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\selectlanguage{german}
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\chapter{Schnittzahlen von Kurven im $ℙ²$}
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\sideremark{Vorlesung 21}Wie im Abschnitt~\ref{sec:14-1} angekündigt, möchte ich
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jetzt zeigen, dass sich in der projektiven Ebene $ℙ²$ zwei Kurven vom Grad $d_1$
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und $d_2$ immer in genau $d_1·d_2$ vielen Punkten schneiden, wenn die Kurven
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nicht zufällig gleich sind oder zumindest eine gemeinsame Komponente haben.
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Dazu muss ich aber vielleicht erst noch sagen, was eine projektive Kurve genau
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ist. Die folgende Definition haben Sie ganz analog schon einmal auf
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Seite~\ref{def:eak} gesehen.
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\begin{defn}[Ebene projektive Kurve]\label{def:epk}
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Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper. Eine \emph{ebene
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projektive Kurve über $k$}\index{ebene projektive Kurve} ist eine
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Äquivalenzklasse von homogenen Polynomen in $k[x,y,z] ∖ \{ 0 \}$, wobei zwei
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Polynome $F$ und $G$ äquivalent sind, wenn ein $λ ∈ k^*$ existiert, sodass
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$F = λ·G$ ist.
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\end{defn}
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\begin{bsp}
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Die Konik aus Beispiel~\vref{bsp:konik} ist eine ebene projektive Kurven.
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Wenn Ihnen Beispiel~\vref{bsp:ellipti} gefallen hat, dann möchten Sie
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vielleicht auch die elliptische Kurve $y²z - x³ + 6·xz² - 6·z³$ betrachten.
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\end{bsp}
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\begin{bsp}\label{bsp:17-0-3}
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Gegeben eine ebene projektive Kurve, repräsentiert durch ein Polynom $F$, und
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eine Projektivität $φ$, gegeben durch eine bijektive lineare Abbildung
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$A : k^{n+1} → k^{n+1}$. Dann ist $F◦ A$ wieder ein homogenes Polynom
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und liefert deshalb wieder eine ebene projektive Kurve. Die Kurve hängt nicht
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von der Wahl des Polynom $F$ und der Wahl der Matrix $A$ ab und es gilt
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\[
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V_ℙ(F) = φ^{-1}\left( V_ℙ(F◦ A) \right).
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\]
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Die so erhaltene Kurve wird suggestiv mit $F◦φ$ bezeichnet.
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\end{bsp}
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Der nächste Schritt ist nun, für projektive Kurven einen sinnvollen Begriff von
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``Schnittzahl'' einzuführen, der sich am besten nicht völlig von den
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Schnittzahlen unterscheidet, die wir für affine Kurven schon definiert haben.
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Wenn Sie sich an den Beweis von Satz~\ref{satz:EES} erinnern, dann wissen Sie,
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dass lokale Ringe eine zentrale Rolle spielen. Also müssen wir zunächst auch
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für projektive Kurven einen Begriff von ``lokalen Ring'' einführen. Auf geht's.
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\section{Rationale Funktionen und lokale Ringe}
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Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem affinen und dem projektiven Raum:
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während jedes Polynom $f ∈ k[x_1, …, x_n]$ als Funktion $f: 𝔸^n_k → k$
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aufgefasst werden kann, liefern Polynome $g ∈ k[x_0, …, x_n]$ praktisch
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niemals\footnote{praktisch niemals = niemals, es sei denn, das Polynom $g$ ist
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konstant} wohldefinierte Funktionen auf dem $ℙ^n_k$. Dies gilt auch dann,
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wenn das Polynom $g$ zufällig homogen sein sollte. Immerhin können wir
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rationale Funktionen konstruieren.
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\begin{beobachtung}\label{beob:17-1-1}
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Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $f$ und
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$g ∈ k[x_0, …, x_n]$ zwei homogene Polynome vom selben Grad,
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$d = \deg f = \deg g$. Falls $\vec{x} ∈ k^{n+1} ∖ \{ \vec{0} \}$
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ein Punkt ist mit $g(\vec{x}) ≠ 0$, dann gilt für jedes Element $λ ∈ k^*$
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die Gleichung
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\[
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\frac{f(λ·\vec{x})}{g(λ·\vec{x})} = \frac{λ^d·f(\vec{x})}{λ^d·g(\vec{x})} =
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\frac{f(\vec{x})}{g(\vec{x})}.
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\]
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Der Quotient $f/g$ liefert also eine Funktion auf $ℙ^n_k$, die zumindest
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außerhalb der algebraischen Menge $V_ℙ(g)$ wohldefiniert ist.
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\end{beobachtung}
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Die Funktion $f/g$ aus Beobachtung~\ref{beob:17-1-1} könnte auch an einigen
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Punkten von $V_ℙ(g)$ sinnvoll definierbar sein, betrachte etwa den Fall
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$f = x·y$ und $g = x·z$. Die korrekte Definition von ``rationaler Funktion''
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und ``Definitionsbereich'' ist daher ein wenig aufwändiger als es zunächst
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scheint.
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\begin{defn}[Rationale Funktionen auf dem projektiven Raum]
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Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien
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$f_1, f_2 ∈ k[x_0, …, x_n]$ und $g_1, g_2 ∈ k[x_0, …, x_n] ∖ \{0\}$ homogene
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Polynome mit $\deg f_1 = \deg g_1$ und $\deg f_2 = \deg g_2$. Ich nenne die
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Brüche $\frac{f_1}{g_1}$ und $\frac{f_2}{g_2}$ äquivalent, falls für alle
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Punkte $p$ der Zariski-offenen Menge $ℙ^n_k ∖ \bigl(V_ℙ(g_1) ∪ V_ℙ(g_2)\bigr)$
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die Gleichheit
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\[
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\frac{f_1}{g_1}(p) = \frac{f_2}{g_2}(p)
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\]
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gilt. Eine rationale Funktion auf dem $ℙ^n_k$ ist eine Äquivalenzklasse von
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Brüchen.
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\end{defn}
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\begin{defn}[Definitionsbereich von rationalen Funktionen]\label{def:17-1-3}
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Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper, es sei $p ∈ ℙ^n_k$ ein
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Punkt und es sei $η$ eine rationale Funktion auf dem $ℙ^n_k$. Falls es einen
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Vertreter $η = [\frac{f}{g}]$ gibt, sodass $p \not ∈ V_ℙ(g)$ liegt, so sagt
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man, die rationale Funktion $η$ ist bei $p$ definiert. Der Menge der
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rationalen Funktionen, die bei $p$ definiert sind, wird mit $𝒪_p(ℙ^n_k)$
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bezeichnet.
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\end{defn}
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\begin{bemerkung}
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In der Situation aus Definition~\ref{def:17-1-3} sind Summen und Produkte von
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rationalen Funktionen, die bei $p$ definiert sind, ebenfalls bei $p$
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definiert. Die Menge $𝒪_p(ℙ^n_k)$ ist daher ein Ring, sogar eine
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$k$-Algebra.
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\end{bemerkung}
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\begin{konstruktion}[Vergleich von lokalen Ringen]\label{kons:17-1-5}
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Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper, und es sei
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$φ_n : 𝔸^n_k → ℙ^n_k$ die $n$.te Standardkarte. Gegeben sei ein Punkt
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$a ∈ 𝔸^n_k$ mit zugehörigem Bildpunkt $p := φ_n(a)$. Rechnen Sie als
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Übungsaufgabe in ``Homogenisierung und Dehomogenisierung'' nach, dass die
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Abbildungen
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\[
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\begin{matrix}
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A: 𝒪_p(ℙ^n_k) & → & 𝒪_q(𝔸^n_k), & \quad & \left[ \frac{f}{g} \right] & ↦ & \frac{f_*}{g_*} \\
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B: 𝒪_q(𝔸^n_k) & → & 𝒪_p(ℙ^n_k), & \quad & \frac{f}{g} & ↦ & \frac{x_n^{\deg g^*}·f^*}{x_n^{\deg f^*}·g^*}
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\end{matrix}
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\]
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wohldefinierte, zueinander inverse Morphismen von $k$-Algebren sind. Die
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Ringe $𝒪_p(ℙ^n_k)$ und $𝒪_q(𝔸^n_k)$ sind also in natürlicherweise zueinander
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isomorphe $k$-Algebren. Insbesondere handelt es sich bei $𝒪_p(ℙ^n_k)$ um
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einen lokalen Ring.
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\end{konstruktion}
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\begin{bemerkung}
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Konstruktion~\ref{kons:17-1-5} funktioniert natürlich nicht nur für die Karte
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$φ_n$, sondern ganz analog für jede der Karten $φ_0, …, φ_n$.
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\end{bemerkung}
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\section{Schnittzahlen von projektiven Kurven}
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Um im Schnittzahlen von ebenen projektiven Kurven zu definieren, verwenden wir
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die Formel, die sich beim Beweis von Satz~\ref{satz:EES} ergeben hat. Dazu muss
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ich aber erst noch klarstellen, welche Ideale im lokalen Ring ich genau
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betrachten möchte.
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\begin{beobachtung}[Ideale im lokalen Ring]\label{beob:17-2-1}
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Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $F$ und
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$G ∈ k[x, y, z]$ zwei ebene projektive Kurven. Weiter sei
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$p=[p_1:p_2:p_3] ∈ ℙ²$ ein Punkt. Dann gibt es mindestens einen Index $i$, so
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dass $p_i ≠ 0$ ist. Gegeben einen solchen Index $i$, betrachten wir die
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rationalen Funktionen $\frac{F}{x_i^{\deg F}}$ und
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$\frac{G}{x_i^{\deg G}} ∈ 𝒪_p(ℙ²)$, sowie das davon erzeugte Ideal
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\[
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I_{F,G,p} := \left( \frac{F}{x_i^{\deg F}}, \frac{G}{x_i^{\deg G}} \right) ⊂
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𝒪_p(ℙ²).
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\]
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Wir fragen uns natürlich, inwieweit das Ideal $I_{F,G,p}$ von der Wahl des
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Index $i$ abhängt. Die Antwort ist: gar nicht. Ist nämlich $j$ ein weiterer
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Index mit $p_j ≠ 0$, dann gilt im lokalen Ring $𝒪_p(ℙ²)$ die Gleichung
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\[
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\frac{F}{x_j^{\deg F}} = \frac{F}{x_i^{\deg F}} ·
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\underbrace{\frac{x_i^{\deg F}}{x_j^{\deg F}}}_{\mathclap{\text{Einheit in
|
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}𝒪_p(ℙ²)}} ∈ 𝒪_p(ℙ²).
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\]
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||
Also sind die von diesen Elementen erzeugten Ideale gleich,
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\[
|
||
\left( \frac{F}{x_i^{\deg F}}, \frac{G}{x_i^{\deg G }} \right) = \left(
|
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\frac{F}{x_j^{\deg F}}, \frac{G}{x_j^{\deg G}} \right) ⊂ 𝒪_p(ℙ²).
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\]
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\end{beobachtung}
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Beobachtung~\ref{beob:17-2-1} ermöglicht jetzt die Definition von Schnittzahlen.
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\begin{defn}[Schnittzahl von ebenen projektiven Kurven]\label{def:schnittzahlp}
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Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $F$ und
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$G ∈ k[x, y, z]$ zwei ebene projektive Kurven. Weiter sei $p ∈ ℙ²$ ein Punkt.
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Dann definiere die \emph{Schnittzahl}\index{Schnittzahl!von ebenen projektiven
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Kurven} der Kurven $F$ und $G$ im Punkt $p$ als
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\[
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\Int_p(F, G) := \dim_k \factor{𝒪_p(ℙ²)}{I_{F,G,p}},
|
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\]
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wobei $I_{F,G,p} ⊆ 𝒪_p(ℙ²)$ das in Beobachtung~\ref{beob:17-2-1}
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diskutierte Ideal ist.
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\end{defn}
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\begin{beobachtung}[Berechnung von Schnittzahlen]\label{beob:17-2-3}
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Konstruktion~\ref{kons:17-1-5} zeigt uns, wie man Schnittzahlen ganz konkret
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ausrechnet. Falls in der Situation von Definition~\ref{def:schnittzahlp} die
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dritte Koordinate des Punktes $p$ ungleich Null ist, dann liegt $p$ im Bild
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der Standardkarte $φ_3$ und es ist
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\[
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\Int_p(F, G) = \Int_{φ^{-1}_n(p)} (F_*, G_*),
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||
\]
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wobei auf der rechten Seite der Gleichung die bekannte Schnittzahl von Kurven
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im affinen Raum $𝔸²_k$ steht. Falls $=[p_0:p_1:p_2]$ ist, dann hat der Punkt
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$φ^{-1}_n(p)$ die Koordinaten
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$\left( \frac{p_0}{p_2}, \frac{p_1}{p_2} \right)$ und die Schnittzahl kann
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mithilfe des Algorithmus aus Bemerkung~\ref{bem:14-2-8} bestimmt werden.
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Falls nicht die dritte, sondern eine andere Koordinate des Punktes $p$
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ungleich Null ist, dann verfahre man analog, statt mit der Karte $φ_2$ dann
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eben mit einer der anderen Karten $φ_0$ oder $φ_1$.
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\end{beobachtung}
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Die Schnittzahlen von projektiven Kurven lassen sich natürlich genau wie die
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Schnittzahlen von affinen Kurven durch eine Liste von Eigenschaften beschreiben,
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die exakt den Eigenschaften~\ref{il:14-2-1-1}--\ref{il:14-2-1-7} entsprechen.
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Beobachtung~\ref{beob:17-2-3} stellt den Zusammenhang her. Ich möchte dies
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jetzt aber nicht vertiefen und weise nur auf die folgende Eigenschaft hin. Den
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(langweiligen) Beweis lasse ich weg.
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\begin{fakt}[Invarianz von Schnittzahlen unter Projektivitäten]\label{fakt:17-2-4}
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In der Situation von Definition~\ref{def:schnittzahlp} sei eine Projektivität
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$φ$ gegeben. Falls ich mich nicht mit den Vorzeichen geirrt habe, gilt dann
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die Gleichung
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\[
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||
\Int_p(F, G) = \Int_{φ^{-1}(p)}(F◦φ, G◦φ),
|
||
\]
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wobei die Notation $F◦φ$ wie in Beispiel~\ref{bsp:17-0-3} verwendet wird.
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\qed
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\end{fakt}
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\section{Der Satz von Bézout}
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\sideremark{Vorlesung 22}Nach allen Vorbereitungen kommen wir jetzt zum
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versprochenen Satz von
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Bézout\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/\%C3\%89tienne_B\%C3\%A9zout}{Étienne
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Bézout} (* 31. März 1730 in Nemours, Département Seine-et-Marne; † 27.
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||
September 1783 in Avon) war ein französischer Mathematiker.} über die
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Schnittzahlen von projektiven Kurven.
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\begin{satz}[Satz von Bézout]
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Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $F$ und
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$G ∈ k[x, y, z]$ zwei ebene projektive Kurven ohne gemeinsame Komponente.
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Dann gilt die Gleichung
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\[
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\sum_{p ∈ ℙ²} \Int_p(F,G) = (\deg F)·(\deg G).
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||
\]
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\end{satz}
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\begin{proof}
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Der Beweis ist aus \cite[Sect.~5.3]{MR1042981} abgekupfert, vielleicht wollen
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Sie auch einmal direkt in diese Quelle schauen. Um allzu viele Indizes zu
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vermeiden, bezeichnen wir die Koordinaten projektive Ebene mit $[x:y:z]$.
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Weil die Kurven $F$ und $G$ keine gemeinsame Komponente haben, ist die
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Schnittmenge von $F$ und $G$ ist endlich. Nach Komposition mit einer
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geeigneten Projektivität erlaubt Fakt~\ref{fakt:17-2-4} deshalb, ohne
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Beschränkung der Allgemeinheit anzunehmen, dass keiner der Schnittpunkte auf
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der unendlich fernen Geraden $\{z=0\}$ liegt. Es gelten dann die Gleichungen
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\begin{align*}
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\sum_{p ∈ ℙ²} \Int_p(F,G) & = \sum_{a ∈ 𝔸²} \Int_p(F_*, G_*) && \text{Beobachtung~\ref{beob:17-2-3}} \\
|
||
& = \dim_k \factor{k[x,y]}{(F_*, G_*)} && \text{Erw.~Erinnerung~\ref{erin:14-2-6}}
|
||
\end{align*}
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Um die Zahl der Buchstaben zu reduzieren schreiben wir noch
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\begin{align*}
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n & := \deg G & m & := \deg G \\
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||
R & := k[x,y,z] & Γ &:= \factor{k[x,y,z]}{(F, G)}
|
||
\end{align*}
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||
und weil $(F, G)$ ein homogenes Ideal ist, können wir für jede Zahl $d$ auch
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noch die Mengen $R_d ⊂ R$ und $Γ_d ⊂ Γ$ der homogenen Elemente vom Grad $d$
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betrachten. Das Ziel ist jetzt, für ausreichend große Zahlen $d$ die
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folgenden Gleichungen zu beweisen,
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\begin{align}
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\label{eq:17-3-1-1} \dim_k Γ_* & = \dim_k Γ_d \\
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||
\label{eq:17-3-1-2} \dim_k Γ_d & = n·m
|
||
\end{align}
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||
Zur besseren Lesbarkeit ist der Beweis in drei relativ unabhängige Schritte
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||
aufgeteilt.
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\bigskip\noindent\textbf{Schritt 1} Beweis der Gleichung~\eqref{eq:17-3-1-2}
|
||
für alle $d ≥ n+m$. \video{22-1}
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||
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||
\bigskip\noindent\textbf{Schritt 2} Multiplikation mit der Variablen $z$
|
||
liefert eine wohldefinierte Abbildung des Quotientenringes,
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||
\[
|
||
α : Γ → Γ, \quad [H] ↦ [z·H].
|
||
\]
|
||
Ich zeige im \video{22-2}, dass diese Abbildung injektiv ist. Die
|
||
Einschränkung auf homogene Formen vom Grad $d$ liefert dann eine (ebenfalls
|
||
injektive) Abbildung $α_d : Γ_d → Γ_{d+1}$. Falls $d ≥ n+m$ ist, dann wissen
|
||
wir aber schon aus Schritt 1, dass $Γ_d$ und $Γ_{d+1}$ dieselbe
|
||
Vektorraumdimension haben. Also muss die Abbildung $α_d$ für solche $d$ stets
|
||
ein Isomorphismus sein!
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||
|
||
\bigskip\noindent\textbf{Schritt 3} Beweis der Gleichung~\eqref{eq:17-3-1-1}.
|
||
Sei $d ≥ n+m$. Wähle homogene Polynome $A_1, …, A_ℓ ∈ R_d$, sodass die
|
||
Restklassen $[A_•] ∈ Γ_d$ eine Vektorraumbasis von $Γ_d$ bilden. Ich zeige im
|
||
\video{22-3}, dass die Restklassen der dehomogenisierten Elemente
|
||
$[A_{•,*}] ∈ Γ_*$ ebenfalls eine Vektorraumbasis bilden.
|
||
\end{proof}
|
||
|
||
\begin{kor}[Projektive Kurven schneiden sich]
|
||
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper. Zwei ebene projektive
|
||
Kurven im $ℙ²_k$ schneiden sich stets in mindestens einem Punkt. \qed
|
||
\end{kor}
|
||
|
||
\begin{kor}[Affine Kurven schneiden sich nicht zu sehr]\label{kor:aksnzs}
|
||
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $F$ und
|
||
$G ∈ k[x, y]$ zwei ebene, affine Kurven ohne gemeinsame Komponente. Dann
|
||
schneiden sich diese Kurven in höchstens $(\deg F)·(\deg G)$ vielen Punkten.
|
||
\qed
|
||
\end{kor}
|
||
|
||
\begin{bemerkung}
|
||
Korollar~\ref{kor:aksnzs} kann man auch andersherum lesen: wenn sich zwei
|
||
projektive oder affine Kurven in zu vielen Punkten schneiden, so müssen Sie
|
||
eine gemeinsame Komponente besitzen.
|
||
\end{bemerkung}
|
||
|
||
Als letzte, vielleicht etwas überraschende Konsequenz aus dem Satz von Bézout
|
||
können wir die Anzahl von singulären Punkten einer ebenen affinen Kurve durch
|
||
den Grad der Kurve beschränken. Affine Kurven können also nicht allzu viele
|
||
singuläre Punkte haben.
|
||
|
||
\begin{kor}[Affine Kurven sind nicht zu singulär]\label{kor:17-3-4}
|
||
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper der Charakteristik Null und
|
||
es sei $F ∈ k[x, y]$ eine irreduzible ebene affine Kurve. Diese Kurve hat
|
||
höchstens $(\deg F)·(\deg F -1)$ viele singuläre Punkte.
|
||
\end{kor}
|
||
\begin{proof}
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||
Wegen der Annahme über die Charakteristik von $k$ verschwinden nicht alle
|
||
Ableitungen von $F$; wir nehmen an ohne Beschränkung der Allgemeinheit an,
|
||
dass $G := \frac{∂ F}{∂ x}$ nicht das Nullpolynom ist. Es gilt
|
||
$\deg G ≤ \deg F -1$.
|
||
|
||
Aus Definition~\vref{defn:ep} (``Glatte und singuläre Punkte'') ist klar, dass
|
||
die singulären Punkte von $F$ Schnittpunkte der Kurven $F$ und $G$ sind. Die
|
||
Annahme, dass $F$ irreduzibel ist, stellt sicher, dass $F$ und $G$ keine
|
||
gemeinsame Komponente haben und die Aussage folgt aus
|
||
Korollar~\ref{kor:aksnzs}.
|
||
\end{proof}
|
||
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||
\begin{bemerkung}
|
||
Die Abschätzung aus Korollar~\ref{kor:17-3-4} ist abenteuerlich schlecht. Man
|
||
kann mit etwas Mühle wesentlich bessere Ergebnisse erzielen.
|
||
\end{bemerkung}
|
||
|
||
|
||
\begin{figure}
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||
\centering
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||
\includegraphics[width=10cm]{figures/17-barthSextic.png}
|
||
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||
\[
|
||
4·((α²·x²-y²)·((α²·y²-z²)·((α²·z²-x²)-1·(1+2α·(x²+y²+z²-1)²)))) = 0,
|
||
\]
|
||
mit $α = \frac{1+\sqrt 5}{2}$
|
||
|
||
\caption{Barth-Sextik}
|
||
\label{fig:barth}
|
||
\end{figure}
|
||
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||
|
||
Die Frage nach einer oberen Anzahl von Singularitäten ist auch für algebraische
|
||
Flächen sinnvoll, allerdings sind nur für Flächen von kleinem Grad obere
|
||
Abschätzungen bekannt. Ob diese Abschätzungen optimal sind, ist nicht in allen
|
||
Fällen klar. Abbildung~\ref{fig:barth} zeigt eine Fläche vom Grad 6 mit 65
|
||
singulären Punkten. Diese Fläche wurde 1996 in der Arbeit \cite{MR1358040} von
|
||
Wolf
|
||
Barth\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_Barth_(Mathematiker)}{Wolf
|
||
Paul Barth} (* 20. Oktober 1942 in Wernigerode; † 30. Dezember 2016) war
|
||
ein deutscher Mathematiker, der sich mit algebraischer Geometrie
|
||
beschäftigte.} konstruiert, nachdem Mathematiker lange Zeit vermutet hatten,
|
||
dass maximal 64 singuläre Punkte möglich seien (es gab sogar einige fehlerhafte,
|
||
veröffentlichte Beweise). Kurz nach Barths Konstruktion bewiesen Jaffe und
|
||
Ruberman in \cite{MR1486992}, dass die Fläche tatsächlich optimal ist: ``A
|
||
sextic cannot have 66 nodes''.
|
||
|
||
\begin{bemerkung}
|
||
Sehen Sie im Bild, dass die Fläche die Symmetrie des Ikosaeders hat? Das ist
|
||
natürlich kein Zufall.
|
||
\end{bemerkung}
|
||
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\href{https://oliverlabs.net}{Oliver Labs}, der 2005 an der Universität Mainz
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zum Thema ``Flächen mit vielen singulären Punkten'' promovierte, hat einen
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\href{https://www.oliverlabs.net/data/AlgSurfManySings_German.pdf}{lesenswerten,
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reich bebilderten Artikel für ein breites mathematisches Publikum}
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geschrieben, den ich Ihnen empfehlen kann. Mit dem Programm
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\href{https://imaginary.org/program/surfer}{Surfer} können Sie viele der
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``Weltrekordflächen'' aus Labs' Artikel interaktiv in 3D zeichnen, animieren und
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mit den Gleichungen spielen. Abbildung~\ref{fig:barth} ist ein Screenshot
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dieses Programms.
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%%% Local Variables:
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%%% mode: latex
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%%% TeX-master: "21-KA"
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%%% End:
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