From 7ca42070d85610a90aeebe72678f33858d9bd6ed Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Stefan Kebekus Date: Tue, 2 Dec 2025 13:37:04 +0100 Subject: [PATCH] =?UTF-8?q?Working=E2=80=A6?= MIME-Version: 1.0 Content-Type: text/plain; charset=UTF-8 Content-Transfer-Encoding: 8bit --- .vscode/ltex.dictionary.de-DE.txt | 8 + .vscode/ltex.hiddenFalsePositives.de-DE.txt | 4 + 04-wegintegraleStetig.tex | 2 +- 11-applications.tex | 1 + 12-residuum.tex | 2 +- 13-applResiduum.tex | 180 +++---- 14-harmonic.tex | 532 ++++++++++---------- Funktionentheorie.tex | 5 + 8 files changed, 357 insertions(+), 377 deletions(-) diff --git a/.vscode/ltex.dictionary.de-DE.txt b/.vscode/ltex.dictionary.de-DE.txt index 7270128..e98e708 100644 --- a/.vscode/ltex.dictionary.de-DE.txt +++ b/.vscode/ltex.dictionary.de-DE.txt @@ -69,3 +69,11 @@ Sommières Hérault Lunel Vielfachheit +Leffler +Harmonizität +Siméon +Pithiviers +Loiret +Baptiste +Auxerre +Beaumont-en-Auge diff --git a/.vscode/ltex.hiddenFalsePositives.de-DE.txt b/.vscode/ltex.hiddenFalsePositives.de-DE.txt index 834728f..f4baebd 100644 --- a/.vscode/ltex.hiddenFalsePositives.de-DE.txt +++ b/.vscode/ltex.hiddenFalsePositives.de-DE.txt @@ -39,3 +39,7 @@ {"rule":"GERMAN_SPELLER_RULE","sentence":"^\\QWähle eine reelle Zahl \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q und schreibe \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q Korollar \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q Annahme \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q lokal glm.\\E$"} {"rule":"GERMAN_SPELLER_RULE","sentence":"^\\QAlso ist \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q, weil Stammfkt.\\E$"} {"rule":"UPPERCASE_SENTENCE_START","sentence":"^\\Qexistiert \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q.\\E$"} +{"rule":"GERMAN_WORD_REPEAT_BEGINNING_RULE","sentence":"^\\QDie Funktion \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q hat auf \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q keine Nullstelle, weil die Exponentialfunktion keine Nullstelle hat.\\E$"} +{"rule":"GERMAN_SPELLER_RULE","sentence":"^\\QGenauer: Wenn \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q eine Stammfunktion von \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q ist, dann sind alle Lösungen der Differenzialgleichung auf \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q gegeben durch \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Qconst \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q.\\E$"} +{"rule":"GERMAN_SPELLER_RULE","sentence":"^\\QWir beweisen Satz \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q auf Seite pf:14-3-2.\\E$"} +{"rule":"LEERZEICHEN_HINTER_DOPPELPUNKT","sentence":"^\\QWir beweisen Satz \\E(?:Dummy|Ina|Jimmy-)[0-9]+\\Q auf Seite pf:14-3-2.\\E$"} diff --git a/04-wegintegraleStetig.tex b/04-wegintegraleStetig.tex index 58f9b81..d177185 100644 --- a/04-wegintegraleStetig.tex +++ b/04-wegintegraleStetig.tex @@ -265,7 +265,7 @@ dies präzise dar. \sideremark{Vorlesung 7} -\begin{kor}[Existenz von Stammfunktionen in einfach zusammenhängenden Mengen]% +\begin{kor}[Existenz von Stammfunktionen in einfach zusammenhängenden Mengen]\label{kor:4-3-4}% Es sei $U ⊂ ℂ$ offen und wegweise einfach zusammenhängend, und es sei $f : U → ℂ$ holomorph. Dann gibt es eine Stammfunktion $F: U → ℂ$ von $f$. \end{kor} diff --git a/11-applications.tex b/11-applications.tex index b3a0fcb..135680d 100644 --- a/11-applications.tex +++ b/11-applications.tex @@ -155,6 +155,7 @@ In der Summe haben wir folgenden Satz bewiesen. \section{Funktionen mit vorgeschriebenen Singularitäten} +\sideremark{Vorlesung 15} \begin{frage}[Funktionen mit vorgeschriebenen Singularitäten, vereinfachte Fragestellung]\label{fr:11-3-1}% Sei $P ⊂ ℂ$ eine abgeschlossene und diskrete Teilmenge. Gibt es eine Funktion diff --git a/12-residuum.tex b/12-residuum.tex index 1804315..8618bb1 100644 --- a/12-residuum.tex +++ b/12-residuum.tex @@ -187,7 +187,7 @@ Wir bewiesen Satz~\ref{satz:12-2-1} in mehreren Schritten. \item Falls $\Bild(γ)$ ganz in $-S ⊆ ℂ$ liegt, können wir analog vorgehen. \end{itemize} - Im Allgemeinen wird das Bild von $γ$ weder in $S$ noch in $-S$ liegen. Dann + Im Allgemeinen wird das Bild von $γ$ weder in $S$ noch in $-S$ liegen. Dann zerlegen wir das Intervall $[0,1]$ durch Zwischenpunkte, $0 = t_0 < t_1 < … < t_r = 1$ so, dass $γ([t_{i-1}, t_i])$ jeweils in einem $S$ oder in $-S$ enthalten ist. Wähle dann induktiv Logarithmus-Wege diff --git a/13-applResiduum.tex b/13-applResiduum.tex index 103f03e..5e3832b 100644 --- a/13-applResiduum.tex +++ b/13-applResiduum.tex @@ -38,7 +38,7 @@ \end{bemerkung} \begin{satz}[Zählen von Null- und Polstellen]\label{satz:12-5-1}% - In Situation~\ref{sit:12-5-1} betrachte den Weg $f ◦ γ : [a,b] → ℂ$. Dann gilt + In Situation~\ref{sit:12-5-1} betrachte den Weg $f ◦ γ : [a,b] → ℂ$. Dann gilt \[ \Um(f ◦ γ, 0) = \sum_{p ∈ U} \Um(γ, p) · ν_p(f). \] @@ -59,8 +59,8 @@ Sommières, Département Hérault; † 19.~August 1910 in Lunel) war ein französischer Mathematiker. }]\label{kor:12-5-2}% \index{Satz von Rouché}Sei $U ⊂ ℂ$ offen, $f ∈ 𝒪(U)$ und $K ⊂ U$ eine - abgeschlossene Kreisscheibe. Sei außerdem eine holomorphe Funktion $g ∈ 𝒪(U)$ - gegeben, sodass für jedes $z ∈ δ K$ die Ungleichung + abgeschlossene Kreisscheibe. Sei außerdem eine holomorphe Funktion $g ∈ + 𝒪(U)$ gegeben, sodass für jedes $z ∈ δ K$ die Ungleichung \begin{equation}\label{eq:12-5-5}% |f(z)| > |g(z)| \end{equation} @@ -112,13 +112,13 @@ \section{Funktionen mit vorgegebenen Nullstellen} \begin{satz}[Weierstraß] - \index{Satz von Weierstraß}Sei $P \subset \bC$ eine diskrete und - abgeschlossene Menge und $n : P \to \bN$ eine beliebige Abbildung. Dann - existiert eine Funktion $f \in \sO(\bC)$, sodass folgendes gilt. + \index{Satz von Weierstraß}Sei $P ⊂ ℂ$ eine diskrete und abgeschlossene Menge + und $n : P → ℕ$ eine beliebige Abbildung. Dann existiert eine Funktion $f ∈ + 𝒪(ℂ)$, sodass folgendes gilt. \begin{enumerate} \item Die Nullstellenmenge von $f$ ist exakt $P$. - \item Für jedes $p \in P$ gilt: Die Funktion $f$ hat bei $p$ eine Nullstelle + \item Für jedes $p ∈ P$ gilt: Die Funktion $f$ hat bei $p$ eine Nullstelle der Ordnung $n(p)$. \end{enumerate} \end{satz} @@ -126,162 +126,142 @@ \subsection{Vorüberlegung zum Beweis des Satzes von Weierstraß} -Es sei $f \in \sO(\bC)$ eine holomorphe Funktion, die am Punkt $p \in \bC$ eine +Es sei $f ∈ 𝒪(ℂ)$ eine holomorphe Funktion, die am Punkt $p ∈ ℂ$ eine Nullstelle der Ordnung $n$ besitzt. Entwickle $f$ bei $p$ in eine Potenzreihe, sodass für $z$ in einer Umgebung von $p$ folgendes gilt. \begin{align} - f(z) & = \sum_{i = n}^{\infty} a_i (z-p)^i \\ - f'(z) & = \sum_{i = n}^{\infty} a_i·i·(z-p)^{i-1} \\ - f^{-1}(z) & = a^{-1}_n·(z-p)^{-n} + \sum_{i = -n+1}^{\infty} \cdots \\ + f(z) & = \sum_{i = n}^{∞} a_i (z-p)ⁱ \\ + f'(z) & = \sum_{i = n}^{∞} a_i·i·(z-p)^{i-1} \\ + f^{-1}(z) & = a^{-1}_n·(z-p)^{-n} + \sum_{i = -n+1}^{∞} ⋯ \\ \label{il:13-2-1-6} (f'/f)(z) & = \underbrace{n·(z-p)^{-1}}_{\text{Hauptteil}} + \underbrace{(\text{Potenzreihe})}_{\text{Nebenteil}}. \end{align} \subsection{Beweis des Satzes von Weierstraß} -Die Vorüberlegung legt nahe, den Satz von Mittag–Leffler zu verwenden. Sei also -$g \in \sO(\bC \setminus P)$ eine Funktion, deren Hauptteil an jeder Stelle $p -\in P$ exakt gleich $\frac{n(p)}{z-p}$ ist. Das Ziel ist jetzt, aus der -Funktion $g$ die gesuchte Funktion $f$ zu konstruieren. +Die Vorüberlegung legt nahe, den Satz von Mittag–Leffler zu verwenden. Sei also +$g ∈ 𝒪(ℂ ∖ P)$ eine Funktion, deren Hauptteil an jeder Stelle $p ∈ P$ exakt +gleich $\frac{n(p)}{z-p}$ ist. Das Ziel ist jetzt, aus der Funktion $g$ die +gesuchte Funktion $f$ zu konstruieren. \begin{erinnerung} - Der Residuensatz besagt, dass für jede geschlossene Kurve $\gamma$ in $\bC - \setminus P$ gilt: + Der Residuensatz besagt, dass für jede geschlossene Kurve $γ$ in $ℂ ∖ P$ gilt: \[ - \int_\gamma g(z) \, dz = 2\pi i \sum_{p \in P} \Um(\gamma, p) · n(p). + \int_{γ} g(z) \, dz = 2π i \sum_{p ∈ P} \Um(γ, p) · n(p). \] - Da $n(p) \in \bZ$ für alle $p \in P$ gilt, ist das Integral auf der linken - Seite also stets ein ganzzahliges Vielfaches von $2\pi i$, liegt also im Kern - der Exponentialfunktion $\exp : \bC \to \bC^*$. + Da $n(p) ∈ ℤ$ für alle $p ∈ P$ gilt, ist das Integral auf der linken Seite + also stets ein ganzzahliges Vielfaches von $2π i$, liegt also im Kern der + Exponentialfunktion $\exp : ℂ → ℂ^*$. \end{erinnerung} -Die Erinnerung erlaubt folgende Konstruktion: Wähle einen Punkt $q \in \bC -\setminus P$ und wähle für jedes $w \in \bC \setminus P$ einen Weg $\gamma_w$ -von $q$ nach $w$. Dann definiere die Funktion +Die Erinnerung erlaubt folgende Konstruktion: Wähle einen Punkt $q ∈ ℂ ∖ P$ und +wähle für jedes $w ∈ ℂ ∖ P$ einen Weg $γ_w$ von $q$ nach $w$. Dann definiere +die Funktion \[ - f : \bC \setminus P \to \bC^*, \quad w \mapsto \exp \left(\int_{\gamma_w} g(z) \, dz\right). + f : ℂ ∖ P → ℂ^*, \quad w ↦ \exp \left(\int_{γ_w} g(z) \, dz\right). \] Die Erinnerung zeigt, dass die Funktion $f$ unabhängig von der Wahl der Wege -$\gamma_w$ ist. +$γ_w$ ist. \begin{beobachtung} - Die Funktion $f$ ist auf $\bC \setminus P$ holomorph, weil $g$ holomorph ist. - \qed + Die Funktion $f$ ist auf $ℂ ∖ P$ holomorph, weil $g$ holomorph ist. \qed \end{beobachtung} \begin{beobachtung} - Die Funktion $f$ hat auf $\bC \setminus P$ keine Nullstelle, weil die - Exponentialfunktion keine Nullstelle hat. \qed + Die Funktion $f$ hat auf $ℂ ∖ P$ keine Nullstelle, weil die + Exponentialfunktion keine Nullstelle hat. \qed \end{beobachtung} \begin{beobachtung}\label{beo:13-2-1}% - Auf $\bC \setminus P$ gilt die Gleichung $f'/f = g$. \qed + Auf $ℂ ∖ P$ gilt die Gleichung $f'/f = g$. \qed \end{beobachtung} -Jetzt fehlt nur noch zu zeigen, dass $f$ an jedem Punkt $p \in P$ eine hebbare +Jetzt fehlt nur noch zu zeigen, dass $f$ an jedem Punkt $p ∈ P$ eine hebbare Singularität hat und dass die fortgesetzte Funktion eine Nullstelle der Ordnung -$n(p)$ besitzt. Sei also ein Punkt $p \in P$ gegeben. Wähle eine kleine -Kreisscheibe $B_\varepsilon(p)$ um $p$, die keine weiteren Punkte aus $P$ -enthält. Nach Beobachtung~\ref{beo:13-2-1} und der Wahl von $g$ gilt auf -$B_\varepsilon(p) \setminus \{p\}$ die Gleichung +$n(p)$ besitzt. Sei also ein Punkt $p ∈ P$ gegeben. Wähle eine kleine +Kreisscheibe $B_{ε}(p)$ um $p$, die keine weiteren Punkte aus $P$ enthält. Nach +Beobachtung~\ref{beo:13-2-1} und der Wahl von $g$ gilt auf $B_{ε}(p) ∖ \{p\}$ +die Gleichung \[ \frac{f'(z)}{f(z)} = g(z) = \frac{n(p)}{z-p} + h(z), \] -wobei $h \in \sO(B_\varepsilon(p))$ eine holomorphe Funktion ist. Äquivalent: -Die Funktion $f$ erfüllt auf $B_\varepsilon(p) \setminus \{p\}$ die -Differentialgleichung +wobei $h ∈ 𝒪(B_{ε}(p))$ eine holomorphe Funktion ist. Äquivalent: Die Funktion +$f$ erfüllt auf $B_{ε}(p) ∖ \{p\}$ die Differenzialgleichung \[ f'(z) = \left[\frac{n(p)}{z-p} + h(z) \right]·f(z). \] -Diese Differentialgleichung lässt sich durch Trennung der Variablen lösen. -Genauer: Wenn $H \in \sO(B_\varepsilon(p))$ eine Stammfunktion von $h$ ist, dann -sind alle Lösungen der Differentialgleichung auf $B_\varepsilon(p) \setminus \{p\}$ -gegeben durch +Diese Differenzialgleichung lässt sich durch Trennung der Variablen lösen. +Genauer: Wenn $H ∈ 𝒪(B_{ε}(p))$ eine Stammfunktion von $h$ ist, dann sind alle +Lösungen der Differenzialgleichung auf $B_{ε}(p) ∖ \{p\}$ gegeben durch \[ \text{const}^{\ne 0} · \exp\left( H(z) \right)·(z-p)^{n(p)}. \] -Die Funktion $f|_{B_\varepsilon(p)}$ ist aber eine dieser Lösungen, hat also bei -$p$ eine hebbare Singularität und eine Nullstelle der Ordnung $n(p)$. Damit ist -der Satz von Weierstraß bewiesen. \qed +Die Funktion $f|_{B_{ε}(p)}$ ist aber eine dieser Lösungen, hat also bei $p$ +eine hebbare Singularität und eine Nullstelle der Ordnung $n(p)$. Damit ist der +Satz von Weierstraß bewiesen. \qed \section{Integration} \subsection{Uneigentliche Integrale rationaler Funktionen} -Der Residuensatz erlaubt die Berechnung gewisser uneigentlichen Integrale. Ich -skizziere das Vorgehen am Beispiel rationaler Funktionen. -Sei $f(z) = \frac{a(z)}{b(z)}$ eine rationale Funktion, wobei folgendes gilt. +Der Residuensatz erlaubt die Berechnung gewisser uneigentlichen Integrale. Ich +skizziere das Vorgehen am Beispiel rationaler Funktionen. Sei $f(z) = +\frac{a(z)}{b(z)}$ eine rationale Funktion, wobei folgendes gilt. \begin{enumerate} \item Die Funktion $f$ habe auf der reellen Achse keine Polstellen. + \item Die Grade der Polynome $a(z)$ und $b(z)$ erfüllen die Ungleichung $\deg b \ge \deg a + 2$. \end{enumerate} und $f$ habe auf der reellen Achse keine Pole. Dann kann man den Residuensatz anwenden, um das uneigentliche Integral \[ - \int_{-\infty}^{\infty} f(x) \, dx + \int_{-∞}^{∞} f(x) \, dx \] -zu berechnen. Beachte dazu folgendes: Wenn $r \in \bR⁺$ hinreichend groß ist, -dann liegen alle Polstellen von $f$ im Inneren der Kreisscheibe $B_r(0)$. Sei -$\gamma_r$ der folgende geschlossene Weg: +zu berechnen. Beachte dazu folgendes: Wenn $r ∈ ℝ⁺$ hinreichend groß ist, dann +liegen alle Polstellen von $f$ im Inneren der Kreisscheibe $B_r(0)$. Sei $γ_r$ +der folgende geschlossene Weg: \begin{itemize} \item Gehe entlang der reellen Achse von $-r$ nach $r$. - \item Gehe entlang des Halbkreises $\{r·exp(i·t) \::\: 0 \leq t \leq \pi\}$ von - $r$ nach $-r$ zurück. + + \item Gehe entlang des Halbkreises $\{r·exp(i·t) \::\: 0 ≤ t ≤ π\}$ von $r$ + nach $-r$ zurück. \end{itemize} -Dann hängt das Integral über $\gamma_r$ nicht von $r$ ab, und es gilt nach dem Residuensatz +Dann hängt das Integral über $γ_r$ nicht von $r$ ab, und es gilt nach dem +Residuensatz \[ - \int_{-r}^{r} f(z) \, dz = 2\pi i \sum_{\Im z > 0} \Res(f,z), + \int_{-r}^{r} f(z) \, dz = 2π i \sum_{\Im z > 0} \Res(f,z), \] -da das Integral über den oberen Halbkreis für $r \to \infty$ verschwindet. +da das Integral über den oberen Halbkreis für $r → ∞$ verschwindet. \begin{rem}[Variante] -Sei $f(z) = \dfrac{a(z)}{b(z)}$ rational ohne Pole auf der reellen Achse und mit $\deg b > \deg a$. -Dann existieren die Grenzwerte -\[ - \lim_{r \to \infty} \int_0^r f(x)e^{ix}\,dx, \qquad - \lim_{r \to \infty} \int_{-r}^0 f(x)e^{ix}\,dx, -\] -und -\[ - \int_{-\infty}^{\infty} f(x)e^{ix}\,dx = 2\pi i \sum_{\Im z > 0} \Res(f(z)e^{iz},z). -\] + Sei $f(z) = \dfrac{a(z)}{b(z)}$ rational ohne Pole auf der reellen Achse und + mit $\deg b > \deg a$. Dann existieren die Grenzwerte + \[ + \lim_{r → ∞} \int_0^r f(x)e^{ix}\,dx, \qquad + \lim_{r → ∞} \int_{-r}⁰ f(x)e^{ix}\,dx, + \] + und + \[ + \int_{-∞}^{∞} f(x)e^{ix}\,dx = 2π i \sum_{\Im z > 0} \Res(f(z)e^{iz},z). + \] \end{rem} \begin{rem}[Fourier-Transformierte] -Sei $f(z) = \frac{a(z)}{b(z)}$ eine rationale reelle Funktion ohne Pole auf der reellen Achse und $\deg b \ge 2 + \deg a$. -Dann existiert für alle $y \in \bR$ das Integral -\[ - \widehat{f}(y) := \int_{-\infty}^{\infty} f(x)e^{-ixy}\,dx, -\] -die \emph{Fourier-Transformierte} von $f$. -Mit der Substitution $u = x y$ ergibt sich -\[ - \widehat{f}(y) = \frac{1}{y}\int_{-\infty}^{\infty} f\!\left(\frac{u}{y}\right)e^{-iu}\,du. -\] -Dieses Integral lässt sich mit Hilfe des Residuensatzes berechnen, sofern die Partialbruchzerlegung von $f$ bekannt ist. + Sei $f(z) = \frac{a(z)}{b(z)}$ eine rationale reelle Funktion ohne Pole auf + der reellen Achse und $\deg b \ge 2 + \deg a$. Dann existiert für alle $y ∈ ℝ$ + das Integral + \[ + \widehat{f}(y) := \int_{-∞}^{∞} f(x)e^{-ixy}\,dx, + \] + die \emph{Fourier-Transformierte} von $f$. Mit der Substitution $u = x y$ + ergibt sich + \[ + \widehat{f}(y) = \frac{1}{y}\int_{-∞}^{∞} f\!\left(\frac{u}{y}\right)e^{-iu}\,du. + \] + Dieses Integral lässt sich mithilfe des Residuensatzes berechnen, sofern die + Partialbruchzerlegung von $f$ bekannt ist. \end{rem} - -\part{Weiterführende Themen} - -\chapter{Harmonische Funktionen} - -In der angewandten Mathematik, Physik und Stochastik treten häufig \emph{harmonische Funktionen} auf. - -\begin{definition} -Sei $U \subset \bR^2$ offen. -Eine stetige Funktion $f : U \to \bR$ heißt \emph{harmonisch}, wenn für jede Kreisscheibe $B_r(p) \subset U$ gilt: -\[ - f(p) = \frac{1}{2\pi} \int_0^{2\pi} f(p + e^{it})\,dt. -\] -Der Funktionswert im Mittelpunkt $p$ ist also das Mittel der Funktionswerte am Rand der Kreisscheibe. -\end{definition} - -\begin{bsp} -Real- und Imaginärteil holomorpher Funktionen sind harmonisch -\emph{(vgl. Mittelwertsatz der Funktionentheorie)}. -\end{bsp} - % !TEX root = Funktionentheorie diff --git a/14-harmonic.tex b/14-harmonic.tex index 103f03e..b5295ae 100644 --- a/14-harmonic.tex +++ b/14-harmonic.tex @@ -1,287 +1,269 @@ % spell checker language \selectlanguage{german} -\chapter{Anwendungen des Residuensatzes} - -\section{Zählen von Null- und Polstellen} - -\begin{situation}\label{sit:12-5-1}% - --- - \begin{itemize} - \item Es sei $U ⊂ ℂ$ Gebiet und es sei $P ⊂ U$ eine abgeschlossene und - diskrete Teilmenge. - - \item Es sei $f ∈ 𝒪(U ∖ P)$ eine holomorphe Funktion mit isolierten - Singularitäten. Wir nehmen an, dass $f$ nicht die Nullfunktion ist und - keine essenziellen Singularitäten hat. Für jeden Punkt $z ∈ U$ sei - $ν_z(f)$ die Polstellenordnung von $f$ in $z$; diese ist positiv, wenn $f$ - bei $z$ eine Polstelle hat und negativ bei Nullstellen. - - \item Es sei $N = \{z ∈ U \mid f(z) = 0\}$ die Menge der Nullstellen von - $f$. - - \item Es sei $γ: [a,b] → U ∖ (N ∪ P)$ sei ein in $U$ zusammenziehbarer Weg. - \end{itemize} -\end{situation} - -\begin{bemerkung} - In Situation~\ref{sit:12-5-1} sind die Zahlen $ν_z(f)$ für fast alle $z ∈ U$ - gleich null, und höchstens für $z ∈ P$ positiv. -\end{bemerkung} - -\begin{bemerkung}\label{bem:12-5-3}% - In Situation~\ref{sit:12-5-1} sagt die „Goldene Regel 2“, dass die - Umlaufzahlen $\Um(γ, p)$ höchstens auf einer kompakten Teilmenge von $U$ - ungleich null sind. Da der Schnitt einer diskreten Menge mit einer kompakten - Menge endlich ist, gibt es nur endlich viele Punkte $z ∈ U$, für die das - Produkt $\Um(γ, p) · ν_p(f)$ ungleich null ist. -\end{bemerkung} - -\begin{satz}[Zählen von Null- und Polstellen]\label{satz:12-5-1}% - In Situation~\ref{sit:12-5-1} betrachte den Weg $f ◦ γ : [a,b] → ℂ$. Dann gilt - \[ - \Um(f ◦ γ, 0) = \sum_{p ∈ U} \Um(γ, p) · ν_p(f). - \] - Beachte, dass nach Bemerkung~\ref{bem:12-5-3} nur endlich viele der Summanden - auf der rechten Seite ungleich null sind. -\end{satz} -\begin{proof} - Es gilt - \begin{align*} - \Um(f ◦ γ, 0) & = \frac{1}{2π i} \int_{f◦ γ} \frac{1}{z} \, dz && \text{Definition Umlaufzahl} \\ - & = \frac{1}{2π i} \int_γ \frac{f'(z)}{f(z)} \, dz && \text{Definition Wegintegral, Kettenregel} \\ - & = \sum_{p ∈ U} \Um(γ, p) · ν_p(f) && \text{Residuensatz, Bemerkung~\ref{bem:12-4-2}.} - \end{align*} - Damit ist Satz~\ref{satz:12-5-1} bewiesen. -\end{proof} - -\begin{kor}[Satz von Rouché\footnote{Eugène Rouché (* 18.~August 1832 in - Sommières, Département Hérault; † 19.~August 1910 in Lunel) war ein - französischer Mathematiker. }]\label{kor:12-5-2}% - \index{Satz von Rouché}Sei $U ⊂ ℂ$ offen, $f ∈ 𝒪(U)$ und $K ⊂ U$ eine - abgeschlossene Kreisscheibe. Sei außerdem eine holomorphe Funktion $g ∈ 𝒪(U)$ - gegeben, sodass für jedes $z ∈ δ K$ die Ungleichung - \begin{equation}\label{eq:12-5-5}% - |f(z)| > |g(z)| - \end{equation} - gilt. Dann gilt Folgendes. - \begin{enumerate} - \item\label{il:12-5-5-1} Alle Nullstellen von $f$ und $f+g$ auf $K$ liegen - im Inneren von $K$. - - \item\label{il:12-5-5-2} Mit Vielfachheit gezählt haben $f$ und $f+g$ die - gleiche Anzahl an Nullstellen auf $K$. - \end{enumerate} -\end{kor} -\begin{proof} - Für $t ∈ [0,1]$ betrachte die Familie von Funktionen $h_t(z) := f(z) + - t·g(z)$. Ungleichung~\eqref{eq:12-5-5} zeigt sofort, dass für jedes $t ∈ - [0,1]$ und jedes $z ∈ ∂K$ die Ungleichung - \[ - h_t(z) - \] - gilt. Damit ist~\ref{il:12-5-5-1} bewiesen. Als Nächstes betrachte - \[ - N : [0,1] → ℂ, \quad t ↦ \frac{1}{2π i} \int_{∂K} \frac{h_t'(z)}{h_t(z)} \, dz. - \] - Auf der einen Seite sagt der Satz über parameterabhängige Integrale, dass $N$ - stetig ist. Auf der anderen Seite gilt nach Satz~\ref{satz:12-5-1} für jedes - $t ∈ [0,1]$ die Gleichung - \[ - N(t) = \text{Anzahl der Nullstellen von $h_t$ in $K$}. - \] - Da $N(t)$ also ganzzahlig ist, ist $N$ konstant. Somit gilt insbesondere - $N(0) = N(1)$. -\end{proof} - -\begin{bsp}\label{bsp:12-5-3}% - Wir behaupten, dass die Funktion - \[ - \frac{1}{10} z⁷ + 1 + 5 z² - \] - in $B_1(0)$ genau $2$ Nullstellen hat. Schreibe dazu $f(z) = 5z²$, $g(z) = - \frac{1}{10} z⁷ + 1$ und beobachte, dass für jedes $z$ mit $|z| = 1$ die - Ungleichung - \[ - |f(z)| = 5 > 1 + \frac{1}{10} ≥ |g(z)| - \] - gilt. Der Satz von Rouché zeigt nun die Behauptung. -\end{bsp} - - -\section{Funktionen mit vorgegebenen Nullstellen} - -\begin{satz}[Weierstraß] - \index{Satz von Weierstraß}Sei $P \subset \bC$ eine diskrete und - abgeschlossene Menge und $n : P \to \bN$ eine beliebige Abbildung. Dann - existiert eine Funktion $f \in \sO(\bC)$, sodass folgendes gilt. - \begin{enumerate} - \item Die Nullstellenmenge von $f$ ist exakt $P$. - - \item Für jedes $p \in P$ gilt: Die Funktion $f$ hat bei $p$ eine Nullstelle - der Ordnung $n(p)$. - \end{enumerate} -\end{satz} - - -\subsection{Vorüberlegung zum Beweis des Satzes von Weierstraß} - -Es sei $f \in \sO(\bC)$ eine holomorphe Funktion, die am Punkt $p \in \bC$ eine -Nullstelle der Ordnung $n$ besitzt. Entwickle $f$ bei $p$ in eine Potenzreihe, -sodass für $z$ in einer Umgebung von $p$ folgendes gilt. -\begin{align} - f(z) & = \sum_{i = n}^{\infty} a_i (z-p)^i \\ - f'(z) & = \sum_{i = n}^{\infty} a_i·i·(z-p)^{i-1} \\ - f^{-1}(z) & = a^{-1}_n·(z-p)^{-n} + \sum_{i = -n+1}^{\infty} \cdots \\ - \label{il:13-2-1-6} (f'/f)(z) & = \underbrace{n·(z-p)^{-1}}_{\text{Hauptteil}} + \underbrace{(\text{Potenzreihe})}_{\text{Nebenteil}}. -\end{align} - - -\subsection{Beweis des Satzes von Weierstraß} - -Die Vorüberlegung legt nahe, den Satz von Mittag–Leffler zu verwenden. Sei also -$g \in \sO(\bC \setminus P)$ eine Funktion, deren Hauptteil an jeder Stelle $p -\in P$ exakt gleich $\frac{n(p)}{z-p}$ ist. Das Ziel ist jetzt, aus der -Funktion $g$ die gesuchte Funktion $f$ zu konstruieren. - -\begin{erinnerung} - Der Residuensatz besagt, dass für jede geschlossene Kurve $\gamma$ in $\bC - \setminus P$ gilt: - \[ - \int_\gamma g(z) \, dz = 2\pi i \sum_{p \in P} \Um(\gamma, p) · n(p). - \] - Da $n(p) \in \bZ$ für alle $p \in P$ gilt, ist das Integral auf der linken - Seite also stets ein ganzzahliges Vielfaches von $2\pi i$, liegt also im Kern - der Exponentialfunktion $\exp : \bC \to \bC^*$. -\end{erinnerung} - -Die Erinnerung erlaubt folgende Konstruktion: Wähle einen Punkt $q \in \bC -\setminus P$ und wähle für jedes $w \in \bC \setminus P$ einen Weg $\gamma_w$ -von $q$ nach $w$. Dann definiere die Funktion -\[ - f : \bC \setminus P \to \bC^*, \quad w \mapsto \exp \left(\int_{\gamma_w} g(z) \, dz\right). -\] -Die Erinnerung zeigt, dass die Funktion $f$ unabhängig von der Wahl der Wege -$\gamma_w$ ist. - -\begin{beobachtung} - Die Funktion $f$ ist auf $\bC \setminus P$ holomorph, weil $g$ holomorph ist. - \qed -\end{beobachtung} - -\begin{beobachtung} - Die Funktion $f$ hat auf $\bC \setminus P$ keine Nullstelle, weil die - Exponentialfunktion keine Nullstelle hat. \qed -\end{beobachtung} - -\begin{beobachtung}\label{beo:13-2-1}% - Auf $\bC \setminus P$ gilt die Gleichung $f'/f = g$. \qed -\end{beobachtung} - -Jetzt fehlt nur noch zu zeigen, dass $f$ an jedem Punkt $p \in P$ eine hebbare -Singularität hat und dass die fortgesetzte Funktion eine Nullstelle der Ordnung -$n(p)$ besitzt. Sei also ein Punkt $p \in P$ gegeben. Wähle eine kleine -Kreisscheibe $B_\varepsilon(p)$ um $p$, die keine weiteren Punkte aus $P$ -enthält. Nach Beobachtung~\ref{beo:13-2-1} und der Wahl von $g$ gilt auf -$B_\varepsilon(p) \setminus \{p\}$ die Gleichung -\[ - \frac{f'(z)}{f(z)} = g(z) = \frac{n(p)}{z-p} + h(z), -\] -wobei $h \in \sO(B_\varepsilon(p))$ eine holomorphe Funktion ist. Äquivalent: -Die Funktion $f$ erfüllt auf $B_\varepsilon(p) \setminus \{p\}$ die -Differentialgleichung -\[ - f'(z) = \left[\frac{n(p)}{z-p} + h(z) \right]·f(z). -\] -Diese Differentialgleichung lässt sich durch Trennung der Variablen lösen. -Genauer: Wenn $H \in \sO(B_\varepsilon(p))$ eine Stammfunktion von $h$ ist, dann -sind alle Lösungen der Differentialgleichung auf $B_\varepsilon(p) \setminus \{p\}$ -gegeben durch -\[ - \text{const}^{\ne 0} · \exp\left( H(z) \right)·(z-p)^{n(p)}. -\] -Die Funktion $f|_{B_\varepsilon(p)}$ ist aber eine dieser Lösungen, hat also bei -$p$ eine hebbare Singularität und eine Nullstelle der Ordnung $n(p)$. Damit ist -der Satz von Weierstraß bewiesen. \qed - - -\section{Integration} - -\subsection{Uneigentliche Integrale rationaler Funktionen} - -Der Residuensatz erlaubt die Berechnung gewisser uneigentlichen Integrale. Ich -skizziere das Vorgehen am Beispiel rationaler Funktionen. -Sei $f(z) = \frac{a(z)}{b(z)}$ eine rationale Funktion, wobei folgendes gilt. -\begin{enumerate} - \item Die Funktion $f$ habe auf der reellen Achse keine Polstellen. - \item Die Grade der Polynome $a(z)$ und $b(z)$ erfüllen die Ungleichung $\deg - b \ge \deg a + 2$. -\end{enumerate} -und $f$ habe auf der reellen Achse keine Pole. Dann kann man den Residuensatz -anwenden, um das uneigentliche Integral -\[ - \int_{-\infty}^{\infty} f(x) \, dx -\] -zu berechnen. Beachte dazu folgendes: Wenn $r \in \bR⁺$ hinreichend groß ist, -dann liegen alle Polstellen von $f$ im Inneren der Kreisscheibe $B_r(0)$. Sei -$\gamma_r$ der folgende geschlossene Weg: -\begin{itemize} - \item Gehe entlang der reellen Achse von $-r$ nach $r$. - \item Gehe entlang des Halbkreises $\{r·exp(i·t) \::\: 0 \leq t \leq \pi\}$ von - $r$ nach $-r$ zurück. -\end{itemize} -Dann hängt das Integral über $\gamma_r$ nicht von $r$ ab, und es gilt nach dem Residuensatz -\[ - \int_{-r}^{r} f(z) \, dz = 2\pi i \sum_{\Im z > 0} \Res(f,z), -\] -da das Integral über den oberen Halbkreis für $r \to \infty$ verschwindet. - -\begin{rem}[Variante] -Sei $f(z) = \dfrac{a(z)}{b(z)}$ rational ohne Pole auf der reellen Achse und mit $\deg b > \deg a$. -Dann existieren die Grenzwerte -\[ - \lim_{r \to \infty} \int_0^r f(x)e^{ix}\,dx, \qquad - \lim_{r \to \infty} \int_{-r}^0 f(x)e^{ix}\,dx, -\] -und -\[ - \int_{-\infty}^{\infty} f(x)e^{ix}\,dx = 2\pi i \sum_{\Im z > 0} \Res(f(z)e^{iz},z). -\] -\end{rem} - -\begin{rem}[Fourier-Transformierte] -Sei $f(z) = \frac{a(z)}{b(z)}$ eine rationale reelle Funktion ohne Pole auf der reellen Achse und $\deg b \ge 2 + \deg a$. -Dann existiert für alle $y \in \bR$ das Integral -\[ - \widehat{f}(y) := \int_{-\infty}^{\infty} f(x)e^{-ixy}\,dx, -\] -die \emph{Fourier-Transformierte} von $f$. -Mit der Substitution $u = x y$ ergibt sich -\[ - \widehat{f}(y) = \frac{1}{y}\int_{-\infty}^{\infty} f\!\left(\frac{u}{y}\right)e^{-iu}\,du. -\] -Dieses Integral lässt sich mit Hilfe des Residuensatzes berechnen, sofern die Partialbruchzerlegung von $f$ bekannt ist. -\end{rem} - - -\part{Weiterführende Themen} - \chapter{Harmonische Funktionen} -In der angewandten Mathematik, Physik und Stochastik treten häufig \emph{harmonische Funktionen} auf. +In der angewandten Mathematik, Physik und Stochastik treten häufig +\emph{harmonische Funktionen} auf. Das sind Funktionen, die die +Mittelwert-Eigenschaft per Definition erfüllen. \begin{definition} -Sei $U \subset \bR^2$ offen. -Eine stetige Funktion $f : U \to \bR$ heißt \emph{harmonisch}, wenn für jede Kreisscheibe $B_r(p) \subset U$ gilt: -\[ - f(p) = \frac{1}{2\pi} \int_0^{2\pi} f(p + e^{it})\,dt. -\] -Der Funktionswert im Mittelpunkt $p$ ist also das Mittel der Funktionswerte am Rand der Kreisscheibe. + Sei $U ⊂ ℝ²$ offen. Eine stetige Funktion $f : U → ℝ$ heißt + \emph{harmonisch}\index{harmonische Funktion}, wenn für jede Kreisscheibe + $B_r(p) ⊂ U$ gilt: + \[ + f(p) = \frac{1}{2π} \int_0^{2π} f(p + e^{it})\,dt. + \] + Der Funktionswert im Mittelpunkt $p$ ist also das Mittel der Funktionswerte am + Rand der Kreisscheibe. \end{definition} -\begin{bsp} -Real- und Imaginärteil holomorpher Funktionen sind harmonisch -\emph{(vgl. Mittelwertsatz der Funktionentheorie)}. +\begin{bsp}[Real- und Imaginärteil holomorpher Funktionen] + Proposition~\ref{satz:5-2-1} („Mittelwertsatz“) besagt unter anderem, dass + Real- und Imaginärteil holomorpher Funktionen harmonisch sind. \end{bsp} + +\section{Konsequenzen von Harmonizität} + +\begin{prop}[Maximumprinzip für harmonische Funktionen]\label{prop:14-1-1}% + \index{Maximumprinzip für harmonische Funktionen}Es sei $U ⊂ ℝ²$ + zusammenhängend und offen und es sei $f : U → ℝ$ harmonisch. Wenn $f$ auf $U$ + ein Maximum oder Minimum erreicht, dann ist $f$ konstant. +\end{prop} +\begin{proof} + Angenommen, ein Maximum + \[ + M := \max\{ f(z) \mid z ∈ U \} + \] + existiert und es sei $p$ ein Punkt aus $U$ mit $f(p) = M$. Wenn $ε ≪ 1$ + ausreichend klein ist, dann ist $B_ε(p) ⊂ U$ und es gilt für jeden Punkt $z ∈ + ∂B_ε(p)$ die Ungleichung $f(z) ≤ f(p)$. Die Gleichung + \[ + f(p) = \frac{1}{2π} \int_0^{2π} f(p + ε · e^{it})\,dt + \] + zeigt dann, dass für jeden Punkt $z ∈ ∂B_ε(p)$ bereits die Gleichung $f(z) = + f(p)$ gelten muss. Es folgt, dass $f$ auf $B_ε(p)$ konstant ist. In der + Summe sehen wir, dass die Menge + \[ + \{z ∈ U \::\: f(z) = M\} ⊆ U + \] + offen ist. Da diese Menge offensichtlich auch abgeschlossen ist, folgt die + Behauptung. +\end{proof} + +\begin{prop} + Es sei $p ∈ ℝ²$ und $r > 0$. Weiter seien $f_1, f_2 : \overline{\bar{B}_r(p)} + → ℝ$ zwei stetige Funktionen, die auf $B_r(p)$ harmonisch sind und auf dem + Rand $∂\bar{B}_r(p)$ übereinstimmen. Dann ist $f_1 = f_2$. +\end{prop} +\begin{proof} + Die Funktion $f := f_1 - f_2$ ist stetig auf $B_r(p)$ harmonisch und auf dem + Rand $∂\bar{B}_r(p)$ gleich null. Als stetige Funktion auf der kompakten + Menge $\overline{\bar{B}_r(p)}$ nimmt $f_1 - f_2$ ein Maximum und Minimum an. + Sollten diese ungleich Null sein, so würden diese an einem Punkt im Innern von + $B_r(p)$ angenommen. Dann ist $f_1 - f_2$ aber nach Satz~\ref{prop:14-1-1} + konstant. +\end{proof} + + +\section{Konstruktion von harmonischen Funktionen} + +\begin{konstruktion}[Funktionen vom Rand der Kreisscheibe in das Innere Fortsetzen]\label{konst:14-2-1}% + Es sei $S¹ ⊂ ℂ$ der Einheitskreis und $h : S¹ → ℝ$ sei stetig. Dann betrachte + \[ + \bar{h} : \overline{B_1(0)} → ℝ, + \quad + z ↦ + \begin{cases} + h(z) & \text{falls } |z| = 1 \\ + \frac{1}{2π} \int_0^{2π} h(e^{it}) · \operatorname{Realteil}\left(\frac{e^{it} + z}{e^{it} - z}\right)\,dt & \text{sonst}. + \end{cases} + \] + Eine mühsame Rechnung, die ich mir spare, zeigt Folgendes. + \begin{itemize} + \item Die Funktion $\bar{h}$ ist auf der abgeschlossenen + Einheitskreisscheibe stetig. + + \item Die Funktion $\bar{h}$ ist auf der offenen Einheitskreisscheibe + harmonisch. + \end{itemize} +\end{konstruktion} + +\begin{rem}[Poisson\footnote{Siméon Denis Poisson (* 21.~Juni 1781 in Pithiviers + (Département Loiret); † 25.~April 1840 in Paris) war ein französischer + Physiker und Mathematiker.}-Transformation und Fourier\footnote{Baron Jean + Baptiste Joseph Fourier (* 21. März 1768 bei Auxerre; † 16. Mai 1830 in + Paris) war ein französischer Mathematiker und Physiker.}-Transformation]% + Der Integralausdruck aus Konstruktion~\ref{konst:14-2-1} ist in der Analysis + wichtig und wird als „Poisson-Transformation“\index{Poisson-Transformation} + der Funktion $h$ bezeichnet. Die Poisson-Transformation ist eng mit der + Fourier-Transformation von $h$ verwandt! Um den Zusammenhang zu sehen, + betrachte die Fourier-Entwicklung der periodischen Funktion + \[ + h' : ℝ → ℝ, \quad t ↦ h(\exp(it)), + \quad + t ↦ \sum_{k ∈ ℤ} a_k \exp(ikt). + \] + Setze jeden Term ein in die Formel aus Konstruktion~\ref{konst:14-2-1} ein + schaue, was passiert. +\end{rem} + +\begin{kons}[Holographieprinzip für harmonische Funktionen] + Gegeben eine Kreisscheibe $B_r(p) ⊂ ℂ$ und eine stetige Funktion $h : ∂B_r(p) + → ℝ$, so gibt es genau eine stetige Funktion $\bar{h} : \overline{B_r(p)} → + ℝ$, die auf dem Rand mit $h$ übereinstimmt und im Innern harmonisch ist. \qed +\end{kons} + +\begin{kons}[Harmonische Funktionen als Realteile holomorpher Funktionen] + Gegeben eine Kreisscheibe $B_r(p) ⊂ ℂ$ und eine harmonische Funktion $h : + B_r(p) → ℝ$. Dann ist $h$ der Realteil einer holomorphen Funktion. +\end{kons} +\begin{proof} + Wir wissen aus Satz~\vref{satz:3-1-12} („Ableiten unter dem Integral“), dass + die Abbildung + \[ + B_r(ρ) → ℂ, \qquad z ↦ \frac{1}{2π} \int_0^{2π} h(e^{it}) · + \frac{e^{it} + z}{e^{it} - z}\,dt + \] + holomorph ist. +\end{proof} + + +\section{Harmonische Funktionen als Realteile holomorpher Funktionen} + +\begin{bsp}[Harmonische Funktionen sind nicht immer Realteile holomorpher Funktionen] + Im Allgemeinen sind harmonische Funktionen nicht unbedingt Realteile von + holomorphen Funktionen. Betrachte zum Beispiel den Hauptzweig des Logarithmus + \[ + \log : ℂ^* → ℂ, \quad z ↦ \log|z| + i · \arg(z). + \] + Wir wissen schon: diese Funktion ist nicht stetig, weil $\arg$ nicht stetig + ist. Der Realteil, die Funktion $h : z ↦ \log|z|$, ist aber auf ganz $ℂ^*$ + harmonisch. Die Funktion $h$ ist aber nicht der Realteil einer holomorphen + Funktion auf $ℂ^*$. Falls $h$ nämlich der Realteil einer holomorphen Funktion + $φ ∈ 𝒪(ℂ^*)$ wäre, dann wäre + \[ + \operatorname{Realteil}(φ ◦ \exp - \Id) = 0. + \] + Nach dem Identitätssatz für holomorphe Funktionen, Korollar~\vref{kor:7-2-2}, + ist dann auch $φ ◦ \exp - \Id = 0$. Also wäre $φ$ eine Logarithmus-Funktion. + Eine solche Funktion existiert aber nicht einmal als stetige Funktion, wie wir + spätestens seit Lemma~\ref{lem:1-2-15} wissen. +\end{bsp} + +\begin{satz}[Harmonische Funktionen als Realteile holomorpher Funktionen]\label{satz:14-3-2}% + Sei $U ⊂ ℂ$ einfach zusammenhängend, $f : U → ℝ$. Dann sind folgende Aussagen + äquivalent. + \begin{enumerate} + \item Die Funktion $f$ ist harmonisch. + + \item\label{il:14-3-2-2} Die Funktion $f$ ist Realteil einer holomorphen + Funktion. + \end{enumerate} + Insbesondere gilt: Die holomorphe Funktion $f$ aus \ref{il:14-3-2-2} ist + eindeutig bis auf Addition mit einer rein imaginären Zahl. +\end{satz} + +Wir beweisen Satz~\ref{satz:14-3-2} auf Seite~\vpageref{pf:14-3-2}. + + +\section{Infinitesimale Beschreibung harmonischer Funktionen} + +\begin{satz}[Infinitesimale Beschreibung harmonischer Funktionen]\label{satz:14-4-1}% + Sei $U ⊂ ℂ$ offen und $f : U → ℝ$ harmonisch. Dann sind folgende Aussagen + äquivalent. + \begin{enumerate} + \item\label{il:14-4-1-1} Die Funktion $f$ ist harmonisch. + + \item\label{il:14-4-1-2} Die Funktion $f$ ist zweimal stetig differenzierbar + und es ist + \[ + Δf = \left(\frac{∂²}{∂x²} + \frac{∂²}{∂y²}\right) f = 0. + \] + \end{enumerate} +\end{satz} + +\begin{notation}[Laplace\footnote{Pierre-Simon Laplace, seit 1817 Marquis de + Laplace (* 23.~März 1749 in Beaumont-en-Auge in der Normandie; † 5.~März + 1827 in Paris) war ein französischer Mathematiker, Physiker und Astronom. Er + beschäftigte sich unter anderem mit der Wahrscheinlichkeitstheorie und mit + Differenzialgleichungen.}-Operator]% + Statt $\left(\frac{∂²}{∂x²} + \frac{∂²}{∂y²}\right) f$ schreibt man oft $Δf$. + Der Differenzialoperator $Δ = \frac{∂²}{∂x²} + \frac{∂²}{∂y²}$ wird auch als + \emph{Laplace-Operator}\index{Laplace-Operator} bezeichnet. +\end{notation} + +\begin{rem}[Differenzialoperatoren, Vorüberlegung zum Beweis von Satz~\ref{satz:14-4-1}] + Wenn eine Funktion $g : U → ℝ$ oder $g : U → ℂ$ zweimal differenzierbar ist, + dann ist + \begin{align*} + \frac{∂}{∂\bar{z}} \frac{∂}{∂z} g & = \frac{∂}{∂\bar{z}} \left(\frac{1}{2}\left(\frac{∂g}{∂x} + i\frac{∂g}{∂y}\right)\right) \\ + & = \frac{1}{4} \left(\frac{∂²g}{∂x²} - i\frac{∂²g}{∂x∂y} + i\left(\frac{∂²g}{∂y∂y} - i\frac{∂²g}{∂y²}\right)\right) \\ + & = \frac{1}{4} \, Δg. + \end{align*} +\end{rem} + +\begin{proof}[Beweis von Satz~\ref{satz:14-4-1}, Implikation \ref{il:14-4-1-1} $⇒$ \ref{il:14-4-1-2}] + Wir können ohne Beschränkung der Allgemeinheit annehmen, dass $U$ eine + Kreisscheibe ist. Dort kann ich $f$ mithilfe der Poisson-Transformation als + Realteil einer holomorphen Funktion $f' ∈ 𝒪(U)$ schreiben. Dann ist + $\frac{∂f'}{∂z}$ holomorph. Also gilt + \[ + Δ(\text{Realteil} f') + iΔ(\text{Imaginärteil} f') = Δf' = \const⁺·\frac{∂}{∂\bar{z}} \frac{∂}{∂z} f' = 0. + \] + Also ist $Δf = 0$. +\end{proof} + +\begin{proof}[Beweis von Satz~\ref{satz:14-4-1}, Implikation \ref{il:14-4-1-2} $⇒$ \ref{il:14-4-1-1}] + Per Annahme ist + \[ + 0 = Δf = \frac{∂}{∂\bar{z}} \frac{∂}{∂z} f. + \] + Also ist die Funktion + \[ + \frac{∂f}{∂z} = \frac{∂f}{∂x} - i\frac{∂f}{∂y} + \] + bereits holomorph! Jetzt müssen wir testen, ob $f$ harmonisch ist. Sei also + eine beliebige Kreisscheibe $B_r(p) ⊂ U$ gegeben. Dann ist für $ε ≪ 1$ auch + $B_{r+ε}(p) ⊂ U$ und dort hat die holomorphe Funktion $\frac{∂f}{∂z}$ eine + Stammfunktion $F ∈ 𝒪(B_{r+ε}(p))$. Es ist aber + \[ + \begin{matrix} + \frac{∂F}{∂x} & = \frac{∂f}{∂z} & = \frac{∂f}{∂x} - i\frac{∂f}{∂y} \\ + \frac{∂F}{∂y} & = i\frac{∂F}{∂x} & = \frac{∂f}{∂y} + i\frac{∂f}{∂x}. + \end{matrix} + \] + Also ist + \[ + \operatorname{grad} \operatorname{Realteil}(F) = \operatorname{grad} f. + \] + Die Funktionen $\operatorname{Realteil}(F)$ und $f$ unterscheiden sich also + nur um eine additive Konstante. Daher ist $f = \operatorname{Realteil}(F) + + \const$ auf $B_{r+ε}(p)$ Realteil einer holomorphen Funktion, also harmonisch! +\end{proof} + +Der gerade geführte Beweis liefert fast wörtlich auch einen Beweis von +Satz~\ref{satz:14-3-2}. + +\begin{proof}[Beweis von Satz~\ref{satz:14-3-2}]\label{pf:14-3-2}% + Per Annahme ist $0 = Δf = \frac{∂}{∂\bar{z}} \frac{∂}{∂z} f$. Also ist die + Funktion + \[ + \frac{∂f}{∂z} = \frac{∂f}{∂x} - i\frac{∂f}{∂y} + \] + bereits holomorph! Jetzt müssen wir testen, ob $f$ harmonisch ist. Weil $U$ + per Annahme einfach zusammenhängend ist, gibt es nach Korollar~\ref{kor:4-3-4} + eine Stammfunktion $F ∈ 𝒪(B_{r+ε}(p))$. Es ist aber + \[ + \begin{matrix} + \frac{∂F}{∂x} & = \frac{∂f}{∂z} & = \frac{∂f}{∂x} - i\frac{∂f}{∂y} \\ + \frac{∂F}{∂y} & = i\frac{∂F}{∂x} & = \frac{∂f}{∂y} + i\frac{∂f}{∂x}. + \end{matrix} + \] + Die Funktionen $\operatorname{Realteil}(F)$ und $f$ unterscheiden sich also + nur um eine additive Konstante. Daher ist $f = \operatorname{Realteil}(F) + + \const$ auf $B_{r+ε}(p)$ Realteil einer holomorphen Funktion, also harmonisch! +\end{proof} + % !TEX root = Funktionentheorie diff --git a/Funktionentheorie.tex b/Funktionentheorie.tex index eb0677d..2b1a773 100644 --- a/Funktionentheorie.tex +++ b/Funktionentheorie.tex @@ -160,6 +160,11 @@ Link in den Text ein. \input{12-residuum} \input{13-applResiduum} + +\part{Weiterführende Themen} + +\input{14-harmonic} + \addchap{Lizenz} Dieser Text ist unter der Lizenz