diff --git a/.vscode/ltex.dictionary.de-DE.txt b/.vscode/ltex.dictionary.de-DE.txt index 9fac54c..284776a 100644 --- a/.vscode/ltex.dictionary.de-DE.txt +++ b/.vscode/ltex.dictionary.de-DE.txt @@ -8,3 +8,5 @@ Cosinusfunktion Funktionalgleichung Exponentialabbildung Quotientengruppe +homotop +zusammenziehbar diff --git a/03-wegintegrale.tex b/03-wegintegrale.tex index c768fc0..28005bf 100644 --- a/03-wegintegrale.tex +++ b/03-wegintegrale.tex @@ -307,6 +307,8 @@ Fakten der Analysis und Topologie. \subsection{Konstruktion von Stammfunktionen durch Wegintegrale} +\sideremark{Vorlesung 5} + Wir erinnern uns an die Ergebnisse des letzten Abschnitts: Es sei $U \subset \bC$ offen und es sei $f: U \to \bC$ stetig. Wenn $f$ eine Stammfunktion $F: U \to \bC$ besitzt, dann gilt für jeden (stückweise) stetig differenzierbaren Weg @@ -520,58 +522,98 @@ folgenden Art. F}{\partial x} + i \frac{\partial F}{\partial y} = 0$. Also erfüllen die partiellen Ableitungen von $F$ die Cauchy-Riemann-Differenzialgleichungen. \end{itemize} - In der sehen wir, dass $F$ komplex differenzierbar ist und dass $F' = f$ gilt. + In der Summe sehen wir, dass $F$ komplex differenzierbar ist und dass $F' = f$ + gilt. \end{proof} \section{Homotopie von Wegen} -Gegeben eine offene Menge $U \subset \mathbb{C}$, und Punkte $z_0, z_1 \in U$, so betrachten wir Wege, die $z_0$ und $z_1$ verbinden. +Gegeben eine offene Menge $U \subset \bC$ und Punkte $z_0, z_1 \in U$, so +betrachten wir Wege, die $z_0$ und $z_1$ verbinden. Anschaulich ist klar, dass +manche dieser Wege stetig ineinander übergeführt werden können und andere nicht. -Anschaulich ist klar, dass manche dieser Wege ineinander übergeführt werden können und andere nicht. +\begin{definition}[Homotopie von Wegen]\label{def:3-4-1}% + Es sei $U$ ein topologischer Raum, und $[a, b] \subset \bR$ ein kompaktes + Intervall. Zwei stetige Wege + \[ + \gamma_0: [a, b] \to U, \quad \gamma_1: [a, b] \to U + \quad\text{mit}\quad + \gamma_0(a) = \gamma_1(a), \quad \gamma_0(b) = \gamma_1(b) + \] + heißen \emph{homotop}\index{homotop}, wenn es stetige Abbildung + \[ + \Gamma: [a, b] \times [0, 1] \longrightarrow U + \] + gibt, sodass die folgenden Bedingungen erfüllt sind: + \begin{itemize} + \item $\forall s \in [0, 1] : \Gamma(a, s) = \gamma_0(a) \text{ und } \Gamma(b, s) = \gamma_0(b)$ + \item $\forall t \in [a, b] : \Gamma(t, 0) = \gamma_0(t) \text{ und } \Gamma(t, 1) = \gamma_1(t)$. + \end{itemize} + Eine Abbildung $\Gamma$ mit diesen Eigenschaften heißt \emph{Homotopie}\index{Homotopie} + zwischen den Wegen $\gamma_0$ und $\gamma_1$. +\end{definition} -\begin{center} -\begin{tikzpicture} -\draw (0,0) ellipse (2cm and 1.5cm); -\draw (0.5,0) circle (0.3cm); -\node at (-1.5,0.5) [circle,fill,inner sep=1.5pt,label=left:$z_0$] {}; -\node at (1.5,0.5) [circle,fill,inner sep=1.5pt,label=right:$z_1$] {}; -\draw[thick] (-1.5,0.5) .. controls (-0.5,1) and (0.5,1) .. (1.5,0.5); -\end{tikzpicture} -\end{center} +In der Situation von Definition~\ref{def:3-4-1} kann man die Homotopie als +Familie von Wegen auffassen, $\gamma_s := \Gamma(\bullet, s)$, die stetig +zwischen den Wegen $\gamma_0$ und $\gamma_1$ interpoliert. -\textbf{Def} Es sei $U$ ein topologischer Raum, und $[a, b] \subset \mathbb{R}$ ein kompaktes Intervall. Zwei stetige Wege -\[ -\gamma_0: [a, b] \to U, \quad \gamma_1: [a, b] \to U \quad \text{mit } \gamma_0(a) = \gamma_1(a), \quad \gamma_0(b) = \gamma_1(b) -\] -heißen homotop, wenn es stetig, Abb -\[ -\Gamma: [a, b] \times [0, 1] \longrightarrow U -\] -gibt sodass -\begin{itemize} -\item $\forall s \in [0, 1]$ $\Gamma(a, s) = \gamma_0(a)$. $\Gamma(b, s) = \gamma_0(b)$ -\item $\forall t \in [a, b]$ $\Gamma(t, 0) = \gamma_0(t)$, $\Gamma(t, 1) = \gamma_1(t)$ -\end{itemize} +\begin{definition}[Zusammenziehbare Wege und einfach zusammenhängende Räume]\label{def:3-4-2}% + Es sei $U$ ein topologischer Raum, und $[a, b] \subset \bR$ ein kompaktes + Intervall. Ein \emph{geschlossener Weg}\index{geschlossener Weg} in $U$ ist + ein stetiger Weg + \[ + \gamma: [a, b] \to U \quad\text{mit}\quad \gamma(a) = \gamma(b). + \] + Ein geschlossener Weg heißt \emph{zusammenziehbar}\index{zusammenziehbar} oder + \emph{kontrahierbar}\index{kontrahierbar}, wenn er homotop zu einem konstanten + Weg ist. Der Raum $U$ heißt \emph{wegweise einfach + zusammenhängend}\index{wegweise einfach zusammenhängend}, wenn jeder + geschlossener Weg zusammenziehbar ist. +\end{definition} -Man kann dann $\Gamma_s(t) := \Gamma(t, s)$ als Familie von Wegen auffassen, die stetig zwischen $\gamma_0$ und $\gamma_1$ interpoliert. +\begin{bsp}[Zentrierte geschlossene Wege in der Kreisscheibe] + Es sei $U \subset \bC$ die Einheits-Kreisscheibe und es sei $\gamma_0: [a, b] + \to U$ ein Weg mit $\gamma_0(a) = \gamma_0(b) = 0$. Dann ist + \[ + \Gamma: [a, b] \times [0, 1] \to U, \quad (t, s) \mapsto (1 - t) \cdot \gamma_0(t) + \] + eine Homotopie zwischen dem Weg $\gamma_0$ und dem konstanten Weg $\gamma_1 + \equiv 0$. Also ist $\gamma_0$ zusammenziehbar. +\end{bsp} -\textbf{Def} Situation wie oben. Ein geschlossener Weg heißt zusammenziehbar, wenn er homotop zu einem konstanten Weg ist. Der Raum $U$ heißt ``wegweise einfach zusammenhängend'', wenn jeder geschlossener Weg zusammenziehbar ist. +\begin{bsp}[Allgemeine geschlossene Wege in der Kreisscheibe]\label{bsp:3-4-4}% + Es sei $U \subset \bC$ die Einheits-Kreisscheibe und es sei $\gamma_0: [a, b] + \to U$ irgendein geschlossener Weg mit $\gamma_0(a) = \gamma_0(b) =: z$. Dann + ist + \[ + \Gamma: [a, b] \times [0, 1] \to U, \quad (t, s) \mapsto (1 - s) \cdot (\gamma_0(t) - z) + z + \] + eine Homotopie zwischen $\gamma_0$ und dem konstanten Weg $\gamma_1 \equiv z$. + Also ist die Kreisscheibe einfach zusammenhängend. +\end{bsp} -\textbf{Beispiel 1} $U =$ Kreisscheibe, $\gamma_0: [a, b] \to U$ ein Weg mit $\gamma_0(a) = \gamma_0(b) = 0$. Dann ist -\[ -\Gamma: [a, b] \times [0, 1] \to U, \quad (t, s) \mapsto (1 - t) \cdot \gamma_0(t) -\] -eine Homotopie zwischen $\gamma_0$ und dem konstanten Weg $\gamma_1 \equiv 0$. +\begin{bemerkung}[Konvexe Mengen sind einfach zusammenhängend] + Der wesentliche Punkt in Beispiel~\ref{bsp:3-4-4} ist, dass die Bildmenge von + $\Gamma$ ganz in der Kreisscheibe enthalten ist. Die zum Beweis notwendige + Rechnung verwendet allerdings nur, dass die Kreisscheibe konvex ist. + Tatsächlich sind alle konvexen Mengen wegweise einfach zusammenhängend. + In nicht-konvexen Mengen können geschlossene Wege durchaus nicht + zusammenziehbar sein. +\end{bemerkung} -Also ist $\gamma_0$ zusammenziehbar. +\begin{bemerkung} + Homotopie ist eine Äquivalenzrelation auf der Menge der Wege mit festen + Anfangs- und Endpunkten. Insbesondere ist Homotopie reflexiv, symmetrisch und + transitiv. +\end{bemerkung} + +\begin{bemerkung} + Wir haben noch kein Kriterium dafür, dass eine Menge \emph{nicht} einfach + zusammenhängend ist. Der Integralsatz von Cauchy wird uns aber bald ein solches + Kriterium liefern. +\end{bemerkung} -\textbf{Beispiel 2} $U =$ Kreisscheibe $\gamma_0: [a, b] \to U$ irgendein geschl. Weg mit $\gamma_0(a) = \gamma_0(b) = 2$. Dann ist -\[ -\Gamma: [a, b] \times [0, 1] \to U, \quad (t, s) \mapsto (1 - s) \cdot (\gamma_0(t) - 2) + 2 -\] -eine Homotopie zwischen $\gamma_0$ und dem konstanten Weg $\gamma_1 \equiv 2$. -Also ist der Kreisscheibe 1-zusammenhängend. % !TEX root = Funktionentheorie