% spell checker language \selectlanguage{german} \chapter{Der Hauptsatz der Galoistheorie} \label{chap:16} Erinnern Sie sich daran, wie wir gezeigt haben, dass gewisse Konstruktionsaufgaben unlösbar sind? Wir haben dazu Ketten $K ⊂ L ⊂ M$ von Körpern betrachtet und beobachtet, dass $[L:K]$ ein Teiler von $[M:K]$ ist. Das zentrale Argument in den Nichtkonstruierbarkeitsbeweisen war dann, dass die relevanten Körpererweiterungen für Konstruktionsprobleme stets Grad $2^n$ über $ℚ$ haben, und dass konstruierbare Punkte Unterkörper liefern, deren Grad dann wohl ebenfalls eine Zweierpotenz sein muss. Ich in diesem Skript immer wieder geschrieben, dass für schwierigere Nichtkonstruierbarkeitsbeweise eine einfache Betrachtung von Erweiterungsgraden nicht reicht, und das wir Symmetrien betrachten müssen. Inzwischen ist klar, dass ich mit „Symmetrie“ die Galoisgruppe meine. Jetzt ist es an der Zeit zu sagen, wie Symmetrien genutzt werden können, um Ketten von Körpererweiterungen zu untersuchen. Am Ende werden wir sehen, dass die relevanten Körpererweiterungen für Konstruktionsprobleme nicht nur Grad $2^n$ über $ℚ$ haben, sondern auch eine recht spezielle Galoisgruppe besitzen. Die Unterkörper, die von konstruierbaren Punkten kommen, müssen dann ebenfalls recht speziell sein. \begin{bemerkung} Der Hauptsatz der Galoistheorie wird „Hauptsatz der Galoistheorie“ genannt, weil er in der Theorie der Galoiserweiterungen eine zentrale Rolle einnimmt. Es ist vielleicht eine gute Idee, diesen Satz ernst zu nehmen. \end{bemerkung} \section{Fixkörper} Bevor wir den Hauptsatz der Galoistheorie auch nur hinschreiben, möchte ich noch ein besonders schönes Beispiel für Galoiserweiterungen diskutieren: die Fixkörper einer Menge von Körperautomorphismen. Der Beweis des folgenden Satzes ist eine Hausaufgabe. \begin{satzdef}[Invariante Elemente, Fixkörper]\label{DefSatz_Fixkoerper} Sei $L$ ein Körper und $G$ eine Menge von Automorphismen $L → L$. Dann ist die Menge \begin{equation*} \Fix G = \{a ∈ L \::\: σ(a) = a\ \forall\ σ∈ G\} \end{equation*} ein Unterkörper von $L$, genannt \emph{Fixkörper} von $G$\index{Fixkörper}. Die Elemente von $\Fix G$ heißen \emph{$G$-invariante Elemente}\index{invariante Körperelemente} von $L$. \qed \end{satzdef} Der folgende Satz von Emil Artin\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Artin}{Emil Artin} (* 3.~März 1898 in Wien; † 20.~Dezember 1962 in Hamburg) war ein österreichischer Mathematiker und einer der führenden Algebraiker des 20.~Jahrhunderts.}\footnote{Emil Artin $\not =$ Michael Artin} sagt, dass Fixkörper stets Beispiele für Galoiserweiterungen liefern. \begin{satz}[Satz von Emil Artin]\label{Theorem_von_E_Artin} Es sei $G$ eine endliche Untergruppe der Automorphismengruppe eines Körpers $L$ und es sei $K := \Fix G $ der zugehörige Fixkörper. Dann ist $L/K$ eine Galoiserweiterung mit Galoisgruppe $\Gal(L/K) = G$. Insbesondere ist $[L:K] =|G|$. \end{satz} Der Beweis des Satzes von Emil Artin ist nicht trivial. Wir geben einen Beweis im Abschnitt~\vref{ssec:16-3}, müssen als Vorbereitung aber zuerst die lineare Unabhängigkeit von Charakteren beweisen. Wahrscheinlich muss ich auch noch erklären, was ein „Charakter“ eigentlich ist. \subsection{Die lineare Unabhängigkeit von Charakteren} Um eine gegebene Gruppe $H$ zu verstehen, kann man untersuchen, welche Gruppenmorphismen der Form $H → L^*$ es gibt, wobei $L^*$ die multiplikative Gruppe eines Körpers $L$ sein soll. Leute, die viel mit Gruppen arbeiten, meinen, dass solche Abbildungen die Gruppe charakterisieren. Ich finde diese Wortwahl nicht sehr überzeugend, aber mich fragt ja keiner. \begin{defn}[Charakter einer Gruppe] Es sei $H$ eine Gruppe, es sei $L$ ein Körper und $L^*$ sei die Gruppe der Einheiten aus $L$. Ein \emph{Charakter von $H$ in $L$}\index{Charakter einer Gruppe} ist ein Gruppenmorphismus $σ : H → L^*$. \end{defn} \begin{bemerkung} Wenn $K$ ein Körper ist, und $σ : K → L$ ein nicht-trivialer Ringmorphismus, dann induziert $σ$ auch einen Gruppenmorphismus \begin{equation*} σ^* : K^* → L^*. \end{equation*} Wir können (und werden!) insbesondere jeden Automorphismus $σ : L → L$ als linearen Charakter $L^* → L^*$ auffassen. \end{bemerkung} \begin{satz}[Lineare Unabhängigkeit von Charakteren]\label{Satz_lineare_Unabhaengigkeit_von_Charakteren} Es sei $H$ eine Gruppe und $L$ sei ein Körper. Weiter seien $σ_1, …, σ_n$ paarweise verschiedene Charaktere von $H$ in $L$. Zusätzlich und seien Elemente $a_1, …, a_n ∈ L$ gegeben, sodass die Linearkombination \begin{equation*} ψ : H → L, \quad h ↦ \sum a_i·σ_i(h) \end{equation*} die Nullabbildung ist. Dann ist $a_1= ⋯ = a_n=0$. \end{satz} \begin{proof} \video{17-2} \end{proof} \subsection{Beweis des Satzes von Emil Artin} \label{ssec:16-3} \begin{proof}[Beweis des Satzes von Artin, Satz~\ref{Theorem_von_E_Artin}] \video{17-3} \end{proof} \section{Die Klassifikation endlicher Körper} \label{sec:klassEK} Bevor wir zum Hauptsatz der Galoistheorie kommen, kann ich es nicht lassen, ihnen sofort eine Anwendung des Satzes von Emil Artin zu zeigen: die Klassifikation der endlichen Körper. Wir kennen schon einige endliche Körper: gegeben eine Primzahl $p ∈ ℕ$, dann haben wir den Körper $𝔽_p = ℤ/(p)$ betrachtet. Es gibt aber noch andere. \begin{bsp}[Konstruktion endlicher Körper]\label{bsp:kek} Gegeben sei eine Primzahl $p ∈ ℕ$. Weiter sei $q$ eine Potenz von $p$, also eine Zahl der Form $q = p^m$ für ein geeignetes $m ∈ ℕ$. Es sei $𝔽_q$ der Zerfällungskörper des Polynoms $f(x) = x^q-x ∈ 𝔽_p[x]$. Ich behaupte, dass dieser Körper genau $q$ Elemente hat. Dazu stelle ich erst einmal fest, dass $f'(x) = 1$ ist. Also hat $f$ keine mehrfachen Nullstellen; es folgt, dass $f$ genau $q$ unterschiedliche Nullstellen hat; dies zeigt schon einmal, dass $𝔽_q$ mindestens $q$ Elemente hat. Wir sind fertig, wenn wir zeigen, dass die Menge dieser Nullstellen ein Körper ist (der dann ja wohl der Zerfällungskörper sein muss). Dazu verwende Satz~\ref{DefSatz_Fixkoerper} und beachte, dass die Nullstellen von $f$ genau die Fixpunkte des iterierten Frobeniusmorphismus $F^{m}$ sind. \end{bsp} Der folgende Satz zeigt, dass jeder endliche Körper auf diese Weise entsteht. \begin{satz}[Klassifikation endlicher Körper]\label{Satz_Klassifikation_endlicher_Koerper} Es sei $K$ ein endlicher Körper mit Primkörper $𝔽_p ⊆ K$. Weiter sei $p$ die Charakteristik von $K$ und $q$ sei die Anzahl der Elemente. Dann ist $q = p^{[K:𝔽_p]}$ und $K$ ist isomorph zum Körper $𝔽_q$ aus Beispiel~\ref{bsp:kek}. Die Galoisgruppe $\Gal(K/𝔽_p)$ ist der Form $ℤ/(m)$ und wird durch den Frobeniusmorphismus erzeugt. \end{satz} \begin{proof} \video{17-4} \end{proof} \section{Der Hauptsatz der Galoistheorie} \sideremark{Vorlesung 18}Jetzt kommen wir also zum Hauptsatz. Gegeben eine Körpererweiterung $L/K$ und eine Untergruppe der Galoisgruppe, dann liefert uns die Fixkörperkonstruktion einen Zwischenkörper. Falls $L/K$ Galois ist, dann sagt der Hauptsatz, dass auf diese Weise eine Korrespondenz zwischen Untergruppen und Zwischenkörpern entsteht. Die reduziert die Frage nach Zwischenkörpern auf ein gruppentheoretisches Problem. Die Formulierung des Hauptsatzes verwendet folgende Beobachtung, die ich eigentlich schon im Abschnitt~\ref{sec:gruppen} hätte bringen sollen. \begin{obs}[Index einer Untergruppe]\label{obs:Index} Es sei $G$ eine endliche Gruppe und es sei $H ⊂ G$ eine Untergruppe. Dann ist die Zahl $|H|$ ein Teiler von $|G|$. Zum Beweis definierte man eine Äquivalenzrelation: zwei Elemente $a$ und $b$ aus $G$ seien äquivalent, wenn es ein Element $h ∈ H$ gibt, sodass $a = h·b$ ist. Man rechne nach, dass dies tatsächlich eine Äquivalenzrelation ist, und dass alle Äquivalenzklassen die gleiche Größe haben, nämlich $|H|$. Also ist die Größe von $G$ gegeben als $|G| = |H|·\#(\text{Äquivalenzklassen})$. Man schreibt \[ [G:H] = \factor{|G|}{|H|} \] und nennt diese Zahl den \emph{Index}\index{Index} der Untergruppe $H ⊂ G$. \end{obs} \begin{satz}[Hauptsatz der Galoistheorie]\label{Satz_Hauptsatz_Galoistheorie} Es sei $L/K$ eine Galoiserweiterung und es sei $G = \Gal(L/K)$ die Galoisgruppe. Dann gilt Folgendes. \begin{enumerate} \item\label{Satz_Hauptsatz_Galoistheorie_Aussage_1} Für jeden Zwischenkörper $Z$ von $L/K$ ist $\Gal(L/Z)$ eine Untergruppe von $G$. Für jede Untergruppe $H⊂ G$ ist $\Fix{H} ⊂ L$ ein Zwischenkörper von $L/K$. \item\label{Satz_Hauptsatz_Galoistheorie_Aussage_2} Die so definierten Abbildungen \[ \begin{aligned} \begin{matrix} \Gal\bigl(\factor{L}{•}\bigr) &:& \{\text{Zwischenkörper}\} &→& \{\text{Untergruppen}\}, &\quad& Z &↦ & \Gal\bigl(\factor{L}{Z}\bigr) \\[2mm] \Fix(•) &:& \{\text{Untergruppen}\} &→& \{\text{Zwischenkörper}\}, &\quad& H& ↦& \Fix\bigl(H\bigr) \end{matrix} \end{aligned} \] sind zueinander inverse Bijektionen. \item\label{Satz_Hauptsatz_Galoistheorie_Aussage_3} Die Abbildungen $\Gal\bigl(\factor{L}{•}\bigr)$ und $\Fix(•)$ sind inklusionsumkehrend und indexerhaltend. Präzise: wenn $H_1$ und $H_2$ Untergruppen von $G$ und wenn $Z_1$ und $Z_2$ Zwischenkörper sind, dann gilt Folgendes. \begin{itemize} \item Falls $Z_1 ⊆ Z_2$ ist, dann ist \begin{align*} \Gal\bigl(\factor{L}{Z_1}\bigr) & ⊇ \Gal\bigl(\factor{L}{Z_2}\bigr) && \text{und} \\ [Z_2:Z_1] & = \left[\Gal\bigl(\factor{L}{Z_1}\bigr) : \Gal\bigl(\factor{L}{Z_2}\bigr)\right], \end{align*} \item Falls $H_1 ⊆ H_2$ ist, dann ist \begin{align*} \Fix{H_1} & ⊇ \Fix{H_2} && \text{und} \\ [H_2:H_1] & = [\Fix{H_1} : \Fix{H_2}]. \end{align*} \end{itemize} \item\label{Satz_Hauptsatz_Galoistheorie_Aussage_4} Für jedes $σ ∈ G$ und jeden Zwischenkörper $Z$ ist $σ(Z)$ ein Zwischenkörper und es ist \begin{equation*} \Gal\bigl(\factor{L}{σ(Z)}\bigr) = σ◦\Gal\bigl(\factor{L}{Z}\bigr)◦σ^{-1} \end{equation*} \item\label{Satz_Hauptsatz_Galoistheorie_Aussage_5} Für einen Zwischenkörper $Z$ ist $Z/K$ genau dann Galoisch, wenn $\Gal(L/Z)$ eine normale Untergruppe von $G = \Gal(L/K)$ ist, das heißt, wenn für alle $σ∈ G$ \begin{equation*} σ◦\Gal\bigl(\factor{L}{Z}\bigr)◦σ^{-1} = \Gal\bigl(\factor{L}{Z}\bigr) \end{equation*} ist. Ist dies der Fall, dann ist \begin{equation*} \Gal\bigl(\factor{Z}{K}\bigr) ≅ \factor{\Gal\bigl(\factor{L}{K}\bigr)}{\Gal\bigl(\factor{L}{Z}\bigr)}. \end{equation*} \end{enumerate} \end{satz} \begin{proof} Ich beweise die Teilaussagen~\ref{Satz_Hauptsatz_Galoistheorie_Aussage_1}--\ref{Satz_Hauptsatz_Galoistheorie_Aussage_4} im \video{18-1}. Für die letzte Teilaussage~\ref{Satz_Hauptsatz_Galoistheorie_Aussage_5} gibt es ein eigenes \video{18-2}. \end{proof} \begin{bemerkung}[Widerliche Rechthaberei] Sehen Sie, warum ich in der ersten Woche der Vorlesungszeit so viel Aufhebens um den Begriff der normalen Untergruppe gemacht habe? \end{bemerkung} \section{Ein Beispiel} Um den Hauptsatz der Galoistheorie zu illustrieren, setzen wir das Beispiel~\vref{bsp:x-2} fort. Sei also wieder $K = ℚ$ und sei $N$ der Zerfällungskörper von $f(x) = x³-2 ∈ ℚ[x]$. Wir haben bereits gezeigt, dass $[N:K] = 6$ ist. Mit $ξ = e^{\frac{2π i}{3}}$ und \[ a_1=\sqrt[3]{2}, \quad a_2 = ξ·\sqrt[3]{2} \quad\text{und}\quad a_3=ξ²·\sqrt[3]{2} \] gilt \begin{equation*} N = ℚ\bigl(a_1, a_2, a_3\bigr) = ℚ\bigl(\sqrt[3]{2}, \sqrt{3}·i\bigr). \end{equation*} Dann ist $\Gal(N/ℚ) ≅ S_3$ die volle Permutationsgruppe der Nullstellenmenge $\{a_1, a_2, a_3\}$. Wir haben folgende Untergruppen von $S_3$: \[ \begin{tikzcd}[column sep=tiny] & & S_3 \\ \{\Id, (12) \} \ar[urr, hook] & \{\Id, (13) \} \ar[ur, hook] & & \{\Id, (23) \} \ar[ul, hook]&\{\Id, (123), (132)\} \ar[ull, hook]\\ & & \{\Id\} \ar[ull, hook] \ar[ul, hook] \ar[ur, hook] \ar[urr, hook] \end{tikzcd} \] und folgende Zwischenkörper von $N/ℚ$, \[ \begin{tikzcd}[column sep=tiny] & & ℚ \ar[dll, hook] \ar[dl, hook] \ar[dr, hook] \ar[drr, hook] \\ ℚ(a_3) \ar[drr, hook] & ℚ(a_2) \ar[dr, hook] & & ℚ(a_1) \ar[dl, hook]& ℚ\bigl(\sqrt3·i\bigr) \ar[dll, hook]\\ & & N. \end{tikzcd} \] Diese Behauptung wirft die Frage auf, wieso der Fixkörper der Gruppe $\{\Id, (123), (132)\}$ gleich $ℚ\bigl(\sqrt3·i\bigr)$ sein sollte. Sie haben sich vermutlich schon in Beispiel~\ref{bsp:x-2} gefragt, wieso die komplexe Zahl $\sqrt3·i$ überhaupt in $N$ liegt. Dann haben Sie nachgerechnet und konnten $\sqrt3·i$ mithilfe der $a_1$, $a_2$ und $a_3$ ausdrücken. Schauen Sie sich diesen Ausdruck einmal ganz scharf an. Wenn Sie nicht weiterkommen, sprechen Sie uns an! %%% Local Variables: %%% mode: latex %%% TeX-master: "AlgebraZahlentheorie" %%% End: