% spell checker language \selectlanguage{german} \chapter{Gröbnerbasen} Der Inhalt dieses Kapitels ist auch in vielen anderen Quellen gut erklärt. Werfen Sie einen Blick in das \href{http://hilbert.math.uni-mannheim.de/~seiler/CA17/CASkript17.pdf}{Skript des Mannheimer Kollegen Seiler}, das \href{https://www.mathematik.tu-dortmund.de/sites/daniel-plaumann/download/AG.pdf}{Skript des Dortmunder Kollegen Plaumann} und schauen Sie sich das Buch \cite{MR3330490} an, das Sie kostenlos im Universitätsnetz herunterladen können. \section{Liegt mein Element im Ideal?} \sideremark{Vorlesung 8}Gegeben einen algebraisch abgeschlossenen Körper $k$ und eine algebraische Menge $V(I) ∈ 𝔸^n_k$, dann ist die einfachste Frage, die ich stellen kann: ist die Menge $V(I)$ leer? Nach dem Hilbertschen Nullstellensatz äquivalent zu der Frage, ob $1 ∈ I$ ist. In diesem Kapitel möchte ich erklären, wie man diese Frage beantworten kann. Ich beantworte sogar die folgende, etwas allgemeinere Frage~\ref{frage:8-0-1}. Die folgende Notation wird durchweg verwendet. \begin{situation}\label{sit:8-1-1} Es sei $k$ ein Körper und es seien Polynome $f_1, …, f_m ∈ k[x_1, …, x_n]$ gegeben. Wir betrachten das Ideal $I := (f_1, …, f_m)$. \end{situation} \begin{frage}[Ideal Membership Problem]\label{frage:8-0-1} Wie kann ich in Situation~\ref{sit:8-1-1} entscheiden kann, ob ein gegebenes Polynom $f ∈ k[x_1, …, x_n]$ im Ideal $I$ liegt? Mit anderen Worten: Wie kann ich entscheiden, ob Polynome $g_1, …, g_m ∈ k[x_1, …, x_n]$ existieren, sodass die Gleichung \begin{equation}\label{eq:8-0-0-1} f = \sum_{i=1}^m g_i· f_i \end{equation} erfüllt ist? \end{frage} \begin{beobachtung} Wenn man von vornherein sagen könnte, wie groß der Grad der Polynome $g_i$ maximal ist, könnte man Gleichung~\eqref{eq:8-0-0-1} als lineares Gleichungssystem an die Koeffizienten der $g_i$ verstehen und lösen. \end{beobachtung} Gradabschätzungen für potenzielle Polynome $g_i$ gibt es. Sie wurden meines Wissens nach zuerst 1926 von Grete Hermann\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Grete_Hermann}{Grete Hermann} oder Grete Henry oder Grete Henry-Hermann (* 2. März 1901 in Bremen; † 15. April 1984 in Bremen) war eine deutsche Mathematikerin, Physikerin, Philosophin und Pädagogin, die mit Physikern wie Werner Heisenberg und anderen Wissenschaftlern ihrer Zeit in Diskussion über die Entwicklung vor allem der modernen Quantenphysik stand.} bewiesen, die in Freiburg studierte, \cite{MR1512302}. Inzwischen wurden die Abschätzung zwar dramatisch verbessert, \cite{MR944576}, liefern aber nach wie vor kein praktisch brauchbares Verfahren. In dieser Vorlesung soll daher eine andere Methode vorgestellt werden, die sich gut für die Implementierung auf Computern eignet. Dazu ändere ich Frage~\ref{frage:8-0-1} etwas ab. \begin{frage}\label{frage:8-1-3} In der Situation aus Frage~\ref{frage:8-0-1}, kann ich für jedes Polynom $f ∈ k[x_1, …, x_n]$ einen ``kanonischen Repräsentanten'' der Restklasse \[ [f] ∈ \factor{k[x_1, …, x_n]}{I} \] finden, der idealerweise in der Praxis auch noch gut berechenbar ist? \end{frage} Falls ich Frage~\ref{frage:8-1-3} positiv beantworten kann, kann ich das Ideal Membership Problem lösen. Gegeben ein Polynom $f$, dann berechne ich einfach die kanonischen Repräsentanten für die Restklassen $[f]$ und $[0]$ und vergleiche diese. Dann gilt offenbar: Das Polynom $f$ ist genau dann in $I$, wenn die kanonischen Repräsentanten gleich sind. So einfach ist das. \section{Monomiale Ideale} Um nicht sofort ins kalte Wasser zu springen, beantworten wir Frage~\ref{frage:8-1-3} zuerst im einfachen Fall von ``monomialen Idealen''. Was das sein soll, erkläre ich jetzt. \begin{definition}[Monome, Terme] Es sei $k$ ein Körper. Ein \emph{Monom}\index{Monom!im Polynomring} ist ein normiertes Polynom in $k[x_1, …, x_n]$, welches nur aus einem Summanden besteht. Elemente der Menge \[ \{ λ·m ∈ k[x_1, …, x_n] \:: λ ∈ k^*, m \text{ ein Monom}\} \] nennt man \emph{Terme}\index{Term!im Polynomring}. \end{definition} \begin{bemerkung} Die $0$ ist per Definition kein Monom und kein Term. \end{bemerkung} \begin{bsp} Die Polynome $x²$, $y³$ und $x·y²$ sind Monome auf $ℂ[x,y]$. Das Polynom $14·x²·y$ ist ein Term. Das Polynom $x²-y³$ ist kein Monom und kein Term. Jedes Polynom kann auf eindeutige Weise als Summe von Termen geschrieben werden. \end{bsp} \begin{notation}[Multi-Index-Schreibweise] Beim Umgang mit Monomen verwenden wir oft Multi-Index-Schreibweise: Statt $x_1^{α_1}·x_2^{α_2}⋯ x_n^{α_m}$ schreibe ich kurz $x^A$. Dabei soll $A =(α_1, …, α_m)$ und $x = (x_1, …, x_n)$ sein. Manchmal schreibe ich vielleicht auch $\vec{A}$ und $\vec{x}$. \end{notation} \begin{beobachtung} Es sei $k$ ein Körper und es seien $A =(α_1, …, α_m)$ und $B =(β_1, …, β_m) ∈ ℕ^m$, mit zugehörigen Monomen $x^A$ und $x^B ∈ k[x_1, …, x_n]$. Dann gilt Folgendes. \begin{enumerate} \item Es ist $x^A · x^B = x^{A+B}$ \item Das Monom $x^A$ teilt $x^B$ genau dann, wenn für alle Indizes $i$ die Ungleichung $a_i ≤ b_i$ gilt. \item Es ist $\kgV(x^A,x^B) = x_1^{\max(α_1, β_1)} ⋯ x_n^{\max(α_m, β_m)}$. \item Es ist $\ggT(x^A,x^B) = x_1^{\min(α_1,β_1)} ⋯ x_n^{\min(α_m, β_m)}$. \end{enumerate} \end{beobachtung} \begin{definition}[Monimiales Ideal] Es sei $k$ ein Körper. Ein Ideal $J ⊂ k[x_1, …, x_n]$ heißt \emph{monomial}\index{monomiales Ideal}, wenn es Monome $M_1, …, M_a$ gibt, sodass die Gleichheit $J = (M_1, …, M_a)$ gilt. \end{definition} Für monomiale Ideale mit gegebenem Satz von Erzeugern löst das folgende Lemma die Aufgabe ``finde einen möglichst kanonischen Repräsentanten'' vollständig. \begin{lem}[Division mit Rest für monomiale Ideale]\label{lem:8-1-6} In Situation~\ref{sit:8-1-1} seien die $f_1, …, f_m$ Monome. Dann gibt es zu jedem Polynom $f ∈ k[x_1, …, x_n]$ genau ein $h ∈ k[x_1, …, x_n]$, sodass Folgendes gilt. \begin{enumerate} \item\label{il:8-1-6-1} Die Restklassen der Polynome $f$ und $h$ im Quotientenring $\factor{k[x_1, …, x_n]}{I}$ sind gleich. \item\label{il:8-1-6-2} Kein Term von $h$ wird von einem der Monome $f_•$ geteilt. \end{enumerate} \end{lem} \begin{proof} Das ist eine Übungsaufgabe, die sie selbst machen müssen. Rechnen Sie ein paar Beispiele, um zu sehen, was hier passiert. Lesen Sie erst danach weiter. \end{proof} \begin{bemerkung} In Aussage~\ref{il:8-1-6-1} von Lemma~\ref{lem:8-1-6} bedeutet, dass es Polynome $g_i ∈ k[x_1, …, x_n]$ gibt, sodass die Gleichung \[ h = f - \sum_{i=1}^m g_i·f_i \] gilt. Die Polynome $g_i$ sind aber kein bisschen eindeutig, denn selbst für das Nullpolynom gibt es immer die Darstellungen \[ 0 = 0 · f_1 + 0 · f_2 = f_2·f_1 - f_1·f_2. \] Überlegen Sie sich, dass die $g_i$ eindeutig festgelegt sind, wenn man zusätzlich verlangt, dass für jeden Index $j$ kein Term von $g_j·f_j$ ein Vielfaches von einem der Monome $f_1, …, f_{j-1}$ ist. \end{bemerkung} \begin{bemerkung}\label{bem:8-2-9} Aussage~\ref{il:8-1-6-2} kann man auch anders schreiben. Überlegen Sie sich, dass für jeden Term $t ∈ k[x_1, …, x_n]$ die folgenden Aussage äquivalent sind. \begin{enumerate} \item Der Term $t$ ist Vielfaches eines der Monome $f_•$. \item Der Term $t$ liegt im (monomialen!) Ideal $(f_1, …, f_m)$. \end{enumerate} \end{bemerkung} \begin{bemerkung} Lemma~\ref{lem:8-1-6} zeigt unter anderem, dass die endlich vielen Monome \[ \{ x^A \::\: x^A \text{ wird von keinem der $f_•$ geteilt } \} \] eine $k$-Vektorraumbasis des Quotientenringes $\factor{k[x_1, …, x_n]}{I}$ bilden. \end{bemerkung} \section{Leitterme und Monomordnungen} \subsection{Elimination von Termen} Unser nächstes Ziel wird sein, Lemma~\ref{lem:8-1-6} auf den Fall von beliebigen Idealen zu verallgemeinern. Die Grundidee ist einfach: von jedem der $f_i$ wählen wir einen Term aus (dieser wird später ``Leitterm'' genannt werden). Gegeben einen Index $i$, dann addieren ein geeignetes Vielfaches von $f_i$ zu $f$ und entfernen so alle Terme, die von dem Leitterm geteilt werden. Ich werde dieses Vorgehen demnächst präzisieren; zuerst möchte ich einfach nur einige Beispiele diskutieren. \begin{bsp}[Elimination von $x²$]\label{bsp:8-2-2} Es sei $k$ ein Körper und es sei \[ f_1 := x² + xy = x(x+y) ∈ k[x,y]. \] Ich wähle den Term $x²$ von $f_1$. Rechnen Sie an Beispielen nach, dass ich dann jedes Polynom $f ∈ k[x,y]$ in der Form $f = g_1·f_1 + h$ schreiben kann, wobei kein Term des Polynoms $h$ ein Vielfaches von $x²$ ist\footnote{Das Polynom $h$ ist also von der Form $h(x,y) = h_0(y) + h_1(y)·x$.}. Der Algebraiker schreibt \[ h = f - g_1·f_1 \] und erklärt seiner Familie stolz, er habe ``aus $f$ alle Terme eliminiert, die Vielfache von $x²$ sind''. \end{bsp} \begin{bsp}[Elimination von $y²$]\label{bsp:8-2-3} Es sei $k$ ein Körper und es sei \[ f_2 = y² + xy=y(y+x) \] Ich wähle den Term $y²$ von $f_2$. Jetzt kann ich jedes Polynom $f ∈ k[x,y]$ in der Form $f = g_2·f_2 + h$ schreiben kann, wobei kein Term des Polynoms $h$ ein Vielfaches von $y²$ ist. Mit anderen Worten: ich kann aus $f$ alle Terme eliminieren, die Vielfache von $y²$ sind. \end{bsp} \begin{beobachtung}\label{beo:8-3-4} Man könnte sich jetzt fragen, ob es möglich ist, durch Kombination der Beispiele~\ref{bsp:8-2-2} und \ref{bsp:8-2-3} aus gegebenen Polynomen gleichzeitig alle Terme mit $x²$ und alle Termine mit $y²$ zu eliminieren. Mit anderen Worten: kann ich jedes Polynom $f$ in der Form \[ f = g_1·f_1 + g_2·f_2 + h \] schreiben, sodass $h$ keine Terme mit $x²$ und gleichzeitig auch keine Terme mit $y²$ enthält? Die Antwort ist ``nein'', denn ansonsten wäre \[ \bigl\{ [1],[x],[y],[xy] \bigr\} ⊂ \factor{k[x, y]}{(f_1, f_2)} \] ein vierelementiges Erzeugendensystem von $\factor{k[x, y]}{(f_1, f_2)}$ als $k$-Vektorraum. Es ist aber $(f_1, f_2) ⊊ (x+y)$. Also gibt es eine Surjektion \begin{equation}\label{eq:8-2-4-1} \factor{k[x, y]}{(f_1, f_2)} → \factor{k[x, y]}{(x+y)} ≅ k[x] \end{equation} und der letztere Raum ist als $k$-Vektorraum unendlich-dimensional. \end{beobachtung} \begin{frage} Können Sie die Abbildung~\eqref{eq:8-2-4-1} geometrisch interpretieren? Was geht hier vor? \end{frage} \subsection{Monomordnungen} Was ist der Grund, dass ich in Beobachtung~\ref{beo:8-3-4} nicht beide Leitterme eliminieren konnte? Antwort: Die Leitterme waren schlecht gewählt. Man sollte die Terme ($x²$, $y²$) nicht wahllos festlegen, sondern muss sie gemäß einer ``Monomordnung'' wählen. \begin{defn}[Monomordnung] Es sei $k$ ein Körper. Eine \emph{Monomordnung}\index{Monomordnung} auf $k[x_1, …, x_n]$ ist eine Wohlordnung ``$≤$'' auf der Menge der Monome, sodass für alle Monome $x^A, x^B$ und $x^C ∈ k[x_1, …, x_n]$ die folgenden Eigenschaften gelten. \begin{enumerate} \item Es ist $x^A ≤ x^C·x^A$. \item Aus $x^A ≤ x^B$ folgt $x^C·x^A ≤ x^C·x^B$. \end{enumerate} \end{defn} \begin{erinnerung} Eine \href{https://de.wikipedia.org/wiki/Wohlordnung}{Wohlordnung} auf einer Menge $M$ ist eine Totalordnung, sodass jede nicht-leere Teilmenge ein kleinstes Element hat. Insbesondere gibt es keine unendliche streng monoton fallende Folge von Elementen aus $M$. \end{erinnerung} \begin{erinnerung} Eine \href{https://de.wikipedia.org/wiki/Ordnungsrelation#Totalordnung}{Totalordnung} ist eine Relation ``$≤$'' auf $M$, die reflexiv, antisymmetrisch, transitiv und total ist. \end{erinnerung} \begin{defn}[Leitterm] Es sei $k$ ein Körper und es sei eine Monomordnung $≤$ auf dem Polynomring $k[x_1, …, x_n]$ gewählt. Gegeben $f ∈ k[x_1, …, x_n]$, dann nenne den Term mit dem größten Monom den \emph{Leitterm von $f$ bezüglich der Monomordnung $≤$}\index{Leitterm}. Der Leitterm des Nullpolynoms ist per Definition gleich $0$. Die Schreibweise $\ini f$ ist üblich, in der Literatur findet sich auch die Bezeichnung \emph{Initialterm}\index{Initialterm}. \end{defn} \sideremark{Vorlesung 9}Wir werden gleich ganz viele konkrete Beispiele sehen. Zuerst aber noch einmal zurück zur Bemerkung, dass die Terme in den Beispielen~\ref{bsp:8-2-2} und \ref{bsp:8-2-3} nicht gemäß einer Monomordnung gewählt waren. \begin{beobachtung} Es gibt keine Monomordnung auf $k[x,y]$, sodass \[ \ini(x² + xy) = x² \quad\text{und}\quad \ini(y² + xy) = y² \] ist. Falls es eine solche Ordnung gäbe, dann muss nämlich $y < x$ sein, denn sonst wäre $xy > x²$ und der Leitterm von $x² + xy$ wäre nicht $x²$. Dann ist aber $y² < xy$, also ist der Leitterm von $y² + xy$ gleich $xy$ und nicht gleich $y²$. \end{beobachtung} \begin{bsp}[Lexikografische Ordnung] Bei der \emph{lexikografischen Monomordnung}\index{lexikografische Monomordnung} auf dem Polynomring $k[x_1, …, x_n]$ gilt $x_1^{α_1} ⋯ x_n^{α_n} > x_1^{β_1} ⋯ x_n^{β_n}$ genau dann, wenn ein Index $i$ existiert, sodass $α_i > β_i$ gilt und gleichzeitig für alle Indizes $j < i$ die Gleichheit $α_j = β_j$ gilt. Kurz gesagt: Der erste Index $i$, bei dem sich die Exponenten $α_i$ und $β_i$ unterscheiden, entscheidet. Rechnen Sie nach, dass dies tatsächlich eine Monomordnung ist! Die quadratischen Polynome in $k[x_1, x_2, x_3]$ werden durch die lexikografischen Monomordnung wie folgt sortiert \[ x²_1 > x_1 x_2 > x_1 x_3 > x²_2 > x_2x_3 > x²_3. \] Vielleicht haben Ihnen ihre Großeltern schon einmal erzählt, dass es früher statt Wikipedia dicke Bücher gab, die auf Wohnzimmerregalen verstaubten und für das Haus eine erhebliche Brandlast darstellten. In diesen ``Lexika'' waren die Stichworte in ähnlicher Weise sortiert. \end{bsp} \begin{bsp}[Graduiert-lexikografische Ordnung] Bei der \emph{graduiert-lexikografischen Monomordnung}\index{graduiert.-lexikografische Monomordnung} auf dem Polynomring $k[x_1, …, x_n]$ gilt $x_1^{α_1} ⋯ x_n^{α_n} > x_1^{β_1} ⋯ x_n^{β_n}$ genau dann, wenn eine der folgenden Bedingungen gilt: \begin{enumerate} \item Es ist $\sum α_i > \sum β_i$. \item Es ist $\sum α_i = \sum β_i$ und $x_1^{α_1} ⋯ x_n^{α_n}$ ist bezüglich der lexikografischen Monomordnung größer als $x_1^{β_1} ⋯ x_n^{β_n}$. \end{enumerate} Bei der graduiert-lexikografischen Ordnung entscheidet also zuerst der Grad der Monome, dann die lexikografische Ordnung. \end{bsp} \begin{bsp}[Graduiert-rückwärtslexikografische Ordnung]\label{bsp:8-3-12} Bei der \emph{graduiert-rückwärtslexikografischen Monomordnung}\index{graduiert-rückwärtslexikografische Monomordnung} auf dem Polynomring $k[x_1, …, x_n]$ gilt $x_1^{α_1} ⋯ x_n^{α_n} > x_1^{β_1} ⋯ x_n^{β_n}$ genau dann, wenn eine der beiden folgenden Bedingungen gilt. \begin{itemize} \item Es ist $\sum α_i > \sum β_i$. \item Es ist $\sum α_i = \sum β_i$ und der letzte nicht-verschwindende Eintrag von \[ (α_1-β_1, …, α_n-β_n) ∈ ℤ^n \] ist negativ. \end{itemize} Rechnen Sie nach, dass dies tatsächlich eine Monomordnung ist! Die quadratischen Polynome in $k[x_1, x_2, x_3]$ werden durch die rückwärtslexikografische Monomordnung wie folgt sortiert \[ x²_1 > x_1x_2 > x²_2 > x_1x_3 > x_2x_3 > x²_3. \] Der Unterschied zur lexikografischen Ordnung besteht also darin, welches der Monome $x_2²$ oder $x_1x_3$ bevorzugt wird. Bei den Antipoden gab es früher graduierte Rückwärtslexika, bei denen die Stichworte auf diese Weise sortiert waren. \end{bsp} \begin{bsp}[Gewichtsordnung] Es sei $\vec{w} = (w_1, …, w_n) ∈ ℝ^n$ ein Vektor $ℚ$-linear-unabhängiger reeller Zahlen; wähle zum Beispiel $w_i := \log(p_i)$, wobei die $p_i$ unterschiedlichen Primzahlen sind. Bei der \emph{Gewichtsordnung}\index{Gewichtsordnung} auf dem Polynomring $k[x_1, …, x_n]$ gilt $x_1^{α_1} ⋯ x_n^{α_n} > x_1^{β_1} ⋯ x_n^{β_n}$ genau dann, wenn \[ \sum_{i=1}^n w_i·α_i ≤ \sum_{i=1}^n w_i·β_i \] ist. Die Unabhängigkeit über $ℚ$ garantiert, dass die Gleichheit $\sum w_i α_i = \sum w_i β_i$ nur dann eintritt, wenn für alle Indizes $i$ die Gleichung $α_i = β_i$ gilt. \end{bsp} \begin{bemerkung} Weitere Beispiele für coole Monomordnungen gibt es \href{http://hilbert.math.uni-mannheim.de/~seiler/CA17/CASkript17.pdf}{im Internet}. Es ist aber eine gute Übung, sich selber ein paar interessante Beispiele für Monomordnungen zu überlegen. \end{bemerkung} \section{Division mit Rest} Ich hatte angekündigt, das wir Lemma~\ref{lem:8-1-6} auf den Fall von beliebigen Idealen verallgemeinern werden. Damit war der folgende Satz gemeint. Im Unterschied zur klassischen ``Polynomdivision mit Rest'' wird in diesem Satz gleichzeitig durch mehrere Polynome geteilt! Sie finden einen ähnlichen Beweis und sehr viele Beispiele im Buch \cite[Kapitel~2.3]{MR3330490}, das Sie aus dem Universitätsnetz kostenlos herunterladen können. \begin{satz}[Schwache Division mit Rest]\label{satz:8-4-6} In Situation~\ref{sit:8-1-1} sei eine Monomordnung $≤$ auf $k[x_1, …, x_n]$ gewählt. Dann gibt es für jedes $f ∈ k[x_1, …, x_n]$ Polynome $g_1, …, g_m$ und $h ∈ k[x_1, …, x_n]$, sodass \begin{equation}\label{eq:8-4-6-1} f = \sum_{i=1}^m g_i·f_i + h \end{equation} ist und sodass folgende Bedingungen erfüllt sind. \begin{enumerate} \item\label{il:8-4-6-2} Für jeden Index $i$ mit $g_i·f_i ≠ 0$ gilt die Ungleichung $\ini f ≥ \ini (g_i·f_i)$. \item\label{il:8-4-6-3} Kein Term von $h$ ist Vielfaches von einem der Terme $\ini f_•$. \qed \end{enumerate} \end{satz} \begin{proof} \begin{algorithm}[t] \KwData{Situation~\ref{sit:8-1-1} und $f ∈ k[x_1, …, x_n]$} \KwResult{Polynome $g_1, …, g_m$ und $h ∈ k[x_1, …, x_n]$, sodass \eqref{eq:8-4-6-1}--\ref{il:8-4-6-3} gelten} \BlankLine Setze $g_1 := 0$, …, $g_m := 0$\; Setze $h := 0$\; Setze $p := f$\; \BlankLine \While{$p ≠ 0$}{ \BlankLine Setze $S := \{ j : \ini f_j \mid \ini p \}$\; \BlankLine \eIf{$S = ∅$}{ Setze $h := h + \ini p$ \; Setze $p := p - \ini p$ \; }{ Setze $i := \min S$ \; Setze $q := (\ini p)/(\ini f_i)$ \; Setze $g_i := g_i + q$ \; Setze $p := p - q·f_i$ \; } } \caption{Schwache Division mit Rest} \label{alg:8-4-6} \end{algorithm} Statt eines abstrakten Existenzsatzes finden Sie in Algorithmus~\ref{alg:8-4-6} eine konkrete Vorschrift zur Berechnung der Polynome $g_•$ und $h$. \video{9-1} zeigt, dass der Algorithmus terminiert und das gewünschte Ergebnis liefert. \end{proof} \begin{bemerkung} Im Satz~\ref{satz:8-4-6} sind die Polynome $g_1, …, g_m$ und $h$ kein bisschen eindeutig. Falls es Sie interessiert: Es gibt einen ``Starken Divisionssatz'' mit Existenz- und Eindeutigkeitsaussage, bei dem \ref{il:8-4-6-2} durch die folgende Forderung ersetzt ist. \begin{enumerate} \item Für jedes Paar $j < i$ von Indizes gilt: Kein Term von $g_i·\ini f_i$ ist Vielfaches von $\ini f_j$. \end{enumerate} Wir werden diesen stärkeren Divisionssatz im Folgenden aber nicht benötigen. \end{bemerkung} \begin{defn}[Divisionsrest]\label{def:8-4-6} In der Situation von Satz~\ref{satz:8-4-6} nennen wir jedes Element $h ∈ k[x_1, …, x_n]$, für dass es $g_• ∈ k[x_1, …, x_n]$ gibt, die den Bedingungen \eqref{eq:8-4-6-1}, \ref{il:8-4-6-2} und \ref{il:8-4-6-3} genügen, einen \emph{Rest von $f$ dividiert durch $f_1, …, f_m$}. \end{defn} \href{https://sage.cplx.vm.uni-freiburg.de/share/ba8562a5ddff2655831b5d3bca006fbb06de626f/Divisionsreste.ipynb?viewer=share}{Hier} zeige ich Ihnen, wie man Divisionsreste bequem mit dem Programm ``Sage'' am Computer ausrechnet. \section{Gröbner-Basen} \sideremark{Vorlesung 10}Ich erinnere noch einmal daran, warum wir den Divisionssatz überhaupt betrachtet haben. In Situation~\ref{sit:8-1-1} wollen wir für gegebene Polynome $f ∈ k[x_1, …, x_n]$ entscheiden, ob $f$ im Ideal $I$ liegt. Dazu versuchten wir, eindeutig bestimmte Repräsentanten für die Restklasse von $[f] ∈ k[x_1, …, x_n]/I$ zu finden --- wenn das funktioniert, dann brauche ich nur die eindeutig bestimmte Repräsentanten von $[f]$ und $[0]$ zu vergleichen. Die Grundidee ist, als Repräsentanten den Rest von $f$ bei der Division durch $f_1, …, f_m$ zu nehmen. Funktioniert diese Idee? Nein! \begin{bsp}\label{bsp:8-4-2} Divisionsreste sind nicht eindeutig. Es kommt aber noch schlimmer: Wir betrachten einen Körper $k$ und die lexikografische Ordnung auf $k[x_1, x_2]$ und die Polynome $f_1 := x²_1 x_2 - x²_2$ und $f_2 := x³_1$. Dann ist \[ \ini f_1 = x²_1x_2 \quad\text{und}\quad \ini f_2 = x³_1. \] Für $f = x³_1x_2$ erhalten wir die Darstellung \[ f = x_1·f_1 + 0·f_2 + x_1x²_2. \] Also: das Polynom $f$ liegt in $I$. Der Divisionsrest ist aber nicht Null. \end{bsp} Was geht in Beispiel~\ref{bsp:8-4-2} schief? Der Grund für das Versagen der Idee ist, dass die Leitterme $\ini f_1$ und $\ini f_2$ nicht das Ideal $\bigl( \ini f \::\: f ∈ M \bigr)$ erzeugen. Das motiviert die folgende Definition. \begin{defn}[Gröbnerbasis]\label{def:8-5-3} In Situation~\ref{sit:8-1-1} nennt man $f_1, …,f_m$ eine \emph{Gröbnerbasis oder Standardbasis von $M$}\index{Gröbnerbasis}\index{Standardbasis}, wenn für jedes Element $f ∈ M$ die folgende Inklusion gilt, \[ \ini f ∈ \bigl(\ini f_1, …, \ini f_m \bigr). \] \end{defn} \begin{bemerkung} Erinnern Sie sich an Bemerkung~\vref{bem:8-2-9}. Genau wie dort kann man Definition~\ref{def:8-5-3} auch anders formulieren: $f_1, …,f_m$ ist eine Gröbnerbasis, wenn für jedes Element $f ∈ M$ ein Index $i$ existiert, sodass $\ini f_i \mid \ini f$ ist. \end{bemerkung} \begin{bemerkung} Die Frage, ob $f_1, …,f_m$ eine Gröbnerbasis ist, hängt massiv von der Wahl der Monomordnung ab, aber nicht von der Reihenfolge der $f_•$. \end{bemerkung} \begin{beobachtung}[Vektorraumbasis für den Quotienten] In Situation~\ref{sit:8-1-1} sei $f_1, …,f_m$ eine Gröbnerbasis von $M$. Dann bildet die folgende Menge von Monomen, \[ \left\{ m ∈ F \text{ein Monom} \::\: m \not∈ (\ini f_1, …, \ini f_m) \right\}, \] eine $k$-Vektorraumbasis des Quotienten $F/M$. Mit dieser Beobachtung lässt sich in der Praxis schnell entscheiden, ob der Quotient $F/M$ endlich- oder unendlich-dimensional ist. \end{beobachtung} Gröbnerbasen wurden 1965 von Bruno Buchberger\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Buchberger}{Bruno Buchberger} (* 22. Oktober 1942 in Innsbruck) ist ein österreichischer Mathematiker.} eingeführt, der sie nach seinem Doktorvater Wolfgang Gröbner\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Gr\%C3\%B6bner}{Wolfgang Gröbner} (2. Februar 1899 in Gossensaß – 20. August 1980) war ein österreichischer Mathematiker und Freidenker, der vor allem auf dem Gebiet der kommutativen Algebra und algebraischen Geometrie arbeitete. Sein Name ist bekannt durch die Gröbnerbasis und die Gröbner-Dualität.} benannte. Ähnliche Ideen tauchten etwa um dieselbe Zeit auch in den geometrischen Arbeiten von Heisuke Hironaka\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Heisuke_Hironaka}{Heisuke Hironaka} (Hironaka Heisuke; * 9. April 1931 in Yuu, Kuga-gun (heute: Iwakuni), Präfektur Yamaguchi, Japan) ist ein japanischer Mathematiker und Träger der Fields-Medaille.} auf. \subsection{Vom Nutzen der Gröbnerbasen} Das folgende Lemma zeigt, dass Gröbnerbasen unsere Probleme lösen: Haben wir eine Gröbnerbasis von $M$ dann kann die Frage, ob $f ∈ M$ ist, mit einer einzigen Division beantwortet werden. \begin{lem}[Divisionsreste für Elemente des Untermoduls]\label{lem:8-5-6} In Situation~\ref{sit:8-1-1} sei $f_1,…,f_m$ eine Gröbnerbasis. Gegeben ein Element $f ∈ M$, dann ist jeder Rest von $f$ bei Division durch $f_1, …, f_m$ gleich $0$. \end{lem} \begin{proof} Es sei $h$ ein Divisionsrest. Per Definition bedeutet das, dass wir eine Darstellung \[ f = \sum g_i·f_i + h \] haben, sodass die Bedingungen \ref{il:8-4-6-2} und \ref{il:8-4-6-3} gelten. Wegen der Annahme $f ∈ M$ wissen dann auf der einen Seite, dass $h ∈ M$. Auf der anderen Seite ist nach Bedingung~\ref{il:8-4-6-3} kein Term von $h$ ein Vielfaches der Leitterme $\ini f_i$. Wegen der Annahme, dass $f_1,…,f_m$ eine Gröbnerbasis ist, ist das aber offenbar nur möglich, wenn $h = 0$ ist. \end{proof} \begin{kor}[Eindeutigkeit von Divisionsresten]\label{kor:8-5-8} In Situation~\ref{sit:8-1-1} sei $f_1,…,f_m$ eine Gröbnerbasis. Gegeben sei ein Element $f ∈ k[x_1, …, x_n]$ und zwei Reste $h_1$, $h_2$ von $f$ bei Division durch $f_1, …, f_m$. Dann ist $h_1 = h_2$. \qed \end{kor} \begin{lem}[Unabhängigkeit von der Wahl der Gröbnerbasis]\label{lem:8-5-9} In Situation~\ref{sit:8-1-1} seien $f_{1,1}, …, f_{1,m_1}$ und $f_{2,1}, …, f_{2, m_2}$ zwei Gröbnerbasen von $M$. Gegeben ein Element $f ∈ k[x_1, …, x_n]$, sei $h_•$ der (nach Korollar~\ref{kor:8-5-8} eindeutige) Rest von $f$ bei Division durch $f_{•,1}, …, f_{•, m_•}$. Dann ist $h_1 = h_2$. \end{lem} \begin{proof} Nach Definition von ``Divisionsrest'' in Definition~\vref{def:8-4-6} haben die Elemente $h_1$ und $h_2$ (soweit sie ungleich Null sind) nur Terme, die \emph{nicht} in \[ \bigl( \ini f_{1,1}, …, \ini f_{1,m_1} \bigr) = \bigl( \ini f_{2,1}, …, \ini f_{2,m_2} \bigr) \] enthalten sind. Dasselbe gilt dann auch für die Differenz $h_1 - h_2$, die in $M$ liegt. Nach Definition~\ref{def:8-5-3} von ``Gröbnerbasis'' bedeutet das aber, dass $\ini (h_1 - h_2)=0$ ist. Also ist $h_1 - h_2 = 0$ und deshalb $h_1 = h_2$. \end{proof} Lemma~\ref{lem:8-5-9} zeigt insbesondere, dass Divisionsreste unabhängig von der Reihenfolge der Elemente in der Gröbnerbasis sind. \subsection{Existenz von Gröbnerbasen} Es fragt sich, ob Gröbnerbasen immer existieren. Die Antwort ist natürlich ``ja'', denn Computer-Algebra-Systeme können Gröbnerbasen ausrechnen. \href{https://sage.cplx.vm.uni-freiburg.de/share/51e021b2ea6647e808203996d4a6d70f76d829d1/Gr\%C3\%B6bnerbasen.ipynb?viewer=share}{Hier zeige ich an einem Beispiel}, wie man das macht. Vielleicht hätten wir aber auch gern ein theoretisches Argument. \begin{lem}[Existenz von Gröbnerbasen]\label{lem:8-5-7} In Situation~\ref{sit:8-1-1} existiert eine Gröbnerbasis von $I$. \end{lem} \begin{proof} Der Beweis ist relativ einfach. \begin{itemize} \item Falls $f_1, …, f_m$ bereits eine Gröbnerbasis ist, sind wir schon fertig. \item Falls $f_1, …, f_m$ keine Gröbnerbasis ist, dann gibt es per Annahme ein Element $f_{m+1} ∈ I$ mit $\ini f_{m+1} \not ∈ \bigl( \ini f_1, …, \ini f_m \bigr)$. Nehme $f_{m+1}$ als Erzeuger mit hinzu, fange noch einmal von vorn an. \end{itemize} Wir erhalten auf diese Weise eine aufsteigende Folge von monomialen Idealen des Polynomrings $k[x_1, …, x_n]$. Weil der Polynomring aber Noethersch ist, wird diese Folge nach endlich vielen Schritten stationär. Spätestens an dieser Stelle ist eine Gröbnerbasis erreicht. \end{proof} \section{Das Buchberger-Kriterium} Lemma~\ref{lem:8-5-7} ist theoretisch beruhigend, aber im Moment praktisch wertlos. Wir können nicht entscheiden, ob eine gegebene Menge von Erzeugern eine Gröbnerbasis ist. Schlimmer noch: selbst wenn wissen, dass $f_1, …, f_m$ \emph{keine} Gröbnerbasis ist, dann haben wir in der Praxis immer noch kein Verfahren, ein neues Element $f_{m+1}$ zu finden. Das Buchberger-Kriterium löst diese Probleme für uns. Zuerst müssen wir aber noch kurz über $S$-Polynome sprechen. \begin{notation}[$S$-Polynom]\label{not:8-6-1} Es sei $k$ ein Körper und es seien Polynome $f, g ∈ k[x_1, …, x_n]$ gegeben. Schreibe \[ \ini f = c· x^{A_i} \quad \text{und} \quad \ini g = d·x^{A_j} \] und definiere das \emph{$S$-Polynom von $f$ und $g$}\index{$S$-Polynom} als \[ S(f,g) := \frac{\kgV(x^{A_i}, x^{A_j})}{c·x^{A_i}}·f - \frac{\kgV(x^{A_i}, x^{A_j})}{d·x^{A_j}}·g \] \end{notation} \begin{beobachtung} Die $S$-Polynome aus Notation~\ref{not:8-6-1} sind so definiert, dass stets die Ungleichung $\ini S(f,g) < \kgV( \ini f, \ini g)$ gilt. \end{beobachtung} Die relevante Eigenschaft von $S$-Polynomen ist die Folgende. \begin{lem}\label{lem:8-6-2} In Situation~\ref{sit:8-1-1} seien Polynome $g_1, … g_r ∈ k[x_1, …, x_n] ∖ \{ 0 \}$ gegeben. Wir nehmen an, dass es einen Vektor $A =(α_1, …, α_m)$ gibt, so dass die Leitterme der $g_{•}$ alle von der Form \[ \ini g_{•} = b_{•}·x^A \] sind, mit $b_{•} ∈ k$. Weiter seien Skalare $a_1, …, a_r ∈ k$ gegeben, sodass bezüglich der Monomordnung die Ungleichung \begin{equation}\label{eq:8-6-2-1} \ini \left(\sum_{i=1}^{r} a_i·g_i\right)< x^A \end{equation} gilt. Dann ist $\sum_{i=1}^{r} a_{i} g_{i}$ eine Linearkombination der $S$-Polynome $S(g_1, g_2)$, $S(g_2, g_3)$, …, $S(g_{r-1}, g_r)$. \end{lem} \begin{proof} Damit die Notation nicht zu aufwändig wird betrachten wir die Polynome \[ p_i := \begin{cases} \frac{1}{b_i}·g_i & \text{falls } 1 ≤ i ≤ r \\ 0 & \text{sonst.} \end{cases} \] Die Ungleichung~\eqref{eq:8-6-2-1} bedeutet, dass sich die Leitterme der Polynome $a_i·g_i$ in der Summe $\sum a_i·g_i$ gerade wegheben. Es gilt also \begin{equation}\label{eq:8-6-2-2} \sum_{i=1}^r a_{i} b_{i}=0. \end{equation} Damit folgt \begin{align*} \sum_{i=1}^r a_i·g_i & = \sum_{i=1}^r a_ib_i·p_{i} \\ & = \sum_{i=1}^{r}\left(\sum_{j=1}ⁱ a_j b_j\right)\left(p_i-p_{i+1}\right) && \text{Teleskopsumme}\\ &=\sum_{i=1}^{r-1}\left(\sum_{j=1}ⁱ a_j b_j\right)\left(p_i-p_{i+1}\right) && \text{Gleichung~\eqref{eq:8-6-2-2}} \end{align*} Die $S$-Polynome sind aber per Definition gerade \[ S(g_i,g_j) = \frac{\kgV(x^A, x^A)}{b_i·x^A}·g_i - \frac{\kgV(x^A, x^A)}{b_j·x^A}·g_j = p_i - p_j, \] womit Lemma~\ref{lem:8-6-2} bewiesen ist. \end{proof} \begin{satz}[Buchberger-Kriterium]\label{satz:8-6-1} In Situation~\ref{sit:8-1-1} sind folgende Aussagen äquivalent. \begin{enumerate} \item\label{il:8-5-8-1} Die Elemente $f_1, …, f_m$ bilden eine Gröbnerbasis von $M$. \item\label{il:8-5-8-2} Für alle $f ∈ M$ ist jeder Rest von $f$ bei Division durch $f_1, …, f_m$ gleich $0$. \item\label{il:8-5-8-3} Für jedes Paar $(i,j)$ von Indizes ist $0$ ein Rest des $S$-Polynoms $S(f_i, f_j)$ bei Division durch $f_1, …, f_m$. \end{enumerate} \end{satz} \begin{proof}[Beweis des Buchberger-Kriteriums] --- \begin{itemize} \item Die Implikation ``\ref{il:8-5-8-1} $⇒$ \ref{il:8-5-8-2}'' wurde in Lemma~\ref{lem:8-5-6} bewiesen. \item Die Implikation ``\ref{il:8-5-8-2} $⇒$ \ref{il:8-5-8-3}'' ist leicht, denn es ist $S_{ij} ∈ M$, so dass es immer eine Darstellung von $S_{ij}$ als Linearkombination der $f_•$ gibt. \item Die Implikation ``\ref{il:8-5-8-3} $⇒$ \ref{il:8-5-8-1}'' ist der wesentliche Punkt des Beweises. Details gibt es im (sehr langen) \video{10-1}. Der Beweis ist mit einigen Anpassungen aus dem Skript von \href{https://www.mathematik.tu-dortmund.de/sites/daniel-plaumann/download/AG.pdf}{Skript von Daniel Plaumann} übernommen. \qedhere \end{itemize} \end{proof} \begin{bemerkung} Bei der praktischen Implementierung des Buchberger-Kriteriums gibt es viel Spielraum für Optimierungen; so es ist meist nicht unbedingt nötig, wirklich \emph{alle} Elemente $S_{••}$ zu betrachten. \end{bemerkung} \section{Der Buchberger-Algorithmus} Mithilfe des Buchberger-Kriteriums können wir sehr schnell das im Algorithmus~\vref{alg:buchberger} angegebene Verfahren zur Bestimmung von Gröbnerbasen formulieren. Wir beweisen, dass der Algorithmus terminiert und das gewünschte liefert. \begin{algorithm}[t] \SetAlgoLined \KwData{Situation~\ref{sit:8-1-1}} \KwResult{Gröbnerbasis $G$ von $I$} \BlankLine Setze $G := (f_1, …, f_m)$ \; Setze $S := ∅$ \; \BlankLine \Repeat{$S = ∅$}{ Setze $S := ∅$ \; \ForEach{$1 ≤ i ≤ a$}{ \ForEach{$1 ≤ j < i$}{ Berechne das Polynom $S_{i,j}$ aus dem Buchberger-Kriterium für die Liste $G$\; Setze $h := $ Rest von $S_{i,j}$ bei Division durch $G$\; \If{$h ≠ 0$}{ Setze $S := S ∪ \{ h\}$\; } } } Setze $G := G ∪ S$\;\label{lin:buchberger-12} } \caption{Buchberger-Algorithmus} \label{alg:buchberger} \end{algorithm} \begin{proof}[Terminierung des Buchberger-Algorithmus] Der Schlüssel liegt in Zeile~\ref{lin:buchberger-12}. Wenn es nämlich ein Element $h ∈ S$ gibt, dann liegt $h$ einerseits im Ideal $(g_1, …, g_a)$. Auf der anderen Seite wissen nach Definition von ``Divisionsrest'', dass der Leitterm $\ini h$ kein Vielfaches eines der $\ini g_•$ ist. Es gilt also \[ (\ini g_1, …, \ini g_a) ⊊ (\ini g_1, …, \ini g_a, \ini h). \] Es folgt also, dass sich das Ideal $(g \:: g ∈ G)$ beim Durchlauf von Zeile~\ref{lin:buchberger-12} nicht ändert, während das Ideal $(\ini g \:: g ∈ G)$ bei jedem Durchlauf der Zeile echt größer wird. Wegen der Noether-Eigenschaft von $k[x_1, …, x_n]$ kann Letzteres aber nur endlich oft passieren. \end{proof} \begin{proof}[Korrektheit des Buchberger-Algorithmus] Der Algorithmus terminiert, wenn in Zeile~\ref{lin:buchberger-12} die Menge $S$ gleich leer ist. Das bedeutet aber, dass jedes der $S_{ij}$ einen Divisionsrest hat, der gleich 0 ist. Nach dem Buchberger-Kriterium ist dies gleichbedeutend damit, dass $G$ eine Gröbner-Basis ist. \end{proof} \begin{bemerkung} Der Buchberger-Algorithmus kann als weitreichende Verallgemeinerung des Gauß-Algorithmus verstanden werden. Er ist heute der Kern von fast allen Algorithmen der Computeralgebra und spielt auch in wirtschaftlichen bedeutenden Anwendungen wie etwa der Logikverifikation eine wichtige Rolle. Trotz der großen praktischen Bedeutung ist die Komplexität des Buchberger-Algorithmus kaum verstanden. So sieht man in der Praxis sehr schnell, dass sowohl die Anordnung der $f_•$ als auch die Wahl der Monomordnung einen riesigen Einfluss auf die Laufzeit hat. Es scheint, dass die graduiert-rückwärtslexikografische Ordnung häufig recht gut abschneidet. Es gibt aber kaum quantitative Ergebnisse in dieser Richtung. Es gibt meines Wissens kein Verfahren, mit dem man vorab entscheiden könnte, welche Anordnung und welche Monomordnung für ein gegebenes Problem gut ist. \end{bemerkung} \subsection{Beispiel} Das folgende Beispiel habe ich aus dem \href{http://hilbert.math.uni-mannheim.de/~seiler/CA17/CASkript17.pdf}{Skript des Mannheimer Kollegen Seiler} gestohlen. Ich hoffe, Kollege Seiler hat sich nicht verrechnet und ich habe richtig abgeschrieben. Wir starten mit dem Körper $ℚ$, dem Polynomring $ℚ[x,y]$ und verwenden die graduiert-lexikografische Monomordnung. Es sei \[ f_1 = x³ - 2·xy \quad\text{und}\quad f_2 = x²y - 2·y² + x. \] Wir wollen eine Gröbner-Basis des Ideals $(f_1, f_2)$ bestimmen und wenden zu diesem Zweck den Buchberger-Algorithmus an. \paragraph{Erster Schleifendurchgang:} schreibe \[ G = (\underbrace{x³ - 2·xy}_{= g_1}, \underbrace{x²y - 2·y² + x}_{= g_2}) \] und berechne \[ S_{1,2} = y·g_1 - x·g_2 = -x². \] Als nächstes berechne ich mithilfe von Algorithmus~\ref{alg:8-4-6} den Divisionsrest, \[ S_{1,2} = 0·g_1 + 0·g_2 + (-x²). \] Also ist $S = \{-x²\}$. \paragraph{Zweiter Schleifendurchgang:} schreibe \[ G = (\underbrace{x³ - 2·xy}_{= g_1}, \underbrace{x²y - 2·y² + x}_{= g_2}, \underbrace{-x²}_{= g_3}) \] und berechne \[ \begin{matrix} S_{1,2} & = & y·g_1 - x·g_2 & = & -x² \\ S_{1,3} & = & g_1 + x·g_3 & = & -2·xy \\ S_{2,3} & = & g_2 + y·g_3 & = & -2·y²+x. \end{matrix} \] Als nächstes berechne ich mithilfe von Algorithmus~\ref{alg:8-4-6} die Divisionsreste, \[ \begin{matrix} S_{1,2} & = & 0·g_1 &+& 0·g_2 &+& 1·g_3 &+& 0 \\ S_{1,3} & = & 0·g_1 &+& 0·g_2 &+& 0·g_3 &+& (-2·xy) \\ S_{2,3} & = & 0·g_1 &+& 0·g_2 &+& 0·g_3 &+& (-2·y²+x). \end{matrix} \] Also ist $S = \{-2·xy, -2·y²+x\}$. \paragraph{Dritter Schleifendurchgang:} schreibe \[ G = (\underbrace{x³ - 2·xy}_{= g_1}, \underbrace{x²y - 2·y² + x}_{= g_2}, \underbrace{-x²}_{= g_3}, \underbrace{-2·xy}_{= g_4}, \underbrace{-2·y²+x}_{= g_5}) \] und berechne \[ \begin{matrix} S_{1,2} & = & y·g_1 - x·g_2 & = & -x² \\ S_{1,3} & = & g_1 + x·g_3 & = & -2·xy \\ S_{1,4} & = & y·g_1 + \frac{1}{2}x²·g_4 &=& -2·xy²\\ S_{1,5} & = & y²·g_1 + \frac{1}{2}x³·g_5 &=& -2·xy³ + \frac{1}{2}·x⁴ \\ S_{2,3} & = & g_2 + y·g_3 & = & -2·y²+x \\ S_{2,4} & = & g_2 + \frac{1}{2}x·g_4 &=& -2·y²+x\\ S_{2,5} & = & y·g_2 + \frac{1}{2}x²·g_5 &=& \frac{1}{2}·x³ + x·y -2·y³ \\ S_{3,4} & = & -y·g_3 - \frac{1}{2}·x·g_4 &=& 0 \\ S_{3,5} & = & -y²·g_{3}- \frac{1}{2}·x²·g_{5} &=& \frac{1}{2}·x³ \\ S_{4,5} & = & -\frac{1}{2}·y·g_4 - \frac{1}{2}·x·g_5 &=& \frac{1}{2}·x² \end{matrix} \] Als nächstes berechne ich mithilfe von Algorithmus~\ref{alg:8-4-6} die Divisionsreste,\setcounter{MaxMatrixCols}{20} \[ \begin{matrix} S_{1,2} & = & 0·g_1 &+& 0·g_2 &+& 1·g_3 &+& 0·g_4 &+& 0·g_5 &+& 0 \\ S_{1,3} & = & 0·g_1 &+& 0·g_2 &+& 0·g_3 &+& 1·g_4 &+& 0·g_5 &+& 0 \\ S_{1,4} & = & 0·g_1 &+& 0·g_2 &+& 0·g_3 &+& y·g_4 &+& 0·g_5 &+& 0 \\ S_{1,5} & = & \frac{1}{2}x·g_1 &+& 1·g_2 &+& 0·g_3 &+& y²·g_4 &+& (-1)·g_5 &+& 0 \\ S_{2,3} & = & 0·g_1 &+& 0·g_2 &+& 0·g_3 &+& 0·g_4 &+& 1·g_5 &+& 0 \\ S_{2,4} & = & 0·g_1 &+& 1·g_2 &+& 0·g_3 &+& 0·g_4 &+& 1·g_5 &+& 0 \\ S_{2,5} & = & \frac{1}{2}·g_1 &+& 0·g_2 &+& 0·g_3 &+& \frac{-1}{2}·g_4 &+& y·g_5 &+& 0 \\ S_{3,4} & = & 0·g_1 &+& 0·g_2 &+& 0·g_3 &+& 0·g_4 &+& 0·g_5 &+& 0 \\ S_{3,5} & = & \frac{1}{2}·g_1 &+& 0·g_2 &+& 0·g_3 &+& \frac{-1}{2}·g_4 &+& 0·g_5 &+& 0 \\ S_{4,5} & = & 0·g_1 &+& 0·g_2 &+& \frac{-1}{2}·g_3 &+& 0·g_4 &+& 0·g_5 &+& 0 \end{matrix} \] Voilà! Alle Divisionsreste sind Null, also ist $(g_1, g_2, g_3, g_4, g_5)$ eine Gröbnerbasis des Ideals $(f_1, f_2)$. \href{https://sage.cplx.vm.uni-freiburg.de/share/d179fd0bf0faf1b0c5e1d4cb0d29774d645b2394/Beispielrechnung\%20Buchberger-Algorithmus.ipynb?viewer=share}{Hier habe ich das Ergebnis noch einmal mit dem Computer überprüft}. \begin{bemerkung} Das Beispiel zeigt eindrücklich, dass man solche Aufgaben besser dem Computer überlässt. Es gibt noch ein weiteres Problem, dass in diesem Beispiel nicht offensichtlich wird: der Algorithmus verlangt exaktes Rechnen, Näherungslösungen funktionieren nicht! Das wird ein riesiges Problem bei Rechnungen über dem Körper $ℚ$, denn beim Addieren von Brüchen werden Nenner und Zähler immer größer und komplizierter. Die Zahlen werden in der Praxis oft so lang, dass der Hauptspeicher nicht ausreicht --- und zwar unabhängig davon, auf welchem Rechner sie arbeiten! Dieses Problem tritt bei Rechnungen mit endlichen Körpern wie $𝔽_3$ natürlich nicht auf. \end{bemerkung} %%% Local Variables: %%% mode: latex %%% TeX-master: "21-KA" %%% End: