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\chapter{Anwendungen}
\section{Hohe Potenzen}
\label{sec:hohePot}
\sideremark{Vorlesung 5}Als erste Anwendung der Jordanschen Normalform möchte
ich zeigen, wie man sehr hohe Potenzen einer Matrix oder eines Endomorphismus
ausrechnen kann. Wenn Sie noch nie das Bedürfnis hatten, sehr hohe Potenzen
einer Matrix oder eines Endomorphismus auszurechnen, dann bitte ich Sie um etwas
Geduld. Wir werden etwas später noch sehen, wozu das gut ist.
\begin{beobachtung}[Hohe Potenzen nilpotenter Jordanblöcke]
Für einen nilpotenten Jordanblock $J(0,n)$ (über einem beliebigen Körper) und
eine Zahl $p ∈ $ ist es sehr einfach, die Potenz $J(0,n)^p$ auszurechnen.
Ich schreibe gar keinen komplizierten Satz auf, sondern rechne einfach ein
Beispiel.
\begin{align*}
J(0,5) &=
\begin{pmatrix}
0 & 1 & 0 & 0 & 0 \\
0 & 0 & 1 & 0 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 1 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 1 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0
\end{pmatrix} &
J(0,5)² &=
\begin{pmatrix}
0 & 0 & 1 & 0 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 1 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 1 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0
\end{pmatrix} \\
J(0,5)³ &=
\begin{pmatrix}
0 & 0 & 0 & 1 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 1 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0
\end{pmatrix} &
J(0,5)⁴ &=
\begin{pmatrix}
0 & 0 & 0 & 0 & 1 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0
\end{pmatrix} \\
J(0,5)⁵ &=
\begin{pmatrix}
0 & 0 & 0 & 0 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0 \\
0 & 0 & 0 & 0 & 0
\end{pmatrix} &
J(0,5)^p & = 0 \text{ für alle } p ≥ 5.
\end{align*}
Ich bin mir sicher, Sie durchschauen das System.
\end{beobachtung}
Als nächstes überlegen wir uns, wie die Potenzen von beliebigen Jordan-Blöcken
ausrechnen. Das folgende Lemma sagt, wie das geht. Beachten Sie, dass in der
Formel~\eqref{eq:binomi} stets $J(0,n)= 0$ ist, falls $i ≥ n$ ist. Das
macht die Formel kurz und in der Praxis gut berechenbar.
\begin{lem}[Hohe Potenzen von Jordanblöcken]\label{lem:binomi}
Es sei $k$ ein Körper, es sei $λ ∈ k$ und $n,p ∈ $. Dann ist
\begin{equation}\label{eq:binomi}
J(λ,n)^p = \sum_{i=0}^p \binom{p}{i}·λ^{p-i}·J(0,n)ⁱ.
\end{equation}
Dabei ist $\binom{p}{i}$ der bekannte
\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Binomialkoeffizient}{Binomialkoeffizient}.
\end{lem}
\begin{proof}[Beweis als Übungsaufgabe]
Schreibe wieder einmal $J(λ,n) = λ·\Id_{nn} + J(0,n)$ und
\[
J(λ,n)^p =\bigl( λ·\Id_{nn} + J(0,n) \bigr)^p
\]
Beachten Sie, dass die Matrizen $λ·\Id_{nn}$ und $J(0,n)$ kommutieren,
dass also die Gleichheit
\[
λ·\Id_{nn}·J(0,n) = λ·J(0,n)·\Id_{nn}
\]
gilt! Benutzen Sie das, um jetzt genau wie in der Analysis-Vorlesung die
binomische Formel~\eqref{eq:binomi} per Induktion nach $p$ zu zeigen.
\end{proof}
\begin{beobachtung}[Hohe Potenzen von Matrizen in Jordanscher Normalform]
Falls $A$ eine quadratische Matrix in Jordanscher Normalform ist (über einem
beliebigen Körper),
\[
A = \begin{pmatrix}
J(λ_1, n_1) & & & 0 \\
& J(λ_2, n_2) & \\
& & \ddots \\
0 & & & J(λ_l, n_l)
\end{pmatrix}
\]
und falls irgendein $p ∈ $ gegeben ist, dann rechnen Sie bitte nach, dass
\[
A^p = \begin{pmatrix}
J(λ_1, n_1)^p & & & 0 \\
& J(λ_2, n_2)^p & \\
& & \ddots \\
0 & & & J(λ_l, n_l)^p
\end{pmatrix}
\]
ist. Lemma~\ref{lem:binomi} sagt, wie man den letzten Ausdruck gut
ausrechnet.
\end{beobachtung}
\begin{beobachtung}[Hohe Potenzen von komplexen Matrizen]
Es sei $A$ eine beliebige quadratische $(nn)$-Matrix über den komplexen
Zahlen. Wir wissen nach Kapitel~\ref{chapt:Jordan}, wie wir halbwegs
effizient eine invertierbare Matrix $S ∈ GL_n()$ finden, sodass $B :=
S·A·S^{-1}$ Jordansche Normalform hat. Dann ist $A = S^{-1}·B·S$ und
\[
A^p = S^{-1}·B·\underbrace{S·S^{-1}}_{= \Id}·B·\underbrace{S·S^{-1}}_{= \Id}·B·S ⋯ S^{-1}·B·S = S^{-1}·B^p·S.
\]
Aber $B^p$ können wir ganz gut ausrechnen.
\end{beobachtung}
\section{Die Exponentialfunktion}
\subsection{Wiederholung}
In der Vorlesung Analysis haben Sie die Exponentialfunktion kennengelernt,
\[
\exp : , \quad t ↦ \sum_{n=0}^\frac{t^n}{n!}.
\]
Wahrscheinlich kennen Sie auch schon die komplexe Exponentialfunktion und
wissen, dass für jede reelle Zahl $t$ gilt
\[
\exp(i·t) = \cos(t) +\sin(t).
\]
Falls nicht, ist jetzt eine gute Gelegenheit, diese Dinge auf
\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Exponentialfunktion}{Wikipedia} nachzulesen.
\subsection{Das Matrixexponential}
Ich verallgemeinere die Exponentialfunktion jetzt, die Beweise in diesem Abschnitt
überlasse ich aber den Kollegen von der Analysis. Gegeben eine
$(nn)$-Matrix $A$ über den komplexen Zahlen, definiere ich
\[
\exp(A) := \sum_{n=0}^\frac{1}{n!}·A^n.
\]
Dabei sei $A⁰$ stets die $(nn)$-Einheitsmatrix. Diese Reihe konvergiert in
dem Sinne, dass jeder einzelne der $$ vielen Matrixeinträge konvergiert --
natürlich lässt sich noch viel mehr sagen: absolute Konvergenz, Konvergenz in
Operatornorm, …. Ich erhalte so eine Abbildung
\[
\exp : \Mat_{nn}()\Mat_{nn}(), \quad A ↦ \sum_{n=0}^\frac{1}{n!}·A^n,
\]
die in der Literatur oft Matrixexponential\index{Matrixexponential} genannt
wird. Sie finden weitere Erläuterungen und erste Beispiele bei
\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Matrixexponential}{Wikipedia}.
\begin{bsp}
Es sei $A$ eine komplexe $(nn)$-Diagonalmatrix,
\[
A = \begin{pmatrix}
λ_1 & & & 0 \\
& λ_2 & \\
& & \ddots \\
0 & & & λ_n
\end{pmatrix}.
\]
Dann ist
\[
\exp(A) = \begin{pmatrix}
\exp(λ_1) & & & 0 \\
& \exp(λ_2) & \\
& & \ddots \\
0 & & & \exp(λ_n)
\end{pmatrix}
\]
\end{bsp}
\begin{bsp}
Für einen nilpotenten Jordanblock $J(0,i)$ ist das Matrixexponential gegeben
durch die endliche Summe
\[
\exp J(0,i) = \sum_{n=0}^{i-1} \frac{1}{n!}J(0,i)^n
\]
\end{bsp}
Etwas weitergehende Beispiele finden Sie als
\href{http://www.iam.uni-bonn.de/fileadmin/Mathphys/15SS_ODEs/06-matrixexponential.pdf}{Beispiel
1.4. in diesem Seminarvortrag}. Ich nenne ohne Beweis einige Eigenschaften des
Matrixexponentials.
\begin{fakt}[Elementare Fakten zum Matrixpotential]
Es sei $n ∈ $ eine Zahl weiter seien $A$ und $B$ zwei komplexe $(n
n)$-Matrizen.
\begin{enumerate}
\item\label{il:3-2-3-1} Falls $A$ und $B$ kommutieren (falls also $AB=BA$
ist), dann gilt
\[
\exp(A+B)=\exp(A)·\exp(B).
\]
\item\label{il:3-2-3-2} Für jede invertierbare, komplexe $(nn)$-Matrix $S$
ist
\[
\exp(S·A·S^{-1}) =\exp(A)·S^{-1} \eqno \qed
\]
\end{enumerate}
\end{fakt}
\begin{beobachtung}
Wenn $A$ irgendeine komplexe $(nn)$-Matrix ist, dann kommutieren die Matrizen
$A$ und $-A$ offenbar. Also ist nach Punkt~\ref{il:3-2-3-1}
\[
\Id_{nn} = \exp(0) = \exp \bigl(A+(-A) \bigr) = \exp(A) · \exp(-A).
\]
Es folgt, dass das Matrixexponential $\exp(A)$ für jede komplexe
$(nn)$-Matrix $A$ stets invertierbar ist, und dass $\exp(A)^{-1} = \exp(-A)$
gilt.
\end{beobachtung}
Insgesamt sollten Sie mit den Beobachtungen aus Abschnitt~\ref{sec:hohePot}
jetzt ganz gut in der Lage sein, beliebige Matrixexponentials auszurechnen.
\section{Lineare, homogene Differenzialgleichungssysteme}
\subsection{Erinnerung}
Sie haben lineare, homogene Differenzialgleichungen wahrscheinlich schon in der
Schule kennengelernt. Gegeben sind Zahlen $a$ und $y_0$ aus $$. Gesucht ist
eine differenzierbare Funktion $y : $, sodass für alle $t ∈ $ gilt: $y'(t)
= a·y(t)$. Außerdem soll $y(0) = y_0$ sein. Aus der Vorlesung Analysis wissen
Sie, dass es nur eine solche Funktion gibt:
$$
y(t) = \exp(t·a)·y_0.
$$
Dasselbe funktioniert genau so mit komplexen Zahlen.
\subsection{Lineare, homogene Differenzialgleichungssysteme}
Gegeben sei jetzt eine Zahl $n ∈ $, eine komplexe $(nn)$-Matrix $A$ und ein
Vektor $\vec{y}_0^n$. Gesucht sind $n$ differenzierbare Funktionen $y_1$,
…, $y_n : $, sodass für alle $t ∈ $ gilt:
\[
\begin{pmatrix}
y'_1(t) \\
y'_2(t) \\
\vdots \\
y'_n(t)
\end{pmatrix}
=
A ·
\begin{pmatrix}
y_1(t) \\
y_2(t) \\
\vdots \\
y_n(t)
\end{pmatrix}.
\]
Außerdem soll
\[
\begin{pmatrix}
y_1(0) \\
y_2(0) \\
\vdots \\
y_n(0)
\end{pmatrix}
= \vec{y}_0
\]
sein.
\begin{fakt}[Lösungsformel für lineare, homogene Differentialgleichungssysteme]\label{fakt:3-3-1}%
Dieses Problem hat genau eine Lösung. Die Funktionen $y_1$, …, $y_n$ sind
gegeben als
\[
\begin{pmatrix}
y_1(t) \\
y_2(t) \\
\vdots \\
y_n(t)
\end{pmatrix}
= \exp(t·A)·\vec{y}_0
\eqno \qed
\]
\end{fakt}
\begin{bsp}
Ich diskutiere ein Beispiel in \video{5-1}.
\end{bsp}
\subsection{Differenzialgleichungen höherer Ordnung}
Ich erkläre an einem Beispiel, wie man mit unseren Methoden eine
Differenzialgleichung höherer Ordnung löst. Gegeben seien Zahlen $a$, $b$ und
$c$ sowie $y_0$, $y'_0$ und $y''_0$. Gesucht ist eine Funktion $y : $,
sodass für alle $t ∈ $ gilt:
\begin{equation}\label{eq:3-3-2-1}
y'''(t) = a·y(t)+b·y'(t)+c·y''(t).
\end{equation}
Außerdem soll $y(0) = y_0$, $y'(0) = y'_0$ und $y''(0) = y''_0$ sein. Der Trick
ist, jetzt neue Funktionen einzuführen:
\[
y_1 := y, \quad y_2 := y', \quad\text{und}\quad y_3 := y''.
\]
Dann ist $y'_1 = y_2$, $y'_2 = y_3$ und $y'_3 = a·y_1 + b·y_2 + c·y_3$. In
dieser Formulierung stellt sich \eqref{eq:3-3-2-1} wie folgt dar.
\[
\begin{pmatrix}
y'_1(t) \\
y'_2(t) \\
y'_3(t)
\end{pmatrix}
=
\begin{pmatrix}
0 & 1 & 0 \\
0 & 0 & 1 \\
a & b & c
\end{pmatrix}
·
\begin{pmatrix}
y_1(t) \\
y_2(t) \\
y_3(t)
\end{pmatrix}
\quad\text{und}\quad
\begin{pmatrix}
y_1(0) \\
y_2(0) \\
y_3(0)
\end{pmatrix}
=
\begin{pmatrix}
y_0 \\
y'_0 \\
y''_0
\end{pmatrix}.
\]
Nach der Lösungsformel für lineare, homogene Differenzialgleichungssysteme,
Fakt~\ref{fakt:3-3-1}, können wir diese DGL jetzt aber lösen.
\begin{bsp}
Es gibt auf YouTube sehr viele Beispielvideos. Ich empfehle
\href{https://www.youtube.com/watch?v=8\_Poojt6QzM}{dieses Video meines
Kollegen Loviscach}, der super-gut erklären kann.
\end{bsp}
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