KommutativeAlgebra/11.tex

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\chapter{Lokale Ringe und Multiplizität von Punkten}
\sideremark{Vorlesung 13}In diesem Kapitel möchte ich die Geometrie aus
Kapitel~\ref{chap:9} und die algebraischen Definitionen von
Kapitel~\ref{chap:10} zusammenbringen. Wir betrachten in diesem Kapitel die
folgende Situation.
\begin{situation}\label{sit:11-1}%
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es sei $f ∈ k[x,y]$ eine
ebene algebraische Kurve. Weiter sei $p ∈ V(f)$ ein Punkt der Kurve.
\end{situation}
\begin{notation}
In Situation~\ref{sit:11-1} bezeichnen wir den affinen Koordinatenring der
Kurve mit $R$ und betrachten das zum Punkt $p$ gehörende maximale Ideal $m ⊊
R$. Wie in der algebraischen Geometrie üblich, werden wir die Lokalisierung
$R_m$ mit $𝒪_p(f)$ notieren. Das (nach Korollar~\ref{kor:10-6-9}
eindeutige!) maximale Ideal in $𝒪_p(f)$ bezeichnen wir mit $m_p$.
\end{notation}
\section{Algebraische Beschreibung der Multiplizität}
Der folgende Satz stellt jetzt den Zusammenhang zwischen der geometrischen Größe
„Multiplizität“ und der Algebra von $𝒪_p(f)$ her. Der Satz sagt insbesondere,
dass man die Multiplizität am lokalen Ring ablesen kann.
\begin{satz}[Algebraische Beschreibung der Multiplizität]\label{satz:11-0-3}%
In Situation~\ref{sit:11-1} existiert eine Zahl $N ∈ $, sodass für alle
natürlichen Zahlen $n ≥ N$ die folgende Gleichheit gilt,
\begin{equation}\label{eq:11-0-3-1}
\mult_p(f) = \dim_k \Bigl(\factor{m_p^n}{m_p^{n+1}}\Bigr).
\end{equation}
\end{satz}
\begin{erkl}
Die rechte Seite der Gleichung~\eqref{eq:11-0-3-1} ist vielleicht
erklärungsbedürftig. Um zu verstehen, was die Gleichung eigentlich sagt,
beachte zuerst, dass wir eine Kette von Idealen des Ringes $𝒪_p(f)$ haben,
\[
m_p ⊃ m²_p ⊃ m³_p ⊃ m²_p ⊃ m⁴_p ⊃ ⋯.
\]
In \eqref{eq:11-0-3-1} ist also $m^n_p$ ein Ideal von $𝒪_p(f)$ und $m^{n+1}_p
⊆ m^n_p$ ist ein Unterideal. Jetzt sind Ideale in $𝒪_p(f)$ natürlich
Spezialfälle von $𝒪_p(f)$-Moduln. Der Quotient $\factor{m_p^n}{m_p^{n+1}}$
ist als Quotient von $𝒪_p(f)$-Moduln zu verstehen und ist deshalb selbst ein
$𝒪_p(f)$-Modul. Die Elemente von $k$ können wir natürlich als Elemente des
affinen Koordinatenringes sehen („konstante Polynome“) und daher auch als
Elemente von $𝒪_p(f)$: Gegeben ein konstantes Polynom $λ$, betrachte einfach
den Bruch $\frac{λ}{1}$. Auf diese Weise fassen wir den Körper $k$ in
trivialer Weise als Unterring von $𝒪_p(f)$ auf. Dann ist aber jeder
$𝒪_p(f)$-Modul trivialerweise auch ein $k$-Modul, und es sinnvoll, die
Dimension dieses Vektorraumes zu diskutieren.
\end{erkl}
\begin{bemerkung}
Satz~\ref{satz:11-0-3} macht präzise, was wir schon im Abschnitt~\ref{sec:11}
angedeutet hatten: Die Multiplizität von Punkten auf einer Kurve ist eine
Eigenschaft, die nur vom affinen Koordinatenring (und dessen maximalen
Idealen) abhängt. Es handelt sich also um eine intrinsische geometrische
Eigenschaft, die nicht davon abhängt, wie die Kurve in einen affinen Raum
eingebettet ist!
\end{bemerkung}
Wir beweisen Satz~\ref{satz:11-0-3} in Kürze. Das folgende vorbereitende Lemma
wird dabei helfen.
\begin{lem}\label{lem:11-1-4}%
Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es sei $I ⊂ k[x,y]$ ein
Ideal, sodass $V(I) = \{ 0 \}$ ist. Betrachte den Quotientenring und das
maximale Ideal des $0$-Punktes,
\[
m := (x,y)\factor{k[x,y]}{I} =: R.
\]
Dann ist die Lokalisierungsabbildung $φ : R → R_m$ ein Isomorphismus von
$R$-Moduln.
\end{lem}
\begin{proof}
\video{13-1}
\end{proof}
\begin{proof}[Beweis von Satz~\ref{satz:11-0-3}]
\video{13-2}
\end{proof}
\subsection{Glatte Punkte und diskrete Bewertungsringe}
\begin{satzdef}
Es sei $R$ ein Ring, der keine Nullteiler enthält und gleichzeitig auch kein
Körper ist. Dann sind folgende Aussagen äquivalent.
\begin{enumerate}
\item Der Ring $R$ ist ein lokaler Noetherscher Ring und das maximale Ideal $m
⊂ R$ ist ein Hauptideal.
\item\label{il:11-0-6-2} Es existiert ein Element $t ∈ R$, sodass jedes $z ∈ R
\{ 0 \}$ eine eindeutige Darstellung der Form $z = u · t^n$ besitzt, wobei
$u ∈ R^*$ und $n ∈ $ ist.
\end{enumerate}
Falls die Bedingungen erfüllt ist, so nenne $R$ einen \emph{diskreten
Bewertungsring}\index{diskreter Bewertungsring}. Elemente $t ∈ R$ wie in
\ref{il:11-0-6-2} heißen \emph{uniformisierende
Parameter}\index{uniformisierender Parameter}.
\end{satzdef}
\begin{proof}
\video{13-3}
\end{proof}
Der Begriff des „uniformisierenden Parameters“ ist vielleicht einigermaßen
selbsterklärend, der Begriff des „Bewertungsringes“ aber wahrscheinlich nicht.
Es gibt in der Algebra den Begriff der „diskreten Bewertung eines Körpers“.
\begin{defn}[Diskrete Bewertung eines Körpers]
Es sei $k$ ein Körper. Eine \emph{diskrete Bewertung}\index{diskrete
Bewertung} ist eine surjektive Abbildung $ν: K → \{\}$, dass für alle $x,y ∈ k$ folgendes gilt.
\begin{itemize}
\item Es ist $ν(x) =$ genau dann, wenn $x = 0$.
\item Es ist $ν(x·y) = ν(x) + ν(y)$.
\item Es ist $ν(x + y)\min \bigl\{ ν(x), ν(y) \bigr\}$.
\end{itemize}
Dabei gelten die üblichen Rechenregeln $+=$ und $+ n =$ sowie $∞ ≥ n$ für alle $n ∈ $.
\end{defn}
\begin{bsp}[Null- und Polstellenordnung]\label{bsp:11-1-6}%
Wir betrachten den Körper $(x)$ der rationalen Funktionen in einer Variable
und wählen einen Punkt $p ∈ $. Dann definiere eine diskrete Bewertung des
Körpers $(x)$ wie folgt. Gegeben eine rationale Funktion $q(x)(x)$,
setze
\[
ν(q) :=
\begin{cases}
n & \text{falls $q$ bei $p$ eine Nullstelle von Ordnung $n$ hat} \\
-n & \text{falls $q$ bei $p$ eine Polstelle von Ordnung $n$ hat} \\
0 & \text{sonst}
\end{cases}
\]
\end{bsp}
\begin{bsp}[Die $p$-adische Bewertung von $$]
Es sei $p$ eine Primzahl. Die $p$-adische Bewertung $ν(n)$ einer ganzen Zahl
$n$ ist die größte Zahl $k$, sodass $n$ noch durch $p^k$ teilbar ist. Mit
anderen Worten: die $p$-adische Bewertung gibt also an, wie oft die Primzahl
$p$ in der Primfaktorzerlegung von $n$ vorkommt. Die Bewertung $ν$ lässt sich
auf den Körper der rationalen Zahlen fortsetzen: gegeben ein Element $q =
\frac{a}{b}$, so definiere $ν(q) := ν(a)-ν(b)$. Man rechne nach, dass
dies tatsächlich eine diskrete Bewertung von $$ ist.
\end{bsp}
\begin{bsp}[Diskrete Bewertungsringe]\label{bsp:11-1-8}%
Wenn $R$ ein diskreter Bewertungsring mit uniformisierenden Parameter $t$ ist,
dann findet man eine diskrete Bewertung auf dem Quotientenkörper $Q(R)$ durch
\[
ν \left(\frac{a}{b}\right) = \text{ (Potenz mit der $t$ in $a$ auftaucht) -
(Potenz mit der $t$ in $b$ auftaucht)}.
\]
Die Elemente von $R ⊂ Q(R)$ sind dann exakt diejenigen Elemente, die eine
positive Bewertung haben.
\end{bsp}
\begin{aufgabe}
Wie ändert in Beispiel~\ref{bsp:11-1-8} die Bewertung, wenn ich einen anderen
uniformisierenden Parameter wähle?
\end{aufgabe}
\begin{aufgabe}
Erkennen Sie, dass Beispiel~\ref{bsp:11-1-6} ein Spezialfall von
Beispiel~\ref{bsp:11-1-8} ist? Welcher Ring übernimmt in
Beispiel~\ref{bsp:11-1-6} die Rolle von $R$ und welches Element von $R$ ist
für die Rolle des uniformisierenden Parameters geeignet.
\end{aufgabe}
\begin{satz}[Charakterisierung von einfachen Punkten]\label{satz:11-1-10}%
In Situation~\ref{sit:11-1} sind die folgenden Aussagen äquivalent.
\begin{enumerate}
\item Der Ring $𝒪_p(f)$ ist ein diskreter Bewertungsring.
\item Es ist $\mult_p(f) = 1$. Mit anderen Worten: $p$ ist ein einfacher
Punkt der Kurve.
\end{enumerate}
\end{satz}
\begin{proof}
\video{13-4}
\end{proof}
\begin{bemerkung}
Wenn man ein wenig aufpasst, zeigt der Beweis von Satz~\ref{satz:11-1-10} noch
etwas mehr: Sei $ ∈ k[x,y]$ eine Gerade\footnote{= Polynom von Grad 1}, die
den Punkt $p$ enthält. Wenn $$ in $p$ \emph{keine} Tangentialgerade an
$V(f)$ ist, dann ist das Bild von $$ im lokalen Ring $𝒪_p(f)$ ein
uniformisierender Parameter.
\end{bemerkung}
Tabelle~\ref{tab:11-1} fasst die Ergebnisse dieses Kapitels zusammen.
\begin{table}
\centering
\begin{tabular}{p{7cm}p{7cm}}
\rowcolor{lightgray} \textbf{Algebra} & \textbf{Geometrie} \\
maximale Ideale im Koordinatenring $k[X]$ & Punkte \\
maximale Ideale $m ⊊ k[X]$, sodass der lokale Ring $𝒪_p(X)$ ein diskreter Bewertungsring ist & einfache Punkte \\
Dimension von $m_p^n/m_p^{n+1}$ für großes $n$ & Multiplizität des Punktes $p$ in $X$
\end{tabular}
\bigskip
Es sei $X$ eine ebene, algebraische Kurve und $p$ ein Punkt von $X$.
\caption{Wörterbuch: einfache und singuläre Punkte von algebraischen Kurven}
\label{tab:11-1}
\end{table}
%%% Local Variables:
%%% mode: latex
%%% TeX-master: "21-KA"
%%% End: