% spell checker language \selectlanguage{german} \chapter{Bilinearformen und Sesquilinearformen} \label{sec:bskalar} \section{Bilinearformen und Skalarprodukte} \label{sec:skalar} \sideremark{Vorlesung 8}Der Name ``Standardskalarprodukt'' sagt es schon: es gibt noch andere Skalarprodukte. Das Ziel dieses Abschnittes ist es, Skalarprodukte (und später auch Hermitesche Produkte) ganz allgemein einzuführen und zu diskutieren. Hier kommen alle relevanten Definitionen. \begin{defn}[Bilinearformen]\label{def:6-1-1} Es sei $k$ ein Körper und $V$ ein $k$-Vektorraum. Eine Abbildung $b: V ⨯ V → k$ heißt \emph{bilinear}\index{bilineare Abbildung} oder \emph{Bilinearform}\index{Bilinearform}, falls Folgendes gilt. \begin{description} \item[Linearität in der ersten Komponente] Für alle $\vec{x}, \vec{y}, \vec{z} ∈ V $ und für alle $λ ∈ k$ gilt \[ b(\vec{x} + λ·\vec{y}, \vec{z}) = b(\vec{x}, \vec{z}) + λ·b(\vec{y}, \vec{z}). \] \item[Linearität in der zweiten Komponente] Für alle $\vec{x}, \vec{y}, \vec{z} ∈ V$ und für alle $λ ∈ k$ gilt \[ b(\vec{x}, \vec{y} + λ \vec{z}) = b(\vec{x}, \vec{y}) + λ·b(\vec{x}, \vec{z}) . \] \end{description} \end{defn} \begin{beobachtung}[Bilinearformen bilden einen $k$-Vektorraum]\label{bem:6-1-2} Wenn ich eine Bilinearform mit einem Skalar multipliziere, erhalte ich eine neue Bilinearform. Ebenso kann ich zwei Bilinearformen zu einer neuen Bilinearform addieren. Die Menge der bilinearen Abbildungen bildet mit diesen Verknüpfungen einen $k$-Vektorraum. \end{beobachtung} \begin{bsp}[Matrizen geben bilineare Abbildungen]\label{bsp:mgba} Betrachte den Vektorraum $V = k^n$ und wähle eine beliebige $n ⨯ n$-Matrix $B$. Dann ist die Abbildung \[ b : k^n ⨯ k^n → k, \quad (\vec{v},\vec{w}) ↦ \vec{v}^{\:t}·B·\vec{w} \] bilinear, wobei $•^t$ die Transponierte von $•$ ist\footnote{Ich bin nicht mehr sicher, ob ich in der Vorlesung LA1 $•^t$ oder $^t•$ geschrieben habe. Beim Tippen schaut $•^t$ viel besser aus.}. Beachte dazu, dass $\vec{w}$ und $B·\vec{w}$ Spaltenvektoren sind, und dass $\vec{v}^t$ ein Zeilenvektor ist. Das Produkt von einem Zeilenvektor mit einem Spaltenvektor ist eine $1⨯ 1$-Matrix; die Definition von $b$ ist so zu verstehen, dass wir $1⨯ 1$-Matrizen mit den Skalaren identifizieren. \end{bsp} \begin{defn}[Symmetrische Bilinearform] Annahmen wie in Definition~\ref{def:6-1-1}. Eine Bilinearform $b : V ⨯ V → k$ heißt \emph{symmetrisch}\index{Bilinearform!symmetrisch}, falls für alle $\vec{x}$, $\vec{y} ∈ V$ die Gleichung $b(\vec{x}, \vec{y}) = b(\vec{y}, \vec{x})$ gilt. \end{defn} \begin{beobachtung}[Symmetrische Bilinearformen bilden einen $k$-Vektorraum]\label{bem:6-1-4} Ganz wie in Bemerkung~\ref{bem:6-1-4} bildet die Menge der symmetrischen Bilinearformen einen Untervektorraum des Vektorraumes aller Bilinearformen. \end{beobachtung} \begin{bsp}[Symmetrische Matrizen geben symmetrische bilineare Abbildungen]\label{bsp:smgsA} Erinnern Sie sich an die Rechenregeln für ``transponieren'' und ``Matrixprodukt''. Wenn eine $n⨯ n$-Matrix $B$ die Gleichung $B^t=B$ erfüllt, dann gilt für alle Vektoren $\vec{v}$ und $\vec{w}$ aus $k^n$, dass \[ \Bigl(\vec{v}^{\:t}·B·\vec{w}\Bigr)^t = \vec{w}^{\:t}·B^t·\vec{v}^{\:tt} = \vec{w}^{\:t}·B^t·\vec{v}. \] Folgern Sie, dass die Bilinearform $b$ aus Beispiel~\ref{bsp:mgba} genau dann symmetrisch ist, wenn die Gleichung $B^t=B$ gilt. Matrizen mit dieser Eigenschaft nennt man \emph{symmetrisch}\index{Matrix!symmetrisch}\index{symmetrische Matrix}. \end{bsp} \begin{defn}[Positive (semi)definite symmetrische Bilinearform]\label{defn:6-1-5} Es sei $k=ℝ$ oder $k=ℚ$ und $V$ ein $k$-Vektorraum. Weiter sei $b$ eine symmetrische Bilinearform auf $V$. Nenne $b$ \emph{positiv semidefinit}\index{Bilinearform!positiv semidefinit}\index{positiv semidefinit} falls für alle $\vec{x} ∈ V$ die Ungleichung $b(\vec{x}, \vec{x}) ≥ 0$ gilt. Nenne $b$ \emph{positiv definit}\index{Bilinearform!positiv definit}\index{positiv definit} falls zusätzlich für alle $\vec{x} ∈ V$ gilt: $b(\vec{x}, \vec{x}) = 0 ⇔ \vec{x} = \vec{0}$. \end{defn} \begin{beobachtung}[Positive (semi)definite Bilinearformen gibt es nur über $ℚ$ und $ℝ$] Die Begriffe ``positiv semidefinit'' und ``positiv definit'' sind nur für $k = ℝ$ und $k = ℚ$ sinnvoll (und für andere Körper zwischen $ℚ$ und $ℝ$)! Bei anderen Körpern (etwa $k = ℂ$) ist gar nicht klar, was die Aussage ``$b(\vec{x}, \vec{x}) ≥ 0$'' bedeuten soll. \end{beobachtung} \begin{beobachtung}[Positive (semi)definite Bilinearform bilden keinen Vektorraum] Unter den Annahmen von Definition~\ref{defn:6-1-5} bildet die Menge der positiv definiten Bilinearformen bildet \emph{keinen} Untervektorraum des Raumes der symmetrischen Bilinearformen. Multiplizieren Sie eine gegebene positiv definite Bilinearform mit der Zahl $-12$ um zu sehen, was schiefläuft. \end{beobachtung} \begin{bsp}[Positiv (semi)definite Matrizen] Betrachte Beispiel~\ref{bsp:mgba} für $k=ℝ$, $n=2$ und die Matrizen \[ \begin{pmatrix} -1 & 0 \\ 0 & 2 \end{pmatrix}, \quad \begin{pmatrix} 0 & 0 \\ 0 & 2 \end{pmatrix}, \quad \begin{pmatrix} π & 0 \\ 0 & 2 \end{pmatrix}, \quad \begin{pmatrix} π & -e \\ \frac{-256}{257} & 2 \end{pmatrix} \] Die entsprechenden Bilinearformen sind ``nicht positiv semidefinit'', ``positiv semidefinit'', ``positiv definit'' und … ? \end{bsp} \begin{defn}[Skalarprodukt auf reellem Vektorraum] Es sei $k=ℝ$ oder $k=ℚ$ und $V$ ein $k$-Vektorraum. Ein Skalarprodukt\index{Skalarprodukt!für reelle Vektorräume} auf $V$ ist eine positiv definite symmetrische Bilinearform. \end{defn} \begin{bsp}[Standardskalarprodukt, Einschränkung] Das Standardskalarprodukt auf dem $ℝ^n$ ist ein Skalarprodukt. Es sei $V$ ein reeller Vektorraum und $\langle •, • \rangle$ sei ein Skalarprodukt. Wenn $W ⊂ V$ ein Untervektorraum ist, dann ist $\langle •, • \rangle|_{W⨯ W}$ wieder ein Skalarprodukt. \end{bsp} \begin{bsp}[Integration]\label{bsp:Integration} Es sei $k = ℝ$ und es sei $V = \cC⁰([0,1], ℝ)$ der Vektorraum der reellwertigen stetigen Funktionen auf dem Einheitsintervall $[0,1] ⊂ ℝ$, wie in der Vorlesung ``Analysis 1'' diskutiert. Die Abbildung \[ \langle •, • \rangle : V ⨯ V → ℝ, \quad (f, g) ↦ \int¹_0 f(t) · g(t) dt. \] ist ein Skalarprodukt. \end{bsp} \subsection{Beschreibung von Bilinearformen durch Matrizen} Die Überschrift sagt schon, worum es geht: wir wollen in diesem Abschnitt Bilinearformen beschreiben, indem wir jeder Form eine Matrix zuordnen. Didaktisch ist das eine Katastrophe -- wir haben in der Vorlesung ``Lineare Algebra I'' jeder linearen Abbildung eine Matrix zugeordnet. Und jetzt machen wir das mit Bilinearformen? Kurz gesagt: ``Ja!'' Lassen Sie sich nicht verwirren. Wir haben zwei völlig unterschiedliche Arten von Objekten (``Lineare Abbildung'', ``Bilinearformen''), die gar nichts miteinander zu tun haben. Dennoch lassen sich beide Objekte durch Matrizen beschreiben. Das gibt es im Leben öfter. \begin{quote} ``Velociraptoren'' sind etwas ganz anderes als ``romantische Gefühle'', auch wenn beide Menschen verzehren. Dennoch lassen sich sowohl ``Velociraptoren'' als auch ``romantische Gefühle'' recht gut durch Bytestrings beschreiben (vergleiche etwa \href{https://de.wikipedia.org/wiki/Velociraptor}{hier} und \href{https://www.youtube.com/watch?v=7h3q9-FcoOM}{hier}). \end{quote} Wir betrachten die folgende Situation. \begin{situation}\label{sit:6-3-1} Es sei $k$ ein Körper und es sei $V$ ein endlich-dimensionaler $k$-Vektorraum, mit angeordneter Basis $B := \{\vec{v}_1, …, \vec{v}_n\}$. Die zugehörende Koordinatenabbildung bezeichnen wir wie immer mit $φ_B : V → k^n$. \end{situation} \begin{konstruktion}[Bilinearformen zu Matrizen]\label{cons:6-3-2} In Situation~\ref{sit:6-3-1} sei eine Bilinearform $b : V ⨯ V → k$ gegeben. Dann betrachte die $n⨯n$-Matrix \[ \Mat_B(b) := \bigl( b(\vec{v}_i, \vec{v}_j) \bigr)_{1 ≤ i,j ≤ n} \] \end{konstruktion} \begin{konstruktion}[Matrizen zu Bilinearformen]\label{cons:6-3-3} In Situation~\ref{sit:6-3-1} sei eine $n⨯n$-Matrix $A$ gegeben. Dann betrachte die Bilinearform \[ s_B(A) : V ⨯ V → k,\quad (\vec{v}, \vec{w}) ↦ φ_B(\vec{v})^t·A·φ_B(\vec{w}) \] \end{konstruktion} \begin{aufgabe} Rechnen Sie nach, dass die Konstruktionen~\ref{cons:6-3-2} und \ref{cons:6-3-3} zueinander inverse Isomorphismen von $k$-Vektorräumen liefern! \[ \begin{tikzcd} \text{$n⨯n$-Matrizen} \arrow[r, bend left, "s_B"] & \text{Bilinearformen} \arrow[l, bend left, "\Mat_B"] \end{tikzcd} \] Damit beweisen Sie unter anderem folgendes: gegeben Zahlen $a_{ij}$, dann gibt es genau eine Bilinearform $b$, so dass für alle $i,j$ gilt, dass $b(\vec{v}_i, \vec{v}_j) = a_{ij}$ ist. So eine Rechnung hatten wir schon, als es darum ging, jeder linearen Abbildung eine Matrix zuzuordnen. \end{aufgabe} \begin{beobachtung} Die Isomorphismen $s_B$ und $\Mat_B$ liefern durch Einschränkung Isomorphismen zwischen dem Vektorraum der symmetrischen Matrizen und dem Vektorraum der symmetrischen Bilinearformen. Wir erkennen insbesondere, dass die Räume der Bilinearformen endlich-dimensional sind. Genauer: \begin{align*} \dim_k (\text{Bilinearformen}) &= \dim_k (\text{$n⨯ n$-Matrizen}) = n² \\ \dim_k (\text{symm.~Bilinearformen}) &= \dim_k (\text{symm.~$n⨯ n$-Matrizen}) = \frac{n(n+1)}{2} \end{align*} \end{beobachtung} \begin{bsp} Es sei $V$ der $ℝ$-Vektorraum der Polynome von Grade $≤ 2$, mit der angeordneten Basis $B := \{ 1, x, x²\}$. Wieder betrachten wir die Bilinearform \[ b : V ⨯ V → ℝ, \quad (p,q) ↦ \int_{-1}¹ p(t)·q(t)·dt \] Dann ist \[ \Mat_B(b) = \begin{pmatrix} 2 & 0 & \frac{2}{3} \\ 0 & \frac{2}{3} & 0\\ \frac{2}{3} & 0 & \frac{2}{5} \end{pmatrix} \] \end{bsp} \subsection{Basiswechsel} Wir kennen das Problem: gegeben ist ein $n$-dimensionaler $k$-Vektorraum $V$, eine Bilinearform $b : V ⨯ V → k$ und zwei angeordnete Basen, $B_1$ und $B_2$. Wie unterscheiden sich $\Mat_{B_1}(b)$ und $\Mat_{B_2}(b)$? \begin{erinnerung} Die Koordinatenwechselmatrix wird mit Sicherheit eine Rolle spielen. Wir erinnern uns: die Koordinatenwechselmatrix ist $S := \Mat^{B_1}_{B_2}(\Id_V)$. Die wesentliche Eigenschaft von $S$ war zusammengefasst in der Kommutativität des folgenden Diagramms, \[ \begin{tikzcd} k^n \ar[r, "S"] & k^n \\ V \ar[u, "φ_{B_1}"] \ar[r, "\Id_V"'] & V. \ar[u, "φ_{B_2}"'] \end{tikzcd} \] In einer Zeile: $S ◦ φ_{B_1} = φ_{B_2}$. \end{erinnerung} \begin{satz}[Basiswechselformel für Matrizen von Bilinearformen] Gegeben sei eine natürliche Zahl $n$, ein $n$-dimensionaler $k$-Vektorraum $V$, eine Bilinearform $b : V ⨯ V → k$ und zwei angeordnete Basen, $B_1$ und $B_2$, mit Basiswechselmatrix $S := \Mat^{B_1}_{B_2}(\Id_V)$. Weiter sei $M_{•} := \Mat_{B_{•}}(b)$. Dann ist \[ M_1 = S^t·M_2·S. \] \end{satz} \begin{proof} \video{8-1} \end{proof} Lesson learned: Matrizen können sowohl lineare Abbildungen (insbesondere: Endomorphismen) als auch bilineare Abbildungen zu beschreiben. Diese beiden Funktionen haben nichts gemein. Deshalb soll es jetzt auch nicht verwundern, dass sich die Basiswechsel-Formeln in beiden Fällen unterscheiden. Ein Trost für alle, die immer noch verwirrt sind: die Basiswechsel-Formel für Bilinearformen ist viel einfacher, weil man statt der inversen Matrix $S^{-1}$ nur die Transponierte $S^t$ ausrechnen muss. \section{Sesquilinearformen und Hermitesche Produkte} \sideremark{Vorlesung 9}So etwas schönes wie ein Skalarprodukt möchte man natürlich auch für komplexe Vektorräume haben, leider funktionieren die Definition aus Abschnitt~\ref{sec:skalar} aber im Komplexen nicht. Die Lösung: man muss die Definition von ``Bilinearität'' abändern, um sicherzustellen, dass die Zahlen $b(\vec{x}, \vec{x})$ stets reell sind (denn dann kann ich sinnvoll sagen, ob die Zahl positiv ist oder nicht). Vielleicht finden Sie es überraschend, dass man an der Definition von ``bilinear'' dreht, und nicht an der Definition von ``positiv definit''. Der praktische Erfolg der folgenden Definitionen gibt der Sache aber recht. \begin{defn}[Sesquilinearform]\label{def:6-2-1} Es sei $V$ ein Vektorraum über den komplexen Zahlen. Eine \emph{Sesquilinearform}\index{Sesquilinearform}\footnote{Sesqui = Eineinhalb} ist eine Abbildung $b: V ⨯ V → ℂ$, so dass Folgendes gilt. \begin{description} \item[Linearität in der ersten Komponente] Für alle $\vec{x}, \vec{y}, \vec{z} ∈ V$ und für alle $λ ∈ ℂ$ gilt \[ b(\vec{x} + \vec{y}, \vec{z}) = b(\vec{x}, \vec{z}) + b(\vec{y}, \vec{z}) % \quad\text{und}\quad % b(λ·\vec{x}, \vec{y}) = λ·b(\vec{x}, \vec{y}). \] \item[Semilinearität in der zweiten Komponente] Für alle $\vec{x}, \vec{y}, \vec{z} ∈ V$ und für alle $λ ∈ ℂ$ gilt \[ b(\vec{x}, \vec{y}+\vec{z}) = b(\vec{x}, \vec{y}) + b(\vec{x}, \vec{z}) % \quad\text{und}\quad % b(\vec{x}, λ·\vec{y}) = \overline{λ}·b(\vec{x}, \vec{y}). \] \end{description} Dabei bezeichnet der Querstrich die \emph{komplexe Konjugation} $x+i·y ↦ x - i·y$. \end{defn} \begin{beobachtung}[Sesquilinearformen bilden einen komplexen Vektorraum]\label{bem:6-2-2} Wenn ich eine Sesquilinearform mit einer komplexen Zahl multipliziere, erhalte ich eine neue Sesquilinearform. Ebenso kann ich zwei Sesquilinearformen zu einer neuen Sesquilinearform addieren. Die Menge der Sesquilinearformen bildet mit diesen Verknüpfungen einen komplexen Vektorraum. Beachten Sie, dass jeder komplexe Vektorraum immer auch ein reeller Vektorraum ist, also bildet die Menge der Sesquilinearformen insbesondere einen reellen Vektorraum. \end{beobachtung} \begin{bsp}[Matrizen geben sesquilineare Abbildungen]\label{bsp:mgbaC} Betrachte den Vektorraum $V = ℂ^n$ und wähle eine beliebige $n ⨯ n$-Matrix $B$. Dann ist die Abbildung \[ b : ℂ^n ⨯ ℂ^n → k, \quad (\vec{v},\vec{w}) ↦ \vec{v}^{\:t}·B·\overline{\vec{w}} \] sesquilinear. Dabei bezeichne der Querstrich $\overline{\vec{w}}$ den zu $\vec{w}$ komponentenweise konjugierten Vektor, also zum Beispiel \[ \overline{ \begin{pmatrix} 1+i \\ 2-i \\ 3 \end{pmatrix} } = \begin{pmatrix} 1-i \\ 2+i \\ 3 \end{pmatrix} \] \end{bsp} \begin{defn}[Hermitesche Sesquilinearform] Annahmen wie in Definition~\ref{def:6-2-1}. Eine Sesquilinearform $b : V ⨯ V → ℂ$ heißt \emph{Hermitesch}\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Hermite}{Charles Hermite} (* 24. Dezember 1822 in Dieuze, Lothringen; † 14. Januar 1901 in Paris) war ein französischer Mathematiker.}\index{Sesquilinearform!Hermitesch}, falls für alle $\vec{x}$, $\vec{y} ∈ V$ die Gleichung $b(\vec{x},\vec{y}) = \overline{b(\vec{y},\vec{x})}$ gilt. \end{defn} \begin{beobachtung}[Reelle Werte von Hermiteschen Sesquilinearformen]\label{beo:rwvhs} Es sei $b : V ⨯ V → ℂ$ eine Hermitesche Sesquilinearform. Dann gilt für jeden Vektor $x ∈ V$ die Gleichung $b(x,x) = \overline{b(x,x)}$. Es folgt, dass $b(x,x) = \overline{b(x,x)}$ eine reelle Zahl ist, da der imaginäre Anteil verschwinden muss. \end{beobachtung} \begin{beobachtung}[Hermitesche Sesquilinearformen bilden einen reellen Vektorraum]\label{beob:6-2-4} Wenn ich eine Hermitesche Sesquilinearform mit einer reellen Zahl multipliziere, erhalte ich eine neue Hermitesche Sesquilinearform. Ebenso kann ich zwei Hermitesche Sesquilinearformen zu einer neuen Hermitesche Sesquilinearform addieren. Es folgt, dass die Menge der Hermiteschen Sesquilinearformen einen \emph{reellen} Untervektorraum des reellen Vektorraumes der Sesquilinearformen bildet. \end{beobachtung} \begin{beobachtung}[Hermitesche Sesquilinearformen bilden keinen komplexen Vektorraum]\label{beob:6-2-5} Wenn ich eine Hermitesche Sesquilinearform (die nicht die Nullform ist) mit einer komplexen Zahl multipliziere, die nicht reell ist, dann ist die entstehende Sesquilinearform niemals Hermitesch\footnote{Hausaufgabe: Wieso?!}. Die Menge der Hermiteschen Sesquilinearformen ist deshalb \emph{kein} komplexer Vektorraum. \end{beobachtung} \begin{bsp}[Hermitesche Matrizen geben bilineare Abbildungen] Überlegen Sie sich in kompletter Analogie zu Beispiel~\ref{bsp:smgsA}, dass die Sesquilinearform $b$ aus Beispiel~\ref{bsp:mgbaC} genau dann Hermitesch ist, wenn die Gleichung $B^t = \overline{B}$ gilt, wobei der Querstrich wieder die komponentenweise Konjugation bezeichnet. Matrizen mit dieser Eigenschaft nennt man \emph{Hermitesch}\index{Matrix!Hermitesch}\index{Hermitesche Matrix}. Interessant: bei Hermiteschen Matrizen sind alle Einträge auf der Diagonalen notwendigerweise reell. Hat das mit Beobachtung~\ref{beo:rwvhs} zu tun? \end{bsp} \begin{defn}[Positive (semi)definite symmetrische Bilinearform]\label{defn:6-2-5} Es sei $V$ ein komplexer Vektorraum. Weiter sei $b$ eine Hermitesche Sesquilinearform auf $V$. Nenne $b$ \emph{positiv semidefinit}\index{Hermitesche Sesquilinearform!positiv semidefinit}\index{positiv semidefinit} falls für alle $\vec{x} ∈ V$ die Ungleichung $b(\vec{x}, \vec{x}) ≥ 0$ gilt. Nenne $b$ \emph{positiv definit}\index{Bilinearform!positiv definit}\index{positiv definit} falls zusätzlich für alle $\vec{x} ∈ V$ gilt: $b(\vec{x}, \vec{x}) = 0 ⇔ \vec{x} = \vec{0}$. \end{defn} \begin{defn}[Skalarprodukt auf komplexem Vektorraum]\label{def:6-2-8} Es sei $V$ ein komplexer Vektorraum. Ein Skalarprodukt\index{Skalarprodukt!für komplexe Vektorräume} auf $V$ ist eine positiv definite, Hermitesche Sesquilinearform. \end{defn} \begin{bsp} Erinnern Sie sich daran, dass für jede komplexe Zahl $z = x+i·y$ gilt, dass $z·\overline{z} = (x+i·y)·(x-i·y) = x²+y²$ reell und nicht-negativ ist. Diese Beobachtung zeigt, dass das \emph{Standardskalarprodukt}\index{Standardskalarprodukt!auf $ℂ^n$} auf dem Vektorraum $ℂ^n$, \[ \begin{matrix} \langle •, • \rangle & : & ℂ^n ⨯ ℂ^n & → & ℂ \\ & & \left( \begin{pmatrix} x_1 \\ \vdots \\ x_n \end{pmatrix}, \begin{pmatrix} y_1 \\ \vdots \\ y_n \end{pmatrix} \right) & ↦ & \sum_{i=1}^n x_i·\overline{y_i} \end{matrix} \] tatsächlich ein Skalarprodukt im Sinne von Definition~\ref{def:6-2-8} ist. \end{bsp} \begin{bsp} Sei $V = \cC⁰([0,1];ℂ)$ der komplexe Vektorraum der komplexwertigen stetigen Funktionen auf dem Einheitsintervall $[0,1] ⊂ ℝ$. Die Abbildung \[ \langle •, • \rangle : V ⨯ V → ℂ, \quad (f, g) ↦ \int¹_0 f(t)·\overline{g(t)} dt. \] ist ein Skalarprodukt. \end{bsp} \subsection{Hermitesche Sesquilinearformen! OMG! Will ich das wirklich wissen?} Alle Menschen verabscheuen Definitionen. Definitionen sind neu, und Menschen lehnen alles Neue ab. Außerdem erfordern Definitionen Einarbeitung, das macht Arbeit und kostet Zeit. Muss ich Hermitesche Sesquilinearformen wirklich anschauen? Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Fakt ist, dass Hermitesche Sesquilinearformen (für unendlich-dimensionale Vektorräume) seit etwa 100 Jahren die zentralen Objekte in der Formulierung der Quantenmechanik sind. Jeder Chemiker und jeder Physiker muss das lernen. \begin{quote} Satz 1: In der Quantenmechanik tauchen Hermitesche Operatoren in der Form von Observablen ständig auf. -- \href{https://www.ph.tum.de/academics/bsc/break/2013s/fk_PH0007_01_course.pdf}{Ferienkurs der TU München} \end{quote} \subsection{Matrizen und Basiswechsel} Ganz analog zu Abschnitt~\ref{sec:skalar} können wir (Hermitesche) Sesquilinearformen durch Matrizen beschreiben. Weil alle Argument ganz analog gehen, geben wir nur die Ergebnisse an. \begin{konstruktion}[Sesquilinearformen zu Matrizen] Es sei $V$ ein endlich-dimensionaler $ℂ$-Vektorraum, mit angeordneter Basis $B := \{\vec{v}_1, …, \vec{v}_n\}$. Die zugehörende Koordinatenabbildung bezeichnen wir wie immer mit $φ_B : V → k^n$. \begin{itemize} \item Gegeben eine Sesquilinearform $b : V ⨯ V → k$, dann betrachte die $n⨯n$-Matrix \[ \Mat_B(b) := \bigl( b(\vec{v}_i, \vec{v}_j) \bigr) \] \item Gegeben eine $n⨯n$-Matrix $A$ gegeben. Dann betrachte die Sesquilinearlinearform \[ s_B(A) : V ⨯ V → k,\quad (\vec{v}, \vec{w}) ↦ φ_B(\vec{v})^t·A·\overline{φ_B(\vec{w})} \] \end{itemize} \end{konstruktion} Rechnen Sie nach, dass wir so zueinander inverse Isomorphismen von $ℂ$-Vektorräumen erhalten, \[ \begin{tikzcd} \text{$n⨯n$-Matrizen} \arrow[r, bend left, "s_B"] & \text{Sesquilinearformen,} \arrow[l, bend left, "\Mat_B"] \end{tikzcd} \] die die Hermiteschen Formen mit den Hermiteschen Matrizen identifizieren. Außerdem gilt folgender Satz. \begin{satz}[Basiswechselformel für Matrizen von Sesquilinearformen] Gegeben sei eine natürliche Zahl $n$, ein $n$-dimensionaler $k$-Vektorraum $V$, eine Sesquilinearform $b : V ⨯ V → k$ und zwei angeordnete Basen, $B_1$ und $B_2$, mit Basiswechselmatrix $S := \Mat^{B_1}_{B_2}(\Id_V)$. Weiter sei $M_{•} := \Mat_{B_{•}}(b)$. Dann ist \[ M_1 = S^t·M_2·\overline{S}. \] \end{satz} % !TEX root = LineareAlgebra2