379 lines
18 KiB
TeX
379 lines
18 KiB
TeX
% spell checker language
|
||
\selectlanguage{german}
|
||
|
||
\chapter{Schnittzahlen von Kurven im $ℙ²$}
|
||
|
||
\sideremark{Vorlesung 21}Wie im Abschnitt~\ref{sec:14-1} angekündigt, möchte ich
|
||
jetzt zeigen, dass sich in der projektiven Ebene $ℙ²$ zwei Kurven vom Grad $d_1$
|
||
und $d_2$ immer in genau $d_1·d_2$ vielen Punkten schneiden, wenn die Kurven
|
||
nicht zufällig gleich sind oder zumindest eine gemeinsame Komponente haben. Dazu
|
||
muss ich aber vielleicht erst noch sagen, was eine projektive Kurve genau ist.
|
||
Die folgende Definition haben Sie ganz analog schon einmal auf
|
||
Seite~\ref{def:eak} gesehen.
|
||
|
||
\begin{defn}[Ebene projektive Kurve]\label{def:epk}%
|
||
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper. Eine \emph{ebene
|
||
projektive Kurve über $k$}\index{ebene projektive Kurve} ist eine
|
||
Äquivalenzklasse von homogenen Polynomen in $k[x,y,z] ∖ \{ 0 \}$, wobei zwei
|
||
Polynome $F$ und $G$ äquivalent sind, wenn ein $λ ∈ k^*$ existiert, sodass $F
|
||
= λ·G$ ist.
|
||
\end{defn}
|
||
|
||
\begin{bsp}
|
||
Die Konik aus Beispiel~\vref{bsp:konik} ist eine ebene projektive Kurven. Wenn
|
||
Ihnen Beispiel~\vref{bsp:ellipti} gefallen hat, dann möchten Sie vielleicht
|
||
auch die elliptische Kurve $y²z - x³ + 6·xz² - 6·z³$ betrachten.
|
||
\end{bsp}
|
||
|
||
\begin{bsp}\label{bsp:17-0-3}%
|
||
Gegeben eine ebene projektive Kurve, repräsentiert durch ein Polynom $F$, und
|
||
eine Projektivität $φ$, gegeben durch eine bijektive lineare Abbildung $A :
|
||
k^{n+1} → k^{n+1}$. Dann ist $F◦ A$ wieder ein homogenes Polynom und liefert
|
||
deshalb wieder eine ebene projektive Kurve. Die Kurve hängt nicht von der
|
||
Wahl des Polynom $F$ und der Wahl der Matrix $A$ ab und es gilt
|
||
\[
|
||
V_ℙ(F) = φ^{-1}\left( V_ℙ(F◦ A) \right).
|
||
\]
|
||
Die so erhaltene Kurve wird suggestiv mit $F◦φ$ bezeichnet.
|
||
\end{bsp}
|
||
|
||
Der nächste Schritt ist nun, für projektive Kurven einen sinnvollen Begriff von
|
||
„Schnittzahl“ einzuführen, der sich am besten nicht völlig von den Schnittzahlen
|
||
unterscheidet, die wir für affine Kurven schon definiert haben. Wenn Sie sich an
|
||
den Beweis von Satz~\ref{satz:EES} erinnern, dann wissen Sie, dass lokale Ringe
|
||
eine zentrale Rolle spielen. Also müssen wir zunächst auch für projektive
|
||
Kurven einen Begriff von „lokalen Ring“ einführen. Auf geht's.
|
||
|
||
|
||
\section{Rationale Funktionen und lokale Ringe}
|
||
|
||
Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem affinen und dem projektiven Raum:
|
||
während jedes Polynom $f ∈ k[x_1, …, x_n]$ als Funktion $f: 𝔸^n_k → k$
|
||
aufgefasst werden kann, liefern Polynome $g ∈ k[x_0, …, x_n]$ praktisch
|
||
niemals\footnote{Praktisch niemals = niemals, es sei denn, das Polynom $g$ ist
|
||
konstant} wohldefinierte Funktionen auf dem $ℙ^n_k$. Dies gilt auch dann, wenn
|
||
das Polynom $g$ zufällig homogen sein sollte. Immerhin können wir rationale
|
||
Funktionen konstruieren.
|
||
|
||
\begin{beobachtung}\label{beob:17-1-1}%
|
||
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $f$ und $g ∈
|
||
k[x_0, …, x_n]$ zwei homogene Polynome vom selben Grad, $d = \deg f = \deg g$.
|
||
Falls $\vec{x} ∈ k^{n+1} ∖ \{ \vec{0} \}$ ein Punkt ist mit $g(\vec{x}) ≠ 0$,
|
||
dann gilt für jedes Element $λ ∈ k^*$ die Gleichung
|
||
\[
|
||
\frac{f(λ·\vec{x})}{g(λ·\vec{x})} = \frac{λ^d·f(\vec{x})}{λ^d·g(\vec{x})} =
|
||
\frac{f(\vec{x})}{g(\vec{x})}.
|
||
\]
|
||
Der Quotient $f/g$ liefert also eine Funktion auf $ℙ^n_k$, die zumindest
|
||
außerhalb der algebraischen Menge $V_ℙ(g)$ wohldefiniert ist.
|
||
\end{beobachtung}
|
||
|
||
Die Funktion $f/g$ aus Beobachtung~\ref{beob:17-1-1} könnte auch an einigen
|
||
Punkten von $V_ℙ(g)$ sinnvoll definierbar sein, betrachte etwa den Fall $f =
|
||
x·y$ und $g = x·z$. Die korrekte Definition von „rationaler Funktion“ und
|
||
„Definitionsbereich“ ist daher ein wenig aufwändiger als es zunächst scheint.
|
||
|
||
\begin{defn}[Rationale Funktionen auf dem projektiven Raum]
|
||
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $f_1, f_2 ∈
|
||
k[x_0, …, x_n]$ und $g_1, g_2 ∈ k[x_0, …, x_n] ∖ \{0\}$ homogene Polynome mit
|
||
$\deg f_1 = \deg g_1$ und $\deg f_2 = \deg g_2$. Ich nenne die Brüche
|
||
$\frac{f_1}{g_1}$ und $\frac{f_2}{g_2}$ äquivalent, falls für alle Punkte $p$
|
||
der Zariski-offenen Menge $ℙ^n_k ∖ \bigl(V_ℙ(g_1) ∪ V_ℙ(g_2)\bigr)$ die
|
||
Gleichheit
|
||
\[
|
||
\frac{f_1}{g_1}(p) = \frac{f_2}{g_2}(p)
|
||
\]
|
||
gilt. Eine rationale Funktion auf dem $ℙ^n_k$ ist eine Äquivalenzklasse von
|
||
Brüchen.
|
||
\end{defn}
|
||
|
||
\begin{defn}[Definitionsbereich von rationalen Funktionen]\label{def:17-1-3} Es
|
||
sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper, es sei $p ∈ ℙ^n_k$ ein Punkt
|
||
und es sei $η$ eine rationale Funktion auf dem $ℙ^n_k$. Falls es einen
|
||
Vertreter $η = [\frac{f}{g}]$ gibt, sodass $p \not ∈ V_ℙ(g)$ liegt, so sagt
|
||
man, die rationale Funktion $η$ ist bei $p$ definiert. Der Menge der
|
||
rationalen Funktionen, die bei $p$ definiert sind, wird mit $𝒪_p(ℙ^n_k)$
|
||
bezeichnet.
|
||
\end{defn}
|
||
|
||
\begin{bemerkung}
|
||
In der Situation aus Definition~\ref{def:17-1-3} sind Summen und Produkte von
|
||
rationalen Funktionen, die bei $p$ definiert sind, ebenfalls bei $p$
|
||
definiert. Die Menge $𝒪_p(ℙ^n_k)$ ist daher ein Ring, sogar eine
|
||
$k$-Algebra.
|
||
\end{bemerkung}
|
||
|
||
\begin{konstruktion}[Vergleich von lokalen Ringen]\label{kons:17-1-5}%
|
||
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper, und es sei $φ_n : 𝔸^n_k →
|
||
ℙ^n_k$ die $n$.te Standardkarte. Gegeben sei ein Punkt $a ∈ 𝔸^n_k$ mit
|
||
zugehörigem Bildpunkt $p := φ_n(a)$. Rechnen Sie als Übungsaufgabe in
|
||
„Homogenisierung und Dehomogenisierung“ nach, dass die Abbildungen
|
||
\[
|
||
\begin{matrix}
|
||
A: 𝒪_p(ℙ^n_k) & → & 𝒪_q(𝔸^n_k), & \quad & \left[ \frac{f}{g} \right] & ↦ & \frac{f_*}{g_*} \\
|
||
B: 𝒪_q(𝔸^n_k) & → & 𝒪_p(ℙ^n_k), & \quad & \frac{f}{g} & ↦ & \frac{x_n^{\deg g^*}·f^*}{x_n^{\deg f^*}·g^*}
|
||
\end{matrix}
|
||
\]
|
||
wohldefinierte, zueinander inverse Morphismen von $k$-Algebren sind. Die
|
||
Ringe $𝒪_p(ℙ^n_k)$ und $𝒪_q(𝔸^n_k)$ sind also in natürlicherweise
|
||
zueinander isomorphe $k$-Algebren. Insbesondere handelt es sich bei
|
||
$𝒪_p(ℙ^n_k)$ um einen lokalen Ring.
|
||
\end{konstruktion}
|
||
|
||
\begin{bemerkung}
|
||
Konstruktion~\ref{kons:17-1-5} funktioniert natürlich nicht nur für die Karte
|
||
$φ_n$, sondern ganz analog für jede der Karten $φ_0, …, φ_n$.
|
||
\end{bemerkung}
|
||
|
||
|
||
\section{Schnittzahlen von projektiven Kurven}
|
||
|
||
Um im Schnittzahlen von ebenen projektiven Kurven zu definieren, verwenden wir
|
||
die Formel, die sich beim Beweis von Satz~\ref{satz:EES} ergeben hat. Dazu muss
|
||
ich aber erst noch klarstellen, welche Ideale im lokalen Ring ich genau
|
||
betrachten möchte.
|
||
|
||
\begin{beobachtung}[Ideale im lokalen Ring]\label{beob:17-2-1}%
|
||
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $F$ und $G ∈
|
||
k[x, y, z]$ zwei ebene projektive Kurven. Weiter sei $p=[p_1:p_2:p_3] ∈ ℙ²$
|
||
ein Punkt. Dann gibt es mindestens einen Index $i$, sodass $p_i ≠ 0$ ist.
|
||
Gegeben einen solchen Index $i$, betrachten wir die rationalen Funktionen
|
||
$\frac{F}{x_i^{\deg F}}$ und $\frac{G}{x_i^{\deg G}} ∈ 𝒪_p(ℙ²)$, sowie das
|
||
davon erzeugte Ideal
|
||
\[
|
||
I_{F,G,p} := \left( \frac{F}{x_i^{\deg F}}, \frac{G}{x_i^{\deg G}} \right) ⊂
|
||
𝒪_p(ℙ²).
|
||
\]
|
||
Wir fragen uns natürlich, inwieweit das Ideal $I_{F,G,p}$ von der Wahl des
|
||
Index $i$ abhängt. Die Antwort ist: gar nicht. Ist nämlich $j$ ein weiterer
|
||
Index mit $p_j ≠ 0$, dann gilt im lokalen Ring $𝒪_p(ℙ²)$ die Gleichung
|
||
\[
|
||
\frac{F}{x_j^{\deg F}} = \frac{F}{x_i^{\deg F}} ·
|
||
\underbrace{\frac{x_i^{\deg F}}{x_j^{\deg F}}}_{\mathclap{\text{Einheit in
|
||
}𝒪_p(ℙ²)}} ∈ 𝒪_p(ℙ²).
|
||
\]
|
||
Also sind die von diesen Elementen erzeugten Ideale gleich,
|
||
\[
|
||
\left( \frac{F}{x_i^{\deg F}}, \frac{G}{x_i^{\deg G }} \right) = \left(
|
||
\frac{F}{x_j^{\deg F}}, \frac{G}{x_j^{\deg G}} \right) ⊂ 𝒪_p(ℙ²).
|
||
\]
|
||
\end{beobachtung}
|
||
|
||
Beobachtung~\ref{beob:17-2-1} ermöglicht jetzt die Definition von Schnittzahlen.
|
||
|
||
\begin{defn}[Schnittzahl von ebenen projektiven Kurven]\label{def:schnittzahlp}%
|
||
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $F$ und $G ∈
|
||
k[x, y, z]$ zwei ebene projektive Kurven. Weiter sei $p ∈ ℙ²$ ein Punkt. Dann
|
||
definiere die \emph{Schnittzahl}\index{Schnittzahl!von ebenen projektiven
|
||
Kurven} der Kurven $F$ und $G$ im Punkt $p$ als
|
||
\[
|
||
\Int_p(F, G) := \dim_k \factor{𝒪_p(ℙ²)}{I_{F,G,p}},
|
||
\]
|
||
wobei $I_{F,G,p} ⊆ 𝒪_p(ℙ²)$ das in Beobachtung~\ref{beob:17-2-1} diskutierte
|
||
Ideal ist.
|
||
\end{defn}
|
||
|
||
\begin{beobachtung}[Berechnung von Schnittzahlen]\label{beob:17-2-3}%
|
||
Konstruktion~\ref{kons:17-1-5} zeigt uns, wie man Schnittzahlen ganz konkret
|
||
ausrechnet. Wenn in der Situation von Definition~\ref{def:schnittzahlp} die
|
||
dritte Koordinate des Punktes $p$ ungleich Null ist, dann liegt $p$ im Bild
|
||
der Standardkarte $φ_3$ und es ist
|
||
\[
|
||
\Int_p(F, G) = \Int_{φ^{-1}_n(p)} (F_*, G_*),
|
||
\]
|
||
wobei auf der rechten Seite der Gleichung die bekannte Schnittzahl von Kurven
|
||
im affinen Raum $𝔸²_k$ steht. Falls $=[p_0:p_1:p_2]$ ist, dann hat der Punkt
|
||
$φ^{-1}_n(p)$ die Koordinaten $\left( \frac{p_0}{p_2}, \frac{p_1}{p_2}
|
||
\right)$ und die Schnittzahl kann mithilfe des Algorithmus aus
|
||
Bemerkung~\ref{bem:14-2-8} bestimmt werden.
|
||
|
||
Falls nicht die dritte, sondern eine andere Koordinate des Punktes $p$
|
||
ungleich Null ist, dann verfahre man analog, statt mit der Karte $φ_2$ dann
|
||
eben mit einer der anderen Karten $φ_0$ oder $φ_1$.
|
||
\end{beobachtung}
|
||
|
||
Die Schnittzahlen von projektiven Kurven lassen sich natürlich genau wie die
|
||
Schnittzahlen von affinen Kurven durch eine Liste von Eigenschaften beschreiben,
|
||
die exakt den Eigenschaften~\ref{il:14-2-1-1}--\ref{il:14-2-1-7} entsprechen.
|
||
Beobachtung~\ref{beob:17-2-3} stellt den Zusammenhang her. Ich möchte dies
|
||
jetzt aber nicht vertiefen und weise nur auf die folgende Eigenschaft hin. Den
|
||
(langweiligen) Beweis lasse ich weg.
|
||
|
||
\begin{fakt}[Invarianz von Schnittzahlen unter Projektivitäten]\label{fakt:17-2-4}%
|
||
In der Situation von Definition~\ref{def:schnittzahlp} sei eine Projektivität
|
||
$φ$ gegeben. Falls ich mich nicht mit den Vorzeichen geirrt habe, gilt dann
|
||
die Gleichung
|
||
\[
|
||
\Int_p(F, G) = \Int_{φ^{-1}(p)}(F◦φ, G◦φ),
|
||
\]
|
||
wobei die Notation $F◦φ$ wie in Beispiel~\ref{bsp:17-0-3} verwendet wird.
|
||
\qed
|
||
\end{fakt}
|
||
|
||
|
||
\section{Der Satz von Bézout}
|
||
|
||
\sideremark{Vorlesung 22}Nach allen Vorbereitungen kommen wir jetzt zum
|
||
versprochenen Satz von
|
||
Bézout\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/\%C3\%89tienne_B\%C3\%A9zout}{Étienne
|
||
Bézout} (* 31.~März 1730 in Nemours, Département Seine-et-Marne; † 27.~September
|
||
1783 in Avon) war ein französischer Mathematiker.} über die Schnittzahlen von
|
||
projektiven Kurven.
|
||
|
||
\begin{satz}[Satz von Bézout]
|
||
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $F$ und $G ∈
|
||
k[x, y, z]$ zwei ebene projektive Kurven ohne gemeinsame Komponente. Dann gilt
|
||
die Gleichung
|
||
\[
|
||
\sum_{p ∈ ℙ²} \Int_p(F,G) = (\deg F)·(\deg G).
|
||
\]
|
||
\end{satz}
|
||
\begin{proof}
|
||
Der Beweis ist aus \cite[Sect.~5.3]{MR1042981} abgekupfert, vielleicht wollen
|
||
Sie auch einmal direkt in diese Quelle schauen. Um allzu viele Indizes zu
|
||
vermeiden, bezeichnen wir die Koordinaten projektive Ebene mit $[x:y:z]$. Weil
|
||
die Kurven $F$ und $G$ keine gemeinsame Komponente haben, ist die Schnittmenge
|
||
von $F$ und $G$ ist endlich. Nach Komposition mit einer geeigneten
|
||
Projektivität erlaubt Fakt~\ref{fakt:17-2-4} deshalb, ohne Beschränkung der
|
||
Allgemeinheit anzunehmen, dass keiner der Schnittpunkte auf der unendlich
|
||
fernen Geraden $\{z=0\}$ liegt. Es gelten dann die Gleichungen
|
||
\begin{align*}
|
||
\sum_{p ∈ ℙ²} \Int_p(F,G) & = \sum_{a ∈ 𝔸²} \Int_p(F_*, G_*) && \text{Beobachtung~\ref{beob:17-2-3}} \\
|
||
& = \dim_k \factor{k[x,y]}{(F_*, G_*)} && \text{Erinnerung~\ref{erin:14-2-6}.}
|
||
\end{align*}
|
||
Um die Zahl der Buchstaben zu reduzieren, schreiben wir noch
|
||
\begin{align*}
|
||
n & := \deg G & m & := \deg G \\
|
||
R & := k[x,y,z] & Γ &:= \factor{k[x,y,z]}{(F, G)}
|
||
\end{align*}
|
||
und weil $(F, G)$ ein homogenes Ideal ist, können wir für jede Zahl $d$ auch
|
||
noch die Mengen $R_d ⊂ R$ und $Γ_d ⊂ Γ$ der homogenen Elemente vom Grad $d$
|
||
betrachten. Das Ziel ist jetzt, für ausreichend große Zahlen $d$ die
|
||
folgenden Gleichungen zu beweisen,
|
||
\begin{align}
|
||
\label{eq:17-3-1-1} \dim_k Γ_* & = \dim_k Γ_d \\
|
||
\label{eq:17-3-1-2} \dim_k Γ_d & = n·m.
|
||
\end{align}
|
||
Zur besseren Lesbarkeit ist der Beweis in drei relativ unabhängige Schritte
|
||
aufgeteilt.
|
||
|
||
\bigskip\noindent\textbf{Schritt 1} Beweis der Gleichung~\eqref{eq:17-3-1-2}
|
||
für alle $d ≥ n+m$. \video{22-1}
|
||
|
||
\bigskip\noindent\textbf{Schritt 2} Multiplikation mit der Variablen $z$
|
||
liefert eine wohldefinierte Abbildung des Quotientenringes,
|
||
\[
|
||
α : Γ → Γ, \quad [H] ↦ [z·H].
|
||
\]
|
||
Ich zeige im \video{22-2}, dass diese Abbildung injektiv ist. Die
|
||
Einschränkung auf homogene Formen vom Grad $d$ liefert dann eine (ebenfalls
|
||
injektive) Abbildung $α_d : Γ_d → Γ_{d+1}$. Falls $d ≥ n+m$ ist, dann wissen
|
||
wir aber schon aus Schritt 1, dass $Γ_d$ und $Γ_{d+1}$ dieselbe
|
||
Vektorraumdimension haben. Also muss die Abbildung $α_d$ für solche $d$ stets
|
||
ein Isomorphismus sein!
|
||
|
||
\bigskip\noindent\textbf{Schritt 3} Beweis der Gleichung~\eqref{eq:17-3-1-1}.
|
||
Sei $d ≥ n+m$. Wähle homogene Polynome $A_1, …, A_ℓ ∈ R_d$, sodass die
|
||
Restklassen $[A_•] ∈ Γ_d$ eine Vektorraumbasis von $Γ_d$ bilden. Ich zeige im
|
||
\video{22-3}, dass die Restklassen der dehomogenisierten Elemente $[A_{•,*}] ∈
|
||
Γ_*$ ebenfalls eine Vektorraumbasis bilden.
|
||
\end{proof}
|
||
|
||
\begin{kor}[Projektive Kurven schneiden sich]
|
||
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper. Zwei ebene projektive
|
||
Kurven im $ℙ²_k$ schneiden sich stets in mindestens einem Punkt. \qed
|
||
\end{kor}
|
||
|
||
\begin{kor}[Affine Kurven schneiden sich nicht zu sehr]\label{kor:aksnzs}%
|
||
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien $F$ und $G ∈
|
||
k[x, y]$ zwei ebene, affine Kurven ohne gemeinsame Komponente. Dann schneiden
|
||
sich diese Kurven in höchstens $(\deg F)·(\deg G)$ vielen Punkten.
|
||
\qed
|
||
\end{kor}
|
||
|
||
\begin{bemerkung}
|
||
Korollar~\ref{kor:aksnzs} kann man auch andersherum lesen: wenn sich zwei
|
||
projektive oder affine Kurven in zu vielen Punkten schneiden, so müssen Sie
|
||
eine gemeinsame Komponente besitzen.
|
||
\end{bemerkung}
|
||
|
||
Als letzte, vielleicht etwas überraschende Konsequenz aus dem Satz von Bézout
|
||
können wir die Anzahl von singulären Punkten einer ebenen affinen Kurve durch
|
||
den Grad der Kurve beschränken. Affine Kurven können also nicht allzu viele
|
||
singuläre Punkte haben.
|
||
|
||
\begin{kor}[Affine Kurven sind nicht zu singulär]\label{kor:17-3-4}%
|
||
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper der Charakteristik Null und
|
||
es sei $F ∈ k[x, y]$ eine irreduzible ebene affine Kurve. Diese Kurve hat
|
||
höchstens $(\deg F)·(\deg F -1)$ viele singuläre Punkte.
|
||
\end{kor}
|
||
\begin{proof}
|
||
Wegen der Annahme über die Charakteristik von $k$ verschwinden nicht alle
|
||
Ableitungen von $F$; wir nehmen an ohne Beschränkung der Allgemeinheit an,
|
||
dass $G := \frac{∂ F}{∂ x}$ nicht das Nullpolynom ist. Es gilt $\deg G ≤ \deg
|
||
F -1$.
|
||
|
||
Aus Definition~\vref{defn:ep} („Glatte und singuläre Punkte“) ist klar, dass
|
||
die singulären Punkte von $F$ Schnittpunkte der Kurven $F$ und $G$ sind. Die
|
||
Annahme, dass $F$ irreduzibel ist, stellt sicher, dass $F$ und $G$ keine
|
||
gemeinsame Komponente haben und die Aussage folgt aus
|
||
Korollar~\ref{kor:aksnzs}.
|
||
\end{proof}
|
||
|
||
\begin{bemerkung}
|
||
Die Abschätzung aus Korollar~\ref{kor:17-3-4} ist abenteuerlich schlecht. Man
|
||
kann mit etwas Mühle wesentlich bessere Ergebnisse erzielen.
|
||
\end{bemerkung}
|
||
|
||
|
||
\begin{figure}
|
||
\centering
|
||
|
||
\includegraphics[width=10cm]{figures/17-barthSextic.png}
|
||
|
||
\[
|
||
4·((α²·x²-y²)·((α²·y²-z²)·((α²·z²-x²)-1·(1+2α·(x²+y²+z²-1)²)))) = 0,
|
||
\]
|
||
mit $α = \frac{1+\sqrt 5}{2}$
|
||
|
||
\caption{Barth-Sextik}
|
||
\label{fig:barth}
|
||
\end{figure}
|
||
|
||
|
||
Die Frage nach einer oberen Anzahl von Singularitäten ist auch für algebraische
|
||
Flächen sinnvoll, allerdings sind nur für Flächen von kleinem Grad obere
|
||
Abschätzungen bekannt. Ob diese Abschätzungen optimal sind, ist nicht in allen
|
||
Fällen klar. Abbildung~\ref{fig:barth} zeigt eine Fläche vom Grad 6 mit 65
|
||
singulären Punkten. Diese Fläche wurde 1996 in der Arbeit \cite{MR1358040} von
|
||
Wolf
|
||
Barth\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_Barth_(Mathematiker)}{Wolf
|
||
Paul Barth} (* 20.~Oktober 1942 in Wernigerode; † 30.~Dezember 2016) war ein
|
||
deutscher Mathematiker, der sich mit algebraischer Geometrie beschäftigte.}
|
||
konstruiert, nachdem Mathematiker lange Zeit vermutet hatten, dass maximal 64
|
||
singuläre Punkte möglich seien (es gab sogar einige fehlerhafte, veröffentlichte
|
||
Beweise). Kurz nach Barths Konstruktion bewiesen Jaffe und Ruberman in
|
||
\cite{MR1486992}, dass die Fläche tatsächlich optimal ist:
|
||
„\foreignlanguage{english}{A sextic cannot have 66 nodes}“.
|
||
|
||
\begin{bemerkung}
|
||
Sehen Sie im Bild, dass die Fläche die Symmetrie des Ikosaeders hat? Das ist
|
||
natürlich kein Zufall.
|
||
\end{bemerkung}
|
||
|
||
\href{https://oliverlabs.net}{Oliver Labs}, der 2005 an der Universität Mainz
|
||
zum Thema „Flächen mit vielen singulären Punkten“ promovierte, hat einen
|
||
\href{https://www.oliverlabs.net/data/AlgSurfManySings_German.pdf}{lesenswerten,
|
||
reich bebilderten Artikel für ein breites mathematisches Publikum} geschrieben,
|
||
den ich Ihnen empfehlen kann. Mit dem Programm
|
||
\href{https://imaginary.org/program/surfer}{Surfer} können Sie viele der
|
||
„Weltrekordflächen“ aus Labs' Artikel interaktiv in 3D zeichnen, animieren und
|
||
mit den Gleichungen spielen. Abbildung~\ref{fig:barth} ist ein Screenshot
|
||
dieses Programms.
|
||
|
||
|
||
%%% Local Variables:
|
||
%%% mode: latex
|
||
%%% TeX-master: "21-KA"
|
||
%%% End:
|