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\selectlanguage{german}
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\chapter{Hauptachsentransformation}
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\sideremark{Vorlesung 16}Dieser Abschnitt passt eigentlich gar nicht in das
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Kapitel „Euklidische und Hermitesche Vektorräume“, denn hier geht es nicht um
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reelle oder komplexe Vektorräume mit Skalarprodukt, sondern um reelle oder
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komplexe Vektorräume mit Skalarprodukt mit einer beliebigen symmetrischen oder
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Hermiteschen Form, die nicht notwendigerweise ein Skalarprodukt ist.
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Funktioniert die Methode von Gram-Schmidt dann immer noch? Die Antwort ist:
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„fast“. Durch eine geeignete Abwandlung der Methode erhalten wir den folgenden
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Satz: die Matrix einer symmetrischen oder Hermiteschen Form lässt sich immer in
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besonders einfache Gestalt bringen!
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\begin{satz}[Satz über die Hauptachsentransformation]\label{satz:11-0-1}%
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Es sei $V$ ein endlich-dimensionaler Vektorraum über $k=ℝ$ oder über $k=ℂ$ und
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es sei $s: V ⨯ V → k$ eine symmetrische oder Hermitesche Form. Weiter sei
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$\mathcal{A}$ eine angeordnete Basis von $V$ und $A = \Mat_{\mathcal{A}}(s)$
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die zugehörende Matrix. Dann gibt es eine Basis $\mathcal{B} ⊂ V$, sodass
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Folgendes gilt.
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\begin{enumerate}
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\item Die Matrix $B := \Mat_{\mathcal{B}}(s)$ ist diagonal,
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\[
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B =
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\begin{pmatrix}
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λ_1 && 0\\
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&\ddots\\
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0 && λ_n
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\end{pmatrix}.
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\]
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\item Die Koordinatenwechselmatrix
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$S = \Mat^{\mathcal{B}}_{\mathcal{A}}(\Id_V)$ ist orthogonal oder unitär.
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\item Die Skalare $λ_i$ sind alle reell. Außerdem sind die $λ_i$ genau die
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Eigenwerte der Matrix $A$.
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\end{enumerate}
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\end{satz}
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\begin{proof}
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\video{16-1}
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\end{proof}
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\begin{notation}[Hauptachsen und Hauptachsentransformation]
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In der Situation von Satz \ref{satz:11-0-1} schreibe $\mathcal B = \{
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\vec{v}_1, …, \vec{v}_n\}$. Dann nennt man die von den Vektoren $\vec{v}_•$
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aufgespannten 1-dimensionalen Untervektorräume von $V$ die
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\emph{Hauptachsen}\index{Hauptachsen} von $s$. Den Wechsel von der Basis
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$\mathcal{A}$ zur Basis $\mathcal{B}$ bezeichnet man als
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\emph{Hauptachsentransformation}\index{Hauptachsentransformation}.
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\end{notation}
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Der Satz über die Hauptachsentransformation und sein (konstruktiver!) Beweis
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haben viele Anwendungen. Wir stellen hier lediglich fest, dass der Satz ein
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sehr bequemes Kriterium dafür liefert, dass eine gegebene Form positiv definit
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ist.
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\begin{kor}[Kriterium für positive Definitheit]\label{cor:11-0-3}%
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In der Situation von Satz~\ref{satz:11-0-1} sind folgende Aussagen äquivalent.
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\begin{enumerate}
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\item Die Form $s$ ist positiv definit.
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\item Alle Eigenwerte von $A$ sind größer als Null.
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\end{enumerate}
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\end{kor}
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Die Aussage „Alle Eigenwerte von $A$ sind größer als Null“ ist sinnvoll, weil
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wir nach Satz~\ref{satz:11-0-1} ja schon wissen, dass alle Eigenwerte reell
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sind.
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\begin{proof}[Beweis von Korollar~\ref{cor:11-0-3}]
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Wir wissen bereits, dass eine Basis $\mathcal{B}$ existiert, sodass $B =
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\Mat_{\mathcal{B}}(s)$ diagonal ist und dieselben Eigenwerte $λ_i$ wie $A$
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hat. Es ist aber klar, dass die durch $B$ definierte Form auf $ℝ^n$ bzw.
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$ℂ^n$ positiv definit ist genau dann, wenn alle diese Eigenwerte $λ_i$ größer
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als Null sind.
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\end{proof}
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Korollar~\ref{cor:11-0-3} sagt insbesondere, dass die Eigenschaft „alle
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Eigenwerte von $A$ sind größer als Null“ nicht von der Wahl der Basis $\mathcal
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A$ abhängt\footnote{Vielleicht sind Sie an dieser Stelle ein wenig verwirrt,
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weil Sie meinen „Die Eigenwerte einer Matrix hängen doch sowieso nie von der
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Wahl der Basis ab.“ Überlegen Sie sich aber, was Sie mit „einer Matrix“ meinen.
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Vielleicht denken Sie an den Fall, wo man einen Endomorphismus eines
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Vektorraumes hat, eine Basis wählt und dann die Matrix des Endomorphismus
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betrachtet. Dann hängen die Eigenwerte tatsächlich nicht von der Wahl der Basis
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ab. Hier machen wir aber etwas ganz Anderes: wir betrachten nicht die Matrix
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eines Endomorphismus, sondern die Matrix einer Form.}. Der folgende Satz
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verallgemeinert diese Beobachtung: auch wenn $s$ nicht unbedingt positiv definit
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ist, hängt die Wahl der positiven/negativen Eigenwerte nicht von der Wahl der
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Basis ab. Der Satz~\ref{satz:11-0-5} heißt „Trägheitssatz“, weil er in der
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klassischen Mechanik, wo es um die Bewegung massebehafteter (=träger) starrer
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Körper geht, eine besondere Rolle spielt. Ich komme im folgenden Kapitel noch
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einmal auf diesen Punkt zurück.
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\begin{satz}[Trägheitssatz von
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Sylvester\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/James_Joseph_Sylvester}{James
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Joseph Sylvester} (* 3.~September 1814 in London; † 15.~März 1897 in London)
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war ein britischer Mathematiker. Er war der erste gläubige Jude, der zum
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Studium in Cambridge zugelassen wurde.}]\label{satz:11-0-5} Es sei $V$ ein
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endlich-dimensionaler Vektorraum über $k=ℝ$ oder über $k=ℂ$ und es sei $s: V ⨯
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V → k$ eine symmetrische oder Hermitesche Form. Weiter seien $\mathcal{A}_1,
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\mathcal{A}_2 ⊂ V$ zwei angeordnete Basen mit zugehörenden Matrizen $A_• =
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\Mat_{\mathcal{A}_•}(s)$. Dann gilt Folgendes.
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\begin{enumerate}
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\item Die Anzahlen der positiven Eigenwerte von $A_1$ und $A_2$ sind gleich.
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\item Die Anzahlen der negativen Eigenwerte von $A_1$ und $A_2$ sind gleich.
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\item Es ist $\rang A_1 = \rang A_2$.
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\end{enumerate}
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\end{satz}
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\begin{proof}
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Sie finden einen gut aufgeschriebenen Beweis ab Seite 4 im
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\href{http://www.blu7.com/Skripte/Lineare_Algebra_II_SS02_Skript.pdf}{Skript
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von Kollegen Klaus Hulek aus Hannover}.
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\end{proof}
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Der Trägheitssatz von Sylvester stellt sicher, dass folgende Definition sinnvoll ist.
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\begin{defn}[Index und Signatur]\label{def:11-0-5}%
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Es sei $V$ ein endlich-dimensionaler Vektorraum über $k=ℝ$ oder über $k=ℂ$ und
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es sei $s: V ⨯ V → k$ eine symmetrische oder Hermitesche Form. Die Anzahl der
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positiven Eigenwerte wird als \emph{Index von $s$}\index{Index einer Form}
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bezeichnet. Die Differenz
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\[
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\text{Anzahl positiver Eigenwerte - Anzahl negativer Eigenwerte}
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\]
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wird die \emph{Signatur von $s$}\index{Signatur einer Form} genannt. Der
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Untervektorraum
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\[
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V⁰_s := \{ \vec{v} ∈ V \:|\: s(\vec{v}, \vec{w}) = 0 \text{ für alle }
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\vec{w} ∈ V \} ⊆ V
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\]
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heißt \emph{Entartungsraum}\index{Entartungsraum} oder
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\emph{Nullraum}\index{Nullraum} der Form $s$.
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\end{defn}
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\begin{bemerkung}
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In der Situation von Definition~\ref{def:11-0-5} rechnet man schnell nach,
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dass die folgende Gleichheit gilt,
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\[
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\text{Rang + Signatur = 2·Index.}
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\]
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\end{bemerkung}
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Ich ende das Kapitel mit einem Kriterium, das sicherstellen kann, dass eine
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Matrix positive definit ist.
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\begin{satz}[Hurwitz\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Hurwitz}{Adolf Hurwitz} (* 26. März 1859 in Hildesheim; † 18. November 1919 in Zürich) war ein deutscher Mathematiker.}-Kriterium]
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Es sei
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\[
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A =
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\begin{pmatrix}
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a_{11} & … & a_{n1} \\
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\vdots & & \vdots \\
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a_{n1} & … & a_{nn}
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||
\end{pmatrix}
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||
∈ \Mat(n⨯ n, k)
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\]
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eine symmetrische oder Hermitesche Matrix über $k=ℝ$ oder $k=ℂ$. Gegeben eine
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Zahl $m ≤ n$ betrachte die linke obere Ecke der Matrix, also
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\[
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A_m :=
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\begin{pmatrix}
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||
a_{11} & … & a_{m1} \\
|
||
\vdots & & \vdots \\
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||
a_{m1} & … & a_{mm}
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||
\end{pmatrix}
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∈ \Mat(m⨯ m, k).
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\]
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Dann gilt: Die Matrix $A$ ist genau dann positiv definit, wenn für alle $m$
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gilt, dass $\det A_m > 0$ ist.
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\end{satz}
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\begin{proof}
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Der Beweis involviert ein wenig unangenehme Rechnerei. Sie finden einen
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Beweis, den ich selbst auch nicht besser bringen könnte, auf Seite 9 des
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\href{http://www.blu7.com/Skripte/Lineare_Algebra_II_SS02_Skript.pdf}{Skriptes
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von Kollegen Klaus Hulek aus Hannover}.
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\end{proof}
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Sie finden im Internet viele gute Erklärvideos zur Anwendung des
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Hurwitz-Kriteriums. Zum Beispiel
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\href{https://www.youtube.com/watch?v=V6f-yBu146M}{hier}.
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\begin{bemerkung}[Vorsicht Falle]
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In Klausuren und mündlichen Prüfungen sehe ich immer wieder Studenten, die das
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Hurwitz-Kriterium falsch anwenden, wenn gezeigt werden soll, dass eine Matrix
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\emph{negativ} definit ist. Setzten Sie sich \emph{sofort} hin und zeigen Sie
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mithilfe eines Gegenbeispiels, dass die Aussage „die Matrix $A$ ist genau dann
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negativ definit, wenn für alle $m$ gilt, dass $\det A_m < 0$ ist“ einfach
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nicht stimmt. Bonusfrage: Natürlich kann man das Hurwitz-Kriterium verwenden,
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um eine Matrix auf negative Definitheit zu testen. Wie muss ich das richtig
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machen?
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\end{bemerkung}
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% !TEX root = LineareAlgebra2
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