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\chapter{Orthogonale Projektion}

In diesem Kapitel sei $\bigl( V, \langle•\rangle\bigr)$ stets ein
euklidischer oder unitärer Vektorraum.  Wenn keine Verwechselungsgefahr besteht,
werden wir die durch das Skalarprodukt induzierte Norm einfach mit $\|•\|$
bezeichnen.


\section{Orthogonalität und Orthonormalität}

Der zentrale Begriff in diesem Kapitel ist ``orthogonal'', also
``steht senkrecht aufeinander''.  Wir definieren ``orthogonal'' mit Hilfe des
Skalarproduktes.

\begin{defn}[Orthogonal]\label{def:orth}
  Es sei $\bigl( V, \langle•\rangle\bigr)$ ein Euklidischer oder unitärer
  Vektorraum.
  \begin{enumerate}
  \item Es seien $\vec{x}$, $\vec{y} ∈ V$ zwei Vektoren.  Man sagt,
    \emph{$\vec{x}$ und $\vec{y}$ sind orthogonal
      zueinander}\index{orthogonal!Vektoren} (oder \emph{$x$ steht senkrecht auf
      $y$})\index{senkrecht}, falls $\langle \vec{x}, \vec{y} \rangle = 0$ gilt.
    Als Kurzschreibweise: $\vec{x} \perp \vec{y}$.
    
  \item Es seien $U$, $W ⊂ V$ Untervektorräume.  Dann heißen $U$ und $W$
    \emph{orthogonal zueinander}\index{orthogonal!Untervektorräume}, falls für
    alle $\vec{u} ∈ U$ und alle $\vec{w} ∈ W$ die Gleichung
    $\langle \vec{u}, \vec{w} \rangle = 0$ gilt.
    
  \item\label{il:8-1-1-3} Es sei $U ⊂ V$ ein Untervektorraum.  Dann
    definieren wir das \emph{orthogonale Komplement von $U$}\index{orthogonales
      Komplement} als
    \[
      U^\perp := \{ \vec{v} ∈ V : \vec{v} \perp \vec{u} \text{ für alle }
      \vec{u} ∈ U \}.
    \]
    
  \item Eine Familie $\{ \vec{v}_i \}_{i ∈ I}$ von Vektoren aus $V$ heißt
    \emph{orthogonal}\index{orthogonal!Familie von Vektoren}, falls für alle
    Indizes $i ≠ j$ die folgende Gleichung gilt:
    \[
      \langle \vec{v}_i, \vec{v}_j \rangle = 0.
    \]
    Eine orthogonale Familie heißt \emph{orthonormal}\index{orthonormale Familie
      von Vektoren}, falls zusätzlich für alle Indizes $i ∈ I$ die Gleichung
    $\| \vec{v}_i \| = 1$ gilt.  Eine orthonormale Familie heißt
    \emph{Orthonormalbasis}\index{Orthonormalbasis} (kurz: ``ONB''), falls sie
    zusätzlich eine Basis ist.
  \end{enumerate}
\end{defn}

\begin{beobachtung}[Orthogonale Komplemente sind Untervektorräume]
  In der Situation von Definition~\ref{def:orth}, Punkt~\ref{il:8-1-1-3} ist das
  orthogonale Komplement $U^\perp$ wieder ein Untervektorraum von $V$.
\end{beobachtung}

\begin{beobachtung}
  In der Situation von Definition~\ref{def:orth}, Punkt~\ref{il:8-1-1-3} gilt
  folgendes: Wenn $(u_i)_{i ∈ I}$ eine Basis von $U$ ist und $\vec{v} ∈ V$
  irgendein Vektor, dann ist $\vec{v} ∈ U^\perp$ genau dann, wenn
  $\vec{v} \perp \vec{u}_i$ ist für alle Indizes $i ∈ I$.
\end{beobachtung}

\begin{rem}[Orthogonale Unterräume in LA1 - Dualraum]\label{rem:8-1-4}
  Wir hatten in Kapitel 12 der Vorlesung ``Lineare Algebra I'' bereits einen
  Begriff von ``orthogonalen Unterraum''.  Die Situation war die, dass es einen
  $k$-Vektorraum $V$ gab und einen Untervektorraum $W ⊆ V$.  In dieser
  Situation war der ``orthogonale Unterraum'' der Raum
  \[
    W⁰ := \{ f ∈ V^* \::\: W ⊆ \ker (f) \}.
  \]
  Manchmal hatte ich auch $W^\perp$ statt $W⁰$ geschrieben.  Wir werden in
  Abschnitt~\vref{sec:dual} sehen, wie die Begriffe zusammenhängen.
\end{rem}

\begin{bsp}[Der Standardraum $ℝ^n$]
  Betrachten den Vektorraum $ℝ^n$ mit dem Standardskalarprodukt.  Dann ist die
  Die Standardbasis eine Orthonormalbasis.  Die Untervektorräume
  $\langle \vec{e}_1, \vec{e}_2 \rangle$ und
  $\langle \vec{e}_3, \vec{e}_4 \rangle$ sind orthogonal.  Das orthogonale
  Komplement des Unterraumes $\langle \vec{e}_1, \vec{e}_2 \rangle$ ist
  $\langle \vec{e}_3, …, \vec{e}_n \rangle$.
\end{bsp}


\section{Orthonormale Basisergänzung}

Das folgende Beispiel zeigt, wie man zwei beliebige Vektoren orthogonal machen
kann.  Dieses Beispiel ist für den ganzen Abschnitt zentral.

\begin{bsp}[Rezept, um Vektoren orthogonal machen]
  Es sei $\bigl( V, \langle•\rangle\bigr)$ ein euklidischer oder unitärer
  Vektorraum und es seien $\vec{v}_1$, $\vec{v}_2 ∈ V$ zwei Vektoren mit
  $\vec{v}_1 \ne \vec{0}$.  Setze
  \[
    \vec{v}\,'_2 := \vec{v}_2 - \frac{\langle \vec{v}_2, \vec{v}_1
      \rangle}{\langle \vec{v}_1, \vec{v}_1 \rangle}·\vec{v}_1.
  \]
  Dann gilt $\vec{v}_1 \perp \vec{v}\,'_2$.  Zusätzlich gilt: wenn die Menge
  $\{\vec{v}_1, \vec{v}_2\}$ linear unabhängig ist, dann auch
  $\{\vec{v}_1, \vec{v}\,'_2\}$.
\end{bsp}

Wir bauen das ``Rezept, um Vektoren orthogonal machen'' ein wenig aus und
erhalten einen ``Basisergänzungssatz für Orthonormalbasen''.

\begin{satz}[Basisergänzungssatz für Orthonormalbasen]\label{satz:8-2-2}
  Sei $V$ ein endlich-dimensionaler euklidischer oder unitärer Vektorraum und sei
  $U ⊂ V$ ein Untervektorraum.  Dann lässt sich jede Orthonormalbasis
  $\{\vec{u}_1,…,\vec{u}_m\}$ von $U$ zu einer Orthonormalbasis
  $\{\vec{u}_1,…,\vec{u}_m,\vec{u}_{m+1},…,\vec{u}_n\}$ von $V$
  ergänzen.
\end{satz}
\begin{proof}
  \video{11-1}
\end{proof}

\begin{kor}[Existenz von Orthonormalbasen]
  Jeder endlich-dimensionale euklidische oder unitäre Vektorraum besitzt eine
  Orthonormalbasis.  \qed
\end{kor}

\begin{beobachtung}[Gram-Schmidt Verfahren]
  Sei $V$ ein endlich-dimensionaler euklidischer oder unitärer Vektorraum.  Der
  Beweis des Basisergänzungssatzes~\ref{satz:8-2-2} für Orthonormalbasen liefert
  ein effektives, induktives Verfahren um aus einer gegebenen Basis
  $\{ \vec{v}_1, …, \vec{v}_n \}$ von $V$ eine ONB
  $\{ \vec{u}_1, …, \vec{u}_n \}$ zu konstruieren.  Man startet so:
  \begin{itemize}
  \item Normiere.  $\vec{u}_1 := \frac{1}{\| \vec{v}_1 \|}·\vec{v}_1$.
    
  \item Definiere.
    $\vec{u}\,'_2 := \vec{v}_2 - \langle \vec{v}_2, \vec{u}_1 \rangle·
    \vec{u}_1$.
    
  \item Normiere.  $\vec{u}_2 := \frac{1}{\| \vec{u}\,'_2 \|}·\vec{u}\,'_2$.
  \end{itemize}
  Falls uns $\vec{u}_1, …, \vec{u}_k$ schon gegeben sind, gehe induktiv wie
  folgt vor:
  \begin{itemize}
  \item Definiere.
    $\vec{u}\,'_{k+1} := \vec{v}_{k+1} - \sum_{j=1}^{k} \langle \vec{v}_{k+1},
      \vec{u}_j \rangle·\vec{u}_j$.
  
    \item Normiere.
      $\vec{u}_{k+1} := \frac{1}{\| \vec{u}\,'_{k+1} \|}·\vec{u}\,'_{k+1}$.
  \end{itemize}
  Am Ende ist $\{\vec{u}_1, …, \vec{u}_n\}$ eine ONB.  Zusätzlich gilt für
  alle Indizes $i=1, …, n$ die Gleichheit von Untervektorräumen
  $\langle \vec{u}_1, …, \vec{u}_i \rangle = \langle \vec{v}_1, …,
  \vec{v}_i \rangle$.
\end{beobachtung}

\begin{satz}[Orthogonale Zerlegung]\label{satz:8-2-5}
  Es sei $V$ ein endlich-dimensionale euklidischer oder unitärer Vektorraum.
  Weiter sei $U ⊂ V$ ein Untervektorraum.  Dann lässt sich jeder Vektor
  $\vec{v} ∈ V$ eindeutig schreiben als
  \[
    \vec{v} = p(\vec{v}) + r(\vec{v}),
  \]
  wobei $p(\vec{v}) ∈ U$ ist und $r(\vec{v}) ∈ U^\perp$ ist.
\end{satz}
\begin{proof}
  \video{11-2}
\end{proof}

Der Beweis von Satz~\ref{satz:8-2-5} liefert noch eine ganze Reihe von
Zusatzinformationen, die wir hier festhalten.  Das allerwichtigste ist die
Einsicht, dass $p$ eine lineare Abbildung liefert, die wir als ``orthogonale
Projektion'' bezeichnen.

\begin{beobachtung}[Orthogonale Projektion]
  In der Situation von Satz~\ref{satz:8-2-5} können wir die $p(\vec{v})$ wie
  folgt ausrechnen.  Wenn eine ONB $(\vec{u}_i)_i$ von $U$ gegeben ist, dann ist
  \[
    p(\vec{v}) = \sum_i \langle \vec{v}, \vec{u}_i \rangle·\vec{u}_i
  \]
  Insbesondere ist $p : V → U$ eine lineare Abbildung und es ist
  $\ker p = U^\perp$.  Man nennt $p$ die \emph{orthogonale Projektion auf den
    Unterraum $U$}\index{orthogonale Projektion}.
\end{beobachtung}

\begin{beobachtung}[Orthogonale Projektion minimiert Abstand zu Untervektorraum]
  In der Situation von Satz~\ref{satz:8-2-5} ist $p(\vec{v})$ genau derjenige
  Punkt aus $U$, der den kleinsten Abstand zu $\vec{v}$ hat.  Denn: Für
  $\vec{w} ∈ U$, $\vec{w} ≠ 0$ gilt mit Pythagoras die folgende Ungleichung
  \begin{align*}
    \| (p(\vec{v}) + \vec{w}) - \vec{v} \|² & = \| p(\vec{v})-\vec{v} \|² + \| \vec{w} \|² + \underbrace{\langle p(\vec{v})-\vec{v}, \vec{w} \rangle}_{=0} + \underbrace{\langle \vec{w}, p(\vec{v})-\vec{v} \rangle}_{=0} \\
    & ≥ \| p(\vec{v})-\vec{v} \|².
  \end{align*}
\end{beobachtung}


\section{Kanonische Identifikationen}

\subsection{Der Dualraum}
\label{sec:dual}

\sideremark{Vorlesung 12}Einer der beliebtesten Begriffe der Vorlesung ``Lineare
Algebra I'' ist der des ``Dualraum''.  Alle Studenten lieben das.  Ich erinnere:
wenn $k$ ein Körper ist und $V$ ein $k$-Vektorraum, dann ist der Dualraum $V^*$
genau der Vektorraum der linearen Abbildungen von $V$ nach $k$.  In Symbolen:
$V^* := \Hom(V,k)$.  Falls $V$ endlich-dimensional ist, haben wir bewiesen, dass
$V$ und $V^*$ isomorph zueinander sind.  Um einen konkreten Isomorphismus zu
finden wählte man erst einmal eine Basis $B = \{\vec{v}_1, …, \vec{v}_n\}$ und
betrachtet dann die duale Basis $B^* = \{\vec{v}^{\:*}_1, …, \vec{v}^{\:*}_n\}$
von $V^*$.  Dabei waren die $\vec{v}^{\:*}_i : V → k$ diejenigen linearen
Abbildungen, die die Gleichungen
\[
  \vec{v}^{\:*}_i(\vec{v}_j) = δ_{ij}
\]
für alle Indizes $j$ erfüllen.  Der Satz vom Wünsch-Dir-Was sagt genau, dass
solche $\vec{v}^{\:*}_i$ existieren und durch die Gleichungen eindeutig bestimmt
sind; wir haben in LA1 durch direkte Rechnung bewiesen, dass $B^*$ eine Basis
von $V^*$ ist.  Die Koordinatenabbildungen zu $B$ und $B^*$ liefern dann
Isomorphismen
\[
  \begin{tikzcd}
    V \ar[r, "Φ_B"] & k^n & V^* \ar[l, "Φ_{B^*}"']
  \end{tikzcd}
\]
und also eine Isomorphie von $V$ und $V^*$.  Das große Problem bei der Sache
war, dass die Isomorphie von der Wahl der Basis abhing, also nicht kanonisch
war.  Die zentrale Einsicht in dieser Vorlesung folgende: wenn ich auf $V$ ein
Skalarprodukt festlege, dann gibt es eine kanonische Identifikation von $V$ und
$V^*$.

\begin{satz}\label{satz:8-3-1}
  Es sei $\bigl(V, \langle •, • \rangle \bigr)$ ein
  endlich-dimensionaler euklidischer Vektorraum.  Dann ist die Abbildung
  \[
    s: V → V^*, \quad \vec{v} ↦ \langle • ,\vec{v} \rangle
  \]
  ein Isomorphismus.
\end{satz}

\video{12-1} erläutert noch einmal, was der Satz~\ref{satz:8-3-1} genau sagt.

\begin{proof}[Beweis von Satz~\ref{satz:8-3-1}]
  \video{12-2}
\end{proof}

In Bemerkung~\ref{rem:8-1-4} hatte ich schon versprochen, den Zusammenhang
zwischen den ``orthogonalen Unterräumen'' aus der Vorlesung ``Lineare Algebra
I'' und dem ``orthogonalen Komplement'' aus Definition~\ref{def:orth} zu klären.
Der folgende Satz löst dieses Versprechen ein.

\begin{satz}[Orthogonales Komplement und orthogonale Unterräume]\label{satz:8-3-3}
  Es sei $\bigl(V, \langle •, • \rangle \bigr)$ ein
  endlich-dimensionaler euklidischer Vektorraum und es sei $U ⊂ V$ ein
  Untervektorraum.  Weiter sei $s : V → V^*$ der kanonische Isomorphismus aus
  Satz~\ref{satz:8-3-1}.  Dann gilt folgendes.
  \begin{enumerate}
  \item\label{il:8-3-1-1} Es ist $s(U^\perp) = U⁰$.  Insbesondere liefert die
    Einschränkung $s|_{U^\perp} : U^\perp → U⁰$ einen Isomorphismus zwischen
    den Vektorräumen $U^\perp$ und $U⁰$ und insbesondere ist
    $\dim U^\perp = \dim U⁰$ (…nämlich gleich $\dim V - \dim U$).
    
  \item\label{il:8-3-1-2} Es existiert eine Zerlegung von $V$ in eine direkte
    Summe $V = U ⊕ U^\perp$.
  \end{enumerate}
\end{satz}
\begin{proof}
  \video{12-3}
\end{proof}

\begin{kor}\label{kro:8-3-3}
  In der Situation von Satz~\ref{satz:8-3-1} gilt die Gleichheit
  $\bigl( U^\perp \bigr)^\perp = U$.
\end{kor}
\begin{proof}
  Es genügt, die Inklusion $U ⊂ \bigl( U^\perp \bigr)^\perp$ zu zeigen; die
  Gleichheit folgt mit Hilfe der Dimensionsformel~\ref{il:8-3-1-2} dann aus der
  Gleichheit der Dimensionen.  Dazu verwende ich wieder meinen Textbaustein: Sei
  ein beliebiger Vektor $\vec{u} ∈ U$ gegeben.  Die Aussage
  ``$\vec{u} ∈ \bigl( U^\perp \bigr)^\perp$ ist dann per Definition äquivalent
  dazu, ist zu zeigen, dass gilt:
  \[
    s(\vec{u}, \vec{v}) = 0, \quad \text{für alle }\vec{v} ∈ U^\perp
  \]
  Das ist aber klar nach Definition von $U^\perp$.
\end{proof}

\begin{rem}
  In unendlich-dimensionalen Vektorräumen ist die Aussage von
  Korollar~\ref{kro:8-3-3} im Allgemeinen falsch!
\end{rem}


\subsubsection{Unitäre Vektorräume}

Die Aussage von Satz~\ref{satz:8-3-1} gilt in leicht abgewandelter Form auch für
den Fall von unitären Vektorräumen.  Falls
$\bigl(V, \langle •, • \rangle \bigr)$ ein endlich-dimensionaler
unitärer Vektorraum ist, dann ist die Abbildung $s$ bijektiv und
\emph{semi-linear}\index{semi-lineare Abbildung}.  Dabei bedeutet
``semi-linear'', dass für alle Vektoren $\vec{x}$ und $\vec{y} ∈ V$ und alle
Skalare $λ ∈ ℂ$ die Gleichungen
\[
  f(\vec{x}+\vec{y}) = f(\vec{x}) + f(\vec{y}) \quad\text{und}\quad
  f(λ·\vec{x}) = \overline{λ}·f(\vec{x}).
\]
gelten.

\begin{aufgabe}[Kanonische Identifikationen für unitäre Vektorräume]
  Schreiben Sie einen schulbuchmäßigen Beweis von Satz~\ref{satz:8-3-1} im Fall
  von unitären Vektorräumen.
\end{aufgabe}

\begin{aufgabe}[Kanonische Identifikationen für unitäre Vektorräume]
  Überlegen Sie sich, ob (und wenn ja: wie) Satz~\ref{satz:8-3-3} im Falle von
  unitären Vektorräumen abgewandelt werden muss.  Formulieren Sie den Satz und
  schreiben Sie einen schulbuchmäßigen Beweis auf.
\end{aufgabe}

\begin{aufgabe}[Kanonische Identifikationen für unitäre Vektorräume]
  Überlegen Sie sich, ob (und wenn ja: wie) Korollar~\ref{kro:8-3-3} im Falle
  von unitären Vektorräumen abgewandelt werden muss.  Formulieren Sie den Satz
  und schreiben Sie einen schulbuchmäßigen Beweis auf.
\end{aufgabe}


\subsection{Quotientenräume}

Wir hatten in letzten Abschnitt das orthogonale Komplement eines
Untervektorraumes $U ⊂ V$ in kanonischer Weise mit dem Raum $U⁰$
identifiziert, der uns aus der Vorlesung ``Lineare Algebra I'' vertraut war.  Es
gibt noch eine andere kanonische Identifikation des orthogonale Komplements mit
einem bekannten Vektorraum.

\begin{satz}\label{satz:8-3-6}
  Es sei $\bigl(V, \langle •, • \rangle \bigr)$ ein
  endlich-dimensionaler euklidischer Vektorraum und es sei $U ⊂ V$ ein
  Untervektorraum.  Dann gibt es einen kanonischen Isomorphismus zwischen dem
  Vektorraumquotienten $\factor{V}{U}$ und dem orthogonalen Komplement
  $U^\perp$.
\end{satz}
\begin{proof}
  \video{12-4}
\end{proof}

\begin{aufgabe}[Kanonische Identifikationen für unitäre Vektorräume]
  Überlegen Sie sich, ob (und wenn ja: wie) Satz~\ref{satz:8-3-6} im Falle von
  unitären Vektorräumen abgewandelt werden muss.  Formulieren Sie den Satz und
  schreiben Sie einen schulbuchmäßigen Beweis auf.
\end{aufgabe}


\section{Die adjungierte Abbildung}
\label{sec:adAbb}

Wir betrachten in diesem Abschnitt Abbildungen von euklidischen Vektorräumen und
schauen, wie sich die kanonischen Identifikationen aus dem letzten Abschnitt
unter Abbildungen verhalten --- das wird später noch sehr wichtig werden, wenn
wir ``selbstadjungierte Abbildungen'' diskutieren.  Zuallererst legen wir die
Situation fest, die wir in diesem Abschnitt genau betrachten.

\begin{situation}[Mehrere euklidische Vektorräume]\label{sit:8-5-1}
  Es seien $\bigl(V, \langle •, • \rangle_V \bigr)$ und
  $\bigl(W, \langle •, • \rangle_W \bigr)$ zwei endlich-dimensional
  euklidische Vektorräume.  Die kanonischen Identifikationen der Räume mit ihren
  Dualräumen bezeichnen wir mit
  \[
    s_V: V → V^* \quad\text{und}\quad s_W: W → W^*.
  \]
\end{situation}

\begin{erinnerung}
  Zu jeder linearen Abbildung $f: V → W$ haben wir in der Vorlesung ``Lineare
  Algebra I'' eine ``Rückzugsabbildung'' zwischen den Dualräumen definiert, nämlich
  \[
    f^* : W^* → V^*, \quad φ ↦ φ◦f.
  \]
\end{erinnerung}

\begin{beobachtung}[Kanonische Identifikationen und Rückzugsabbildung]\label{beob:8-5-3}
  In Situation~\ref{sit:8-5-1} sei eine lineare Abbildung $f: V → W$ gegeben.
  Betrachte das folgende Diagramm:
  \begin{equation}\label{eq:8-5-3-1}
    \begin{tikzcd}[column sep=3cm]
      V \arrow[r, "f"] \arrow[d, "s_V\text{, isomorph}"'] & W \arrow[d, "s_W\text{, isomorph}"]\\
      V^* & W^* \arrow[l, "f^*\text{, Rückzugsabbildung}"]
    \end{tikzcd}
  \end{equation}
  Beim Betrachten des Diagramms~\eqref{eq:8-5-3-1} fällt auf, dass die
  Abbildungen $s_V$ und $s_W$ von der Wahl der Skalarprodukte abhängen.  Die
  Abbildungen $f$ und $f^*$ hängen nicht von der Wahl der Skalarprodukte ab.
  Daher können wir im Allgemeinen \emph{nicht} erwarten, dass das
  Diagramm~\eqref{eq:8-5-3-1} kommutiert.  Mit anderen Worten, wir können im
  Allgemeinen \emph{nicht} erwarten, dass die Abbildungen $s_V$ und
  $f^*◦ s_W ◦ f$ besteht.  Wir interessieren uns aber für Bedingungen,
  die Gleichheit der Abbildungen sicherstellen!  Dazu beobachten wir, dass die
  Abbildungen $s_V$ und $f^*◦ s_W ◦ f$ gleich sind, falls für alle
  $\vec{v} ∈ V$ die folgende Gleichheit von Elementen im Dualraum $V^*$ gilt,
  \begin{equation}\label{eq:8-5-3-2}
    s_V(\vec{v}) = \bigl(f^*◦ s_W ◦ f\bigr)(\vec{v})
  \end{equation}
  Das lässt sich expliziter hinschreiben, indem ich die Definitionen von $s_V$,
  $s_W$ und $f^*$ einsetze.  Dann erhalte ich: die Abbildungen $s_V$ und
  $f^*◦ s_W ◦ f$ sind gleich, falls für alle $\vec{v} ∈ V$ die
  folgende Gleichheit von Elementen im Dualraum $V^*$ gilt,
  \begin{align*}
    \langle •, \vec{v} \rangle_V %
    = f^* ◦ \bigl\langle •, f(\vec{v}) \bigr\rangle_W %
    = \bigl\langle f(•), f(\vec{v}) \bigr\rangle_W.
  \end{align*}
  Das lässt sich noch einfacher formulieren: die Abbildungen $s_V$ und
  $f^*◦ s_W ◦ f$ sind gleich, falls für alle
  $\vec{v}_1, \vec{v}_2 ∈ V$ die folgende Gleichheit von Skalaren gilt,
  \begin{align*}
    \langle \vec{v}_1, \vec{v}_2 \rangle_V %
    = \bigl\langle f(\vec{v}_1), f(\vec{v}_2) \bigr\rangle_W.
  \end{align*}
  Etwas unpräzise können wir zusammenfassend sagen: das
  Diagramm~\eqref{eq:8-5-3-1} kommutiert genau dann, wenn die Abbildung $f$ die
  Skalarprodukte respektiert.
\end{beobachtung}

Die folgende Definition hilft, Beobachtung~\ref{beob:8-5-3} zu formalisieren.

\begin{defn}[Adjungierte Abbildung]
  In Situation~\ref{sit:8-5-1} sei eine lineare Abbildung $f: V → W$ gegeben.
  Die Kompositionsabbildung
  \[
    s^{-1}_V◦f^*◦s_W : W → V
  \]
  heißt \emph{die an $f$ adjungierte Abbildung}\index{adjungierte Abbildung} und
  wird mit dem Symbol $f^{\ad}$ bezeichnet.
\end{defn}

\begin{satz}[Einfache Eigenschaften der adjungierten Abbildung]\label{satz:8-4-5}
  In Situation~\ref{sit:8-5-1} sei eine lineare Abbildung $f: V → W$ gegeben.
  Dann gilt folgendes.
  \begin{enumerate}
  \item Die Abbildung $f^{\ad} : W → V$ ist linear.
    
  \item\label{il:8-5-4-2} Für alle Vektoren $\vec{v} ∈ V$ und $\vec{w} ∈ W$ gilt
    die folgende Gleichheit von Skalaren,
    \[
      \left\langle f(\vec{v}), \vec{w} \right\rangle_W %
      = \left\langle \vec{v}, f^{\text{ad}}(\vec{w}) \right\rangle_V
    \]
  \end{enumerate}
\end{satz}
\begin{proof}
  \sideremark{Vorlesung 13}\video{13-1}
\end{proof}

\begin{prop}\label{prop:8-4-6}
  In der Situation~\ref{sit:8-5-1} sei eine lineare Abbildung $f: V → W$
  gegeben.  Dann ist $f^{\ad} : W → V$ die einzige lineare Abbildung $W → V$,
  die Eigenschaft~\ref{il:8-5-4-2} erfüllt.
\end{prop}
\begin{proof}
  \video{13-2}
\end{proof}

\begin{kor}
  In der Situation~\ref{sit:8-5-1} sei eine lineare Abbildung $f: V → W$
  gegeben.  Dann ist $(f^{\ad})^{\ad} = f$.
\end{kor}
\begin{proof}
  Das folgt aus Proposition~\ref{prop:8-4-6}; Details sind Hausaufgabe.
\end{proof}


\subsection{Unitäre Vektorräume}

Die Aussagen dieses Abschnittes gelten in leicht abgewandelter Form auch für
unitäre Vektorräume.

\begin{aufgabe}[Adjungierte Abbildung für unitäre Vektorräume]
  Finden sie heraus, welche Aussagen genau gelten und schreiben Sie
  schulbuchmäßige Beweise dieser Aussagen auf.
\end{aufgabe}

% !TEX root = LineareAlgebra2