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\chapter{Der Satz von Cayley-Hamilton}


\section{Der Einsetzungsmorphismus}

\sideremark{Vorlesung 6}Wir betrachten wieder die folgende Situation.

\begin{situation}\label{sit:4-0-1}
  Es sei $k$ ein Körper, es sei $V$ ein endlich-dimensionaler $k$-Vektorraum und
  es sei $f ∈ \End(V)$ ein linearer Endomorphismus.
\end{situation}

In der Situation~\ref{sit:4-0-1} gibt es noch mehr Endomorphismen, zum Beispiel
\[
  f⁰ = \Id_V, \quad f², \quad f³, \quad\text{oder}\quad f⁵-7·f²+12·f-5·f⁰.
\]
Das funktioniert natürlich nicht nur mit den Polynomen $x⁰$, $x²$, $x³$ und
$x⁵-7·x²+12·x-5$ sondern ganz allgemein.  Die passende Definition kommt
sofort, aber zuerst erinnern wir uns an eine einige Definition zum Thema
``Polynome''.

\begin{defn}[Polynome]
  Gegeben einen Körper $k$, dann bezeichne mit $k[t]$ die Menge der Polynome mit
  Koeffizienten im Körper $k$.  Gegeben ein Polynom
  $p(t) = \sum a_i·tⁱ ∈ k[t]$, dann nenne
  \[
    d :=
    \left\{
      \begin{matrix}
        -1 && \text{falls } p = 0 \\
        \max \{ i ∈ ℕ \:|\: a_i \ne 0\} && \text{sonst}
      \end{matrix}
    \right.
  \]
  den Grad\index{Grad eines Polynoms} des Polynoms, in Formeln $\deg(f)$.  Falls
  $\deg(p) ≥ 0$, dann nenne $a_{\deg(p)}$ den
  Leitkoeffizienten\index{Leitkoeffizient} von $p$.  Ein Polynom heißt
  normiert\index{normiert!Polynom}, falls der Leitkoeffizient gleich 1 ist.
\end{defn}

\begin{bsp}
  Es ist $t²+π·t- \sqrt{2} ∈ ℝ[t]$, aber nicht in $ℚ[t]$.
\end{bsp}

Ich wiederhole die Warnung aus ``Lineare Algebra I''.  Wie wir in der Schule
gelernt haben, liefert jedes Polynom $p(t) ∈ k[t]$ eine Abbildung $k → k$,
$λ ↦ p(λ)$, die man oft irreführenderweise ebenfalls mit $p$
bezeichnet.  Beachten Sie aber, dass Polynome zwar Abbildungen liefern, aber
keine Abbildungen sind!  Wenn $𝔽_2$ der bekannte Körper mit zwei Elementen ist,
dann sind die Polynome $t$, $t²$, $t³$, … alle unterschiedlich (denn sie haben
ja unterschiedlichen Grad).  Die zugehörigen Abbildungen sind aber alle gleich.
Insgesamt gibt es unendliche viele Polynome, aber natürlich nur endlich viele
Selbstabbildungen des endlichen Körpers $𝔽_2$.

\begin{defn}[Einsetzungsabbildung für Endomorphismen]
  In Situation~\ref{sit:4-0-1} sei ein Polynom $p(t) = \sum_{i=0}^n a_i·tⁱ$ aus
  $k[t]$ gegeben -- dabei sind die Koeffizienten $a_i$ per Definition Elemente
  des Körpers $k$.  Dann bezeichne mit $p(f) ∈ \End(V)$ den Endomorphismus
  \[
    p(f) := \sum_{i=0}^n a_i·fⁱ.
  \]
  Wir erhalten so eine Abbildung
  \[
    s: k[t] → \End(V), \quad p ↦ p(f),
  \]
  genannt
  \emph{Einsetzungsabbildung}\index{Einsetzungsabbildung!Endomorphismen}.
  Gegeben eine Zahl $n ∈ ℕ$, eine $(n⨯ n)$-Matrix $A$ mit Einträgen in
  $k$ und ein ein Polynom $p(t) ∈ k[t]$ definieren wir völlig analog eine
  Matrix $p(A)$ und eine
  \emph{Einsetzungsabbildung}\index{Einsetzungsabbildung!Matrizen}
  $s: k[t] → \Mat(n⨯ n, k)$ durch $s(A) = p(A)$.
\end{defn}

\begin{beobachtung}[Einsetzungsabbildung bei ähnlichen Matrizen]\label{beob:4-0-6}
  Gegeben eine Zahl $n ∈ ℕ$, eine $(n⨯ n)$-Matrix $A$ mit Einträgen in
  $k$ und ein ein Polynom $p(t) ∈ k[t]$.  Wenn wir noch eine invertierbare
  Matrix $S ∈ GL_n(k)$ haben, dann ist
  \[
    p(S·A·S^{-1}) = S·p(A)·S^{-1}.
  \]
\end{beobachtung}

\begin{satz}[Satz von Cayley-Hamilton]\label{satz:CayleyHamilton}
  In Situation~\ref{sit:4-0-1} sei $χ_f(t) ∈ k[t]$ das charakteristische
  Polynom des Endomorphismus $f$.  Dann ist
  \[
    χ_f(f) = 0 ∈ \End(V).
  \]
\end{satz}

\begin{bemerkung}
  Der Satz von Cayley-Hamilton funktioniert genau so für Matrizen.
\end{bemerkung}

Kurz formuliert: Der Satz von Cayley-Hamilton sagt, dass jeder Endomorphismus
Nullstelle seines eigenen charakteristischen Polynoms ist.  Wie cool ist das?

\begin{proof}[Beweis von Satz~\ref{satz:CayleyHamilton}]
  \video{6-1}
\end{proof}


\section{Das Minimalpolynom}

Wir bleiben in Situation~\ref{sit:4-0-1}.  Dann wissen wir schon, dass $f$ eine
Nullstelle von $χ_f$ ist.  Wir fragen uns, ob es nicht noch ein einfacheres
Polynom $p(t) ∈ k[t]$ gibt, so dass $p(f) = 0$ ist.  Und nein, wir wollen nicht
das Nullpolynom betrachten.

\begin{beobachtung}\label{beob:4-0-7}
  In Situation~\ref{sit:4-0-1}, wenn ein Polynom $p(t) ∈ k[t]$ gegeben ist mit
  $p(f) = 0$ und wenn $λ ∈ k ∖ \{0\}$ dann ist $q := λ·p$ auch wieder
  ein Polynom und $q(f) = 0$.  Konsequenz: bei unserer Suche nach möglichst
  einfachen Polynomen können wir immer annehmen, dass der Leitkoeffizient gleich
  1 ist.
\end{beobachtung}

\begin{beobachtung}\label{beob:4-0-8}
  In Situation~\ref{sit:4-0-1} seien $p_1(t)$ und $p_2(t) ∈ k[t]$ zwei
  unterschiedliche Polynome mit $p_1(f) = p_2(f) = 0$.  Angenommen, die Grade von
  $p_1$ und $p_2$ seien gleich und beide Polynome seien normiert.  Setzt
  $q := p_1-p_2$.  Dann gilt Folgendes.
  \begin{itemize}
  \item Das Polynome $q$ ist nicht das Nullpolynom.
  \item Es ist $q(f) = p_1(f) - p_2(f) = 0 - 0 = 0 ∈ \End(V)$.
  \item Es ist $\deg q < \deg p_1 = \deg p_2$.
  \end{itemize}
\end{beobachtung}

Diese Beobachtungen legen folgende Definition nahe.

\begin{defn}[Minimalpolynom]
  Gegeben Situation~\ref{sit:4-0-1} ein Polynom $m(t) ∈ k[t]$ heißt
  \emph{Minimalpolynom des Endomorphismus
    $f$}\index{Minimalpolynom!Endomorphismus}, falls Folgendes gilt.
  \begin{itemize}
  \item Das Polynom $m$ ist nicht das Nullpolynom.
  \item Das Polynom $m$ ist normiert.
  \item Der Grad von $m$ ist minimal unter den Graden aller Polynome, die $f$
    als Nullstelle haben.
  \end{itemize}
  Das Minimalpolynom einer quadratischen Matrix ist analog
  definiert\index{Minimalpolynom!Matrix}.
\end{defn}

\begin{bemerkung}
  Beobachtung~\ref{beob:4-0-7} und der Satz~\ref{satz:CayleyHamilton} von
  Cayley-Hamilton sagen, dass Minimalpolynome für jeden Endomorphismus und für
  jede quadratische Matrix existieren.  Beobachtung~\ref{beob:4-0-8} sagt, dass
  dies Minimalpolynome eindeutig bestimmt ist.
\end{bemerkung}

\begin{bsp}
  Betrachte die reelle Matrix
  \[
    A :=
    \begin{pmatrix}
      5 & 1 & 0 \\
      0 & 5 & 0 \\
      0 & 0 & 5
    \end{pmatrix}
  \]
  Da die Matrix $A$ kein Vielfaches von $\Id_{3⨯ 3}$, ist das
  Minimalpolynom von $A$ ganz sicher nicht linear.  Auf der anderen Seite ist
  \[
    A² =
    \begin{pmatrix}
      25 & 10 & 0 \\
      0 & 25 & 0 \\
      0 & 0 & 25
    \end{pmatrix}
  \]
  Also ist $A²-10·A+25·\Id_{3⨯ 3} = 0$.  Also ist
  $p(t) = t²-10·t+25 = (t-5)²$ ein normiertes Polynom, das $A$ als Nullstelle
  hat.  Das muss dann wohl das Minimalpolynom sein.
\end{bsp}

\begin{bsp}
  Es sei $A$ ein Jordanblock der Form $A = J(λ,n)$.  Dann ist $p(t) = (t-λ)^n$
  ein normiertes Polynom, das $A$ als Nullstelle hat.  Überlegen Sie sich als
  Hausaufgabe, dass $P$ tatsächlich das Minimalpolynom ist.
\end{bsp}

\begin{beobachtung}
  Beobachtung~\ref{beob:4-0-6} zeigt: ähnliche Matrizen haben dasselbe
  Minimalpolynom.
\end{beobachtung}

Der folgenden Satz liefern eine erste Beschreibung des Minimalpolynoms.

\begin{satz}[Andere Polynome mit $f$ als Nullstelle]
  In Situation~\ref{sit:4-0-1} sei $p(t)$ das Minimalpolynom von $f$, und $q(t)$
  sei ein weiteres, nicht-verschwindendes Polynom, das $f$ als Nullstelle
  hat.  Dann ist $q$ ein Vielfaches des Minimalpolynoms $p$.  Das bedeutet: es
  gibt ein Polynom $r(t)$, so dass $q(t) = r(t)·p(t)$ ist.
\end{satz}
\begin{proof}
  Ich führe einen Widerspruchsbeweis und nehme an, die Aussage sei falsch.  Dann
  gibt es ein Polynom $q(t)$ mit $q(f) = 0$, welches kein Vielfaches von $p$
  ist.  Wir können gleich noch Folgendes annehmen.
  \begin{enumerate}
  \item Das Polynom $q$ ist normiert.
  \item Der Grad von $q$ ist minimal unter den Graden aller Polynome, die $f$
    als Nullstelle haben und die kein Vielfaches von $p$ sind.
  \end{enumerate}
  Dann ist ganz klar per Definition von ``Minimalpolynom'' $\deg q ≥ \deg
  p$.  Es sei $d := \deg q - \deg p$.  Man beachte, dass $t^d·p$ ebenfalls
  normiert ist und $f$ als Nullstelle hat.  Also hat
  \[
    r(t) = q(t) - t^d·p(t)
  \]
  ebenfalls $f$ als Nullstelle.  Weiterhin ist $r$ kein Vielfaches von $p$ (…denn
  sonst wäre auch $q$ ein Vielfaches von $p$).  Zusätzlich gilt:
  $\deg r < \deg q$, im Widerspruch zur Annahme, dass der Grad von $q$ minimal
  sei.
\end{proof}

\begin{satz}[Nullstellen des Minimalpolynoms]
  Es sei $k$ eine Körper, $A$ eine $(n⨯ n)$-Matrix mit Werten in $k$ und
  $λ ∈ k$.  TFAE:
  \begin{enumerate}
  \item Das Skalar $λ$ ist ein Eigenwert von $A$.
    
  \item Das Skalar $λ$ ist eine Nullstelle des charakteristischen Polynoms
    $χ_A$.
    
  \item Das Skalar $λ$ ist eine Nullstelle des Minimalpolynoms von $A$.
  \end{enumerate}
\end{satz}
\begin{proof}
  \video{6-2}
\end{proof}

Über den komplexen Zahlen können wir die Frage nach dem Minimalpolynom
vollständig beantworten.

\begin{satz}[Beschreibung des Minimalpolynoms über $ℂ$]
  Es sei $A$ eine $(n⨯ n)$-Matrix über den komplexen Zahlen.  Bezeichne die
  Eigenwerte von $A$ mit $λ_1$, …, $λ_d$ und schreibe für jeden Index $i$
  \[
    m_i := \text{Länge des längsten Jordanblocks zum Eigenwert } λ_i.
  \]
  Dann ist das Minimalpolynom von $A$ gegeben als
  \[
    p(t) = (t-λ_1)^{m_1}·(t-λ_2)^{m_2}⋯ (t-λ_d)^{m_d}.
  \]
\end{satz}
\begin{proof}
  \video{6-3}
\end{proof}

% !TEX root = LineareAlgebra2