KommutativeAlgebra/17.tex

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2023-03-30 10:13:25 +02:00
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\selectlanguage{german}
\chapter{Schnittzahlen von Kurven im $ℙ²$}
\sideremark{Vorlesung 21}Wie im Abschnitt~\ref{sec:14-1} angekündigt, möchte ich
jetzt zeigen, dass sich in der projektiven Ebene $ℙ²$ zwei Kurven vom Grad $d_1$
und $d_2$ immer in genau $d_1·d_2$ vielen Punkten schneiden, wenn die Kurven
nicht zufällig gleich sind oder zumindest eine gemeinsame Komponente haben.
Dazu muss ich aber vielleicht erst noch sagen, was eine projektive Kurve genau
ist. Die folgende Definition haben Sie ganz analog schon einmal auf
Seite~\ref{def:eak} gesehen.
\begin{defn}[Ebene projektive Kurve]\label{def:epk}
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper. Eine \emph{ebene
projektive Kurve über $k$}\index{ebene projektive Kurve} ist eine
Äquivalenzklasse von homogenen Polynomen in $k[x,y,z] \{ 0 \}$, wobei zwei
Polynome $F$ und $G$ äquivalent sind, wenn ein $λ ∈ k^*$ existiert, sodass
$F = λ·G$ ist.
\end{defn}
\begin{bsp}
Die Konik aus Beispiel~\vref{bsp:konik} ist eine ebene projektive Kurven.
Wenn Ihnen Beispiel~\vref{bsp:ellipti} gefallen hat, dann möchten Sie
vielleicht auch die elliptische Kurve $y²z -+ 6·xz² - 6·z³$ betrachten.
\end{bsp}
\begin{bsp}\label{bsp:17-0-3}
Gegeben eine ebene projektive Kurve, repräsentiert durch ein Polynom $F$, und
eine Projektivität $φ$, gegeben durch eine bijektive lineare Abbildung
$A : k^{n+1} → k^{n+1}$. Dann ist $F◦ A$ wieder ein homogenes Polynom
und liefert deshalb wieder eine ebene projektive Kurve. Die Kurve hängt nicht
von der Wahl des Polynom $F$ und der Wahl der Matrix $A$ ab und es gilt
\[
V_(F) = φ^{-1}\left( V_(F◦ A) \right).
\]
Die so erhaltene Kurve wird suggestiv mit $F◦φ$ bezeichnet.
\end{bsp}
Der nächste Schritt ist nun, für projektive Kurven einen sinnvollen Begriff von
``Schnittzahl'' einzuführen, der sich am besten nicht völlig von den
Schnittzahlen unterscheidet, die wir für affine Kurven schon definiert haben.
Wenn Sie sich an den Beweis von Satz~\ref{satz:EES} erinnern, dann wissen Sie,
dass lokale Ringe eine zentrale Rolle spielen. Also müssen wir zunächst auch
für projektive Kurven einen Begriff von ``lokalen Ring'' einführen. Auf geht's.
\section{Rationale Funktionen und lokale Ringe}
Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem affinen und dem projektiven Raum:
während jedes Polynom $f ∈ k[x_1, …, x_n]$ als Funktion $f: 𝔸^n_k → k$
aufgefasst werden kann, liefern Polynome $g ∈ k[x_0, …, x_n]$ praktisch
niemals\footnote{praktisch niemals = niemals, es sei denn, das Polynom $g$ ist
konstant} wohldefinierte Funktionen auf dem $^n_k$. Dies gilt auch dann,
wenn das Polynom $g$ zufällig homogen sein sollte. Immerhin können wir
rationale Funktionen konstruieren.
\begin{beobachtung}\label{beob:17-1-1}
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $f$ und
$g ∈ k[x_0, …, x_n]$ zwei homogene Polynome vom selben Grad,
$d = \deg f = \deg g$. Falls $\vec{x} ∈ k^{n+1} \{ \vec{0} \}$
ein Punkt ist mit $g(\vec{x})0$, dann gilt für jedes Element $λ ∈ k^*$
die Gleichung
\[
\frac{f(λ·\vec{x})}{g(λ·\vec{x})} = \frac{λ^d·f(\vec{x})}{λ^d·g(\vec{x})} =
\frac{f(\vec{x})}{g(\vec{x})}.
\]
Der Quotient $f/g$ liefert also eine Funktion auf $^n_k$, die zumindest
außerhalb der algebraischen Menge $V_(g)$ wohldefiniert ist.
\end{beobachtung}
Die Funktion $f/g$ aus Beobachtung~\ref{beob:17-1-1} könnte auch an einigen
Punkten von $V_(g)$ sinnvoll definierbar sein, betrachte etwa den Fall
$f = x·y$ und $g = x·z$. Die korrekte Definition von ``rationaler Funktion''
und ``Definitionsbereich'' ist daher ein wenig aufwändiger als es zunächst
scheint.
\begin{defn}[Rationale Funktionen auf dem projektiven Raum]
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien
$f_1, f_2 ∈ k[x_0, …, x_n]$ und $g_1, g_2 ∈ k[x_0, …, x_n] \{0\}$ homogene
Polynome mit $\deg f_1 = \deg g_1$ und $\deg f_2 = \deg g_2$. Ich nenne die
Brüche $\frac{f_1}{g_1}$ und $\frac{f_2}{g_2}$ äquivalent, falls für alle
Punkte $p$ der Zariski-offenen Menge $^n_k \bigl(V_(g_1) V_(g_2)\bigr)$
die Gleichheit
\[
\frac{f_1}{g_1}(p) = \frac{f_2}{g_2}(p)
\]
gilt. Eine rationale Funktion auf dem $^n_k$ ist eine Äquivalenzklasse von
Brüchen.
\end{defn}
\begin{defn}[Definitionsbereich von rationalen Funktionen]\label{def:17-1-3}
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper, es sei $p ∈ ^n_k$ ein
Punkt und es sei $η$ eine rationale Funktion auf dem $^n_k$. Falls es einen
Vertreter $η = [\frac{f}{g}]$ gibt, sodass $p \not ∈ V_(g)$ liegt, so sagt
man, die rationale Funktion $η$ ist bei $p$ definiert. Der Menge der
rationalen Funktionen, die bei $p$ definiert sind, wird mit $𝒪_p(^n_k)$
bezeichnet.
\end{defn}
\begin{bemerkung}
In der Situation aus Definition~\ref{def:17-1-3} sind Summen und Produkte von
rationalen Funktionen, die bei $p$ definiert sind, ebenfalls bei $p$
definiert. Die Menge $𝒪_p(^n_k)$ ist daher ein Ring, sogar eine
$k$-Algebra.
\end{bemerkung}
\begin{konstruktion}[Vergleich von lokalen Ringen]\label{kons:17-1-5}
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper, und es sei
$φ_n : 𝔸^n_k → ^n_k$ die $n$.te Standardkarte. Gegeben sei ein Punkt
$a ∈ 𝔸^n_k$ mit zugehörigem Bildpunkt $p := φ_n(a)$. Rechnen Sie als
Übungsaufgabe in ``Homogenisierung und Dehomogenisierung'' nach, dass die
Abbildungen
\[
\begin{matrix}
A: 𝒪_p(^n_k) && 𝒪_q(𝔸^n_k), & \quad & \left[ \frac{f}{g} \right] && \frac{f_*}{g_*} \\
B: 𝒪_q(𝔸^n_k) && 𝒪_p(^n_k), & \quad & \frac{f}{g} && \frac{x_n^{\deg g^*}·f^*}{x_n^{\deg f^*}·g^*}
\end{matrix}
\]
wohldefinierte, zueinander inverse Morphismen von $k$-Algebren sind. Die
Ringe $𝒪_p(^n_k)$ und $𝒪_q(𝔸^n_k)$ sind also in natürlicherweise zueinander
isomorphe $k$-Algebren. Insbesondere handelt es sich bei $𝒪_p(^n_k)$ um
einen lokalen Ring.
\end{konstruktion}
\begin{bemerkung}
Konstruktion~\ref{kons:17-1-5} funktioniert natürlich nicht nur für die Karte
$φ_n$, sondern ganz analog für jede der Karten $φ_0, …, φ_n$.
\end{bemerkung}
\section{Schnittzahlen von projektiven Kurven}
Um im Schnittzahlen von ebenen projektiven Kurven zu definieren, verwenden wir
die Formel, die sich beim Beweis von Satz~\ref{satz:EES} ergeben hat. Dazu muss
ich aber erst noch klarstellen, welche Ideale im lokalen Ring ich genau
betrachten möchte.
\begin{beobachtung}[Ideale im lokalen Ring]\label{beob:17-2-1}
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $F$ und
$G ∈ k[x, y, z]$ zwei ebene projektive Kurven. Weiter sei
$p=[p_1:p_2:p_3] ∈ ℙ²$ ein Punkt. Dann gibt es mindestens einen Index $i$, so
dass $p_i ≠ 0$ ist. Gegeben einen solchen Index $i$, betrachten wir die
rationalen Funktionen $\frac{F}{x_i^{\deg F}}$ und
$\frac{G}{x_i^{\deg G}}𝒪_p(ℙ²)$, sowie das davon erzeugte Ideal
\[
I_{F,G,p} := \left( \frac{F}{x_i^{\deg F}}, \frac{G}{x_i^{\deg G}} \right) ⊂
𝒪_p(ℙ²).
\]
Wir fragen uns natürlich, inwieweit das Ideal $I_{F,G,p}$ von der Wahl des
Index $i$ abhängt. Die Antwort ist: gar nicht. Ist nämlich $j$ ein weiterer
Index mit $p_j ≠ 0$, dann gilt im lokalen Ring $𝒪_p(ℙ²)$ die Gleichung
\[
\frac{F}{x_j^{\deg F}} = \frac{F}{x_i^{\deg F}} ·
\underbrace{\frac{x_i^{\deg F}}{x_j^{\deg F}}}_{\mathclap{\text{Einheit in
}𝒪_p(ℙ²)}}𝒪_p(ℙ²).
\]
Also sind die von diesen Elementen erzeugten Ideale gleich,
\[
\left( \frac{F}{x_i^{\deg F}}, \frac{G}{x_i^{\deg G }} \right) = \left(
\frac{F}{x_j^{\deg F}}, \frac{G}{x_j^{\deg G}} \right) ⊂ 𝒪_p(ℙ²).
\]
\end{beobachtung}
Beobachtung~\ref{beob:17-2-1} ermöglicht jetzt die Definition von Schnittzahlen.
\begin{defn}[Schnittzahl von ebenen projektiven Kurven]\label{def:schnittzahlp}
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $F$ und
$G ∈ k[x, y, z]$ zwei ebene projektive Kurven. Weiter sei $p ∈ ℙ²$ ein Punkt.
Dann definiere die \emph{Schnittzahl}\index{Schnittzahl!von ebenen projektiven
Kurven} der Kurven $F$ und $G$ im Punkt $p$ als
\[
\Int_p(F, G) := \dim_k \factor{𝒪_p(ℙ²)}{I_{F,G,p}},
\]
wobei $I_{F,G,p}𝒪_p(ℙ²)$ das in Beobachtung~\ref{beob:17-2-1}
diskutierte Ideal ist.
\end{defn}
\begin{beobachtung}[Berechnung von Schnittzahlen]\label{beob:17-2-3}
Konstruktion~\ref{kons:17-1-5} zeigt uns, wie man Schnittzahlen ganz konkret
ausrechnet. Falls in der Situation von Definition~\ref{def:schnittzahlp} die
dritte Koordinate des Punktes $p$ ungleich Null ist, dann liegt $p$ im Bild
der Standardkarte $φ_3$ und es ist
\[
\Int_p(F, G) = \Int_{φ^{-1}_n(p)} (F_*, G_*),
\]
wobei auf der rechten Seite der Gleichung die bekannte Schnittzahl von Kurven
im affinen Raum $𝔸²_k$ steht. Falls $=[p_0:p_1:p_2]$ ist, dann hat der Punkt
$φ^{-1}_n(p)$ die Koordinaten
$\left( \frac{p_0}{p_2}, \frac{p_1}{p_2} \right)$ und die Schnittzahl kann
mithilfe des Algorithmus aus Bemerkung~\ref{bem:14-2-8} bestimmt werden.
Falls nicht die dritte, sondern eine andere Koordinate des Punktes $p$
ungleich Null ist, dann verfahre man analog, statt mit der Karte $φ_2$ dann
eben mit einer der anderen Karten $φ_0$ oder $φ_1$.
\end{beobachtung}
Die Schnittzahlen von projektiven Kurven lassen sich natürlich genau wie die
Schnittzahlen von affinen Kurven durch eine Liste von Eigenschaften beschreiben,
die exakt den Eigenschaften~\ref{il:14-2-1-1}--\ref{il:14-2-1-7} entsprechen.
Beobachtung~\ref{beob:17-2-3} stellt den Zusammenhang her. Ich möchte dies
jetzt aber nicht vertiefen und weise nur auf die folgende Eigenschaft hin. Den
(langweiligen) Beweis lasse ich weg.
\begin{fakt}[Invarianz von Schnittzahlen unter Projektivitäten]\label{fakt:17-2-4}
In der Situation von Definition~\ref{def:schnittzahlp} sei eine Projektivität
$φ$ gegeben. Falls ich mich nicht mit den Vorzeichen geirrt habe, gilt dann
die Gleichung
\[
\Int_p(F, G) = \Int_{φ^{-1}(p)}(F◦φ, G◦φ),
\]
wobei die Notation $F◦φ$ wie in Beispiel~\ref{bsp:17-0-3} verwendet wird.
\qed
\end{fakt}
\section{Der Satz von Bézout}
\sideremark{Vorlesung 22}Nach allen Vorbereitungen kommen wir jetzt zum
versprochenen Satz von
Bézout\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/\%C3\%89tienne_B\%C3\%A9zout}{Étienne
Bézout} (* 31. März 1730 in Nemours, Département Seine-et-Marne; † 27.
September 1783 in Avon) war ein französischer Mathematiker.} über die
Schnittzahlen von projektiven Kurven.
\begin{satz}[Satz von Bézout]
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $F$ und
$G ∈ k[x, y, z]$ zwei ebene projektive Kurven ohne gemeinsame Komponente.
Dann gilt die Gleichung
\[
\sum_{p ∈ ℙ²} \Int_p(F,G) = (\deg F)·(\deg G).
\]
\end{satz}
\begin{proof}
Der Beweis ist aus \cite[Sect.~5.3]{MR1042981} abgekupfert, vielleicht wollen
Sie auch einmal direkt in diese Quelle schauen. Um allzu viele Indizes zu
vermeiden, bezeichnen wir die Koordinaten projektive Ebene mit $[x:y:z]$.
Weil die Kurven $F$ und $G$ keine gemeinsame Komponente haben, ist die
Schnittmenge von $F$ und $G$ ist endlich. Nach Komposition mit einer
geeigneten Projektivität erlaubt Fakt~\ref{fakt:17-2-4} deshalb, ohne
Beschränkung der Allgemeinheit anzunehmen, dass keiner der Schnittpunkte auf
der unendlich fernen Geraden $\{z=0\}$ liegt. Es gelten dann die Gleichungen
\begin{align*}
\sum_{p ∈ ℙ²} \Int_p(F,G) & = \sum_{a ∈ 𝔸²} \Int_p(F_*, G_*) && \text{Beobachtung~\ref{beob:17-2-3}} \\
& = \dim_k \factor{k[x,y]}{(F_*, G_*)} && \text{Erw.~Erinnerung~\ref{erin:14-2-6}}
\end{align*}
Um die Zahl der Buchstaben zu reduzieren schreiben wir noch
\begin{align*}
n & := \deg G & m & := \deg G \\
R & := k[x,y,z] & Γ &:= \factor{k[x,y,z]}{(F, G)}
\end{align*}
und weil $(F, G)$ ein homogenes Ideal ist, können wir für jede Zahl $d$ auch
noch die Mengen $R_d ⊂ R$ und $Γ_d ⊂ Γ$ der homogenen Elemente vom Grad $d$
betrachten. Das Ziel ist jetzt, für ausreichend große Zahlen $d$ die
folgenden Gleichungen zu beweisen,
\begin{align}
\label{eq:17-3-1-1} \dim_k Γ_* & = \dim_k Γ_d \\
\label{eq:17-3-1-2} \dim_k Γ_d & = n·m
\end{align}
Zur besseren Lesbarkeit ist der Beweis in drei relativ unabhängige Schritte
aufgeteilt.
\bigskip\noindent\textbf{Schritt 1} Beweis der Gleichung~\eqref{eq:17-3-1-2}
für alle $d ≥ n+m$. \video{22-1}
\bigskip\noindent\textbf{Schritt 2} Multiplikation mit der Variablen $z$
liefert eine wohldefinierte Abbildung des Quotientenringes,
\[
α : Γ → Γ, \quad [H] ↦ [z·H].
\]
Ich zeige im \video{22-2}, dass diese Abbildung injektiv ist. Die
Einschränkung auf homogene Formen vom Grad $d$ liefert dann eine (ebenfalls
injektive) Abbildung $α_d : Γ_d → Γ_{d+1}$. Falls $d ≥ n+m$ ist, dann wissen
wir aber schon aus Schritt 1, dass $Γ_d$ und $Γ_{d+1}$ dieselbe
Vektorraumdimension haben. Also muss die Abbildung $α_d$ für solche $d$ stets
ein Isomorphismus sein!
\bigskip\noindent\textbf{Schritt 3} Beweis der Gleichung~\eqref{eq:17-3-1-1}.
Sei $d ≥ n+m$. Wähle homogene Polynome $A_1, …, A_ ∈ R_d$, sodass die
Restklassen $[A_] ∈ Γ_d$ eine Vektorraumbasis von $Γ_d$ bilden. Ich zeige im
\video{22-3}, dass die Restklassen der dehomogenisierten Elemente
$[A_{•,*}] ∈ Γ_*$ ebenfalls eine Vektorraumbasis bilden.
\end{proof}
\begin{kor}[Projektive Kurven schneiden sich]
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper. Zwei ebene projektive
Kurven im $ℙ²_k$ schneiden sich stets in mindestens einem Punkt. \qed
\end{kor}
\begin{kor}[Affine Kurven schneiden sich nicht zu sehr]\label{kor:aksnzs}
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $F$ und
$G ∈ k[x, y]$ zwei ebene, affine Kurven ohne gemeinsame Komponente. Dann
schneiden sich diese Kurven in höchstens $(\deg F)·(\deg G)$ vielen Punkten.
\qed
\end{kor}
\begin{bemerkung}
Korollar~\ref{kor:aksnzs} kann man auch andersherum lesen: wenn sich zwei
projektive oder affine Kurven in zu vielen Punkten schneiden, so müssen Sie
eine gemeinsame Komponente besitzen.
\end{bemerkung}
Als letzte, vielleicht etwas überraschende Konsequenz aus dem Satz von Bézout
können wir die Anzahl von singulären Punkten einer ebenen affinen Kurve durch
den Grad der Kurve beschränken. Affine Kurven können also nicht allzu viele
singuläre Punkte haben.
\begin{kor}[Affine Kurven sind nicht zu singulär]\label{kor:17-3-4}
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper der Charakteristik Null und
es sei $F ∈ k[x, y]$ eine irreduzible ebene affine Kurve. Diese Kurve hat
höchstens $(\deg F)·(\deg F -1)$ viele singuläre Punkte.
\end{kor}
\begin{proof}
Wegen der Annahme über die Charakteristik von $k$ verschwinden nicht alle
Ableitungen von $F$; wir nehmen an ohne Beschränkung der Allgemeinheit an,
dass $G := \frac{∂ F}{∂ x}$ nicht das Nullpolynom ist. Es gilt
$\deg G ≤ \deg F -1$.
Aus Definition~\vref{defn:ep} (``Glatte und singuläre Punkte'') ist klar, dass
die singulären Punkte von $F$ Schnittpunkte der Kurven $F$ und $G$ sind. Die
Annahme, dass $F$ irreduzibel ist, stellt sicher, dass $F$ und $G$ keine
gemeinsame Komponente haben und die Aussage folgt aus
Korollar~\ref{kor:aksnzs}.
\end{proof}
\begin{bemerkung}
Die Abschätzung aus Korollar~\ref{kor:17-3-4} ist abenteuerlich schlecht. Man
kann mit etwas Mühle wesentlich bessere Ergebnisse erzielen.
\end{bemerkung}
\begin{figure}
\centering
\includegraphics[width=10cm]{figures/17-barthSextic.png}
\[
4·((α²·x²-y²)·((α²·y²-z²)·((α²·z²-x²)-1·(1+2α·(x²+y²+z²-1)²)))) = 0,
\]
mit $α = \frac{1+\sqrt 5}{2}$
\caption{Barth-Sextik}
\label{fig:barth}
\end{figure}
Die Frage nach einer oberen Anzahl von Singularitäten ist auch für algebraische
Flächen sinnvoll, allerdings sind nur für Flächen von kleinem Grad obere
Abschätzungen bekannt. Ob diese Abschätzungen optimal sind, ist nicht in allen
Fällen klar. Abbildung~\ref{fig:barth} zeigt eine Fläche vom Grad 6 mit 65
singulären Punkten. Diese Fläche wurde 1996 in der Arbeit \cite{MR1358040} von
Wolf
Barth\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_Barth_(Mathematiker)}{Wolf
Paul Barth} (* 20. Oktober 1942 in Wernigerode; † 30. Dezember 2016) war
ein deutscher Mathematiker, der sich mit algebraischer Geometrie
beschäftigte.} konstruiert, nachdem Mathematiker lange Zeit vermutet hatten,
dass maximal 64 singuläre Punkte möglich seien (es gab sogar einige fehlerhafte,
veröffentlichte Beweise). Kurz nach Barths Konstruktion bewiesen Jaffe und
Ruberman in \cite{MR1486992}, dass die Fläche tatsächlich optimal ist: ``A
sextic cannot have 66 nodes''.
\begin{bemerkung}
Sehen Sie im Bild, dass die Fläche die Symmetrie des Ikosaeders hat? Das ist
natürlich kein Zufall.
\end{bemerkung}
\href{https://oliverlabs.net}{Oliver Labs}, der 2005 an der Universität Mainz
zum Thema ``Flächen mit vielen singulären Punkten'' promovierte, hat einen
\href{https://www.oliverlabs.net/data/AlgSurfManySings_German.pdf}{lesenswerten,
reich bebilderten Artikel für ein breites mathematisches Publikum}
geschrieben, den ich Ihnen empfehlen kann. Mit dem Programm
\href{https://imaginary.org/program/surfer}{Surfer} können Sie viele der
``Weltrekordflächen'' aus Labs' Artikel interaktiv in 3D zeichnen, animieren und
mit den Gleichungen spielen. Abbildung~\ref{fig:barth} ist ein Screenshot
dieses Programms.
%%% Local Variables:
%%% mode: latex
%%% TeX-master: "21-KA"
%%% End: