die Hauptteile der $f$ für jeden Punkt $p ∈ P$ einen vorzugeben.
|
||||
|
||||
\begin{satz}[Mittag-Leffler\footnote{Magnus Gösta Mittag-Leffler, genannt Gösta,
|
||||
(* 16.~März 1846 in Stockholm; † 7.~Juli 1927 in Djursholm[1]) war ein
|
||||
schwedischer Mathematiker, der sich vor allem mit Analysis
|
||||
beschäftigte.}]\label{satz:mittag-leffler}%
|
||||
\index{Satz von Mittag-Leffler}Sei $P ⊂ ℂ$ eine abgeschlossene, diskrete
|
||||
Teilmenge. Für jedes $p ∈ P$ sei eine Laurentreihe $f_p$ mit
|
||||
Entwicklungspunkt $p$ gegeben, die auf $K_{0,∞}(p) = ℂ ∖ \{p\}$ konvergiert.
|
||||
Dann gibt es eine Funktion $f ∈ 𝒪(ℂ ∖ P)$, sodass für jeden Punkt $p ∈ P$
|
||||
gilt: Die Laurententwicklung von $f$ am Punkt $p$ hat denselben Hauptteil wie
|
||||
die Laurentreihe $f_p$.
|
||||
\end{satz}
|
||||
|
||||
\begin{bemerkung}
|
||||
Satz~\ref{satz:mittag-leffler} ist nicht optimal. Es gibt allgemeinere
|
||||
Versionen, bei denen zum Beispiel statt $ℂ$ nur durch eine offene Menge $U ⊆
|
||||
ℂ$ betrachtet wird.
|
||||
\end{bemerkung}
|
||||
|
||||
\begin{proof}
|
||||
Falls die Menge $P$ endlich ist, so können wir einfach $f(z) = \sum_{p ∈ P}
|
||||
f_p(z)$ nehmen. Im Folgenden nehmen wir also ohne Beschränkung der
|
||||
Allgemeinheit an, dass die Menge $P$ unendlich ist. Der Einfachheit halber
|
||||
nehmen wir zusätzlich noch an, dass die Menge $P$ den Nullpunkt nicht enthält.
|
||||
Um die Notation zu vereinfachen, schreiben wir für jeden Punkt $p ∈ P$ die
|
||||
$h_p$ für den Hauptteil der Laurentreihe $f_p$. Dies ist eine Laurentreihe
|
||||
mit trivialem Nebenteil, die auf ganz $ℂ ∖ \{p\}$ konvergiert.
|
||||
|
||||
|
||||
\paragraph*{Schritt 1}
|
||||
|
||||
Um das Problem von Mittag-Leffler auf den endlichen Fall zurückzuführen,
|
||||
beachte, dass für jede kompakte Menge $K ⊂ ℂ$ nur endlich viele $p ∈ P$ in $K$
|
||||
liegen. Dies gilt, weil die Menge $P$ diskret ist. Wir nutzen dies, und
|
||||
zerlegen die Menge $P$ in Teilmengen der Form wie folgt.
|
||||
\begin{center}
|
||||
\includegraphics[width=8cm]{10-mittagLeffler.png}
|
||||
\end{center}
|
||||
Gegeben eine natürliche Zahl $n ∈ ℕ$, dann ist die Summe der Hauptteile,
|
||||
\[
|
||||
S_n := \sum_{n ≤ |p| < n+1} h_p,
|
||||
\]
|
||||
eine endliche Summe von Laurentreihen\footnote{Wobei $h_p$ jeweils auf ganz $ℂ
|
||||
∖ \{p\}$ konvergiert} und deshalb selbst eine Laurentreihe die auf ganz
|
||||
\[
|
||||
ℂ ∖ \{ p ∈ P \::\: n ≤ |p| < n+1\}
|
||||
\]
|
||||
konvergiert. Wir erhalten also eine Funktion, die wir (nicht ganz korrekt)
|
||||
wieder mit $S_n$ bezeichnen,
|
||||
\[
|
||||
S_n : \underbrace{ℂ ∖ \{ p ∈ P \::\: n ≤ |p| < n+1\}}_{\text{enthält die gesamte offene Kreisscheibe }B_n(0)} → ℂ.
|
||||
\]
|
||||
|
||||
|
||||
\paragraph*{Schritt 2}
|
||||
|
||||
Beachte, dass die Funktion $S_n$ auf der Kreisscheibe $B_n(0)$ holomorph ist,
|
||||
weil dort keine der Singularitäten liegen. Wir können die Funktion $S_n$
|
||||
deshalb am Nullpunkt in eine Potenzreihe entwickeln, deren Konvergenzradius
|
||||
mindestens $n$ ist. Aufgrund der lokal gleichmäßigen Konvergenz dieser
|
||||
Potenzreihe wird die Folge der Partialsummen auf der kompakten Kreisscheibe
|
||||
$\overline{B_{n-1}(0)}$ gleichmäßig gegen $S_n$ konvergieren. Wir finden also
|
||||
für jedes $n ≥ 1$ ein Polynom $Q_n$, sodass
|
||||
\begin{equation}\label{eq:11-3-4-1}%
|
||||
\forall z ∈ B_{n-1}(0) : |S_n(z) - Q_n(z)| ≤ 2^{-n}
|
||||
\end{equation}
|
||||
gilt.
|
||||
|
||||
|
||||
\paragraph*{Schritt 3}
|
||||
|
||||
Definiere jetzt die Funktionenfolge
|
||||
\[
|
||||
f_m : ℂ ∖ P → ℂ, \quad z ↦ \sum_{n=1}^m (S_n(z) - Q_n(z)).
|
||||
\]
|
||||
Damit gilt schon einmal Folgendes.
|
||||
\begin{enumerate}
|
||||
\item\label{il:11-3-4-1} Für jedes $m$ ist die Funktion $f_m$ auf $ℂ ∖ P$
|
||||
holomorph, weil sie als endliche Summe von holomorphen Funktionen
|
||||
dargestellt ist.
|
||||
|
||||
\item\label{il:11-3-4-2} Für jeden Punkt $p ∈ P$ und jedes $m > |p|$ hat die
|
||||
Funktion $f_m$ bei $p$ denselben Hauptteil wie die Laurentreihe $f_p$,
|
||||
weil die Polynome $Q_n$ nichts an den Hauptteilen in $p ∈ P$ ändern.
|
||||
\end{enumerate}
|
||||
Falls wir zeigen können, dass die Funktionenfolge $f_m$ auf $ℂ ∖ P$ lokal
|
||||
gleichmäßig gegen eine Funktion $f$ konvergiert, sind wir fertig. Der Grund
|
||||
ist der Folgende.
|
||||
\begin{enumerate}
|
||||
\item Als Grenzfunktion einer lokal gleichmäßig konvergierenden Folge
|
||||
holomorpher Funktionen ist $f$ nach
|
||||
Proposition~\vref{prop:potenzreihe-holomorph} wieder holomorph.
|
||||
|
||||
\item Nach \ref{il:11-3-4-2} und Korollar~\ref{kor:10-2-7} hat die
|
||||
Laurentreihe von $f$ bei jedem Punkt $p ∈ P$ hat denselben Hauptteil wie
|
||||
die Laurentreihe $f_p$.
|
||||
\end{enumerate}
|
||||
|
||||
|
||||
\paragraph*{Schritt 4}
|
||||
|
||||
Um die lokal gleichmäßige Konvergenz zu zeigen, sei ein Punkt $z_0 ∈ ℂ ∖ P$
|
||||
gegeben. Wir müssen eine Umgebung dieses Punktes finden, auf der die Folge
|
||||
$f_m$ gleichmäßig konvergiert. Wähle dazu eine Zahl $n ∈ ℕ$ mit $n > |z_0|$
|
||||
und betrachte die Umgebung $B_n(z_0) ∖ P$. Für jedes $z ∈ B_n(z_0) ∖ P$ gilt
|
||||
dann:
|
||||
\begin{align*}
|
||||
|f(z) - f_m(z)| &= \left| \sum_{n=m+1}^∞ (S_n(z) - Q_n(z)) \right| \\
|
||||
& ≤ \sum_{n=m+1}^∞ |S_n(z) - Q_n(z)| && \text{Dreiecks-Ungleichung} \\
|
||||
& ≤ \sum_{n=m+1}^∞ 2^{-n} && \text{\eqref{eq:11-3-4-1}} \\
|
||||
& = 2 - \frac{1-(\frac{1}{2})^{m+1}}{1-\frac{1}{2}} = \left(\frac{1}{2}\right)^{m+1}.
|
||||
\end{align*}
|
||||
Damit ist die gleichmäßige Konvergenz von $f_m$ auf $B_n(z_0) ∖ P$ gezeigt.
|
||||
\end{proof}
|
||||
|
||||
% !TEX root = Funktionentheorie
|
||||
BIN
12-res1.png
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BIN
12-res1.png
Normal file
Binary file not shown.
|
After Width: | Height: | Size: 7.3 KiB |
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12-res2.png
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BIN
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After Width: | Height: | Size: 25 KiB |
BIN
12-res3.png
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BIN
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|
After Width: | Height: | Size: 15 KiB |
159
12-residuum.tex
Normal file
159
12-residuum.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,159 @@
|
||||
% spell checker language
|
||||
\selectlanguage{german}
|
||||
|
||||
\chapter{Der Residuensatz}
|
||||
|
||||
In diesem Abschnitt sei $U ⊂ ℂ$ offen, es sei $P ⊂ U$ endlich, und es $f ∈ 𝒪(U
|
||||
∖ P)$ eine holomorphe Funktion mit isolierten Singularitäten bei $P$. Gegeben
|
||||
einen geschlossenen Weg $γ: [a,b] → U ∖ P$, der in $U$ zusammenziehbar ist, dann
|
||||
fragen wir nach Möglichkeiten, das Integral
|
||||
\[
|
||||
\int_{γ} f(z) \, dz
|
||||
\]
|
||||
einfach zu berechnen. Einige Fälle kennen wir schon.
|
||||
|
||||
\begin{bemerkung}[Integralsatz von Cauchy]
|
||||
Falls $P = ∅$ die leere Menge ist, also $f ∈ 𝒪(U)$, dann sagt
|
||||
Korollar~\ref{kor:4-3-2} („Integralsatz von Cauchy“), dass das gesuchte
|
||||
Integral verschwindet,
|
||||
\[
|
||||
\int_{γ} f(z) \, dz = 0.
|
||||
\]
|
||||
\end{bemerkung}
|
||||
|
||||
\begin{bemerkung}[Umlaufsinn ist wichtig]\label{bem:12-0-2}%
|
||||
Wenn $\overline{γ}$ derselbe Weg wie $γ$ ist, aber entgegengesetzter Richtung
|
||||
läuft, dann gilt
|
||||
\[
|
||||
\int_{\overline{γ}} f(z) \, dz = -\int_{γ} f(z) \, dz.
|
||||
\]
|
||||
Also muss es eine Rolle spielen, wie $γ$ durchlaufen wird.
|
||||
\end{bemerkung}
|
||||
|
||||
\begin{bemerkung}[Spezielle Koeffizienten der Laurent-Entwicklung]
|
||||
Es sei $U = ℂ$ $P = \{rho\}$ sei ein einziger Punkt. Schreibe $f$ als
|
||||
Laurentreihe,
|
||||
\[
|
||||
f(z) = \sum_{k=-∞}^∞ c_k (z-p)^k.
|
||||
\]
|
||||
Dann gilt nach Korollar~\ref{kor:10-2-5} für jede reelle Zahl $r ∈ ℝ⁺$ die
|
||||
Gleichung
|
||||
\[
|
||||
\frac{1}{2π i} \int_{\mathcal{B}_R(p)} f(z) \, dz = c_{-1}.
|
||||
\]
|
||||
Der Koeffizient $c_{-1}$ der Laurententwicklung scheint also eine besondere
|
||||
Rolle zu spielen.
|
||||
\end{bemerkung}
|
||||
|
||||
|
||||
\section{Die Umlaufzahl}
|
||||
|
||||
Der Begriff „Umlaufzahl“ präzisiert die in \ref{bem:12-0-2} gemachte
|
||||
Beobachtung.
|
||||
|
||||
\begin{satz}[Umlaufzahl]\label{satz:12-2-1}%
|
||||
Sei $p ∈ ℂ$ und $γ: [0,1] → ℂ ∖ \{p\}$ ein geschlossener Weg. Dann gibt es
|
||||
genau eine Zahl $n ∈ ℤ$, sodass der Weg $γ$ frei homotop zum Weg
|
||||
\[
|
||||
[0,1] → ℂ ∖ \{p\}, \quad t ↦ p + \exp(2π int)
|
||||
\]
|
||||
ist, nämlich
|
||||
\[
|
||||
n = \frac{1}{2π i} \int_{γ} \frac{1}{z-p} \, dz.
|
||||
\]
|
||||
\end{satz}
|
||||
|
||||
Wir beweisen Satz~\ref{satz:12-2-1} später. Zunächst definieren wir die
|
||||
Umlaufzahl und diskutieren den Inhalt des Satzes geometrisch.
|
||||
|
||||
\begin{definition}[Umlaufzahl]\label{def:12-2-2}%
|
||||
In der Situation von Satz~\ref{satz:12-2-1} heißt $n$ die
|
||||
\emph{Umlaufzahl}\index{Umlaufzahl} oder
|
||||
\emph{Windungszahl}\index{Windungszahl} des Weges $γ$ um und Punkt $p$. Die
|
||||
Schreibweise $\Um(γ, p)$ ist üblich.
|
||||
\end{definition}
|
||||
|
||||
\subsection{Anschauliche Bedeutung der Umlaufzahl}
|
||||
|
||||
Anschaulich gesprochen: Die Umlaufzahl zählt, wie oft $γ$ den Punkt $p$ entgegen
|
||||
dem Uhrzeigersinn umläuft (Umrundungen im Uhrzeigersinn werden mit $-1$
|
||||
gezählt). Mit den folgenden goldenen Regeln kann man die Umlaufzahl praktisch
|
||||
ermitteln, wenn man den Weg $γ$ zeichnerisch gegeben hat und wenn der Weg $γ$
|
||||
einfach durchlaufen wird. Dabei bedeutet „einfach durchlaufen“, dass es eine
|
||||
endliche Menge $Z ⊂ [0,1]$ gibt, sodass $γ|_{[0,1] ∖ Z}$ injektiv ist.
|
||||
|
||||
\begin{description}
|
||||
\item[Goldene Regel 1] Die Umlaufzahl $\Um(γ, p)$ hängt nur von der
|
||||
Zusammenhangskomponente von $ℂ ∖ \Bild(γ)$ ab, in der sich der Punkt $p$
|
||||
befindet.
|
||||
|
||||
\item[Goldene Regel 2] Auf der unbeschränkten Zusammenhangskomponente von $\bC
|
||||
∖ \Bild(γ)$ ist die Umlaufzahl gleich $0$.
|
||||
|
||||
\item[Goldene Regel 3] Die Windungszahl in benachbarten
|
||||
Zusammenhangskomponenten unterscheidet sich um $± 1$, wobei die größere Zahl
|
||||
in Fahrtrichtung links liegt.
|
||||
\end{description}
|
||||
|
||||
Abbildung~\ref{fig:12-1-1} zeigt, was dabei herauskommt. Wir beweisen die
|
||||
goldenen Regeln nicht wirklich vollständig, sondern geben nur gute Gründe für
|
||||
deren Gültigkeit an. Details sind Inhalt der Vorlesung „Topologie“.
|
||||
\begin{figure}
|
||||
\begin{center}
|
||||
\includegraphics[width=4cm]{12-res1.png}
|
||||
\end{center}
|
||||
|
||||
\caption{Anwendung der Goldenen Regeln}
|
||||
\label{fig:12-1-1}
|
||||
\end{figure}
|
||||
|
||||
\begin{proof}[Begründung zur Goldenen Regel 1]
|
||||
Der Satz über parameterabhängige Integral zeigt, dass die Funktion
|
||||
\[
|
||||
\Um(γ, ·): ℂ ∖ \Bild(γ) → ℤ
|
||||
\]
|
||||
stetig ist. Die Aussage folgt, weil die Bildmenge $ℤ$ diskret ist.
|
||||
\end{proof}
|
||||
|
||||
\begin{proof}[Begründung zur Goldenen Regel 2]
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In der Topologie zeigt man: Der Weg $γ$ ist in $ℂ ∖ \{p\}$ zusammenziehbar,
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falls $p$ in der unbeschränkten Zusammenhangskomponente von $γ$ liegt. Die
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Aussage folgt dann aus Korollar~\ref{kor:4-3-2} („Integralsatz von Cauchy“),
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\[
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\int_γ \frac{1}{z-p} \, dz = \Um(γ, p) = 0.
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\]
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\end{proof}
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\begin{proof}[Begründung zur Goldenen Regel 3]
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Seien $p_1, p_2 ∈ ℂ ∖ \Bild(γ)$ in benachbarten Zusammenhangskomponenten. Das
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sieht dann etwa so aus:
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\begin{center}
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\includegraphics[width=14cm]{12-res2.png}
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\end{center}
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Wir ändern den Weg $γ$ wie eingezeichnet ab und vergleichen die Umlaufzahlen
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der Wege $γ$ und $\widetilde{γ}_{ε}$. Es ist
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\[
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\Um(γ, p_1) = \Um(\widetilde{γ}_{ε}, p_1) = \Um(\widetilde{γ}_{ε}, p_2).
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\]
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Dabei gilt das erste Gleichheitszeichen, weil der Weg $γ$ in $ℂ ∖ \{p_1\}$
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homotop zu $\widetilde{γ}_{ε}$ ist. Die zweite Gleichheit gilt nach der
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Goldenen Regel 1, weil $p_1$ und $p_2$ in derselben Zusammenhangskomponente
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von $ℂ ∖ \Bild(\widetilde{γ}_{ε})$ ist. Die Umlaufzahl $\Um(\widetilde{β},
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p_2)$ hängt natürlich nicht von der Größe $ε$ ab. Wenn man $ε$ gegen null
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gehen lässt, erhält man folgendes Bild:
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\begin{center}
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\includegraphics[width=6cm]{12-res3.png}
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\end{center}
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Dann ist
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\begin{align*}
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\Um(γ, p_1) & = \Um(\widetilde{γ}_{ε}, p_2) \\
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& = \frac{1}{2π i} \int_{\widetilde{γ}} \frac{1}{z-p_2} \, dz \\
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& = \frac{1}{2π i} \left( \int_{γ} \frac{1}{z-p_2} \, dz + \int_{β} \frac{1}{z-p_2} \, dz \right) \\
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& = \Um(γ, p_2) + \frac{1}{2π i} · \int_{β} \frac{1}{z-p_2} \, dz
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\intertext{und für $r$ ausreichend klein ist nach der Cauchy-Integralformel}
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\int_{β} \frac{1}{z-p_2} \, dz & = \int_{B_r(p_2)} \frac{1}{z-p_2} \, dz = ± 2π i.
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\end{align*}
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Damit ist die Goldene Regel 3 zumindest halbwegs gerechtfertigt.
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\end{proof}
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% !TEX root = Funktionentheorie
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@@ -32,12 +32,15 @@
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\DeclareMathOperator{\ad}{ad}
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\DeclareMathOperator{\Bij}{Bij}
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\DeclareMathOperator{\Bild}{Bild}
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\DeclareMathOperator{\End}{End}
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\DeclareMathOperator{\Hau}{Hau}
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\DeclareMathOperator{\Mat}{Mat}
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\DeclareMathOperator{\rang}{rang}
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\DeclareMathOperator{\Res}{Res}
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\DeclareMathOperator{\sgn}{sgn}
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\DeclareMathOperator{\spur}{spur}
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\DeclareMathOperator{\Um}{Um}
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\newcommand\video[1]{\href{https://cplx.vm.uni-freiburg.de/storage/Lehre/Vorlesungen/LA2/#1-Video.mp4}{Erklärvideo #1} \href{https://cplx.vm.uni-freiburg.de/storage/Lehre/Vorlesungen/LA2/#1-Skript.pdf}{(Skript)}}
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@@ -151,6 +154,9 @@ Link in den Text ein.
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\part{Singularitäten}
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\input{09-singularities}
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\input{10-laurent}
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\input{11-applications}
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\input{12-residuum}
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\addchap{Lizenz}
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