AlgebraZahlentheorie/09.tex

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2023-09-14 13:18:58 +02:00
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\selectlanguage{german}
\chapter{Ideale}
\label{chapt:09}
\section{Wohin geht die Reise}
Ich hatte schon am Ende des letzten Abschnittes geschrieben: um die Frage nach
der Konstruierbarkeit des regelmäßigen $n$-Ecks vollständig entscheiden zu
können, müssen wir die Symmetrien von Körpererweiterungen verstehen … und
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vielleicht irgendwann auch definieren, was mit „Symmetrie einer
Körpererweiterung“ gemeint sein soll. All das wird voraussetzen, dass wir
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Körpererweiterungen besser beschreiben. Die Idee ist die: gegeben eine
einfache, algebraische Erweiterung $K(α)/K$ vom Grad $n$, dann wissen wir schon,
dass wir alle Elemente des Oberkörpers $K(α)$ als Linearkombinationen der Form
\[
k_0 + k_α + k_α² + ⋯ k_{n-1}·α^{n-1}
\]
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schreiben könne, wobei die $k_$ geeignete Elemente des kleineren Körpers $K$
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sind. Diese Einsicht ist natürlich extrem hilfreich --- wir kennen das von den
komplexen Zahlen, die sich alle in der Form $k_0 + k_1·\sqrt{-1}$ schreiben
lassen. Der Sachverhalt lässt sich auch anders formulieren: Der
Substitutionsmorphismus
\[
φ : K[x] → K(α), \quad f ↦ f(α)
\]
ist ein \emph{surjektiver} Ringmorphismus! Wie bei Vektorräumen, Gruppen, …
liegt es dann nahe, den Körper $K(α)$ als Quotient zu beschreiben,
\begin{equation}\label{eq:xx}
K(α) = \factor{K[x]}{\ker φ}.
\end{equation}
Diese Beschreibung\footnote{\label{foot:sage}Hatten Sie sich gewundert, warum
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SAGE eckige Klammern verwendet und den Körper „$$ adjungiert $\sqrt{5}$“ mit
\texttt{QQ[sqrt(5)]} bezeichnet? Der Grund ist, das runde Klammern in der
Programmiersprache Python schon eine andere Bedeutung haben.
Gleichung~\eqref{eq:xx} zeigt aber, dass eckige Klammer in dieser Situation ganz
sinnvoll sind.} wird sehr hilfreich sein, denn wir kommen mit dem vertrauten
Polynomring $K[X]$ besser klar als mit dem etwas unheimlichen Körper $K(α)$. Um
alles korrekt zu definieren, müssen wir uns aber erst noch einmal überlegen, was
für eine Art von Objekt $\ker φ$ nun tatsächlich ist, und was „Quotient“ genau
bedeuten soll. Ich nehme die Antwort gleich vorweg: Die Menge $\ker φ$ ist das
typische Beispiel eines „Ideals im Ring $K[x]$“.
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\section{Elementare Definitionen}
Die technisch korrekte Definition eines Ideals ist jetzt die folgende.
\begin{defn}[Ideal]\label{def:ideal}
Es sei $R$ ein kommutativer Ring mit Eins. Eine nicht-leere Teilmenge
$I ⊆ R$ heißt \emph{Ideal}\index{Ideal}, wenn folgendes gilt.
\begin{enumerate}[ref = Bedingung (\roman*{})]
\item Für alle Elemente $a,b ∈ I$ ist $a+b ∈ I$.
\item Für alle Elemente $r ∈ R$ und $a∈ I$ ist $r· a∈ I$.
\end{enumerate}
\end{defn}
\begin{bemerkung}
Man kann Ideale auch in nicht-kommutativen Ringen definieren. Dann muss man
aber zwischen Links- und Rechtsmultiplikation unterscheiden: je nachdem, ob
man in der Definition $r·a$ oder $a·r$ schreibt, definiert man ein Links- oder
Rechtsideal\index{Linksideal}\index{Rechtsideal}. Ideale, die sowohl Links-
als auch Rechtsideale sind, heißen beidseitige Ideale\index{beidseitiges
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Ideal}. In kommutativen Ringen, für die wir uns hier interessieren, fallen
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diese Begriffe zusammen.
\end{bemerkung}
\begin{bemerkung}
Der Name \emph{Ideal} geht auf
Kummer\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Eduard_Kummer}{Ernst
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Eduard Kummer} (* 29.~Januar 1810 in Sorau, Niederlausitz; † 14.~Mai 1893 in
Berlin) war ein deutscher Mathematiker und Hochschullehrer, der sich vor allem
mit Zahlentheorie, Analysis und Geometrie befasste.} und
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Dedekind\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Dedekind}{Julius
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Wilhelm Richard Dedekind} (* 6.~Oktober 1831 in Braunschweig; † 12.~Februar
1916 ebenda) war ein deutscher Mathematiker.} zurück. Kummer hatte bei der
Untersuchung der Teilbarkeit in gewissen nicht-faktoriellen Ringen wie
$[\sqrt{-5}]$ gewisse \emph{ideale Zahlen} eingeführt. Dedekind hat dann den
Idealbegriff geprägt.
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\end{bemerkung}
\begin{bsp}[Triviale Ideale]
In jedem kommutativen Ring $R$ sind $I= \{0\}$ und $I=R$ trivialerweise
Ideale. Wenn $R$ ein Körper ist, dann sind das auch die einzigen Ideale.
Grund: wenn $R$ ein Körper und $I ⊂ R$ ein Ideal ist und $a ∈ I \{0\}$, dann
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ist auch jedes andere Körperelement in $I$. Sei nämlich irgendein Element $r
∈ R$ gegeben. Nach Definition~\ref{def:ideal} ist
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\[
r = (r·a^{-1})·a ∈ I.
\]
Also ist $I=R$.
\end{bsp}
\begin{bsp}[Ideale in $$]
Die Menge der geraden Zahlen bildet ein Ideal in $$. Die Menge der
Primzahlen ist so ungefähr das Gegenteil von einem Ideal.
\end{bsp}
\begin{bsp}[Kern eines Ringmorphismus]
Der Kern eines Ringmorphismus ist immer ein Ideal.
\end{bsp}
\begin{figure}
\centering
\includegraphics[width=6cm]{figures/Cubic_with_double_point}
Nullstelle des Polynoms $-(x+1)[x,y]$.
\bigskip
Auf \href{https://cplx.vm.uni-freiburg.de/de/ecp-de/}{meiner Homepage} finden
Sie ein Programm, um mit diesen Kurven zu spielen. Sie können das Programm
auch
\href{https://cplx.vm.uni-freiburg.de/storage/software/ellipticcurve/wasm/ellipticcurve.html}{direkt
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im Browser laufen lassen}. Abbildung Public Domain aus
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\href{https://en.wikipedia.org/wiki/Crunode#/media/File:Cubic_with_double_point.svg}{Wikipedia}.
\caption{Knotenkurve}
\label{fig:node}
\end{figure}
\begin{bemerkung}[Durchschnitte]
Es sei $R$ ein Ring und $(I_i)_{i ∈ I}$ seien Ideale von $R$. Dann ist auch
der Durchschnitt
\begin{equation*}
\bigcap_{i ∈ I} I_i
\end{equation*}
ein Ideal. Beachte dazu, dass jedes Ideal das Nullelement enthält; damit ist
klar, dass der Durchschnitt nicht leer ist.
\end{bemerkung}
\begin{bemerkung}[Summen]\label{bsp:9-2-8}
Es sei $R$ ein Ring und $I_1, …, I_n$ seien Ideale von $R$. Dann ist auch die
Summe\index{Summe von Idealen}
\begin{equation*}
I_1 + ⋯ + I_n := \{a_1+ ⋯ + a_n \::\: a_k∈ I_k \}
\end{equation*}
ein Ideal.
\end{bemerkung}
\begin{bsp}[Algebraische Varietäten]
Es sei $K$ ein Körper (zum Beispiel $K = $) und $V ⊂ K^n$ sei die
Lösungsmenge eines Systems von polynomialen Gleichungen,
\[
V= \{ \vec{x} ∈ K^n \::\: f_1(\vec{x}) = ⋯ = f_n(\vec{x})=0 \}
\]
wobei $f_i ∈ K[x_1, …, x_n]$ irgendwelche Polynome sind. Man nennt ein
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solches $V$ manchmal \emph{algebraische Varietät}\index{algebraische
Varietät}. Abbildung~\ref{fig:node} zeigt ein Beispiel. Im Internet finden
Sie \href{https://imaginary.org/gallery/surfer-gallery-by-bianca-violet}{hier}
und \href{https://imaginary.org/gallery/oliver-labs}{hier} noch weitere schöne
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Beispiele.
Definiere dann das Ideal
\[
I(V) = \{ g ∈ K[x_1, …, x_n] \:|\: \forall \vec{x} ∈ V:g(\vec{x}) = 0\};
\]
dies ist also die Menge derjenigen Polynome, deren Nullstellenmenge $V$
enthält. Offenbar ist $(f_1, …, f_n) ⊂ I_V$.
\end{bsp}
In der \emph{Algebraischen Geometrie}, dem Gebiet auf dem ich und meine
Mitarbeiter arbeiten, geht es darum, geometrische Räume mithilfe von
algebraischen Objekten wie etwa Idealen zu beschreiben. Tatsächlich lässt sich
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ein fast vollständiges Wörterbuch „Algebra $\leftrightarrow$ Geometrie“
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aufstellen.
\section{Noethersche Ringe und Hauptidealringe}
\sideremark{Vorlesung 10}Es gibt noch eine andere, ganz wichtige Klasse von
Beispielen, die wir in ähnlicher Form schon aus der linearen Algebra kennen.
Gegeben einen $K$-Vektorraum $V$ und eine beliebige Teilmenge $M ⊂ V$, so
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betrachteten wir in der linearen Algebra den „von $M$ erzeugten Untervektorraum“
und bezeichneten diesen Raum mit $\langle M \rangle_K$ oder
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$\operatorname{Span}(M)$. Per Definition gilt: Ein Vektor $\vec{v} ∈ V$ liegt
genau dann in $\langle M \rangle_K$, wenn $\vec{v}$ sich als Linearkombination
der Elemente von $M$ schreiben lässt. Wenn die Menge $M$ unendlich ist, was
dabei zu beachten, dass Linearkombinationen immer \emph{endliche} Summen sind.
Das geht mit Idealen in Ringen ganz genau so.
\begin{bsp}[Erzeugte Ideale]\label{bsp:9-0-5}
Gegeben sei ein kommutativer Ring $R$ mit Eins, sowie eine Familie
$(a_{λ})_{λ∈Λ}$ von Elementen aus $R$. Weiter sei $I$ die Menge der Elemente
$r ∈ R$, die sich als endliche Linearkombination der $(a_{λ})_{λ∈Λ}$ schreiben
lassen,
\begin{equation*}
I := \{ r ∈ R \:|\: ∃ n ∈ : ∃ r_1, …, r_n ∈ R:, ∃ λ_1, …, λ_n ∈ Λ: r = r_1·a_{λ_1} + ⋯ + r_n·a_{λ_n} \}.
\end{equation*}
Dies ist ein Ideal, das als \emph{das von $(a_{λ})_{λ∈Λ}$ erzeugte Ideal}
bezeichnet wird. Man schreibt dann $I = ((a_{λ})_{λ∈Λ})$. Im Fall, wo die
Familie endlich ist, schreibt man oft auch $I = (a_1, …, a_n)$.
\end{bsp}
Ein Ideal $I ⊂ R$ ist natürlich immer dann einfach zu beschreiben, wenn es durch
eine endliche Menge erzeugt wird, $I = (a_1, …, a_n)$. Tatsächlich können
Computer-Algebra-Systeme überhaupt nur mit solchen Idealen arbeiten -- und
stellen diese Ideale als endliche Liste von Erzeugern dar. Die allereinfachsten
Ideale sind die, die mithilfe eines einzigen Erzeugers definiert werden können.
\begin{warnung}[Das Ideal-Membership-Problem ist nicht einfach]
Gegeben ein endlich erzeugtes Ideal $I = (a_1, …, a_n) ⊂ R$ und ein
Element $b ∈ R$, dann ist es im Allgemeinen \emph{nicht} einfach, zu
entscheiden ob $b ∈ I$ ist. In Polynomringen gibt es aber Algorithmen, die
auch in allen relevanten Computer-Algebra-Systemen implementiert sind.
\end{warnung}
\begin{defn}[Endlich erzeugtes Ideal, Hauptideal]
Gegeben sei ein kommutativer Ring $R$ mit Eins. Ein Ideal $I ⊂ R$ heißt
\emph{endlich erzeugt}\index{Ideal!endlich erzeugt}, wenn es endlich viele
Elemente $a_1, …, a_n ∈ R$ gibt, sodass $I= (a_1, …, a_n)$ ist. Ein Ideal
$I ⊂ R$ heißt \emph{Hauptideal}\index{Hauptideal}, wenn es ein Element $a ∈ R$
gibt, sodass $I= (a)$ ist.
\end{defn}
\begin{beobachtung}[Hauptideale und Teilbarkeit]
Gegeben sei ein kommutativer Ring $R$ mit Eins. Weiter seien $a_1, a_2 ∈ R$.
Dann gilt offensichtlich
\begin{align*}
(a_1) ⊂ (a_2) & ⇔ a_2| a_1 \\
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(a_1) = (a_2)& ⇔ a_1 \sim a_2.
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\end{align*}
Die Hauptideale in $R$ entsprechen also eindeutig Klassen von zueinander
assoziierten Elementen.
\end{beobachtung}
\begin{warnung}
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Im Gegensatz zu Vektorräumen gibt es für Ideale keinen „Basisaustauschsatz“,
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denn zum Beweis des Basisaustauschsatzes ist es absolut notwendig zu
dividieren! Es ist nicht immer richtig, dass zwei minimale Erzeugendensysteme
eines Ideals,
\[
I = (a_1, …, a_n) = (b_1, …, b_m),
\]
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immer gleiche Mächtigkeit haben. Falls sie vorhatten, die „Dimension“ eines
Ideals zu definieren -- \foreignlanguage{english}{Nice try}!
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\end{warnung}
Ein Ideal ist in der Praxis nur dann handhabbar, wenn ich eine möglichst
endliche Menge von möglichst einfachen Erzeugern finden kann. Glücklicherweise
gibt es Ringe, in denen jedes Ideal endlich erzeugt ist. Das sagt zwar noch
nicht, wie man einen sinnvollen Satz von Erzeugern finden soll, gibt aber
zumindest schon ein wenig Hoffnung.
\begin{defn}[Noethersche Ringe und Hauptidealringe]
Es sei $R$ ein kommutativer Ring mit Eins. Man nennt $R$ einen
\emph{Noethersch}\index{Noetherscher Ring}, wenn jedes Ideal von $R$ ein
endlich erzeugt ist. Man nennt $R$ einen
\emph{Hauptidealring}\index{Hauptidealring}, wenn jedes Ideal von $R$ ein
Hauptideal ist.
\end{defn}
Die folgenden Sätze geben Beispiele für Hauptidealringe.
\begin{satz}[$$ ist ein Hauptidealring]\label{satz:9-1-4}
Der Ring $$ ist ein Hauptidealring.
\end{satz}
\begin{proof}
Es sei $I ⊂ $ ein Ideal und $I ≠ \{0\}$. Dann gibt es ein $x ∈ I\{0\}$.
Beachte, dass dann auch $-x= (-1)· x$ in $I$ ist. Also enthält $I$ positive
Elemente. Sei $a ∈ I$ jetzt dass kleinste positive Element. Wir werden
zeigen, dass $I = (a)$ ist. Die Inklusion $(a) ⊆ I$ ist klar. Sei $b ∈ I$
irgendein positives Element, dann teilen wir mit Rest
\[
b=q·a+r,\quad \text{mit } 0≤r<a.
\]
Die Zahl $r$ ist jetzt aber in $I$, denn $b$ und $q·a$ sind in $I$. Weiter
muss wegen der Minimalität von $a$ also $r=0$ sein und somit $b ∈ (a)$.
\end{proof}
\begin{satz}[Polynomring in einer Variable ist ein Hauptidealring]
Ist $K$ ein Körper, dann ist $K[x]$ ein Hauptidealring.
\end{satz}
\begin{proof}
Ganz analog zum Beweis von Satz~\ref{satz:9-1-4}, wobei $a$ ein Polynom von
minimalem Grad ist.
\end{proof}
\begin{bsp}[Polynomring in zwei Variablen ist kein Hauptidealring]
Es sei $K$ ein Körper. Der Polynomring $K[x,y]$ ist \emph{kein}
Hauptidealring. Das Ideal $(x,y)$ ist kein Hauptideal, weil $\ggT(x,y)=1$ und
$1 \not(x,y)$ ist. Immerhin werden wir im folgenden Abschnitt zeigen, dass
jedes Ideal endlich erzeugt ist.
\end{bsp}
\section{Kriterien für die Noether-Eigenschaft}
Ich hatte es oben schon angedeutet: Ideale in nicht-Noetherschen Ringe sind für
uns kaum beschreibbar und daher ohne großen Nutzen. Glücklicherweise können wir
in diesem Kapitel zeigen, dass praktisch alle Ringe, die uns in dieser Vorlesung
begegnen, nicht so schrecklich sind. Die folgende Definition und der folgende
Satz sollte ihnen bekannt vorkommen.
\begin{definition}[Teilerkettensatz für Ideale]\label{Def_Teilerkettensatz_Ideale}
Es sei $R$ ein kommutativer Ring mit Eins. Man sagt \emph{in $R$ gilt der
Teilerkettensatz für Ideale}\index{Teilerkettensatz!für Ideale}, wenn es
jede aufsteigende Folge von Idealen
\[
I_0 ⊆ I_1 ⊆ I_2 ⊆ ⋯
\]
stationär wird. Mit anderen Worten, wenn es für jede aufsteigende Folge von
Idealen ein $n ∈ $ gibt, sodass $I_n = I_{n+1} = I_{n+2} =$ gilt.
\end{definition}
\begin{satz}[Kriterien für die Noether-Eigenschaft]\label{satz:9-2-2}
Es sei $R$ ein kommutativer Ring mit Eins. Dann sind folgende Aussagen
äquivalent.
\begin{enumerate}
\item\label{Satz_Ideale_aequiv_1} $R$ ist Noethersch. Mit anderen Worten:
jedes Ideal ist endlich erzeugt.
\item\label{Satz_Ideale_aequiv_2} In $R$ gilt der Teilerkettensatz für Ideale.
\item\label{Satz_Ideale_aequiv_3} In jeder nicht-leeren Menge $M$ von Idealen
in $R$ gibt es ein maximales Element bezüglich der Inklusion.
\end{enumerate}
\end{satz}
\begin{proof}
Wir betrachten die einzelnen Implikationen getrennt.
\begin{description}
\item[\ref{Satz_Ideale_aequiv_1}$⇒$\ref{Satz_Ideale_aequiv_2}] Sei eine
aufsteigende Kette $I_0⊆ I_1⊆ I_2⊆⋯$ von Idealen gegeben. Dann ist auch
\begin{equation*}
I=\bigcup_{k=0}^{}I_k⊂ R
\end{equation*}
ein Ideal. Nach Annahme ist $I$ endlich erzeugt, also $I= (a_1, …, a_n)$.
Jetzt gibt es aber für jedes $i$ ein $k_i$, sodass $a_i∈ I_{k_i}$ ist.
Setze
\begin{equation*}
n_ := \max_i k_i.
\end{equation*}
Dann gilt für alle $k > n$ und alle $1≤ i≤ n$, dass $a_i ∈ I_k$. Also ist
$I_k = I$.
\item[\ref{Satz_Ideale_aequiv_2}$⇒$\ref{Satz_Ideale_aequiv_3}]
Angenommen, es gäbe eine nicht-leere Menge $M$ von Idealen aus $R$ ohne
maximales Element. Dann gibt es zu jedem $I_0∈ M$ ein $I_1∈ M$ mit
$I_0\subsetneqq I_1$, genau so mit $I_2,I_3,\dots$. Wir erhalten einen
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Widerspruch zur Annahme, dass der „Teilerkettensatz für Ideale“ gilt.
\item[\ref{Satz_Ideale_aequiv_3}$⇒$\ref{Satz_Ideale_aequiv_1}] Sei $I⊂ R$ ein
Ideal und $M$ die Menge aller Ideale $J⊂ R$, die endlich erzeugt und in $I$
enthalten sind. Dann ist $M$ nicht leer, denn $(0) ∈ M$. Also gibt es per
Annahme ein maximales Element $J∈ M$. Nach Annahme ist $J$ endlich erzeugt,
also $J = (a_1, …, a_n)$ und wir müssen zeigen, dass $J = I$ ist. Wenn es
aber ein $b ∈ IJ$ gäbe, dann wäre $(a_1, …, a_n,b) ∈ M$ ein Ideal, das $J$
enthält. Ein Widerspruch zur Annahme. \qedhere
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\end{description}
\end{proof}
Der folgende Satz von David
Hilbert\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/David_Hilbert}{David
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Hilbert} (* 23.~Januar 1862 in Königsberg; † 14.~Februar 1943 in Göttingen) war
ein deutscher Mathematiker. Er gilt als einer der bedeutendsten Mathematiker
der Neuzeit. Viele seiner Arbeiten auf dem Gebiet der Mathematik und
mathematischen Physik begründeten eigenständige Forschungsgebiete. Mit seinen
Vorschlägen begründete er die bis heute bedeutsame formalistische Auffassung von
den Grundlagen der Mathematik und veranlasste eine kritische Analyse der
Begriffsdefinitionen der Mathematik und des mathematischen Beweises. Diese
Analysen führten zum Gödelschen Unvollständigkeitssatz, der unter anderem zeigt,
dass das Hilbertprogramm, die von ihm angestrebte vollständige Axiomatisierung
der Mathematik, nicht gänzlich erfüllt werden kann. Hilberts programmatische
Rede auf dem internationalen Mathematikerkongress in Paris im Jahre 1900, in der
er eine Liste von 23 mathematischen Problemen vorstellte, beeinflusste die
mathematische Forschung des 20. Jahrhunderts nachhaltig.} ähnelt formell dem
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Satz~\ref{Satz_Satz_von_Gauss} von Gauß und ist mindestens genauso wichtig.
Historisch war der Satz ein Meilenstein. Hilbert's Beweis erregte auch deshalb
großes Aufsehen, weil die Existenz eines endlichen Erzeugendensystems mithilfe
eines nicht-konstruktiven Widerspruchsargumentes gezeigt wird. Der Beweis gibt
keinen Hinweis, wie man ein Erzeugendensystem je finden könnte. Heute gibt es
allerdings auch konstruktive Beweise, die für alle relevanten Ringe auch auf
Computern implementiert sind.
\begin{satz}[Hilbertscher Basissatz]\label{Satz_Hilbertscher_Basissatz}
Es sei $R$ ein Noetherscher Ring. Dann ist auch $R[x]$ Noethersch.
\end{satz}
\begin{proof}
\video{10-1}
\end{proof}
\begin{kor}
Sei $K$ ein Körper, dann ist jeder Polynomring $K[x_1, …, x_n]$ Noethersch.
Ebenso ist $[x_1, …, x_n]$ ist Noethersch. \qed
\end{kor}
\begin{bemerkung}[Teilerkettensatz für Ideale und für Elemente]\label{rem:9-2-5}
Wenn in einem Ring der Teilerkettensatz für Ideale gilt, dann gilt auch der
Teilerkettensatz für Elemente. Das sieht man, wenn man (Teiler-)Ketten von
Hauptidealen betrachtet. In jedem Noetherschen Ring ist jede Nicht-Einheit
ungleich $0$ also als Produkt von endlich vielen irreduziblen Elementen
darstellbar.
\end{bemerkung}
\section{Hauptidealringe}
Wir bemerken kurz, dass Hauptidealringe fast immer faktoriell sind. Der Beweis
des folgenden Satzes ist ähnlich zum Beweis der Faktorialität von $$ auf
Seite~\pageref{satz:Zpirr}. Das ist kein Zufall.
\begin{satz}[Hauptidealringe sind fast immer faktoriell]
Es sei $R$ ein Hauptidealring. Wenn $R$ zusätzlich noch ein Integritätsring
ist, dann ist $R$ faktoriell.
\end{satz}
\begin{proof}
Da wir in Satz~\ref{satz:9-2-2} schon gezeigt haben, dass in jeden
Noetherschen Ring (also insbesondere auch in jedem Hauptidealring) der
Teilerkettensatz für Ideale und somit nach Bemerkung~\ref{rem:9-2-5} auch der
Teilerkettensatz für Elemente gilt, müssen wir noch zeigen, dass jedes
irreduzible Element $p$ prim ist. Seien also $a$ und $b$ Elemente von $R$ mit
$p \nmid a$ und $p \nmid b$. Wir müssen zeigen, dass dann $p \nmid (a·b)$
gilt. Das Ideal $(a, p)$ ist per Annahme ein Hauptideal, also existiert ein
$c ∈ R$ mit $ (a,p) = (c)$. Da nun $c|p$ gilt, aber $p$ irreduzibel ist, ist
entweder $c$ eine Einheit, oder es gilt $c \sim p$. Weil aber $c|a$ ist und
$p\nmid a$, ist $c \sim p$ nicht möglich. Also ist wohl $(a,p)= (1)$. Genau
so gilt natürlich $(b,p) = (1)$. Es gibt also Gleichungen
\begin{equation*}
1 = r_1·p + r_2·a \quad\text{und}\quad 1 = s_1·p + s_2·b
\end{equation*}
für die Addition und
\begin{equation*}
1 = (r_1·s_1·p + r_2·s_1·a + r_1·s_2·b)·p + r_2·s_2·a·b
\end{equation*}
für die Multiplikation. Also kann $p|(a·b)$ nicht gelten, weil sonst $p|1$
folgt, was aber nicht geht, weil $p$ keine Einheit ist.
\end{proof}
%%% Local Variables:
%%% mode: latex
%%% TeX-master: "AlgebraZahlentheorie"
%%% End: