% spell checker language \selectlanguage{german} \chapter{Algebraische Mengen} \section{Beispiele} Bevor es richtig losgeht, brauchen wir Beispiele und interessanten polynomialen Gleichungssysteme und zugehörigen Lösungsmengen. Der algebraische Geometer spricht dabei nicht von Lösungsmengen, sondern von „algebraischen Mengen“. Klingt besser. \begin{defn}[Algebraische Menge]\label{def:2-1-1}% Es sei $k$ ein Körper und es sei $m ∈ ℕ$ eine Zahl. Eine Teilmenge $A ⊆ k^m$ heißt \emph{algebraische Teilmenge}\index{algebraische Teilmenge des $k^m$}, falls es Polynome $f_1, …, f_n ∈ k[x_1, …, x_m]$ gibt, sodass \[ A = \Bigl\{ \vec{x} ∈ k^m \::\: f_1(\vec{x}) = ⋯ = f_n(\vec{x}) = 0 \Bigr\} \] ist. \end{defn} \begin{bemerkung} In der Literatur werden algebraische Mengen manchmal als \emph{affine Varietäten}\index{affine Varietäten}\index{Varietät!affin} bezeichnet; die meisten Autoren reservieren das Wort „Varietät“ aber für algebraische Mengen, die mit einer gewissen Topologie versehen wurden. Andere fordern zusätzlich noch, dass man einen Begriff von „algebraischen Funktionen“ definiert. \end{bemerkung} \begin{notation}[Algebraische Menge]\label{not:2-1-3}% Es sei $k$ ein Körper, es sei $m ∈ ℕ$ eine Zahl und es seien $f_1, …, f_n ∈ k[x_1, …, x_m]$ Polynome. Die zugehörende algebraische Menge wird oft mit \[ V(f_1, …, f_n) = \Bigl\{ \vec{x} ∈ k^m \::\: f_1(\vec{x}) = ⋯ = f_n(\vec{x}) = 0 \Bigr\} \] bezeichnet. \end{notation} \begin{bsp}[Der gesamte Raum] Es sei $k$ ein Körper. Der gesamte Raum $k^m$ ist eine algebraische Menge (nehme für $f_•$ das Nullpolynom). Wenn ich von $k^m$ als algebraischer Menge spreche, benutze ich oft das Wort \emph{affiner Raum}\index{affiner Raum} und schreibe $𝔸^m$. \end{bsp} \begin{bsp}[Die leere Menge] Es sei $k$ ein Körper. Die leere Menge ist eine algebraische Menge (nehme für $f_•$ das Einspolynom). \end{bsp} \begin{bsp}[Graph einer Funktion] Es sei $k$ ein Körper und es sei $f ∈ k[x]$ ein Polynom. Dann ist der Graph der zugehörenden Abbildung $f : k → k$, \[ A = \Bigl\{ (x,y) ∈ k² \::\: y-f(x) = 0 \Bigr\}, \] eine algebraische Menge, die typischerweise mit $Γ_f$ bezeichnet wird. \end{bsp} \begin{bsp}[Graph einer rationalen Funktion] Es sei $k$ ein Körper und es sei $f ∈ k(x)$ eine rationale Funktion. Schreibe $f$ als Quotient, $f = a/b$, wobei $a$ und $b ∈ k[x]$ teilerfremde Polynome sind. Dann ist der Graph von $f$, \[ A = \Bigl\{ (x,y) ∈ k² \::\: y·b(x)-a(x) = 0 \Bigr\}, \] eine algebraische Menge, die typischerweise mit $Γ_f$ bezeichnet wird. \end{bsp} \begin{figure} \centering \includegraphics[width=10cm]{figures/02-graph.png} \caption{Graph einer rationalen Funktion} \label{fig:gerf} \end{figure} \begin{bsp}[Achsenkreuz]\label{bsp:2-1-8} Es sei $k$ ein Körper. Das Achsenkreuz \[ \Bigl\{ (x,y) ∈ ℝ² \::\: x·y = 0 \Bigr\} \] ist eine algebraische Menge. Das Achsenkreuz besteht aus zwei Achsen und das Polynom $f(x,y) = x·y$ ist reduzibel. Sehen Sie hier einen Zusammenhang? \end{bsp} \begin{bsp}[Einheitskreis] Der Einheitskreis in $ℝ²$, \[ E := \Bigl\{ (x,y) ∈ ℝ² \::\: x²+y²-1 = 0 \Bigr\} \] ist eine algebraische Menge. \end{bsp} \begin{bsp}[Elliptische Kurven]\label{bsp:ellipti}% Öffnen Sie die \href{https://cplx.vm.uni-freiburg.de/storage/software/ellipticcurve/wasm/ellipticcurve.html}{folgende Seite} in Ihrem Webbrowser und spielen Sie mit dem Programm \href{https://kebekus.gitlab.io/ellipticcurve/de/}{Elliptic Curve Plotter}, um \href{https://de.wikipedia.org/wiki/Elliptische_Kurve}{elliptische Kurven}\index{elliptische Kurve} im $ℝ²$ zu zeichnen. Diese Kurven spielen in der Kryptografie eine wichtige Rolle. Sie verwenden elliptische Kurven täglich, wenn Sie Daten im Internet übertragen. \end{bsp} \begin{bsp}[Kubische Raumkurve]\label{bsp:crk} Die algebraische Menge \[ \Bigl\{ (x,y,z) ∈ ℝ³ \::\: y - x² = z-x³=0 \Bigr\} \] ist eine Kurve in $ℝ³$. \end{bsp} \begin{bsp}[Flächen im Raum] Schauen Sie sich auf \href{https://cplx.vm.uni-freiburg.de/de/research-ag/}{meiner Web-Seite} die \href{https://en.wikipedia.org/wiki/Clebsch_surface}{Clebsche Diagonalfläche}\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Clebsch}{Rudolf Friedrich Alfred Clebsch} (* 19.~Januar 1833 in Königsberg; † 7.~November 1872 in Göttingen) war ein deutscher Mathematiker, der bedeutende Beiträge zur algebraischen Geometrie und zur Invariantentheorie leistete.} an, die auch in Abbildung~\ref{fig:cds} dargestellt ist. \end{bsp} \begin{figure} \centering \includegraphics[width=5cm]{figures/02-clebschCubic.png} \[ S := \bigl\{ (x:y:z) ∈ ℝ³ \::\: (x+y+z+1)³ = x³+y³+z³+1 \bigr\}. \] \caption{Diagonalfläche von Clebsch} \label{fig:cds} \end{figure} \begin{bsp}[Mehr Flächen im Raum] Auf der Seite \href{https://imaginary.org}{imaginary.org} finden Sie viel Material. Besonders schöne algebraische Mengen finden Sie \href{https://imaginary.org/gallery/surfer-gallery-by-bianca-violet}{hier}, \href{https://imaginary.org/gallery/herwig-hauser-classic}{hier} und \href{https://imaginary.org/gallery/oliver-labs}{hier}. Holen Sie sich das Programm \href{https://imaginary.org/program/surfer}{surfer} und spielen Sie selbst! \end{bsp} \begin{bsp}[Eine komische Gleichung für den Punkt] Die Menge \[ \Bigl\{ (x,y) ∈ ℝ² \mid x²+y² = 0 \Bigr\} \] ist ein Punkt. Das ist komisch. Wir betrachten den zwei-dimensionalen $ℝ²$ und eine einzige Gleichung. Da erwarten wir doch, dass die Lösungsmenge ein-dimensional ist, also eine Kurve. Stattdessen bekommen wir einen Punkt! Beachte: über den komplexen Zahlen wäre und das nicht passiert! \end{bsp} \begin{bsp}[Mechanik] Betrachte einen banalen Roboter in der Ebene. Ein Arm der Länge 2 ist im Ursprung befestigt. An dessen freiem Ende $(x,y)$ ist ein Arm mit Länge 1 befestigt. Dessen Ende sei im Punkt $(a,b)$. Die Menge der möglichen Zustände des Roboters ist dann die algebraische Menge \[ \Bigl\{ (x,y,a,b) ∈ ℝ⁴ \::\: x² + y² -4 = (x-a)² + (y-b)² -1 = 0 \Bigr\}. \] Um den Roboter von Stellung $A$ in Stellung $B$ zu bringen, muss die Steuerungssoftware einen Weg auf dieser Menge finden, der einerseits möglichst kurz ist, andererseits noch etliche Nebenbedingungen erfüllen muss (mechanische Belastbarkeit der Gelenke, Kollisionsvermeidung, …). Bei Robotern mit mehreren Gelenken wird dies sehr schnell zu einer gigantischen Herausforderung! Für den allereinfachsten Fall googeln Sie mal nach den Worten „Gelenkviereck“ und „\foreignlanguage{english}{four bar linkage}“. Sie werden überrascht sein, wie kompliziert die Kurven werden und wie kompliziert die Mathematik wird. \end{bsp} \begin{bsp}[Design] Wenn Sie schon einmal mit einem Zeichenprogramm gearbeitet haben, kennen Sie \emph{Bézierkurven}\index{Bézierkurve}. Gegeben seien Punkte $p_0, …, p_n ∈ ℝ²$. Das Ziel ist es, eine optisch schöne Kurve von $p_0$ zu $p_n$ zu zeichnen, die die Punkte $p_1, …, p_{n-1}$ nicht unbedingt trifft, aber zumindest in der Nähe dieser Punkte verläuft. Dazu konstruiert man Abbildungen $ℝ → ℝ²$, \begin{align*} B_{p_0, p_1}(t) & = (1-t)·p_0 + t·p_1\\ \intertext{und dann weiter induktiv} B_{p_0,…,p_k}(t) & = (1-t)·B_{p_0,…,p_{k-1}}(t) + t·B_{p_1,…,p_k}(t). \end{align*} Die Bézierkurve ist dann die eingeschränkte Abbildung \[ B_{p_0,…,p_n} : [0, 1] → ℝ². \] Ich behaupte, dass die Bildmenge $B_{p_0,…,p_n}(ℝ)$ algebraisch ist! Sie finden Abbildungen und weiterführende Informationen auf \href{https://de.wikipedia.org/wiki/B\%C3\%A9zierkurve}{Wikipedia}. \end{bsp} \section{Parametrisierungen} \sideremark{Vorlesung 2}In der Schule haben Sie die \emph{Gleichung} und \emph{Parametrisierungen} von Geraden im $ℝ²$ diskutiert, vermutlich bis zum Erbrechen. Beide Darstellungen haben Ihre Vor- und Nachteile: \begin{itemize} \item Wenn eine Gerade als Gleichung beschrieben ist, kann ich durch direktes Einsetzen prüfen, ob ein gegebener Punkt auf der Geraden liegt oder nicht. \item Die Parametrisierung ist sinnvoll, um die Gerade zu zeichnen. Das gilt besonders, wenn ich ein Computerprogramm schreiben soll, das die Gerade zeichnet. \end{itemize} Die Existenz von Parametrisierungen ist vielleicht eine der ersten Fragen, die man bezüglich algebraischer Mengen stellen kann. Wir diskutieren „Parametrisierungen durch rationale Funktionen“, wobei die rationalen Funktionen nicht überall definiert sein müssen. Die folgende Definition ist daher vielleicht ein wenig komplizierter als man erst einmal denkt. \begin{defn}[Rationale Parametrisierung] Es sei $k$ ein Körper und es sei $A⊆ k^n$ eine algebraische Menge. Eine \emph{rationale Parametrisierung}\index{Parametrisierung} von $A$ ist ein Tupel von rationalen Funktionen $f_1, …, f_n ∈ k(x_1, …, x_m)$, sodass Folgendes gilt. \begin{enumerate} \item\label{il:1.1.16.1} Falls $\vec{x} ∈ k^m$ ein Punkt ist, an dem alle $f_i$ definiert sind, dann ist \[ \bigl(f_1(\vec{x}), …, f_n(\vec{x}) \bigr) ∈ A. \] \item Die Menge $A$ ist die kleinste algebraische Menge, für die Eigenschaft~\ref{il:1.1.16.1} gilt. \end{enumerate} \end{defn} \begin{bsp}[Affiner Raum und leere Menge] Der affine Raum ist rational parametrisierbar. Die leere Menge ist nicht rational parametrisierbar. \end{bsp} \begin{bsp}[Graphen] Graphen von rationalen Funktionen sind trivialerweise rational parametrisierbar. \end{bsp} \begin{bsp}[Einheitskreis]\label{bsp:rpek}% Aus der Analysis-Vorlesung wissen wir, dass sich der Kreis durch $α ↦ (\cos α, \sin α)$ parametrisieren lässt, aber diese Parametrisierung ist nicht sehr algebraisch. Hier ist eine andere Konstruktion: wir wissen schon, dass der Punkt $(-1,0)$ auf dem Einheitskreis liegt. Gegeben eine Zahl $t$, dann betrachten Sie die Gerade durch $(-1,0)$ mit Steigung $t$ -- Abbildung~\ref{fig:rpk} zeigt den Fall $t = 0.8$. Diese Gerade schneidet den Kreis in $(-1,0)$ und in einem weiteren Punkt $p_t$, der von $t$ abhängt. Rechnen Sie die Koordinaten von $p_t$ sofort aus und stellen Sie fest, dass wir durch $t ↦ p_t$ eine Parametrisierung des Kreises durch rationale Funktionen erhalten, nämlich \[ φ : ℝ → E, \quad t ↦ \Bigl(\frac{1-t²}{1+t²}, \frac{2t}{1+t²}\Bigr). \] Mit dieser Parametrisierung lässt sich die Frage beantworten, wie viele Punkte des Einheitskreises rationale Koordinaten haben („Wie viele \emph{rationale Punkte} gibt es auf dem Einheitskreis?“). Überlegen Sie sich, dass $φ(t) ∈ ℚ²$ genau dann gilt, wenn $t ∈ ℚ$ ist. Cool. Um zu sehen, wie cool genau, erinnern Sie sich: ein \href{https://de.wikipedia.org/wiki/Pythagoreisches_Tripel}{\emph{Pythagoreisches Tripel}}\index{Pythagoreisches Tripel} ist ein Tripel $(a,b,c) ∈ ℤ³$, sodass $a² + b² = c²$ ist. Pythagoreische Tripel diskutiert man schon etwas länger. Wikipedia schreibt: \begin{figure} \centering \includegraphics[width=10cm]{figures/02-kreis.png} \caption{Rationale Parametrisierung des Kreises} \label{fig:rpk} \end{figure} \begin{quote} Pythagoreische Tripel finden sich bereits auf babylonischen Tontafeln, die in die Zeit der Hammurabi-Dynastie datiert werden (1829 bis 1530 v.~Chr.). Die Keilschrifttafel „Plimpton 322“ enthält 15 verschiedene pythagoreische Tripel […], was darauf schließen lässt, dass bereits vor mehr als 3500 Jahren ein Verfahren zur Berechnung solcher Tripel bekannt war. Für Ägypten ist die explizite Erwähnung von pythagoreischen Tripeln […] aus einem demotischen Papyrus des 3.~Jahrhunderts v.~Chr.\ bekannt […] \end{quote} Beobachten Sie: ein Tripel $(a,b,c)$ ist genau dann pythagoreisch, wenn $(\frac{a}{c}, \frac{b}{c})$ ein rationaler Punkt des Einheitskreises $E$ ist. Also haben wir mit der rationalen Parametrisierung des Kreises alle pythagoreischen Tripel bestimmt. \end{bsp} \begin{bsp}[Elliptische Kurven] Man kann beweisen, dass es im Gegensatz zum Einheitskreis \emph{keine algebraische Parametrisierung einer elliptischen Kurve geben kann}! Das ist gut so. Elliptische Kurven müssen kompliziert sein, sonst würde man sie in der Verschlüsselungstechnik nicht verwenden können. \end{bsp} \begin{bsp}[Kubische Raumkurve] In Beispiel~\ref{bsp:crk} hatten wir die kubische Raumkurve kennengelernt. Diese Kurve wird durch $t ↦ (t, t², t³)$ parametrisiert. \end{bsp} \begin{bsp}[Clebsche Diagonalfläche] Die Clebsche Diagonalfläche kann rational parametrisiert werden, aber das ist vielleicht nicht sehr offensichtlich. Bei der Suche nach einer Parametrisierung hilft Geometrie der 27 Geraden unheimlich! \end{bsp} \begin{bsp}[Bézier-Kurven] Bézierkurven sind durch ihre Parametrisierung definiert. \end{bsp} \section{Erste Fragen} Die Frage nach der Parametrisierbarkeit ist schwer, und schon für sehr einfache Gleichungen ist die Antwort oft unbekannt. Wir stellen in dieser Vorlesung zunächst eine viel einfachere Frage: gegeben sei ein Körper $k$ und Polynome $f_1, …, f_m ∈ k[x_1, …, x_n]$. \begin{itemize} \item Ist $V(f_1, …, f_m)$ dann leer oder nicht? \item Falls Lösungen existieren: Wie viele gibt es? \item Falls nur endlich viele Lösungen existieren: Wie viele gibt es genau? \item Bei unendlich vielen: Was ist die Geometrie von $V$? \end{itemize} Das sind im Allgemeinen schwierige Fragen. Um den Grad der Schwierigkeit zu illustrieren, erinnere ich an den berühmten \href{https://de.wikipedia.org/wiki/Gro\%C3\%9Fer_Fermatscher_Satz}{Großen Satz von Fermat}\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_de_Fermat}{Pierre de Fermat} (* in der zweiten Hälfte des Jahres 1607 in Beaumont-de-Lomagne, heute im Département Tarn-et-Garonne; † 12.~Januar 1665 in Castres) war ein französischer Mathematiker und Jurist.}, der erst 350 Jahre nach seiner Formulierung von Wiles\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Andrew_Wiles}{Sir Andrew John Wiles} KBE, FRS (* 11.~April 1953 in Cambridge) ist ein britischer Mathematiker. Berühmt wurde er durch seinen Beweis der Taniyama-Shimura-Vermutung für semistabile elliptische Kurven, woraus sich der Große Fermatsche Satz ergibt.} bewiesen wurde. Wikipedia schreibt: \begin{quote} Zahlreiche teils romantische, teils dramatische, aber auch tragische Episoden dieser Geschichte haben [den großen Satz von Fermat] weit über den Kreis der Mathematiker hinaus populär gemacht. \end{quote} Kennen Sie das Buch \href{https://en.wikipedia.org/wiki/Fermat\%27s_Last_Theorem_(book)}{Fermat's Last Theorem} von Simon Singh? Weihnachten ist zwar schon vorbei… \begin{satz}[Fermat's großer Satz] Gegeben sei eine natürliche Zahl $n > 2$. Dann erfüllt kein Tripel $(a, b, c)$ von positiven natürlichen Zahlen die Gleichung $a^{n}+b^{n}=c^{n}$. \qed \end{satz} \begin{beobachtung}[Zusammenhang zu algebraischen Mengen] Fermat's großer Satz lässt sich auch so ausdrücken: Gegeben sei eine natürliche Zahl $n > 2$. Dann hat die algebraische Menge \[ A := \{ (x,y) ∈ ℚ² \::\: x^n+y^n=1 \} \] nur einige triviale Lösungen. Dazu beachte man, dass eine nicht-triviale ganzzahlige Lösung $(a,b,c)$ der Gleichung $x^n+y^n=z^n$ einen rationalen Punkt $(\frac{a}{c}, \frac{b}{c}) ∈ A$ liefert. Umgekehrt liefert ein rationaler Punkt $(\frac{a}{c}, \frac{b}{d}) ∈ A$ eine nicht-triviale, ganzzahlige Lösung $(ad,cb,bd)$ der Fermat'schen Gleichung. \end{beobachtung} Als Ergebnis halten wir fest: zumindest über dem Körper $ℚ$ kann die Fragen nach der Existenz von Lösung kann nicht einfach sein. Auch die Frage nach der Anzahl von Lösungen ist nicht einfach – googeln Sie nach den Worten Faltings\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Gerd_Faltings}{Gerd Faltings} (* 28.~Juli 1954 in Gelsenkirchen) ist ein deutscher Mathematiker und Träger der Fields-Medaille. Er ist Direktor am Max-Planck-Institut für Mathematik und beschäftigt sich hauptsächlich mit diophantischen Gleichungen, Modulräumen und $p$-adischen Galois-Darstellungen.} und \href{https://de.wikipedia.org/wiki/Vermutung_von_Mordell}{Mordell-Vermutung}\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Louis_Mordell}{Louis Joel Mordell} (* 28.~Januar 1888 in Philadelphia, USA; † 12.~März 1972 in Cambridge, England) war ein amerikanisch-britischer Mathematiker, der vor allem in der Zahlentheorie, speziell der Theorie diophantischer Gleichungen arbeitete.}. \section{Der Hilbertsche Nullstellensatz} Ich möchte den Punkt machen, dass die Frage nach der Lösbarkeit von algebraischen Gleichungssystemen sehr viel einfacher wird, wenn wir uns auf algebraisch abgeschlossene Körper beschränken. Unter dieser Annahme beantwortet der Hilbertsche Nullstellensatz die Frage, ob eine algebraische Menge $V \bigl(f_1, …, f_n \bigr)$ leer ist, in Termen des von den $f_•$ erzeugten Ideals. \begin{erinnerung}[Ideale] Es sei $k$ ein Körper (der vielleicht nicht algebraisch abgeschlossen ist) und es seien $f_1, …, f_n ∈ k[x_1, …, x_m]$. Das von den $f_•$ erzeugten Ideal ist die Teilmenge \[ (f_1, …, f_n) = \bigl\{ a_1·f_1 + ⋯ a_n·f_n \::\: a_1, …, a_n ∈ k[x_1, …, x_m] \bigr\} ⊆ k[x_1, …, x_m]. \] In der Algebraischen Geometrie ist statt $(f_1, …, f_n)$ auch die Notation $I(f_1, …, f_n)$ üblich. \end{erinnerung} \begin{beobachtung}\label{beob:2-4-2}% Es sei $k$ ein Körper (der vielleicht nicht algebraisch abgeschlossen ist) und es seien $f_1, …, f_n ∈ k[x_1, …, x_m]$. Falls $V \bigl(f_1, …, f_n \bigr) ≠ ∅$ ist, dann ist $1 \notin (f_1, …, f_m)$. Wäre nämlich die 1 in dem Ideal enthalten, dann gäbe es eine Linearkombination \[ 1 = a_1·f_1 + ⋯ + a_n·f_n \] und demnach wäre $1 = a_1(\vec{x})·f_1(\vec{x}) + ⋯ a_n(\vec{x})·f_n(\vec{x}) = 0$, Widerspruch! \end{beobachtung} Für algebraisch abgeschlossene Körper zeigt die folgende „schwache Version“ des Hilbertschen Nullstellensatz, dass die Frage, ob $1 ∈ (f_1, …, f_m)$ ist, die Frage nach der Existenz von Lösungen bereits entscheidet. \begin{satz}[Schwacher Hilbertscher Nullstellensatz – Vorabversion]\label{satz:shn}% Es sei $k$ ein algebraisch abgeschlossener Körper und es seien Polynome $f_1, …, f_n ∈ k[x_1, …, x_m]$ gegeben. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent. \begin{enumerate} \item\label{il:2-4-3-1} Das Gleichungssystem $f_1 = ⋯ = f_n = 0$ hat eine Lösung in $k^m$. \item\label{il:2-4-3-2} Es ist $1 \notin (f_1, …, f_n)$. \end{enumerate} \end{satz} Wir werden den Hilbertschen Nullstellensatz im ersten Teil dieser Vorlesung beweisen. Wir müssen uns vielleicht auch Gedanken darüber machen, wie man für gegebene Polynome $f_•$ eigentlich entscheidet, ob die $1$ im Ideal $(f_1, …, f_n)$ liegt. \begin{bemerkung} Die Aussage „die $1$ liegt im Ideal $(f_1, …, f_n)$“ kann man auch anders formulieren. Überlegen Sie sich, dass die $1$ genau dann im Ideal $(f_1, …, f_n)$ liegt, wenn das Ideal bereits der ganz Ring ist. \end{bemerkung} \begin{aufgabe} Zeigen Sie an einem Beispiel, dass die Folgerung des Hilbertschen Nullstellensatzes ohne die Annahme „algebraisch abgeschlossen“ grässlich falsch ist. \end{aufgabe}