KommutativeAlgebra/05.tex

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2023-03-30 10:13:25 +02:00
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\selectlanguage{german}
\chapter{Der Nullstellensatz und die Korrespondenzen $V$ und $I$}
In diesem Kapitel soll der Hilbertsche Nullstellensatz in seiner ``starken''
Form bewiesen werden; als Konsequenz daraus erhalten wir die ersten
Korrespondenzen zwischen geometrischen Räumen und gewissen algebraischen
Objekten.
\section{Die körpertheoretische Version des Nullstellensatzes}
Wir beginnen mit einer Version des Nullstellensatzes, die scheinbar noch gar
nichts über Geometrie sagt, sondern lediglich ein weiteres Kriterium dafür gibt,
dass gewisse Körpererweiterungen algebraisch sind. Bleiben Sie dabei und legen
Sie nicht auf! Die geometrische Bedeutung des Satzes wird sofort im nächsten
Abschnitten klar werden.
\begin{satz}[Körpertheoretische Version des Hilbertschen Nullstellensatzes]\label{satz:kthn}
Es sei $E/K$ eine Körpererweiterung, die als Ringerweiterung von endlichem Typ
ist. Dann ist $E/K$ algebraisch.
\end{satz}
\begin{proof}
\video{4-3}
\end{proof}
\begin{bemerkung}
Die körpertheoretische Version des Hilbertschen Nullstellensatzes zeigt unter
anderem, dass man $K(X)$ nicht aus $K[X]$ erhalten kann, indem man endlich
viele Elemente per Ringadjunktion zu $K[X]$ hinzufügt denn sonst wäre $K(X)$
von endlichem Typ über $K$.
\end{bemerkung}
\section{Die schwache Version des Nullstellensatzes}
\sideremark{Vorlesung 5}Mithilfe des körpertheoretischen Nullstellensatzes
können wir jetzt sofort den schwachen Nullstellensatz beweisen. Später kommt
auch noch ein starker Nullstellensatz. Der folgende Satz unterscheidet sich von
der Vorabversion, die wir auf Seite~\vpageref{satz:shn} formuliert hatten, durch
die Diskussion des algebraischen Abschlusses.
\begin{satz}[Schwacher Hilbertscher Nullstellensatz]\label{satz:weak_Nullstelle}
Es sei $k$ ein Körper und es seien Polynome $f_1, …, f_n ∈ k[x_1, …, x_m]$
gegeben. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent.
\begin{enumerate}
\item\label{il:5-2-1-1} Das Gleichungssystem $f_1 == f_n = 0$ hat eine
Lösung in $\overline{k}^m$.
\item\label{il:5-2-1-2} Es ist $1 \notin (f_1, …, f_n) ⊆ k[x_1, …, x_m]$.
\end{enumerate}
\end{satz}
\begin{bemerkung}
Bedingung~\ref{il:5-2-1-1} spricht über Lösungen im algebraischen Abschluss.
Im Gegensatz dazu ist in Bedingung~\ref{il:5-2-1-2} mit $(f_1, …, f_n)$ das
Ideal in $k[x_1, …, x_m]$ gemeint, und nicht etwa in das Ideal in
$\overline{k}[x_1, …, x_m]$. Erstaunliche Erkenntnis: Wir können durch
algebraische Überlegungen in $k$ entscheiden, ob es eine Lösung über
$\overline{k}$ gibt.
\end{bemerkung}
\begin{bemerkung}
Für $k = \overline{k} = $ kann man den Nullstellensatz als eine weitreichende
Verallgemeinerung des Fundamentalsatzes der Algebra sehen. Dieser besagt,
dass ein nicht-konstantes Polynom $f ∈ [x]$ stets eine Nullstelle in $$ hat.
\end{bemerkung}
\begin{bemerkung}
Wenn man $\overline{k}$ durch $k$ ersetzt, ist der Satz falsch. Ein Beispiel
dafür ist $k = $ und $f_1 :=+ 1[x]$. Das Polynom $f_1$ ist im Ring
$[x]$ irreduzibel, sodass es $1 \notin (f_1)$ ist. Dennoch hat das Polynom
in $$ keine Nullstellen.
\end{bemerkung}
\begin{bemerkung}
Der Nullstellensatz ist der Grund, warum man polynomiale Gleichungssysteme
immer zunächst im Fall algebraisch abgeschlossener Körper studiert: dort ist
diese Situation besonders einfach.
\end{bemerkung}
\begin{proof}[Beweis, Richtung \ref{il:5-2-1-1}$$\ref{il:5-2-1-2}]
Den Beweis hatten wir eigentlich schon in Bemerkung~\vref{beob:2-4-2} geführt.
Wir führen einen Widerspruchsbeweis und nehmen an, dass es eine Lösung
$\vec{x}\overline{k}^m$ und dass $1(f_1, …, f_n)$ sei. Dann gibt es
$a_• ∈ k[x_1, …, x_m]$ und eine Linearkombination
\[
1 = a_1·f_1 + ⋯ + a_n·f_n.
\]
Demnach müsste im Körper $\overline{k}$ die folgende Gleichung gelten und wir
erhalten einen Widerspruch,
\[
1 = a_1(\vec{x})·f_1(\vec{x}) + ⋯ a_n(\vec{x})·f_n(\vec{x}) = 0. \qedhere
\]
\end{proof}
\begin{proof}[Beweis, Richtung \ref{il:5-2-1-2}$$\ref{il:5-2-1-1}]
Das ist jetzt die interessante Richtung. Die Annahme~\ref{il:5-2-1-2} zeigt,
dass das Ideal $(f_1, …, f_m)$ nicht der ganze Ring $k[x_1, …, x_n]$ ist.
Deshalb können wir ein maximales Ideal wählen, das zwischen unserem Ideal und
dem gesamten Ring liegt,
\[
(f_1, …, f_m) ⊆ m ⊊ k[x_1, …, x_n].
\]
Aus der Vorlesung ``Algebra'' wissen wir, dass der Quotient
$E := k[x_1, …, x_n]/m$ ein Körper ist. Außerdem ist $E$ als $A$-Algebra
durch die Restklassen $[x_1], …, [x_n] ∈ E$ erzeugt. Nach der
körpertheoretischen Version des Hilbertschen Nullstellensatzes,
Satz~\vref{satz:kthn} ist die Körpererweiterung $E/K$ also algebraisch, und es
gibt eine Einbettung
\[
φ: E ↪ \overline{k}.
\]
Jetzt betrachte den Vektor
\[
\vec{a} :=
\begin{pmatrix}
φ\bigl( [x_1] \bigr) \\
\vdots \\
φ\bigl( [x_n] \bigr)
\end{pmatrix}
\overline{k}^m.
\]
Dann ist tautologischerweise: $f_1(\vec{a}) == f_m(\vec{a}) = 0$, denn es
gilt für jeden Index $k$ die Gleichung
\[
f_k(\vec{a}) = f_k \Bigl\bigl([x_1]\bigr), …, φ\bigl([x_n]\bigr) \Bigr) =
φ\Bigl(f_k\bigl([x_1], …, [x_n]\bigr)\Bigr) = φ\bigl([f_k]\bigr),
\]
aber es ist ja $[f_k] = 0$ im Quotienten $E := \factor{k[x_1, …, x_m]}{m}$,
denn nach Wahl des maximalen Ideals ist $f_k ∈ (f_1, …, f_m) ⊆ m$.
\end{proof}
Als erste Konsequenz des schwachen Nullstellensatzes erhalten eine völlig
geometrische Beschreibung der maximalen Ideale eines Polynomrings falls der
zugrunde liegende Körper algebraisch abgeschlossen ist!
\begin{kor}[Maximale Ideale im Polynomring]\label{cor:5-2-6}
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien
$f_1, …, f_m ∈ k[x_1, …, x_n]$. Dann gilt Folgendes.
\begin{enumerate}
\item Es gilt genau dann $V(f_1, …, f_m) ≠ ∅$, wenn $1 \notin (f_1, …, f_m)$
ist.
\item Für jedes maximale Ideal $m ⊊ k[x_1, …, x_n]$ gibt es Elemente
$a_1, …, a_n ∈ k$, sodass die folgende Gleichheit gilt,
\[
m = (x_1-a_1, …, x_n-a_n).
\]
\item Es gibt eine Bijektion zwischen den maximalen Idealen von
$k[x_1, …, x_n]$ und den Punkten in $k^n$.
\end{enumerate}
\end{kor}
\begin{proof}
\video{5-1}
\end{proof}
\begin{bemerkung}[Lösungsmengen von Gleichungssystemen]\label{bem:and}
Weil man polynomiale Gleichungssysteme sowieso immer erst einmal über dem
algebraischen Abschluss eines Körpers zu studiert, verwenden manche Autoren
folgende Konvention, die ein wenig von unserer Notation für algebraische
Mengen, Notation~\vref{not:2-1-3} abweicht. Gegeben ein Körper $k$ mit
algebraischem Abschluss $\overline{K}$ und gegeben Polynome
$f_1, …, f_n ∈ k[x_1, …, x_m]$, dann bezeichnen manche Autoren die Menge der
Lösungen des polynomiale Gleichungssysteme \emph{über dem algebraischem
Abschluss} mit
\[
X := V(f_1, …, f_n) := \left\{ \vec{a}\overline{k}^m \::\: f_1(\vec{a}) =
⋯ = f_n(\vec{a}) = 0 \right\}
\]
und nenne dies die \emph{Verschwindungsmenge von $f_1, …, f_m$} oder die
\emph{Lösungsmenge des Gleichungssystems $f_1(x) == f_m(x) = 0$}. Die
Menge der Lösungen in $k^n$ wird dann mit $X(k) := X ∩ k^n$ bezeichnet und als
\emph{Menge der $k$-rationalen Punkte von $X$}\index{rationale Punkte}
bezeichnet. In diesem Zusammenhang nennt man $k$ auch den
\emph{Koeffizientenkörper}\index{Koeffizientenkörper} oder den
\emph{Definitionskörper}\index{Definitionskörper} von $X$.
\end{bemerkung}
Ich werde die mögliche Verwirrung bezüglich der verschiedenen Definitionen von
$V(f_1, …, f_n)$ nach Möglichkeit vermeiden, indem ich im Folgenden meist über
algebraisch abgeschlossenen Körpern arbeite. Mit Sprachregelung aus
Bemerkung~\ref{bem:and} lässt sich Fermat's großer Satz sehr elegant wie folgt
formulieren.
\begin{satz}[Fermat's großer Satz]
Es sei $n ∈ $ eine ungerade Zahl, $n ≥ 3$. Dann hat die Lösungsmenge $X$ des
Gleichungssystems $x^n+y^n - 1[x,y]$ nur zwei rationale Punkte, also
$\# X() = 2$. \qed
\end{satz}
\section{Die Verschwindungsmenge eines Ideals}
Der Hilbertsche Nullstellensatz legt nahe, dass es bei einem algebraischen
Gleichungssystems
\[
f_1( \vec{x} ) = ⋯ = f_n( \vec{x} ) = 0
\]
gar nicht so sehr auf die einzelnen Gleichungen ankommt, sondern vielmehr auf
das von den einzelnen Gleichungen erzeugte Ideal, $(f_1, …, f_n)$.
\begin{defn}[Verschwindungsmenge eines Ideals]\label{def:5-3-1}
Es sei $k$ ein Körper und es sei $I ⊆ k[x_1, …, x_m]$ ein Ideal. Dann heißt
\[
V(I) := \left\{ \vec{a} ∈ k^m \::\: f(\vec{a}) = 0 \text{ für alle } f ∈ I
\right\}
\]
die \emph{Verschwindungsmenge}\index{Verschwindungsmenge} des Ideals $I$.
\end{defn}
Die Mengen $V(I)$ sind nicht beliebig. Ich erinnere dazu an den Hilbert'schen
Basissatz: Der Polynomring $k[x_1, …, x_m]$ aus Definition~\ref{def:5-3-1} ist
Noethersch und jedes Ideal ist daher endlich erzeugt. Das bedeutet: gegeben ein
Ideal $I$, dann wir finden eine Menge von endlich vielen Elementen
$f_1, …, f_m ∈ k[x_1, …, x_m]$, sodass $I = (f_1, …, f_m)$ ist. Überlegen Sie
sich jetzt \emph{sofort}, dass dann die Gleichheit
\[
V(I) = V(f_1, …, f_m)
\]
gilt. Es folgt insbesondere, dass die Menge $V(I)$, die ja a priori erst einmal
als gemeinsame Nullstellenmenge der \emph{unendliche vielen} Gleichungen aus $I$
definiert wurde, bereits durch \emph{endlich viele} Gleichungen beschrieben
werden kann. Insbesondere $V(I)$ eine algebraische Menge im Sinne von
Definition~\vref{def:2-1-1}. Wir erhalten also eine Abbildung
\[
V: \left\{ \: \text{Ideale in } k[x_1, …, x_n] \: \right\} \rightarrow \left\{
\: \text{algebraische Mengen in } k^m \: \right\}, \quad I ↦ V(I)
\]
die uns noch viel Freude bereiten wird. Der folgende Satz fasst die ersten
Eigenschaften der Abbildung $V$ zusammen.
\begin{satz}[Einfache Eigenschaften von $V$]\label{satz:5-3-2}
Es sei $k$ ein Körper und $R := k[x_1, …, x_n]$. Dann gelten die folgenden
Aussagen.
\begin{enumerate}
\item Es ist $V\bigl( (0) \bigr) = k^n$ und $V\bigl( (1) \bigr) =$.
\item Gegeben Ideale $I ⊆ J$ in $R$, dann ist $V(I) ⊇ V(J)$.
\item Gegeben Ideale $I_1$ und $I_2$ in $R$, dann ist
$V(I_1 ∩ I_2) = V(I_1· I_2) = V(I_1) V(I_2)$.
\item Gegeben Ideale $(I_λ)_{λ ∈ Λ}$ in $R$, dann ist
\[
V \Bigl(\sum_{λ ∈ Λ} I_{λ} \Bigr) = \bigcap_{λ ∈ Λ} V(I_{λ}).
\]
\end{enumerate}
\end{satz}
\begin{proof}
\video{5-2}
\end{proof}
\section{Die Zariski-Topologie}
\label{sec:5-4}
Satz~\vref{satz:5-3-2} ist leicht zu beweisen, hat aber eine frappante
Konsequenz: die algebraischen Mengen von $k^n$ genügen den Axiomen für
abgeschlossene Mengen eines topologischen Raumes. Egal wie schrecklich der
Körper $k$ ist, erhalten wir also eine Topologie auf $k^m$, deren
abgeschlossenen Menge genau die algebraischen Mengen sind. Diese Topologie wird
Zariski\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Oscar_Zariski}{Oscar
Zariski}, geboren als Ascher Zaritsky, (* 24. April 1899, in Kobryn,
Weißrussland; † 4. Juli 1986 in Brookline, Massachusetts, USA) war ein
US-amerikanischer Mathematiker, der wichtige Beiträge zur Grundlegung der
algebraischen Geometrie leistete.}-Topologie genannt.
\begin{defn}[Zariski-Topologie]
Es sei $k$ ein Körper. Die Topologie
\[
τ := \left\{ M ⊆ k^m \::\: k^m M \text{ ist algebraisch}\: \right\}
\mathcal{P}(k^m)
\]
wird als \emph{Zariski-Topologie}\index{Zariski-Topologie} bezeichnet. Der
topologische Raum $(k^m, τ)$ wird mit dem Symbol $𝔸^m_k$ notiert. Wenn
$X ⊂ k^m$ eine algebraische Teilmenge ist, bezeichnen wir die auf $X$
induzierte Topologie ebenfalls als Zariski-Topologie.
\end{defn}
\begin{notation}
Im Fall $k = $ oder $$ haben wir also mindestens zwei interessante
Topologien: die klassische Euklidische Topologie, die Sie aus der Vorlesung
``Analysis'' kennen und die Zariski-Topologie. Um Verwechselungen zu
vermeiden, sprechen wir meist ausführlich von \emph{Zariski-abgeschlossenen}
und \emph{Zariski-offenen} oder \emph{Euklidisch-abgeschlossenen} und
\emph{Euklidisch-offenen} Mengen.
\end{notation}
\begin{bemerkung}[Interessante Eigenschaften der Zariski-Topologie]\label{bem:5-3-5}
Die Zariski-Topologie hat einige sehr ungewohnte Eigenschaften.
\begin{itemize}
\item Wenn der Körper $k$ unendlich viele Elemente enthält, dann liegt jede
nicht-leere Zariski-offene Menge dicht in $𝔸^n_K$.
\item Es gilt im Allgemeinen nicht, dass je zwei Punkte im $𝔸^n_k$ disjunkte
offene Mengen besitzen. Die Zariski-Topologie ist also nicht Hausdorffsch.
\end{itemize}
\end{bemerkung}
\begin{aufgabe}
Der einfachste Raum ist vermutlich die affine Gerade $𝔸¹_$. Überlegen Sie
sich, was die Zariski-abgeschlossenen Mengen von $𝔸¹_$ sind und stellen Sie
fest, dass beide Punkte aus Bemerkung~\ref{bem:5-3-5} bereits für diesen Raum
zutreffen!
\end{aufgabe}
\begin{bemerkung}[Zariski-Topologie und Euklidische Topologie]
Im Fall $k = $ oder $k = $ sind Zariski-offene Mengen von $^n$ oder $^n$
auch offen bezüglich der Euklidischen Topologie. Das liegt daran, dass
Polynome stetige Funktionen sind. In diesen Fällen sind Zariski-offene Mengen
auch bezüglich der Euklidischen Topologie dicht.
\end{bemerkung}
\section{Das Ideal einer Menge}
Im letzten Abschnitt hatten wir einem Ideal eine algebraische Menge zugeordnet.
Jetzt betrachten wir die andere Richtung und weisen einer Menge ein Ideal zu.
\begin{defn}[Ideal einer Menge]\label{def:5-4-1}
Es sei $k$ ein Körper und es sei $A ⊆ 𝔸^m_k$ eine Teilmenge, die nicht
unbedingt algebraisch sein muss. Wir beobachten, dass
\[
I(A) = \bigl\{ f ∈ k[x_1, …, x_n] \::\: f(\vec{a}) = 0 \text{ für alle } a ∈
A \bigr\}
\]
ein Ideal im Ring $k[x_1, …, x_n]$ und nennen $I(A)$ das
\emph{Verschwindungsideal der Menge $A$}\index{Verschwindungsideal} oder das
\emph{Ideal der auf $A$ verschwindenden Polynome}\index{Ideal einer Menge}.
\end{defn}
Definition~\ref{def:5-4-1} liefert uns eine Abbildung
\[
I: \left\{ \: \text{Mengen in } k^m \: \right\} \rightarrow \left\{ \:
\text{Ideale in } k[x_1, …, x_m] \: \right\} , \quad A ↦ I(A)
\]
die uns noch viel Freude bereiten wird. Der folgende Satz fasst die ersten
Eigenschaften dieser Abbildung zusammen.
\begin{satz}[Einfache Eigenschaften von $I$]\label{satz:5-4-2}
Es sei $k$ ein Körper und es seien $A, B ⊆ 𝔸^m_k$ zwei Teilmengen. Dann gilt
Folgendes.
\begin{enumerate}
\item Aus $A ⊆ B$ folgt $I(A) ⊇ I(B)$.
\item\label{il:5-4-2-2} Es ist $A ⊆ V\bigl(I(A)\bigr)$. Gleichheit gilt genau dann, wenn
$A$ eine algebraische Menge ist.
\item Es ist $I(A B) = I(A) ∩ I(B)$.
\end{enumerate}
\end{satz}
\begin{proof}
\video{5-3}
\end{proof}
\begin{aufgabe}
Überlegen Sie sich, dass man Punkt~\ref{il:5-4-2-2} von Satz~\ref{satz:5-4-2}
auch sehr elegant auf folgende Weise ausdrücken kann: Die Menge
$V\bigl(I(A)\bigr)$ ist der topologische Abschluss von $A$ bezüglich der
Zariski-Topologie. Knapp gesagt:
\[
V\bigl(I(A)\bigr) = \overline{A}^Z,
\]
wobei $\overline{}^Z$ für ``topologischer Abschluss in der
Zariski-Topologie'' steht.
\end{aufgabe}
\section{Der starke Nullstellensatz}
\sideremark{Vorlesung 6}Gegeben einen Körper $k$ und eine Zahl $n$, dann hatten
wir in den letzten Abschnitten die folgenden Abbildungen definiert,
\begin{align*}
V: \left\{ \: \text{Ideale in } k[x_1, …, x_n] \: \right\} & \rightarrow \left\{ \: \text{algebraische Mengen in } k^n \: \right\}, & I & ↦ V(I) \\
I: \left\{ \: \text{Mengen in } k^n \: \right\} & \rightarrow \left\{ \: \text{Ideale in } k[x_1, …, x_m] \: \right\} & A & ↦ I(A),
\end{align*}
die uns beide sehr viel Freude machen. Es schaut ein wenig so aus, als wären
die Abbildungen $V$ und $I$ zueinander inverse Bijektionen. Das ist aus
mindestens zwei Gründen nicht der Fall.
\begin{beobachtung}\label{beo:5-6-1}
Die Bilder der Abbildung $V$ sind algebraische Mengen, während die Abbildung
$I$ beliebige Mengen als Input nimmt.
\end{beobachtung}
\begin{beobachtung}\label{beo:5-6-2}
Die Abbildung $I$ ist nicht injektiv. Nehme zum Beispiel $k = $ und
betrachte das Ideal $I = (x)[x]$. Dann ist $= ()(x) = I$, aber
$V() = V(I)$ ist jeweils einfach der Nullpunkt in $$. Beobachten Sie, dass
derselbe Trick mit so ziemlichen jedem Ideal in so ziemlich jedem Polynomring
funktioniert.
\end{beobachtung}
Das Problem aus Beobachtung~\ref{beo:5-6-1} lässt sich leicht beheben, indem man
die Abbildung $I$ einfach auf die algebraischen Mengen einschränkt. Das Problem
aus Beobachtung~\ref{beo:5-6-1} ist interessanter. Ist alle Hoffnung auf
Bijektivität verloren? Wahrscheinlich nicht. Schauen Sie sich die Definition
der Abbildung $I$ noch einmal an und beobachten Sie, dass das Ideal $()$
niemals Output von $I$ ist! Offenbar liefert die Abbildung $I$ also Output nur
solche Ideal, die ``nicht Potenz eines größeren Ideals'' sind. Die folgende
Definition macht diese Aussage präzise.
\begin{satzdef}
Es sei $R$ ein Ring und es sei $J ⊆ R$ ein Ideal. Dann ist die Menge
\[
\rad J := \left\{ f ∈ R \::\: ∃ n ∈ : f^n ∈ J \right\}
\]
wieder ein Ideal in $R$, genannt \emph{Radikalideal von
$J$}\index{Radikalideal}.
\end{satzdef}
\begin{proof}
\video{6-1}
\end{proof}
\begin{notation}
Es sei $R$ ein Ring und es sei $J ⊆ R$ ein Ideal. Das Radikalideal von $J$
wird in der Literatur statt mit $\rad J$ oft suggestiv mit $\sqrt{J}$
bezeichnet. Falls die Gleichheit $J = \rad J$ gilt, so nennt man $J$ ein
\emph{Radikalideal des Ringes $R$}\index{Radikalideal}.
\end{notation}
\begin{bemerkung}
Es sei $R$ ein Ring und es sei $J ⊆ R$ ein Ideal. Aus der Definition des
Radikalideals ergibt sich schnell: $\rad \rad J = \rad J$. Mehrfaches
``Wurzelziehen'' bringt also nichts; das hätten Ihnen ihr Zahnarzt auch sagen
können. Die Idee, Radikale bei der Wurzel zu ziehen, war 1972 Gegenstand des
\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Radikalenerlass}{Radikalenerlasses}.
\end{bemerkung}
\begin{bsp}[Primideale sind radikal]
Es sei $R$ ein Ring und es sei $J ⊆ R$ ein Primideal. Dann ist $J$ ein
Radikalideal. Falls nämlich $f ∈ R$ ein Element wäre, sodass $f² ∈ J$ ist,
dann gilt nach Definition von ``Primideal'', dass auch $f ∈ J$ sein muss.
Induktiv beweise man nun, dass für jede natürliche Zahl $n$ und jedes Element
$f ∈ R$ aus $f^n ∈ J$ immer sofort $f ∈ J$ folgt.
\end{bsp}
\begin{bsp}[Maximale Ideale sind radikal]
Es sei $R$ ein Ring und es sei $J ⊊ R$ ein maximales Primideal. Dann ist $J$
ein Radikalideal, denn mit $1 \notin J$ folgt auch $1 \notin \rad J$, und wir
haben Inklusionen
\[
J ⊆ \rad J ⊊ R.
\]
Wegen der Maximalitätsannahme muss die erste Inklusion aber eine Gleichheit
sein.
\end{bsp}
Erhalten wir jetzt also eine Bijektion, wenn wir zusätzlich noch die Abbildung
$V$ aus Radikalideale einschränken? Falls $k$ algebraisch abgeschlossenen, gibt
der starke Hilbertsche Nullstellensatz eine positive Antwort.
\begin{satz}[Starker Hilbertscher Nullstellensatz]\label{satz:5-6-8}
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es sei
$J ⊆ k[x_1, …, x_n]$ ein Ideal. Dann ist
\[
I\bigl(V(J) \bigr) = \rad J.
\]
Falls $J$ ein Radikalideal ist, gilt insbesondere die Gleichung
$V\bigl(I(J)\bigr) = J$.
\end{satz}
\begin{proof}
\video{6-2} zeigt den Beweis mithilfe des genialen
\href{https://en.wikipedia.org/wiki/Rabinowitsch_trick}{Tricks von
Rabinowitsch}\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/George_Rainich}{George
Yuri Rainich} (* als Georg oder Juri Rabinowitsch 25. März 1886 in Odessa;
† 10. Oktober 1968 in Ann Arbor) war ein russisch-US-amerikanischer
Mathematiker und theoretischer Physiker. Er veröffentlichte vor seiner Zeit
in den USA unter dem Namen Rabinowitsch.}.
\end{proof}
Ich fasse das Ergebnis dieses Kapitels noch einmal zusammen: Angenommen, es sei
$k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es sei $n ∈ $ eine Zahl. Dann
liefern die Abbildungen $V$ und $I$ zueinander inverse Bijektionen zwischen
algebraischen und geometrischen Objekten:
\begin{align*}
V: \left\{ \: \text{Radikalideale in } k[x_1, …, x_n] \: \right\} & \rightarrow \left\{ \: \text{algebraische Mengen in } k^n \: \right\}, & I & ↦ V(I) \\
I: \left\{ \: \text{algebraische Mengen in } k^n \: \right\} & \rightarrow \left\{ \: \text{Radikalideale in } k[x_1, …, x_n] \: \right\} & A & ↦ I(A).
\end{align*}
\begin{aufgabe}
Rechnen Sie dies noch einmal im Detail nach!
\end{aufgabe}
%%% Local Variables:
%%% mode: latex
%%% TeX-master: "21-KA"
%%% End: