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\selectlanguage{german}
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\chapter{Abelsche Gruppen}
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\label{chap:19}
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\sideremark{Vorlesung 21}Die allereinfachsten Gruppen sind Abelsch. Bevor wir
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uns im nächsten Kapitel mit den etwas interessanteren, „auflösbaren“ Gruppen
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auseinandersetzen, diskutieren wir jetzt erst einmal diesen einfachen Fall. Im
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Vergleich zur Stoff-Fülle der vorherigen Vorlesungen ist dieses Kapitel echt
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dünn. Zeit zum Luftholen!
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\begin{notation}
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Wie allgemein üblich werden wir die Gruppenverknüpfung bei Abelschen Gruppen
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(fast) immer additiv schreiben und das „+“-Symbol verwenden. Das neutrale
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Element wird dann logischerweise mit $0$ oder $0_G$ bezeichnet.
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\end{notation}
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\begin{notation}
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Gegeben zwei Abelsche Gruppen $(G_1, +)$ und $(G_2, +)$, dann ist auch das
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Produkt $G_1 ⨯ G_2$ eine Abelsche Gruppe, wenn ich die Gruppenverknüpfung
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komponentenweise definiere. Die so konstruierte Produktgruppe wird auch mit
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$G_1 ⊕ G_2$ bezeichnet.
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\end{notation}
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\begin{konstruktion}
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Es sei $(G, +)$ eine abelsche Gruppe und es sei $g ∈ G$ ein Element. Wir
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hatten schon in Beobachtung~\ref{beob:lx} gesehen, dass dann genau ein
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Gruppenmorphismus $ζ_g : ℤ → G$ mit $ζ_g(1) = g$ existiert. Wir definieren
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dann eine Abbildung
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\[
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α : ℤ⨯G → G, \quad (n,g) ↦ ζ_g(n).
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\]
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Das lässt sich natürlich auch ganz elementar so hinschreiben,
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\[
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(n,g) ↦
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\left\{
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\begin{matrix}
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0_G & \text{falls $n = 0$} \\
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\underbrace{g + ⋯ + g}_{n⨯} & \text{falls $n > 0$} \\
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\underbrace{(-g) + ⋯ + (-g)}_{n⨯} & \text{falls $n < 0$.} \\
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\end{matrix}
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\right.
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\]
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Statt $α(n,g)$ schreiben wir auch kurz $n·g$. Die Abbildung $α$ sieht aus wie
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die skalare Multiplikation, die wir von Vektorräumen kennen. Natürlich ist
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$G$ kein Vektorraum, denn $ℤ$ ist kein Körper. Stattdessen nennt man $G$
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einen \emph{$ℤ$-Modul}\index{$ℤ$-Modul}. Ein Modul ist wie ein Vektorraum
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aber nicht über einem Körper, sondern über einem Ring (genaue Definition auf
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\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Modul_(Mathematik)}{Wikipedia}). Die
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$ℤ$-Wirkung definiert dabei die skalare Multiplikation. Die Annahme, dass $G$
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abelsch ist, benötigen wir für das Distributivgesetz, mit anderen Worten:
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\begin{equation*}
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n(a+b)=n·a + n·b \qquad \forall n∈ℤ,\ a, b ∈ G.
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\end{equation*}
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Sagen Sie den folgenden Satz dreimal laut auf und beweisen Sie ihn dann als
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Hausaufgabe: „Abelsche Gruppen sind dasselbe wie $ℤ$-Moduln“.
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\end{konstruktion}
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Ein Vektorraum ist „endlich-dimensional“, wenn es ein endliches
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Erzeugendensystem gibt. Das geht genau so bei Gruppen.
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\begin{definition}[Basics zu Abelschen Gruppen und $ℤ$-Moduln]
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Eine abelsche Gruppe $G$ ist \emph{endlich erzeugt}\index{endlich erzeugte
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abelsche Gruppe}, wenn es endlich viele Elemente $g_1, …, g_r ∈ G$ gibt,
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sodass sich jedes Element $g∈ G$ als $ℤ$-Linearkombination
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\begin{equation*}
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g=\sum n_i·g_i
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\end{equation*}
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darstellen lässt. Man nennt die Menge $M := \{g_1, …, g_r\}$ dann ein
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\emph{Erzeugendensystem}\index{Erzeugendensystem für Abelsche Gruppe} von $G$.
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Wenn die Menge $M$ zusätzlich $ℤ$-linear unabhängig ist, dann nennt man $M$
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eine \emph{Basis}\index{Basis für Abelsche Gruppe}. Eine endlich erzeugte
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abelsche Gruppe heißt \emph{frei}\index{freie Abelsche Gruppe}, wenn sie eine
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Basis hat.
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\end{definition}
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Bevor Sie weiter lesen: finden Sie eine nicht-triviale Abelsche Gruppe ohne
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Basis. Der folgende Satz, dessen Beweis ich mir hier spare, wird Sie vermutlich
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nicht überraschen. Man muss beim Beweis natürlich aufpassen, weil man im
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Gegensatz zu Fall von Vektorräumen (die ja über Körpern definiert sind) in $ℤ$
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nicht immer dividieren kann.
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\begin{satzdef}[Rang einer Abelschen Gruppe]
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Es sei $G$ eine endlich erzeugte, freie Abelsche Gruppe. Dann sind alle Basen
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endlich und je zwei Basen haben gleich viele Elemente. Die Anzahl der
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Elemente in einer Basis wird \emph{Rang}\index{Rang einer freien Abelschen
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Gruppe} genannt. \qed
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\end{satzdef}
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Wenn $K$ ein Körper ist, dann sind die einfachsten Vektorräume die Produkte
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$K^n$ (wobei die Vektorraumaddition komponentenweise definiert ist). Das geht
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mit Abelschen Gruppen ganz genau so.
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\begin{bsp}
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Die einfachste freie Abelsche Gruppe ist $ℤ^r$, wobei die Gruppenverknüpfung
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komponentenweise definiert ist. Die Einheitsvektoren
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$\vec{e}_1, …, \vec{e}_r$ bilden eine Basis.
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\end{bsp}
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Jeder endlich-dimensionale $K$-Vektorraum $V$ ist auf nicht-kanonische Weise
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isomorph zu $K^{\dim V}$. Auch das geht mit Abelschen Gruppen genau so.
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\begin{beobachtung}
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Es sei $G$ eine endlich-erzeugte, freie abelsche Gruppe $G$ mit Basis
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$\{g_1, …, g_r \}$. Dann ist die Abbildung
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\begin{equation*}
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ℤ^r → G, \quad (n_1, …, n_r) ↦ \sum n_i·g_i
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\end{equation*}
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ein Isomorphismus von Gruppen.
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\end{beobachtung}
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Aber Achtung! Nicht alles, was wir aus der linearen Algebra kennen, gilt auch
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für Abelsche Gruppen. Es gibt Sätze, bei deren Beweis man dividieren muss.
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\begin{warnung}
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Im Gegensatz zur Theorie der Vektorräume kann man Basen von Abelschen Gruppen
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nicht einfach dadurch erhalten, dass man ausreichend viele Elemente eines
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Erzeugendensystems weg lässt.
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\begin{enumerate}
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\item In $ℤ/(n)$ ist das Element $1+(n)$ ein Erzeuger, aber keine Basis.
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\item In $ℤ$ ist $\{2, 3\}$ ein Erzeugendensystem, aber weder 2 noch 3
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erzeugen $ℤ$.
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\end{enumerate}
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\end{warnung}
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Der folgende „Hauptsatz über endlich erzeugte abelsche Gruppen“ klassifiziert
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die Gruppen vollständig und klärt eigentlich jede Frage, die es zum Thema gibt.
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Der Satz wird in dieser Vorlesung aus Zeitgründen leider nicht bewiesen.
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Tatsächlich gilt aber sogar ein allgemeinerer Satz für endlich erzeugte Moduln
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über Hauptidealringen. Die Tatsache, dass $ℤ$ ein Hauptidealring ist, spielt im
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Beweis eine große Rolle.
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\begin{satz}[Hauptsatz über endlich erzeugte abelsche Gruppen]\label{Satz_Hauptsatz_endlich_erzeugte_abelsche_Gruppen}
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Es sei $G$ eine endlich erzeugte abelsche Gruppe. Dann gibt es eindeutig
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bestimmte Zahlen $r$, $t$ aus $ℕ$ sowie eindeutig bestimmte Primzahlpotenzen
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$1 < a_1 ≤ … ≤ a_t$, sodass $G$ isomorph zu folgender Gruppe ist,
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\begin{equation*}
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ℤ^r⊕ ℤ/(a_1) ⊕ ⋯ ⊕ ℤ/(a_t). \eqno \qed
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\end{equation*}
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\end{satz}
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\begin{notation}
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In der Situation von
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Satz~\ref{Satz_Hauptsatz_endlich_erzeugte_abelsche_Gruppen} wird der Summand
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$ℤ/(a_1) ⊕ ⋯ ⊕ ℤ/(a_n)$ als \emph{Torsionsanteil von $G$}\index{Torsionsanteil
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einer Abelschen Gruppe} bezeichnet. Die Zahlen $a_•$ heißen
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\emph{Elementarteiler von $G$}\index{Elementarteiler einer Abelschen Gruppe}.
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Der Summand $ℤ^r$ wird der \emph{freie Anteil von $G$}\index{freier Anteil
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einer Abelschen Gruppe} genannt.
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\end{notation}
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\begin{beobachtung}
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In der Situation von
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Satz~\ref{Satz_Hauptsatz_endlich_erzeugte_abelsche_Gruppen} ist der
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Torsionsanteil als Untergruppe von $G$ eindeutig bestimmt. Es ist nämlich
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\begin{equation*}
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\text{Torsionsanteil} = \{g ∈ G \::\: \ord g < ∞\}.
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\end{equation*}
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Der freie Anteil ist isomorph zur Quotientengruppe
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$G / \text{Torsionsanteil}$.
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\end{beobachtung}
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\begin{warnung}
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Im Gegensatz zum Torsionsanteil ist der freie Anteil einer Abelschen Gruppe
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\emph{nicht} eindeutig bestimmt. Betrachten Sie die Gruppe $G = ℤ ⊕ ℤ/(7)$
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und finden Sie sofort zwei unterschiedliche Untergruppen von $G$, die beide
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isomorph zu $ℤ$ sind!
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\end{warnung}
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%%% Local Variables:
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%%% mode: latex
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%%% TeX-master: "AlgebraZahlentheorie"
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%%% End:
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