KommutativeAlgebra/10.tex

852 lines
35 KiB
TeX
Raw Blame History

This file contains ambiguous Unicode characters

This file contains Unicode characters that might be confused with other characters. If you think that this is intentional, you can safely ignore this warning. Use the Escape button to reveal them.

% spell checker language
\selectlanguage{german}
\chapter{Bruchrechnung}
\label{chap:10}
\section{Worum geht es?}
\label{sec:11}
Im letzten Kapitel haben wir einige Eigenschaften von Punkten auf ebenen
algebraischen Kurven kennengelernt. Ist $f$ eine solche Kurve und $p$ ein Punkt
der Kurve, so legt die geometrische Intuition vielleicht folgendes nahe.
\begin{itemize}
\item Die Eigenschaft des Punktes, glatt oder singulär zu sein, hat vermutlich
nichts mit der Frage zu tun, wie die Kurven (mit ihrem Punkt) in die Ebene
eingebettet ist. Schlau gesprochen: Die geometrische Anschauung legt nahe,
dass Glattheit und Singularität von Punkten intrinsische Eigenschaften der
Kurve und ihres Punktes sind.
\item Anschaulich ist klar, dass ich die Frage nach der Glattheit oder
Singularität eines Punktes beantworten kann, wenn ich lediglich eine kleine
offene Umgebung des Punktes kenne („mir egal, wie die Kurve in 10~km
Entfernung aussieht“). Schlau gesprochen: Glattheit und Singularität sind
„lokale“ Eigenschaften.
\end{itemize}
\subsection{Singularität von Punkten als intrinsische Eigenschaft}
Wir erinnern uns aus Kapitel~\ref{sec:7-3}, dass die intrinsische Geometrie
vollständig durch den affinen Koordinatenring $A = k[x,y]/(f)$ beschrieben wird.
Im Wörterbuch zwischen Algebra und Geometrie gehört zu dem Punkt $p$ der Kurve
ein maximales Ideal $m_p ⊂ A$. Die Eigenschaft, glatt oder singulär zu sein,
sollte also eine Eigenschaft des Ideals $m_p ⊂ A$ sein.
\subsection{Singularität von Punkten als lokale Eigenschaft}
Lokale Eigenschaften haben wir noch nicht diskutiert, das holen wir jetzt nach.
Dazu ist es nützlich, sich an Abschnitt~\ref{sec:7-1} zu erinnern, wo der affine
Koordinatenring als Ring der algebraischen Funktionen („stetige Funktionen, die
durch Polynome repräsentierbar sind“) eingeführt wurde. Wenn nun der affine
Koordinatenring (=der Ring aller algebraischen Funktionen) die gesamte
intrinsische Geometrie festlegt, dann könnte die lokale Geometrie in der Nähe
des Punktes $p$ durch den Ring der algebraischen Funktionen gegeben sein, die
nur in der Nähe von $p$ definiert sind. Die Frage ist, was dies im Kontext der
algebraischen Geometrie genau bedeuten soll. Antwort: algebraische Funktion,
die „nur in der Nähe von $p$ definiert sind“, sind rationale Funktionen die bei
$p$ keine Polstelle haben. Was ist eine rationale Funktion? Antwort: rationale
Funktionen sind Quotienten von algebraischen Funktionen -- also von Elementen
des affinen Koordinatenringes. Wir betrachten also Brüche $a/b$, wo $a$ und $b$
Elemente des affinen Koordinatenringes sind und wo die Funktion $b$ am Punkte
$p$ keine Nullstelle hat.
\section{Multiplikative Systeme}
Das Ziel dieses Abschnittes ist, in grober Analogie zur Konstruktion des
Quotientenkörpers eine Art Bruchrechnung für den affinen Koordinatenring (und in
Wirklichkeit gleich für alle möglichen Ringe) einzuführen und zu diskutieren.
Während der Quotientenkörper aus Brüchen besteht, wo als Nenner lediglich die
Null verboten ist, müssen wir hier etwas vorsichtiger sein.
\begin{defn}[Multiplikatives System]
Es sei $R$ ein kommutativer Ring mit Eins. Eine Teilmenge $S ⊆ R$ heißt
\emph{multiplikatives System}\index{multiplikatives System}, wenn $1 ∈ S$ ist
und wenn $S$ abgeschlossen unter der Multiplikation ist. Mit anderen Worten:
wenn für alle $f$ und $g ∈ S$ die Inklusion $f·g ∈ S$ gilt.
\end{defn}
\begin{bsp}\label{bsp:10-2-2}%
Es sei $R$ ein beliebiger kommutativer Ring mit Eins. Die folgenden Mengen
sind multiplikative Systeme.
\begin{itemize}
\item Die Menge der Einheiten, also $R^*$.
\item Es sei $p ⊂ R$ ein Primideal. Dann ist $Rp$ ein multiplikatives
System.
\item Es sei $m_p ⊂ R$ ein maximales Ideal. Dann ist $m_p$ ein Primideal und
$R m_p$ ist ein multiplikatives System.
\item Es sei $f ∈ R$ ein beliebiges Element. Dann ist die Menge $\{ 1, f, f²,
\}$ ein multiplikatives System.
\end{itemize}
\end{bsp}
\section{Lokalisierung von Ringen}
Beispiel~\ref{bsp:10-2-2} zeigt, wohin der Hase läuft. In späteren Anwendungen
ist $R$ der affine Koordinatenring einer ebenen, algebraischen Kurve $X$ und
$m_p$ ist das maximale Ideal, das zu einem gegebenen Punkt $p$ gehört. Ich kann
die Elemente von $R$ als algebraische Funktionen auf $X$ auffassen, und eine
Funktion $f ∈ R$ hat genau dann bei $p$ eine Nullstelle, wenn $f ∈ m_p$ ist. Bei
der Diskussion von lokalen Eigenschaften wollen wir also „rationale Funktionen“
der Form $a/b$ betrachten, wo wir für $b$ nur Elemente des multiplikativen
Systems $Rm_p$ zulassen. Die folgende Konstruktion sagt präzise, was
passiert.
\begin{konstruktion}[Lokalisierung von Ringen]\label{kons:loc}
\index{Lokalisierung!von Ringen}Es sei $R$ ein kommutativer Ring mit Eins und
es sei $S ⊂ R$ ein multiplikatives System. Dann betrachte die folgende
Relation auf $R S$,
\begin{equation}\label{eq:10-3-1-1}
(a,α) \sim (b, β) \quad \overset{\text{def}}{} \quad
∃ s ∈ S: s·(aβ - b α) = 0
\end{equation}
Rechnen Sie nach, dass es sich tatsächlich um eine Äquivalenzrelation handelt!
Wie üblich bezeichnen wir die Äquivalenzklasse von $(a, α)$ mit $\frac{a}{α}$.
Der Quotient wird mit $S^{-1}R$ bezeichnet.
Als nächstes versehen wir $S^{-1}R$ mit der Struktur eines Ringes. Dazu
werden Addition und Multiplikation auf $S^{-1}R$ wie üblich auf
Repräsentantenniveau definiert. Gegeben Brüche $\frac{a}{α}$ und
$\frac{b}{β}$ aus $S^{-1}R$, so definieren wir
\[
\begin{matrix}
\frac{a}{α} &+& \frac{b}{β} & := & \frac{a β + b α}{α β}\\
\frac{a}{α} &·& \frac{b}{β} & := & \frac{ab}{α β}.
\end{matrix}
\]
Man rechne nach, dass dies tatsächlich wohldefiniert ist, dass dies eine
Ringstruktur auf $S^{-1}R$ liefert, sodass die Abbildung
\[
φ : R → S^{-1}R,\quad a ↦ \frac{a}{1}
\]
ein Ringmorphismus ist.
\end{konstruktion}
\begin{frage}
Vielleicht fällt Ihnen auf, dass die Relation~\eqref{eq:10-3-1-1}
komplizierter ist als die Relation, die Sie bei der Konstruktion des
Quotientenkörpers kennengelernt haben, denn dort war
\[
(a,α) \sim (b, β) \quad \overset{\text{def}}{} \quad
(- b α) = 0.
\]
Es stellt sich (=ich stelle Ihnen) die Frage, warum die zusätzliche
Komplikation mit $∃ s…$ eigentlich notwendig ist. Tipp: Niemand von uns hat
die Absicht, jemals durch null zu dividieren. Aber Ringe können leider auch
Nullteiler enthalten!
\end{frage}
Genau wie der Quotientenkörper ist die Lokalisierung eines Ringes eindeutig
durch eine universelle Eigenschaft gegeben. Weil wir die universellen
Eigenschaften in der Vorlesung „Algebra“ zu genüge diskutiert haben, spare ich
mir die Details und den Beweis und gebe die Eigenschaft einfach an.
\begin{prop}[Universelle Eigenschaft der Lokalisierung]\label{prop:10-3-3}%
In der Situation von Konstruktion~\ref{kons:loc} sei ein Ringmorphismus $γ : R
→ T$ gegeben, sodass $γ(S) ⊂ T^*$ ist. Dann existiert genau ein Morphismus $ν
:S^{-1}R → T$, sodass das folgende Diagramm kommutiert,
\[
\begin{tikzcd}
R \ar[r, "φ"] \ar[d, equal] & {S^{-1}R} \ar[d, "ν"] \\
R \ar[r, "γ"'] & T
\end{tikzcd}
\eqno\qed
\]
\end{prop}
\begin{bemerkung}
Es ist kein Hexenwerk, die Abbildung $ν$ aus Proposition~\ref{prop:10-3-3}
anzugeben:
\[
ν \left(\frac{a}{α}\right) = γ(a)· γ(α)^{-1}.
\]
\end{bemerkung}
\begin{notation}[Lokalisierung nach Primideal]
Es sei $R$ ein Ring und es sei $p ⊂ R$ ein Primideal, mit zugehörendem
multiplikativen System $S := Rp$. Dann wird die Lokalisierung $S^{-1} R$
auch häufig mit $R_p$ bezeichnet.
\end{notation}
\subsection{Erste Eigenschaften}
Beobachten Sie: In Konstruktion~\ref{kons:loc} ist $φ(1)$ ein neutrales Element
der Multiplikation im Ring $S^{-1}R$. Also ist $S^{-1}R$ entweder der Nullring
oder ein kommutativer Ring mit 1, nämlich $1_{S^{-1}R} = \frac{1}{1}$. Finden
Sie ein Beispiel, wo $S^{-1}R$ tatsächlich der Nullring ist! Das folgende Lemma
kann helfen.
\begin{lem}
In Konstruktion~\ref{kons:loc} ist
\[
\ker(φ) = \{ r ∈ R \::\: ∃ s ∈ S: s· r = 0 \}.
\]
\end{lem}
\begin{proof}
Gegeben ein Element $r ∈ R$, dann sind folgende Aussagen äquivalent:
\[
r ∈ \ker(φ) \iff \frac{r}{1} = \frac{0}{1} \iff ∃ s ∈ S: s·(1-0·1) = 0.
\qedhere
\]
\end{proof}
\begin{lem}
In Konstruktion~\ref{kons:loc} sind folgende Aussagen äquivalent.
\begin{enumerate}
\item\label{il:10-3-6-1} Es ist $S^{-1}R = 0$.
\item\label{il:10-3-6-2} Es ist $0 ∈ S$.
\item\label{il:10-3-6-3} Die Menge $S$ enthält nilpotente Elemente.
\end{enumerate}
\end{lem}
\begin{proof}
---
\begin{description}
\item[\ref{il:10-3-6-1} $⇒$ \ref{il:10-3-6-2}] Sei $S^{-1}R = 0$. Dann ist
$\frac{1}{1} = \frac{0}{1}$, also existiert ein Element $s ∈ S$ mit $s · 1 =
0$. Also ist $0 ∈ S$.
\item[\ref{il:10-3-6-2} $⇒$ \ref{il:10-3-6-3}] Klar, denn 0 ist ein
nilpotentes Element.
\item[\ref{il:10-3-6-3} $⇒$ \ref{il:10-3-6-1}] Sei $s ∈ S$ ein nilpotentes
Element. Es existiert also eine Zahl $n ∈ $, sodass $s^n = 0$ ist. Es
folgt: $0 ∈ S$, und je zwei Brüche sind immer äquivalent. Insbesondere ist
\[
S^{-1}R = \left\{ \frac{0}{1} \right\}. \qedhere
\]
\end{description}
\end{proof}
\section{Lokalisierung von Moduln}
Unser nächstes Ziel ist es, Ideale im Ring $R$ und im lokalisierten Ring
$S^{-1}R$ zu vergleichen. Es lohnt sich aber, gleich ein wenig allgemeiner zu
arbeiten, denn Ideale sind spezielle Moduln
\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Modul_(Mathematik)}{Sie erinnern sich doch
daran, was ein Modul ist?}. Grob und nicht ganz richtig: Ein Modul ist wie ein
Vektorraum, aber nicht über einem Körper, sondern über einem Ring. Die
Lokalisierung eines Moduls geht genauso wie die Lokalisierung eines Ringes: wir
betrachten Brüche, wo oben Modulelemente stehen und unten Elemente des
multiplikativen Systems.
\begin{konstruktion}[Lokalisierung von Moduln]\label{kons:locM}%
\index{Lokalisierung!von Moduln}Es sei $R$ ein kommutativer Ring mit Eins und
es sei $S ⊂ R$ ein multiplikatives System. Weiter sei $A$ ein $R$-Modul (zum
Beispiel ein Ideal). Dann betrachte die folgende Relation auf $A S$,
\begin{equation}\label{eq:10-3-1-1M}
(a,α) \sim (b, β) \quad \overset{\text{def}}{} \quad
∃ s ∈ S: s·(aβ - b α) = 0
\end{equation}
Rechnen Sie nach, dass es sich tatsächlich um eine Äquivalenzrelation handelt!
Wie üblich bezeichnen wir die Äquivalenzklasse von $(a, α)$ mit $\frac{a}{α}$.
Der Quotient wird mit $S^{-1}A$ bezeichnet.
Als nächstes versehen wir $S^{-1}A$ mit der Struktur eines Moduls über dem
Ring $S^{-1}R$. Dazu werden Addition und skalare Multiplikation wie üblich
auf Repräsentantenniveau definiert. Gegeben Brüche $\frac{a}{α}$ und
$\frac{b}{β}$ aus $S^{-1}A$ und $\frac{r}{s}$ aus $S^{-1}R$, so definieren wir
\[
\begin{matrix}
\frac{a}{α} &+& \frac{b}{β} & := & \frac{a β + b α}{α β}\\
\frac{r}{s} &·& \frac{b}{β} & := & \frac{r·b}{α β}.
\end{matrix}
\]
Man rechne nach, dass dies tatsächlich wohldefiniert ist, dass dies eine
Modulstruktur auf $S^{-1}A$ liefert.
\end{konstruktion}
\begin{bemerkung}\label{bem:10-4-2}%
Bei der Lokalisierung von $R$-Moduln gibt es etwas Potenzial für Verwirrung.
Der Ring $R$ ist trivialerweise selbst ein $R$-Modul. Wenn ich jetzt $S^{-1}
R$ schreibe, meine ich dann die Lokalisierung des Ringes aus
Konstruktion~\ref{kons:loc} oder die Lokalisierung des $R$-Moduls aus
Konstruktion~\ref{kons:locM}? Gute Nachricht: es macht keinen Unterschied.
Rechnen Sie nach, dass die beiden Konstruktion in diesem Fall schlicht
identisch sind.
Rechnen Sie auch nach, dass zweimal Lokalisieren nichts ändert. Genauer
gesagt, es gibt einen kanonischen Isomorphismus $S^{-1}S^{-1}A ≅ S^{-1}A$.
\end{bemerkung}
Natürlich ist auch die Lokalisierung von Moduln durch universelle Eigenschaften
bestimmt, aber ich verzichte hier auf eine große Diskussion. Stattdessen möchte
ich auf folgende Eigenschaft der Lokalisierung hinweisen.
\begin{beobachtung}[Lokalisierung von Moduln ist funktoriell]
\index{Lokalisierung!von Modulmorphismus}Es sei $R$ ein kommutativer Ring mit
Eins und es sei $S ⊂ R$ ein multiplikatives System. Weiter sei $α : A → B$
ein Morphismus von $R$-Moduln. Dann erhalte ich eine Abbildung zwischen den
lokalisierten Moduln, durch
\[
S^{-1}α : S^{-1} A → S^{-1} B, \quad \frac{a}{s}\frac{α(a)}{s}.
\]
Rechnen Sie nach, dass diese „Definition auf Repräsentantenniveau“ tatsächlich
wohldefiniert ist. Gegeben einen weiteren Modulmorphismus $β : B → C$, so
rechnen Sie nach, dass stets die Gleichung
\[
S^{-1}(β◦α) = \left(S^{-1}β\right)\left(S^{-1} α\right)
\]
gilt. Der Mathematiker fasst die Aussage „Morphismen von Moduln induzieren in
kanonischer Weise Morphismen von lokalisierten Moduln in einer Art und Weise,
die mit der Komposition verträglich ist“ kurz zusammen und sagt:
„Lokalisierung ist funktoriell“.
\end{beobachtung}
\begin{notation}[Lokalisierung nach Primideal]
Es sei $R$ ein Ring und es sei $p ⊂ R$ ein Primideal, mit zugehörendem
multiplikativen System $S := Rp$. Weiter sei $A$ ein $R$-Modul. Dann wird
die Lokalisierung $S^{-1} A$ auch häufig mit $A_p$ bezeichnet. Gegeben einen
Morphismus von $R$-Moduln, $α : A → B$, dann wird die Lokalisierung $S^{-1} α$
auch häufig mit $α_p$ bezeichnet.
\end{notation}
\subsection{Exaktheit}
\subsubsection{Exakte Sequenzen -- Teile und Herrsche}
In der Vorlesung „Lineare Algebra“ haben Sie exakte Sequenzen kennengelernt,
aber vielleicht nicht gemocht. Jetzt ist es an der Zeit, die exakt Sequenz
lieben zu lernen. Ich wiederhole kurz, worum es geht: Gegeben einen Ring $R$,
dann nenne eine (endliche oder unendliche) Folge von Modulmorphismen
\[
\xrightarrow{α_{n-1}} A_{n-1} \xrightarrow{α_n} A_n \xrightarrow{α_{n+1}}
A_{n+1} \xrightarrow{α_{n+2}}
\]
exakt, wenn für jeden Index $i$ die Gleichung $\img α_i = \ker α_{i+1}$ gilt.
\begin{beobachtung}
Es sei $α: A → B$ ein Morphismus von $R$-Moduln. Dann kann man Injektivität
und Surjektivität von $α$ mithilfe von exakten Sequenzen ausdrücken.
\begin{itemize}
\item Der Morphismus $α$ ist genau dann injektiv, wenn $\ker α = \{0\}$ ist.
Dies ist genau dann der Fall, wenn die Sequenz $0 → A \xrightarrow{α} B$
exakt ist. Dabei ist der erste Pfeil logischerweise die Nullabbildung, was
sonst.
\item Der Morphismus $α$ ist genau dann surjektiv, wenn die Sequenz $A
\xrightarrow{α} B → 0$ exakt ist. Dabei ist der letzte Pfeil logischerweise
die Nullabbildung, was sonst.
\end{itemize}
\end{beobachtung}
Wir interessieren uns besonders für \emph{kurze exakte Sequenzen}. Das sind
exakte Sequenzen der folgenden Form,
\begin{equation}\label{eq:kes}
0 → A \xrightarrow{α} B \xrightarrow{β} C → 0.
\end{equation}
Dabei ist der erste und der letzte Pfeil logischerweise die Nullabbildung, was
sonst.
\begin{beobachtung}\label{beo:10-4-6}%
Die Aussage „Die Sequenz \eqref{eq:kes} ist exakt.“ besagt genau die folgenden
drei Dinge.
\begin{itemize}
\item Der Morphismus $α$ ist injektiv.
\item Es gilt $\img α = \ker β$.
\item Der Morphismus $β$ ist surjektiv.
\end{itemize}
Insbesondere gilt in diesem Kontext die folgenden Aussagen.
\begin{itemize}
\item Der Modul $A$ ist isomorph zu $\ker β$.
\item Der Modul $C$ ist isomorph zu $\coker α$. Wenn ich $A$ mithilfe der
injektiven Abbildung $α$ als Untermodul von $B$ auffasse, dann ist $C$
isomorph zum Quotientenmodul $B/A$.
\end{itemize}
\end{beobachtung}
Wenn Sie normal sind, haben Sie sich sicher schon länger gefragt, warum ältere
Professoren auf exakte Sequenzen abfahren. Der Grund: viele Moduln sind echt
schwer zu verstehen. Wenn mir das Leben einen Modul $B$ gibt, dann suche ich
eine exakte Sequenz wie in \eqref{eq:kes}, in der Hoffnung, dass die Moduln $A$
und $C$ kleiner und deshalb leichter zu verstehen sind. Das zerlegt mein
Problem „verstehe den Modul $B$“ in drei Teilaufgaben.
\begin{itemize}
\item Verstehe den kleineren Modul $A$.
\item Verstehe den kleineren Modul $C$.
\item Verstehe, wie sich der Modul $B$ aus den kleineren Moduln $A$ und $C$
zusammensetzt. Mit anderen Worten: verstehe die kurze exakte Sequenz
\eqref{eq:kes}.
\end{itemize}
Finden Sie diese Strategie überzeugend? Vielleicht nicht. Sie haben nämlich
vermutlich noch kein Beispiel gesehen, wo man mit dieser Strategie wirklich
etwas bewiesen hätte. Dafür gibt es einen guten Grund: Sie haben sich bislang
vermutlich weniger für Moduln, sondern meistens nur für Vektorräume
interessiert. Wenn aber \eqref{eq:kes} eine kurze exakte Sequenz von
Vektorräumen ist, dann ist $B ≅ A⊕C$, und die Frage „Wie setzt sich der Modul
$B$ aus den kleineren Moduln $A$ und $C$ zusammen?“ ist irrelevant.
\begin{warnung}
Wenn \eqref{eq:kes} eine kurze exakte Sequenz von Moduln ist, dann ist es im
Allgemeinen überhaupt nicht richtig, dass $B$ isomorph zu $A⊕C$ ist. Die
Frage, welche Moduln in der Mitte einer exakten Sequenz der Form
\eqref{eq:kes} stehen können, ist ziemlich interessant.
\end{warnung}
\subsubsection{Exaktheit des Lokalisierungsfunktors}
\sideremark{Vorlesung 12}Ich verspreche Ihnen, dass wir später in dieser
Vorlesung interessante exakte Sequenzen sehen werden. Im Moment geht es aber um
die Lokalisierung von Moduln. Der wesentliche Punkt: Lokalisierung bildet
exakte Sequenzen auf exakte Sequenzen ab. Der Mathematiker sagt „Lokalisierung
ist ein exakter Funktor“.
\begin{satz}[Lokalisierung ist ein exakter Funktor]\label{satz:10-4-7}%
Es sei $R$ ein Ring, es sei $S ⊂ R$ ein multiplikatives System und es sei
\[
A \xrightarrow{α} B \xrightarrow{β} C
\]
eine exakte Sequenz von $R$-Moduln. Dann ist auch die Sequenz
\[
S^{-1}A \xrightarrow{S^{-1}α} S^{-1}B \xrightarrow{S^{-1}β} S^{-1}C
\]
exakt.
\end{satz}
\begin{proof}
\video{12-1}
\end{proof}
\begin{bemerkung}
Satz~\ref{satz:10-4-7} ist eine Aussage über exakte Sequenzen der Länge drei.
Wenn man den Satz aber erst einmal bewiesen hat, dann folgt die Aussage
ziemlich schnell auch für exakte Sequenzen beliebiger Länge --- unendlich
lange Sequenzen sind ebenfalls erlaubt.
\end{bemerkung}
\begin{kor}[Lokalisierung erhält Injektivität und Surjektivität]\label{kor:10-4-7}%
Es sei $R$ ein Ring, es sei $S ⊂ R$ ein multiplikatives System und es sei $α :
A → B$ ein Morphismus von $R$-Moduln.
\begin{itemize}
\item Wenn $α$ injektiv ist, dann ist $S^{-1}α$ injektiv.
\item Wenn $α$ surjektiv ist, dann ist $S^{-1}α$ surjektiv.
\end{itemize}
\end{kor}
\begin{proof}
Nach Beobachtung~\ref{beo:10-4-6} und Satz~\ref{satz:10-4-7} gelten folgende
Äquivalenzen.
\begin{align*}
\text{Die Abbildung $α$ ist injektiv.} &\text{Die Sequenz $0 → A \xrightarrow{α} B$ ist exakt.} \\
&\text{Die Sequenz $S^{-1}0 → S^{-1}A \xrightarrow{S^{-1} α} S^{-1}B$ ist exakt.} \\
&\text{Die Abbildung $S^{-1} α$ ist injektiv.}
\end{align*}
Der Beweis für Surjektivität geht analog.
\end{proof}
Gegeben einen $R$-Modul $B$ und einen Untermodul $A ⊂ B$, dann erlaubt
Korollar~\ref{kor:10-4-7}, den lokalisierten Modul $S^{-1}A$ als Untermodul von
$S^{-1}B$ aufzufassen. Damit ist das folgende Korollar sinnvoll.
\begin{kor}
Es sei $R$ ein Ring, es sei $S ⊂ R$ ein multiplikatives System und es sei $M$
ein $R$-Modul mit Untermodul $N$ und $P ⊂ M$. Dann gilt Folgendes.
\begin{enumerate}
\item Es ist $S^{-1}(N+P) = (S^{-1}N) + (S^{-1}P)$.
\item Es ist $S^{-1}(N ∩ P) = (S^{-1}N)(S^{-1}P)$.
\item\label{il:10-4-8-3} Es ist $S^{-1}(M/N) = (S^{-1} M) / (S^{-1} N)$.
\end{enumerate}
\end{kor}
\begin{proof}
Ich bin faul und beweise nur \ref{il:10-4-8-3}. Betrachte dazu die exakte
Sequenz
\[
0 → N \xrightarrow{\text{Inklusion}} M
\xrightarrow{\text{Projektion}} M/N → 0.
\]
Dann ist
\[
\underbrace{S^{-1}0}_{ = 0} → S^{-1}N
\xrightarrow{S^{-1}\text{Inklusion}} S^{-1}M \xrightarrow{S^{-1}\text{Projektion}}
S^{-1}(M/N)\underbrace{S^{-1}0}_{ = 0}
\]
ebenfalls exakt. Also ist $S^{-1}(M/N)$ nach Beobachtung~\ref{beo:10-4-6}
isomorph zum Quotienten $(S^{-1}M) / (S^{-1}N)$.
\end{proof}
\section{Lokale Eigenschaften von Moduln und von Morphismen}
Gegeben sei ein Ring $R$ und es sei $A$ ein $R$-Modul. Wenn $A$ der Nullmodul
ist, dann ist natürlich auch jede Lokalisierung nach jedem Primideal der
Nullmodul. Interessanterweise gilt auch die Umkehrung.
\begin{lem}[Verschwindung von Moduln ist lokale Eigenschaft]\label{lem:10-4-10}%
Es sei $R$ ein Ring und es sei $M$ ein $R$-Modul. Dann sind die folgenden
Aussagen äquivalent.
\begin{enumerate}
\item\label{il:10-4-10-1} Es ist $M = 0$.
\item\label{il:10-4-10-2} Für jedes Primideal $p ⊂ R$ ist $M_p = 0$.
\item\label{il:10-4-10-3} Für jedes maximale Ideal $m ⊂ R$ ist $M_m = 0$.
\end{enumerate}
\end{lem}
\begin{proof}
Es ist nur die Richtung \ref{il:10-4-10-3} $$ \ref{il:10-4-10-1} zu zeigen.
Wir führen einen Widerspruchsbeweis und nehmen an, dass $M ≠ 0$ ist, dass aber
alle Lokalisierungen in maximalen Idealen 0 sind. Wähle dann ein Element $x ∈
M \{0\}$, und betrachte die Menge
\[
\operatorname{Ass}(x) = \{ r ∈ R \::\: r·x = 0 \} ⊂ R.
\]
Dies ist ein Ideal in $R$, das häufig als das „zu $x$ assoziierte Ideal“
bezeichnet wird. Blutrünstige Kollegen sprechen gern vom
\href{https://www.youtube.com/watch?v=qTUL-mpov78}{Assassinator-Ideal}, weil
$\operatorname{Ass}(x)$ aus genau den Ringelementen besteht, die $x$ „killen“.
Die Annahme $x ≠ 0$ impliziert sofort $1 \not\operatorname{Ass}(x)$. Also
können wir ein maximales Ideal wählen $m$, das $\operatorname{Ass}(x)$
enthält,
\[
\operatorname{Ass}(x) ⊂ m ⊊ R.
\]
Per Annahme ist $M_m = 0$, und also ist
\[
\frac{0}{1} = \frac{x}{1} ∈ M_m.
\]
Per Definition bedeutet das, dass ein Element $s ∈ Rm$ existiert, sodass
$(1 - 0·1) = 0$ ist. Mit anderen Worten: es gilt $s·x = 0$ und also ist
$s ∈ \operatorname{Ass}(x)$, im Widerspruch zur Wahl von $s ∈ Rm ⊂
R\operatorname{Ass}(x)$.
\end{proof}
In der Fachsprache sagt man, die Eigenschaft eines Moduls, der Nullmodul zu
sein, ist eine lokale Eigenschaft.
\begin{defn}[Lokale Eigenschaften von Moduln]
Es sei $R$ ein Ring und es sei $E$ eine Eigenschaft von $R$-Moduln. Nenne $E$
eine \emph{lokale Eigenschaft}\index{lokale Eigenschaft!von Moduln}, wenn für
jeden $R$-Modul $M$ die folgenden Aussagen äquivalent sind.
\begin{itemize}
\item Der Modul $M$ hat Eigenschaft $E$.
\item Für alle Primideale $p ⊂ R$ gilt: Der Modul $M_p$ hat Eigenschaft $E$.
\end{itemize}
\end{defn}
Das geht natürlich auch mit Eigenschaften von Morphismen.
\begin{kor}[Injektivität und Surjektivität sind lokale Eigenschaften]\label{kor:10-5-3}%
Es sei $R$ ein Ring und es sei $α: A → B$ ein Morphismus von $R$-Moduln. Dann
sind die folgenden Aussagen äquivalent.
\begin{enumerate}
\item\label{il:10-5-3-1} Die Abbildung $α$ ist injektiv.
\item\label{il:10-5-3-2} Für alle Primideale $p ⊂ R$ gilt: Die Abbildung $α_p$
ist injektiv.
\item\label{il:10-5-3-3} Für alle maximalen Ideale $m ⊂ R$ gilt: Die Abbildung
$α_m$ ist injektiv.
\end{enumerate}
Analoge Äquivalenzen gelten auch für Surjektivität.
\end{kor}
\begin{proof}
Nach Korollar~\ref{kor:10-4-7} ist nur die Richtung \ref{il:10-5-3-3} $$
\ref{il:10-5-3-1} zu zeigen. Wir nehmen also an, dass für jedes maximale
Ideal $m ⊂ R$ die Abbildung $α_m$ injektiv ist.
Als Nächstes betrachte die Sequenz von $R$-Moduln,
\begin{equation}\label{eq:10-5-3-4}
0 → \ker(α) → A \xrightarrow{α} B.
\end{equation}
Rechnen Sie nach, dass diese Sequenz exakt ist! Ich will zeigen, dass
$\ker(α) = 0$. Nach Lemma~\ref{lem:10-4-10} ist dies gleichbedeutend dazu,
dass für alle maximalen Ideale $m ⊂ R$ die Gleichheit $(\ker(α))_m = 0$ gilt.
Sei also ein maximales Ideal $m ⊂ R$ gegeben! Dann wende die
Lokalisierungskonstruktion auf die Sequenz~\eqref{eq:10-5-3-4} an und erhalte
eine neue Sequenz,
\begin{equation}\label{eq:10-5-3-5}
0_m → (ker(α))_m → A_m \xrightarrow{α_m} B_m,
\end{equation}
die nach Satz~\ref{satz:10-4-7} ebenfalls exakt ist. Aus der Exaktheit von
\eqref{eq:10-5-3-5} folgt aber, dass $(\ker(α))_m = \ker(α_m)$ ist. Per
Annahme ist $α_m$ aber injektiv und deshalb ist $(\ker(α))_m = 0$.
\end{proof}
Korollar~\ref{kor:10-5-3} sagt, das Injektivität und Surjektivität lokale
Eigenschaften von $R$-Modul\-mor\-phismen sind.
\begin{defn}[Lokale Eigenschaften von Modulmorphismen]
Es sei $R$ ein Ring und es sei $E$ eine Eigenschaft von $R$-Modulmorphismen.
Nenne $E$ eine \emph{lokale Eigenschaft}\index{lokale Eigenschaft!von
Modulmorphismen}, wenn für jeden $R$-Modulmorphismus $α$ die folgenden
Aussagen äquivalent sind.
\begin{itemize}
\item Der $R$-Modulmorphismus $α$ hat Eigenschaft $E$.
\item Für alle Primideale $p ⊂ R$ gilt: Der $R$-Modulmorphismus $α_p$ hat
Eigenschaft $E$.
\end{itemize}
\end{defn}
\section{Ideale}
Nun möchte ich noch untersuchen, wie die Mengen der Ideale im Ring $R$ und im
lokalisierten Ring $S^{-1}R$ zusammenhängen. Bevor es losgeht, erinnere ich an
zwei elementare Tatsachen aus der Algebra-Vorlesung.
\begin{lem}[Urbilder von Idealen]
Es sei $γ: R → T$ ein Ringmorphismus und es sei $I ⊂ T$ ein Ideal. Dann ist
die Urbildmenge $γ^{-1}(I)$ ein Ideal in $R$. Falls das Ideal $I$ zusätzlich
prim ist, dann ist auch $γ^{-1}(I)$ ein Primideal. \qed
\end{lem}
\begin{nlemma}[Bilder von Idealen]\label{nlem:10-6-2}%
Es sei $γ: R → T$ ein Ringmorphismus und es sei $J ⊂ R$ ein Ideal. Dann ist
im Allgemeinen weder die Bildmenge $γ(J)$ noch die Menge
\[
γ(J)·T := \{ a·b \::\: a ∈ γ(J) \text{ und } b ∈ T \}
\]
ein Ideal in $T$. \qed
\end{nlemma}
Im Kontext der Lokalisierung von Ringen stellt sich die Situation wie folgt dar.
\begin{lem}\label{lem:10-6-3}%
In der Situation von Konstruktion~\ref{kons:loc} („Lokalisierung von Ringen“)
sei $I ⊂ R$ ein Ideal. Dann ist
\begin{equation}\label{eq:10-6-3-1}
φ(I)·S^{-1}R = \left\{ \frac{a}{b} ∈ S^{-1}R \::\: a ∈ I, b ∈ S
\right\}.
\end{equation}
Insbesondere ist die diesem Fall die Menge $φ(I)·S^{-1}R$ sehr wohl ein Ideal
in $S^{-1}R$.
\end{lem}
\begin{proof}
Die Inklusion „$$“ ist klar. Um die Inklusion „$$“ zu zeigen, sei ein
Element
\[
\frac{α}{β} ∈ φ(I)·S^{-1}R
\]
gegeben. Per Definition von $φ(I)·S^{-1}R$ bedeutet das: es existieren
Elemente $a ∈ I$ und $\frac{r}{s} ∈ S^{-1}R$, sodass die Gleichung
\[
\frac{α}{β} = \frac{a}{1}·\frac{r}{s} = \frac{a·r}{s}
\]
gilt. Da $I$ ein Ideal ist, ist $a·r ∈ I$ und die Aussage folgt.
\end{proof}
\begin{bemerkung}
Lemma~\ref{lem:10-6-3} hat vielleicht ein wenig Potenzial für Verwirrung, denn
das Ideal $I ⊂ R$ ist natürlich auch ein $R$-Modul und die rechte Seite von
Gleichung~\eqref{eq:10-6-3-1} erinnert an $S^{-1}I$, die Lokalisierung von $I$
als $R$-Modul. Das ist natürlich kein Zufall, und ich möchte die Details noch
einmal genau diskutieren. Sei also $ι : I → R$ die Inklusionsabbildung; dies
ist ein Morphismus von $R$-Moduln. Lokalisierung von $R$-Moduln liefert uns
eine neue Abbildung,
\[
S^{-1}ι : S^{-1}I → S^{-1}R,
\]
die nach Korollar~\ref{kor:10-4-7} wieder injektiv ist. Erinnern Sie sich
dazu an Bemerkung~\ref{bem:10-4-2}: Es macht keinen Unterschied, ob wir $R$
als Ring oder als $R$-Modul lokalisieren. Rechnen Sie als Nächstes nach, dass
das Bild der injektiven Abbildung $S^{-1}ι$ genau die Menge $φ(I)·S^{-1}R$
ist. Die Abbildung $S^{-1}ι$ identifiziert daher die Mengen $S^{-1}I$ und
$φ(I)·S^{-1}R$.
\end{bemerkung}
\begin{notation}
In der Situation von Lemma~\ref{lem:10-6-3} werden wir das Ideal
$φ(I)·S^{-1} R ⊂ S^{-1} R$ von nun an häufig mit $S^{-1}I$ notieren.
\end{notation}
\begin{satz}[Verhalten von Idealen unter Lokalisierung]\label{satz:10-6-6}%
In der Situation von Konstruktion~\ref{kons:loc} („Lokalisierung von Ringen“)
gilt Folgendes.
\begin{enumerate}
\item\label{il:10-6-6-1} Alle Ideale in $S^{-1}R$ sind von der Form $S^{-1}I$
für ein Ideal $I ⊂ R$. Genauer: für jedes Ideal $J ⊂ S^{-1}R$ gilt die
Gleichung
\[
J = S^{-1} φ^{-1}(J).
\]
\item Für jedes Ideal $I ⊂ R$ ist
\[
φ^{-1}\left(S^{-1}I\right) = \{ r ∈ R \::\: ∃ s ∈ S : r·s ∈ I \}.
\]
\item\label{il:10-6-6-3} Ein Ideal $I ⊂ R$ ist genau dann von der Form
$φ^{-1}(J)$, wenn die folgende Gleichheit gilt
\[
I = \{ r ∈ R \::\: ∃ s∈S: r·s ∈ I \}.
\]
\end{enumerate}
\end{satz}
\begin{proof}
\video{12-2}
\end{proof}
\begin{kor}[Verhalten von Primidealen unter Lokalisierung]\label{kor:10-6-8}%
In der Situation von Konstruktion~\ref{kons:loc} („Lokalisierung von Ringen“)
liefert die Abbildung
\[
η: \left\{\text{ Ideale in $S^{-1}R$ } \right\}\left\{\text{ Ideale in $R$ }
\right\}, \quad J ↦ φ^{-1}(J)
\]
eine Bijektion
\[
\left\{ \text{ Primideale in $S^{-1}R$ } \right\}\left\{ \text{
Primideale $I ⊂ R$ mit $I ∩ S =$ } \right\}.
\]
\end{kor}
\begin{proof}
Zuerst müssen wir zeigen, dass für jedes Primideal $J ⊂ S^{-1}R$ das Urbild
$φ^{-1}(J)$ zu $S$ disjunkt ist. Das geht mit einem Widerspruchsbeweis.
Angenommen, es gäbe ein $s ∈ φ^{-1}(J)∩ S$. Per Definition der Abbildung $φ$
ist dann $\frac{s}{1} ∈ J$, also $\frac{1}{1} = \frac{s}{1}·\frac{1}{s} ∈ J$
und es folgt $J = S^{-1}R$. Das ist ein Widerspruch zur Annahme, dass $J$
prim ist.
Die Abbildung $η$ ist offensichtlich injektiv. Also ist nur noch zu zeigen,
dass jedes Primideal $I ⊂ R$ mit $I ∩ S =$ bereits Urbild eines Primideals
in $J ⊂ S^{-1}R$ ist. Sei also ein solches Ideal $I$ gegeben. Um $J$ zu
finden, wenden wir das Kriterium~\ref{il:10-6-6-3} an: wenn ein Element $r ∈
R$ gegeben ist, sodass ein $s ∈ S$ existiert mit $r·s ∈ I$, dann ist $s$
logischerweise nicht in $I$. Auf der anderen Seite ist $I$ per Annahme ein
Primideal, sodass $r ∈ I$ sein muss. Kriterium~\ref{il:10-6-6-3} liefert uns
also ein Ideal $J ⊂ S^{-1}R$ mit $I = φ^{-1}(J)$. Nach \ref{il:10-6-6-1}
wissen wir sogar ganz genau, was $J$ ist, nämlich $S^{-1}I$.
Jetzt ist nur noch zu zeigen, dass das gefundene Ideal $J$ tatsächlich ein
Primideal ist. Seien also zwei Brüche $\frac{a}{b}$ und $\frac{c}{d}
S^{-1}R$ gegeben, sodass
\[
\frac{a}{b}·\frac{c}{d} = \frac{ac}{bd} ∈ J = S^{-1}I
\]
ist. Nach Lemma~\ref{lem:10-6-3} bedeutet das:
\[
α ∈ I: ∃ β ∈ S: \frac{α}{β} = \frac{ac}{bd}.
\]
Das bedeutet per Definition von Lokalisierung: Es existiert ein Element $u ∈
S$ mit $(acβ - α bd)u = 0$. Es folgt also
\[
ac\underbrace{β u}_{∈ S} = α·bdu ∈ I \text{ da } α ∈ I.
\]
Weil $I$ aber ein Primideal ist und $S ∩ I =$, folgt $ac ∈ I$. Also ist $a
∈ I$ oder $c ∈ I$ und deshalb ist $\frac{a}{b} ∈ S^{-1}I$ oder $\frac{c}{d}
I$. Was zu zeigen war.
\end{proof}
\begin{kor}
In der Situation von Konstruktion~\ref{kons:loc} („Lokalisierung von Ringen“)
sei $R$ Noethersch. Dann ist auch $S^{-1}R$ Noethersch.
\end{kor}
\begin{proof}
Es sei $I_1 ⊂ I_2 ⊂ ⋯$ eine aufsteigende Kette von Idealen in $S^{-1}R$.
Betrachte die Kette $φ^{-1}(I_1) ⊂ φ^{-1}(I_2) ⊂ ⋯$. Das ist eine
aufsteigende Kette von Idealen in $R$. Weil der Ring $R$ per Annahme
Noethersch ist, wird diese Kette stationär. Mit anderen Worten: es existiert
ein Index $n ∈ $, sodass $φ^{-1}(I_n) = φ^{-1}(I_{n+1}) =$ ist. Nach
Aussage~\ref{il:10-6-6-1} von Satz~\ref{satz:10-6-6} ist dann aber
\[
\underbrace{S^{-1} φ^{-1}(I_n)}_{= I_n} = \underbrace{S^{-1}
φ^{-1}(I_{n+1})}_{= I_{n+1}} = ⋯.
\]
Also wird bereits die aufsteigende Kette $I_1 ⊂ I_2 ⊂ ⋯$ stationär.
\end{proof}
\begin{kor}[Lokalisierung von Primidealen liefert lokale Ringe]\label{kor:10-6-9}%
In der Situation von Konstruktion~\ref{kons:loc} („Lokalisierung von Ringen“)
sei das multiplikative System $S$ von der Form $S = R p$, für ein Primideal
$p ⊂ R$. Dann gibt es in $S^{-1}R = R_p$ genau ein maximales Ideal, nämlich
$p·R_p = S^{-1}p$.
\end{kor}
\begin{proof}
Sei $m ⊂ R_p$ ein maximales Ideal, dann ist $φ^{-1}(m) ⊂ R$ ein Primideal,
welches nach Korollar~\ref{kor:10-6-8} in $RS = R(Rp) = p$ enthalten ist.
Also folgt aus der Maximalität bereits die Gleichung $φ^{-1}(m) = p$. Mit
anderen Worten: $m = p · R_p$.
\end{proof}
\section{Lokale Ringe}
Die Lokalisierung eines Ringes ist natürlich eine sehr wichtige Konstruktion.
Sie ist so wichtig, dass die Ringe, die man dabei erhält, einen eigenen Namen
bekommen.
\begin{defn}[Lokaler Ring, Restklassenkörper]
Ein \emph{lokaler Ring}\index{lokaler Ring} ist ein kommutativer Ring mit
Eins, der genau ein maximales Ideal enthält. Wenn $R$ ein lokaler Ring mit
maximalem Ideal $m$ ist, dann wird der Körper $R/m$ als
\emph{Restklassenkörper}\index{Restklassenkörper} bezeichnet.
\end{defn}
\begin{bsp}
Es sei $R$ ein Ring und $p ⊂ R$ ein Primideal. Wir haben in
Korollar~\ref{kor:10-6-9} gesehen, dass $R_p$ ein lokaler Ring mit maximalen
Ideal $p·R_p$ ist. Rechnen Sie nach, dass der Restklassenkörper $R_p/p·R_p$
exakt der Quotientenkörper des Integritätsringes $R/p$ ist!
\end{bsp}
\begin{satz}[Charakterisierung von lokalen Ringen]
Es sei $R$ ein Ring und es sei $m ⊊ R$ ein maximales Ideal. Dann sind die
folgenden Aussagen äquivalent.
\begin{enumerate}
\item\label{il:10-7-2-1} Der Ring $R$ ist ein lokaler Ring.
\item\label{il:10-7-2-2} Jedes Element aus $Rm$ ist eine Einheit.
\end{enumerate}
\end{satz}
\begin{proof}
---
\begin{description}
\item[\ref{il:10-7-2-1} $⇒$ \ref{il:10-7-2-2}] Sei $R$ ein lokaler Ring und $f
∈ R$ sei keine Einheit. Dann ist $(f) ≠ R$. Also ist $(f)$ in einem (dem
einen) maximalen Ideal enthalten und es ist $(f) ⊂ m$. Also ist $f ∈ m$.
\item[\ref{il:10-7-2-2} $⇒$ \ref{il:10-7-2-1}] Sei $I ⊊ R$ ein beliebiges
Ideal. Dann gilt für jedes Element $x ∈ I$, dass $x \not ∈ R^*$ (denn sonst
wäre $I = R$). Also ist $I ⊂ m$. Also ist $m$ das einzige maximale Ideal.
\qedhere
\end{description}
\end{proof}
Wir enden mit dem berühmten „Lemma von Nakayama“. Dies ist ein Kriterium, mit
dem man später in geometrisch relevanten Situationen zeigen kann, dass ein
gegebener Modul über einem lokalen Ring verschwindet. Über das Lemma von
Nakayama lässt sich viel sagen und viel schreiben, aber ich werde mich
kurzfassen, denn ich will so schnell wie möglich zurück zur Geometrie.
\begin{lem}[Lemma von Nakayama]
Sei $R$ ein lokaler Ring mit maximalem Ideal $m$. Weiter sei $M$ ein endlich
erzeugter $R$-Modul. Betrachte die Menge
\[
m · M = \{ a · b ∈ M \::\: a ∈ m, b ∈ M \}.
\]
Falls $m · M = M$ ist, dann ist $M = 0$.
\end{lem}
\begin{proof}
\video{12-3}
\end{proof}
%%% Local Variables:
%%% mode: latex
%%% TeX-master: "21-KA"
%%% End: